Die Geteilten Staaten von Amerika

Ralph Nader will für eine neue Stimmauszählung in New Hampshire sorgen - wo Kerry gewonnen hat

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Im Jahr 2000 hieß es, Al Gore wäre Präsident geworden, wenn er die Stimmen von Ralph Nader bekommen hätte. Nun könnte Ralph Nader als dritter Kandidat für die US-Präsidentschaft auch einen Unterschied in den Präsidentschaftswahlen von 2004 machen.

Auf der bei den Wahlen standardmäßig verwendeten Karte der USA mit blauen und roten Staaten überwiegt das Rote deutlich

Das Misstrauen in die Wahlergebnisse lässt nicht nach (Tweaking the vote). Auf beiden Seiten wird eine Manipulation vermutet. Zum Beispiel: Wie soll man die historisch wohl einmalig große Kluft zwischen den an den Wahlurnen durchgeführten Umfragen (den sogenannten "exit polls"), in denen Kerry deutlich geführt hat, und den eigentlichen Wahlergebnissen erklären (Wahlcomputer bleiben unter Verdacht)? Während einige demokratische Wähler den Wahlergebnissen nicht trauen und Wahlbetrug wittern, glauben manche Republikaner, dass die " links-liberalen" Medien diese Umfragen so beeinflusst hätten, damit Kerry während des Urnengangs deutlich führt.

Der Republikaner Dick Morris (nicht mit dem Autor verwandt) fand schon am 4. November deutliche Worte: "I suspect foul play." Er glaubt nämlich, dass republikanische Wähler durch Berichte über schlechte Wahlergebnisse für Bush entmutigt werden sollten:

Dark minds will suspect that these polls were deliberately manipulated to dampen Bush turnout in the Central, Mountain, and Pacific time zones by conveying the impression that the president's candidacy was a lost cause.

Die zwei Lager - man möchte fast sagen: die zwei Amerikas - trauen sich nicht mehr über den Weg ("SECESSION! Better dead than red"). Noch bleibt es bei Unterstellungen, denn nichts ist bewiesen. Das könnte sich jedoch bald ändern, wenn es dem Außenseiter Ralph Nader gelingt, die Stimmen in manchen Wahlbezirken von New Hampshire auszählen zu lassen.

Auf den ersten Blick mag es unverständlich sein, dass Nader ausgerechnet in einem Bundesstaat, den der Demokrat Kerry gewonnen hat, Einspruch gegen den Wahlausgang eingelegen will. Doch gerade, weil hier kein Widerstand von den Republikanern zu erwarten ist, hofft Nader, den Ball so ins Rollen zu bringen. Wenn einmal irgendwo festgestellt worden ist, dass Wählerstimmen nicht oder nicht richtig gezählt worden sind, wäre es leicht, die Untersuchung auf andere Bezirke auszudehnen, wo ein ähnliches Wahlverfahren zur Anwendung kam.

Hier ein interessanter Versuch von einigen Wissenschaftlern an der University of Michigan , etwas Detailschärfe in den Ausgang der Wahlen zu bieten. Man hat hier die Farben nach Wahlbezirken statt nach Bundesstaaten gesetzt, und die Wahlbezirken in Relation zu der Bevölkerungszahl gesetzt statt der geografischen Größe. Die Wissenschaftler weisen hier darauf hin, dass selbst hier mehr als 51% des Landes rot ist, weil die Republikaner in auffällig vielen Bezirken einen knappen Sieg errungen haben: Telepolis berichtete schon 2003 von der in den USA gängigen Praxis, die Wahlbezirke so festzulegen, dass knappe Siege möglichst oft errungen werden, während der Gegner große Siege in wenigen Bezirken einstreicht (Gerrymandering - Wahlbezirke mit Tentakeln).

Im Grunde genommen ist die Frist für einen solchen Antrag bereits letzten Freitag abgelaufen. Jeder Kandidat darf in New Hampshire eine neue Auszählung verlangen, muss aber selbst für die Kosten aufkommen, wenn er mehr als ein Prozent hinter dem Sieger zurückliegt. Zwar hatte Nader den Antrag auf eine erneute Auszählung per Fax um eine Minute vor 17 Uhr letzten Freitag - eine Minute vor Ablauf der Frist - eingereicht, er hatte aber den Scheck vergessen.

Das Amt des Secretary of State von New Hampshire sagte gegenüber Telepolis, der Staatsanwalt des Bundesstaates müsste nun entscheiden, ob ein nachträglich eingereichter Scheck angenommen würde. Kevin Zeese, der Sprecher der Wahlkampagne von Nader, bestätigte am Donnerstag gegenüber Telepolis, dass ein Scheck bereits unterwegs sei und man davon ausgehe, dass die Stimmen in ausgewählten Wahlbezirken bald überprüft würden, nicht aber im ganzen Bundesstaat. Sein Team arbeite außerdem mit Blackbox Voring zusammen, um gleiche Anträge in Ohio und Florida zu stellen. Auch David Cobb und Michael Badnarik, die Präsidentschaftskandidaten der grünen und der libertären Partei, haben gestern angekündigt, eine Auszählung der Stimmen in Ohio zu erlangen.

How this race ends - and when - could deepen the splits in this already fractured country.

Time magazine

Beide Lager im Land scheinen sich, zumindest in Teilen, mit der Idee anzufreunden, dass der Wahlprozess in den USA möglicherweise nicht ordnungsgemäß abgelaufen ist. So sind es schon längst nicht mehr nur Blogs im Internet, wo man das Wort "Wahlbetrug" oder "Votergate 2004" offen verwendet, sondern schon mal der Nachrichtensender MSNBC, wo ein Moderator einen der immerhin sechs demokratischen Abgeordneten, die sich für eine Untersuchung ausgesprochen haben, fragte, ob er der Meinung sei, dass Sicherheitsbedenken ("home security") missbraucht würden, um etwas zu vertuschen. Die Antwort des Abgeordneten lautete diplomatisch und fast ausweichend:

Ich habe überhaupt keinen Grund zu glauben, dass hier Wahlbetrug begangen worden wäre, denn unser Kandidat John Kerry hat ja seine Niederlage eingestanden.

Man kann sich einen Eindruck von der allgemeinen Stimmung verschaffen, wenn man sich die Anrufer in manchen Radiosendungen anhört. In der wohl beachtetsten Talksendung im National Public Radio, der Diane Rehm Show, sprachen einige Anrufer am Donnerstag offen darüber, dass sie nicht glauben, alles sei mit rechten Dingen zugegangen. Egal, ob das stimmt oder nicht, es ist ein Schaden entstanden: Manche Amerikaner haben das Vertrauen in den Wahlprozess verloren.

Dabei geht es längst nicht nur um die elektronischen Wahlurnen, die bekanntlich gehackt oder bewusst manipuliert werden können, ohne dass man dies im nachhinein beweisen könnte. Im Falle von New Hampshire geht es vielmehr um die so genannten "optischen Urnen"; hier werden die Wahlzettel eingescannt. Es hat sich bundesweit gerade in Wahlbezirken, die optische Systeme verwendet haben, eine auffallend große Diskrepanz zwischen den Wahlergebnissen und den "exit polls" herausgestellt - zu Gunsten von Bush.

Möglicherweise ist der Zusammenhang zwischen der verwendeten Technologie und den Wahlergebnissen ein bloßer Zufall. Auch für die irreführenden Umfrageergebnisse hat man schnell eine plausible Erklärung gefunden: Zwar hat Bush vielerorts mehr Stimmen bekommen, als Republikaner überhaupt registriert sind, aber das sei nicht das erste Mal 2004 geschehen. Seit Jahrzehnten driften gerade die Südstaaten von der demokratischen Partei zu den Republikanern.

Selbst dann blieben noch manche undemokratischen Aspekte im Raume stehen. Meine Familie hört mit Erstaunen, dass ich bei den letzten Wahlen in Deutschland einen Familienausflug gemacht habe. Ich blieb als Nicht-EU-Bürger mit unseren kleinen Kindern fünf Minuten draußen vor einer Schule stehen, während meiner Frau ihren Stimmzettel abgab. Diesmal haben viele Amerikaner stundenlang Schlange stehen müssen.

In New Orleans, dem Geburtsort des Autors, berichtet dieser anonyme Wähler bei SorryEverybody.com davon, dass manche Wähler länger als 10 Stunden Schlange stehen mussten. Ähnliches wussten manche in der Diane Rehm Show zu berichten. In den Städten der USA hat Kerry meistens mit einer überwältigenden Mehrheit von bis zu 90% gewonnen. In New Orleans haben 80% für Kerry gestimmt.

Vielleicht waren die Wahlen 2004 doch nicht so ganz anders als früher, nur sind unsere Sinne nach dem Debakel von 2000 etwas geschärft worden. Ähnlich sieht es Kimball Brace, President von Election Data Services, Inc., der auf Anfrage von Telepolis betonte, dass seit 70 Jahren schon eine Technik verwendet werde, die auch ohne Wahlzettel auskommt: die lever machine oder mechanische Hebelmaschine (Warum die Amerikaner sich bei den Wahlen verzählen).

Im Falle einer Neuauszählung liest man die Zahlen von der Nummernscheibe einfach neu ab. Hier gibt es keine individuellen Wahlzettel, die man zählen könnte. Wenn die Nummernscheiben defekt sind (Stifte kaputt, Zahnkränze drehen sich nicht), dann kann kein Kandidat oder Wähler etwas dagegen unternehmen. Genauso wie mit den heutigen elektronischen Systemen.