Wahlcomputer bleiben unter Verdacht

Die OSZE-Beobachter kritisieren vorsichtig den Einsatz der Wahlcomputer ohne Kontrollmöglichkeiten, misstrauische Amerikaner wittern möglichen Wahlbetrug und wollen alle Log-Dateien der Wahlcomputer einsehen

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Das Misstrauen vor der Wahl war groß. Nach dem Sieg von George Bush sind viele Kerry-Anhänger enttäuscht. Manche können nicht recht glauben, dass tatsächlich die Mehrheit der Wähler sich für Bush entschieden hat. Daher wird nach Unstimmigkeiten gesucht und eine Gruppe hat mit ihrem Antrag nach dem amerikanischen Informationsfreiheitsgesetzt (FOIA), einen neuen Rekord aufgestellt: Verlangt werden alle Log-Dateien der Wahlcomputer zur Überprüfung.

Man muss nicht gleich immer mit dem Begriff der Verschwörungstheorie daherkommen, wenn manche Menschen in den USA misstrauisch sind und zudem aufgrund ihrer Enttäuschung nach Unstimmigkeiten suchen. Allerdings hatte die Bush-Regierung das Misstrauen gut mit ihren vielen Inszenierungen und manchen Betrügereien geschürt. Der von ihr ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus hat überdies selbst etwas von einer Verschwörungstheorie.

Neben den weiterhin dem Verdacht ausgesetzten Wahlcomputern ist für Misstrauische seltsam, dass zu Beginn der Wahlen bei den "exit polls", also bei den Umfragen mit denjenigen, die aus den Wahllokalen kommen und bereits gewählt haben, in vielen Bundesstaaten Kerry mit einigen Prozentpunkten vorne lag - auch in Florida und Ohio. Diese Zahlen wurden schnell von den großen Medien wie ABC, CBS, NBC, CNN, Fox News oder AP, aber auch von Bloggern wie dem Drudge Report, Command Post oder Daily Kos veröffentlicht und ließen die Vermutung entstehen, dass Kerry gewinnen werde. Zwar wurde mitunter auch bei den Blogs gewarnt, dass diese Umfragen nicht das wirkliche Ergebnis voraussagen müssen, aber skeptisch wurden Manche, als die ausgezählten Stimmen den ersten Umfrageergebnissen nicht entsprachen, sondern eben eher Bush in Führung sahen.

Durchgeführt wurden die "exit polls" von der Firma National Election Pool (NEP), einem Konsortium an Meinungsforschungsinstituten, das für die großen Fernsehsender und AP nach dem Debakel 2000 ins Leben gerufen wurde. Offenbar scheint man nun aber weniger die Firma zu kritisieren, wenn es denn etwas zu beanstanden gibt, sondern die Blogger, die die Umfrageergebnisse - ebenso wie viele Fernsehsender - veröffentlicht haben. Sie seien, so etwa Bill Schneider von CNN, Schuld daran, dass wahrscheinlich viele Menschen diese Zahlen geglaubt und womöglich ihr Verhalten daran ausgerichtet hätten. Dem schließt sich auch die Umfrageexpertin Kathy Frankovic von CBS an, die auch wieder die Blogger dafür verantwortlich sieht, dass Menschen diesen ersten Zahlen geglaubt hätten. Die Sender halten sich zugute, dass sie dieses Mal vorsichtiger als 2000 waren, als vorschnell Al Gore zum Sieger ausgerufen wurde.

Bei NEP selbst sagt man, die Blogger hätten sich aus den frühen Umfrageergebnissen herausgepickt, was in ihrem Interesse gewesen sei. Spätere Umfragen hätten denn auch andere Ergebnisse geliefert. Man habe aber auch eine Konferenz am Wahltag einberufen, als bei den ersten Umfragen Kerry in vielen Staaten überraschend in Führung lag und die Sender zur Vorsicht aufgerufen, die NEP beauftragt hatten, landesweit diese "exit polls" durchzuführen.

Natürlich kann es zahlreiche Gründe dafür geben, warum bei den ersten Umfragen Kerry in Führung war. Vielleicht sind die Anhänger der Demokraten, beispielsweise die Jungwähler, die Frauen oder die Schwarzen, früher zur Wahl gegangen, während sich die Anhänger der Republikaner mehr Zeit ließen. Vielleicht waren die Kerry-Wähler anfangs williger, sich befragen zu lassen. Skeptiker melden jedoch Zweifel an. Zwar sind "exit polls" nicht verlässlich für den Ausgang der Wahl, aber sie würden bei Wahlbeobachtungen auch als Hinweis darauf genutzt, ob die ausgezählten Stimmen in etwa den Umfrageergebnissen gleichen. Seltsam sei, dass Kerry in allen "swing states" vorne gelegen habe, das könne kein Zufall sein. Misstrauisch sei man auch deswegen, weil beispielsweise CNN nachträglich auf der Website die Umfragewerte geändert habe, da man zur Gewichtung einen zu hohen Anteil an Schwarzen verwendet habe.

Und auffällig sei auch, dass die Diskrepanzen zwischen den frühen Umfragen und den ausgezählten Stimmen vor allem bei den Staaten aufgetreten seien, in denen mit Wahlcomputern ohne Ausdruck der Stimmabgabe auf Papier abgestimmt wurde, wo man also die Wahlergebnisse nicht durch Neuzählung überprüfen könnte. Stets hätten sich die Korekturen dann zugunsten von Bush ausgewirkt. In den meisten anderen Staaten sei die Differenz zwischen Umfrage- und Endergebnis gering und bliebe innerhalb einer Fehlergrenze von 5 Prozent.

"Wählen ohne Kontrollmöglichkeit: Sind wir verrückt?"

Als Grund für das berechtigte Misstrauen wird auf eine E-Mail verwiesen, die der Diebold-Chef Walden O'Dell, ein Republikaner, im Sommer 2003 an die republikanische Partei in Ohio geschrieben hatte. Die schon lange wegen ihrer Wahlcomputer umstrittene Firma hat ihren Sitz in Ohio. O'Dell schrieb, wie das beispielsweise auch CNN berichtet hat, dass er entschlossen sei, "Ohio die Wählerstimmen für den Präsidenten zu liefern". Das bestätigt natürlich den Verdacht von Misstrauischen oder schürt ihn, zumal Diebolds Beziehung zu den Republikanern schon länger kritisch beäugt wurde.

So richtig sagen will man es aber auch nicht, was denn die stillschweigende Konsequenz wäre: ein systematischer Betrug bei allen unterschiedlichen Wahlcomputern, die ja nicht nur von Diebold stammen, zugunsten von Bush. Dafür freilich spricht eigentlich nichts. Es gab zwar immer wieder Pannen, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß, das zuvor befürchtet wurde. Die meisten Fehler, die bei Wahlcomputern gemeldet wurden, betrafen falsche Zwischenergebnisse bei der Abstimmung. Die Zwischenergebnisse dienen dazu, dass der Wähler seine Stimmabgabe noch einmal überprüfen kann und sie dann bestätigen muss. Diebold führt dies auf falsche Eingaben der Benutzer zurück und betont, wie gut geprüft ihre Wahlsysteme seien. Insgesamt schwärmen die Hersteller vom mit Bravour bestandenen großen Test für das E-Voting.

Ernsthafte Kritik besteht jedoch weiterhin an Wahlcomputern, die keinen Papierausdruck oder etwas Vergleichbares zur Kontrolle und zum Nachzählen ermöglichen. Schwerwiegend und berechtigt ist auch die Kritik, dass die Software und Einrichtung der Systeme bislang nicht ausreichend und unabhängig überprüft wird. Die Sicherheitsüberprüfung erfolgt durch Firmen, die Software der Hersteller gilt als Betriebsgeheimnis, die verwendeten Programme anderer Firmen werden überhaupt nicht auf Sicherheit geprüft.

Das ist auch die Kritik der Wahlbeobachtungskommission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die bestätigt, es seien freie und faire Wahlen gewesen, die aber noch nicht ganz den OSZE-Verpflichtungen angemessen sind. So konnten die Beobachter nicht immer in die Wahllokale gehen, Probleme habe es mit den "vorläufig" abgegebenen Stimmen gebeben, angemerkt werden auch die langen Schlangen und die nötige Wartezeit. Bei den Wahlcomputern wird gerügt, dass einheitliche Zulassungsstandards und eben ein Kontrollausdruck auf Papier fehle.

Dass Wahlcomputer - und vor allem die von Diebold - zumindest im Prinzip leicht zu manipulieren sind, hat die Gruppe Black Box Voting schon des längeren kritisiert und auch demonstriert, nachdem durch eine nicht geschützte Website zahlreiche Dokumente von Diebold-Systemen analysiert werden konnten (Das Problem mit den elektronischen Wahlsystemen und der amerikanischen Demokratie. Kurz vor der Wahl hatte die Gruppe noch einmal auf eine Sicherheitslücke hingewiesen und die Gefahr beschworen, dass womöglich bei einer früheren Wahl schon einmal Manipulationen beim Übertragen der Daten von den Wahllokalen zum zentralen Server des Wahlbezirks stattgefunden haben könnten (Wurden bereits Wahlcomputer gehackt?). Den Wahlbeobachtern der Gruppe wurde aufgetragen, alles, was sie beobachten können, aufzuzeichnen und möglichst die "audit logs" der Computer zu verlangen, um so überprüfen zu können, was in den black boxes vor sich geht.

Jetzt hat die Gruppe den angeblich bislang größten Antrag auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes gestellt. "Wählen ohne Kontrollmöglichkeit: Sind wir verrückt?", wird gefragt und gesagt, dass es eine Möglichkeit gebe, um festzustellen, ob bei den Wahlergebnissen, die von Wahlcomputern stammen, alles mit rechten Dingen verlaufen ist. Die Gruppe will sämtliche Logs und andere Dokumente wie Fehlermeldungen für Übertragungen, Computer oder Modems von allen 3.000 Wahlbezirken einsehen - und dies für alle technischen Wahlsysteme. Man werde im Forum alle erhaltenen Dokumente und die Antworten der Behörden veröffentlichen, zumindest so lange das Geld für die Anträge reicht.

Der Journalist Greg Palast, der 2000 die Machenschaften in Florida untersuchte, ist sich allerdings ziemlich sicher, dass Kerry in Ohio und Florida gewonnen hätte und dass die ersten "exit polls" richtig gewesen waren. In Ohio seien an die 250.000 Stimmen nicht erfasst worden, über 150.000 vorläufige Stimmen (provisional ballots) und über 90.000 ungültige. Und da die meisten der als ungültig erklärten Stimmen aus Wahlbezirken stammen mit einem großen Anteil an Schwarzen oder anderen Minoritäten (siehe den Bericht der U.S. Civil Rights Commission), würde dies vor allem die Demokraten treffen:

The election in Ohio was not decided by the voters but by something called "spoilage." Typically in the United States, about 3 percent of the vote is voided, just thrown away, not recorded. When the bobble-head boobs on the tube tell you Ohio or any state was won by 51 percent to 49 percent, don't you believe it ... it has never happened in the United States, because the total never reaches a neat 100 percent. The television totals simply subtract out the spoiled vote. And not all votes spoil equally. Most of those votes, say every official report, come from African-American and minority precincts.

Nach seiner Ansicht würden Ohio und New Mexico eigentlich Kerry zufallen, wenn tatsächlich nachgezählt werden würde. Aber die Demokraten würden schon deswegen nicht die Forderung nach einer Nachzählung vorbringen, weil sie wüssten, dass der republikanische Gouverneur verhindern würde, dass man Zugriff auf alle ungültigen Stimmen erhalten würde, aber auch, weil die Medien bei einer solchen Forderung laut aufschreien würden. Das nun klingt schon genau so, wie man sich eine Verschwörungstheorie vorstellt, die letztlich nicht bewiesen werden kann. Dass Bush gleichwohl von der Mehrheit der Amerikaner, die an der Wahl teilgenommen haben, gewählt wurde, dürften aber selbst ein paar Tausend Stimmen nichts ändern.