Zwischenbericht aus der Wurstfabrik

Der Referentenentwurf zum Zweiten Korb der Urheberrechtsreform enthält eine Lesegebühr für Bibliotheken, stellt aber auch Softwarekopien in geringem Umfang straffrei

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In einem "Urheberrecht in der Informationsgesellschaft" benannten Symposion diskutierte das Bundesministerium der Justiz seinen Referentenentwurf zum Zweiten Korb der "Urheberrechtsreform." Nach den Verbrauchern sind diesmal vor allem Wissenschaft und Bibliotheken die Verlierer.

So schreibt der Referentenentwurf in § 53a das Aus für die elektronische Bibliotheksfernleihe fest: Zulässig ist nur der Versand als Grafikdatei - die zudem lediglich in den Bibliotheksräumen eingesehen oder ausgedruckt werden darf. Auch Eigenbestände dürfen nur in der Zahl an "elektronischen Leseplätzen" gleichzeitig zugänglich gemacht werden, in der sie in gedruckter Form in der Bibliothek vorhanden sind. Ein Dammbruch ist dabei die neu eingeführte Gebühr, die nicht für einen Ausdruck oder eine Kopie bezahlt werden muss, sondern für die "Zugänglichmachung" - also allein für das Lesen.

Darüber hinaus werden in § 54c Schulen, Hochschulen, Bibliotheken und sonstige Forschungs- und Bildungseinrichtungen als "Betreiber" von Vervielfältigungsgeräten zusätzlich zur Geräte- und Leermedienabgabe zur Kasse gebeten. Die Verschlechterungen führen dazu, dass die ohnehin klamme Finanzlage von Universitäten und Bibliotheken sich noch erheblich verschärft.

Auf den Verlag Reed-Elsevier, dessen Missbrauch von Digital Rights Management (DRM) zum Melken von Bibliotheken (vgl. Content is King! oder die Diktatur des Kleingedruckten) mittlerweile evident gewordenen ist, will das Justizministerium "Druck ausüben". Laut Ministerialrätin Dr. Irene Pakuscher, Leiterin des Referats Urheber- und Verlagsrecht im Bundesministerium der Justiz, soll dies unter anderem dadurch geschehen, dass Wissenschaftler ermutigt werden, nicht bei Elsevier oder Springer, sondern beispielsweise in Zeitschriften der Public Library of Science zu veröffentlichen. Vorbilder dafür gibt es bereits: Programmierpionier Donald Knuth schrieb nach einem Blick auf die Preisentwicklung des bei Elsevier erschienenen Journal of Algorithms alle Herausgeber an, die daraufhin geschlossen zurücktraten und die Zeitschrift bei der ACM als Transactions on Algorithms neu gründeten. Reed-Elsevier musste ein neues Herausgebergremium aus B-Wissenschaftlern zusammenstellen, was dazu führte dass die teure Zeitschrift nicht mehr für wissenschaftliche Arbeiten konsultiert werden muss und von Bibliotheken abbestellt werden kann.

Für deutsche Zeitschriften stehen solche Schritte bisher noch aus. Das liegt unter anderem daran, dass die Verteilungspolitik der Verwertungsgesellschaften alternative Veröffentlichungsmodelle erheblich benachteiligt:

So erhalten Autoren für Veröffentlichungen in Online-Publikationen wie First Monday, LawMeme oder PloS Biology (Medizinische Fachzeitschrift nach dem Open Access-Modell gestartet)keinen Anteil an der Ausschüttung der Leermedien- und Geräteabgaben, obwohl der Ausdruck beziehungsweise das Brennen urheberrechtsrelevanter Inhalte ohne die wenig verbreiteten Scanner fast nur bei Internetinhalten denkbar ist. Stattdessen werden die von der VG Wort als "Ausgleich" für Kopien und Ausdrucke erhobenen Abgaben an Bild- und Focus-Autoren ausgeschüttet.

Zwar hat das Justizministerium der bisher von den Verwertungsgesellschaften praktizierten Ausschüttung von Leermedien- und Geräteabgaben für kopiergeschützte Medien in §54g Absatz 2 des Entwurfs einen Riegel vorgeschoben. Eine Verpflichtung der Verwertungsgesellschaften zur Ausschüttungen für Veröffentlichungen in Online-Organen steht jedoch weiterhin aus - und damit besteht für Wissenschaftler auch kein finanzieller Anreiz in den von Pakuscher genannten Organen zu veröffentlichen.

Zu Privatkopie und Pauschalabgabe war wenig jenseits der bekannten Positionen zu hören (vgl. Urheberrecht: Gesittet "Pfui" sagen). In den Detailregelungen bewiesen die Schöpfer des Gesetzestextes ihr Talent für problematische Formulierungen, indem Sie in § 54a Abs. 2 festlegten, dass bei der Höhe der Pauschalabgaben auf Speichermedien deren Wiederbeschreibbarkeit zu "berücksichtigen" sei. Aufgrund dieses Wortlauts wollen die Verwertungsgesellschaften mit dieser Formulierung nicht die - in der Praxis fast ausschließlich für Backups eigener Werke und nicht zum Speichern von Musik oder Filmen genutzten - RW-Medien mit geringeren Abgaben belegen, sondern im Gegenteil wesentlich höhere Abgaben für diese verlangen, da man mit ihnen ja öfter Kopieren könne.

Dass nach einer neuen Formulierung des § 53 Abs. 1 Satz 1 auch Downloads aus Tauschbörsen illegal werden sollen (vgl. Gefährliches Pflaster P2P) wird durch die Beibehaltung der Voraussetzung einer "Offensichtlichkeit" relativiert. Dr. Elmar Hucko, Leiter der Abteilung Handels- und Wirtschaftsrecht im Bundesministerium der Justiz, bezeichnete dieses "offensichtlich" als eine "unsinnige Formulierung, die möglichst nicht angewendet werden darf, aber bisher eine sehr nützliche Wirkung entfaltet" (vgl. Gesetzbuch zu ... und alle Fragen offen).

Ein einziges Zuckerl für die bei der letztjährigen Urheberrechtsreform auf den Zweiten Korb vertrösteten Verbraucher enthält der Entwurf: Im Gegensatz zu Medienkopien waren ungenehmigte Kopien von Computerprogrammen bisher strafbar - auch in geringem Umfang und zum privaten Gebrauch. Einzige Ausnahme war eine Sicherungskopie. Das könnte sich durch den in § 106 Abs. 1 neu eingefügten Satz 2 ändern, der der normativen Kraft des Faktischen gerecht wird und eine besonders evidente Diskrepanz zwischen allgemeinem Rechtsempfinden und Gesetzestext mildert:

Nicht bestraft wird, wer rechtswidrig Vervielfältigungen nur in geringer Zahl und ausschließlich zum eigenen privaten Gebrauch herstellt.

Die Bagatellklausel gilt in diesem Wortlaut nicht nur für Texte, Filme und Musik, sondern auch für Computerprogramme. Allerdings wurden viele Bagatellefälle auch bisher von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Insoweit schafft die neue Regelung also nur ein Stück Bürokratie ab und spart Kosten. Trotzdem arbeiten die Lobbyisten der Business Software Alliance an einer Herausnahme dieser Regelung.

Auch die Urheber werden durch Einführung einer Cessio Legis - einer Zwangsabtretung von Ansprüchen - für Filme in § 89 Abs. 1 weiter benachteiligt, wahrend die Position der Medienindustrie noch einmal gestärkt wird. Diese erneute Benachteiligung von Urhebern verwundert wenig, wenn man berücksichtigt, dass das Justizministerium als Urheber-Vertreter immer noch die Verwertungsgesellschaften ansieht, während in der von GEMA- und VG-Wort-Funktionären herausgegebenen Zeitschrift zum Urheber- und Medienrecht mittlerweile ausgesprochene Extrempositionen vertreten werden, die eine Abschaffung des Urheberrechts zugunsten eines totalen und zeitlich unbegrenzten Monopolrechts auf jegliche "Information" nicht mehr für die Urheber, sondern für die Medienindustrie fordern.1

Der vom Justizministerium angekündigte bessere Zugang zu historischem Material wird dagegen auch durch diese Cessio Legis nicht besser: Wer vom ZDF-Archiv Zugang zu Serienklassikern wie Alpha Alpha bekommen will, der wird laut Auskunft von ZDF-Justiziar Peter Weber auch nach dem Inkrafttreten des Zweiten Korbes abschlägig beschieden.