"Wer stänkert, fliegt aus dem Netz"

Was die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft kann, können US-Anwälte erst recht

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Der juristische Durchgriff auf E-Mail und Website anderer Leute ist keine deutsche Spezialität. Ein US-Gericht ließ nun auf Wunsch eines Amerikaners die Domain eines in London lebenden Niederländers stilllegen.

In Deutschland gibt es öfters mal Aufregung um vermeintlich verwerfliche oder zumindest geschmacklich zweifelhafte Websites, von sogenannten "erotischen Nischenangeboten" bis zu Klassikern wie "Rotten.com" oder "Ogrish.com", die ihre Wurzeln in den Usenet-Newsgroups der "alt.tasteless"-Hierarchie haben, doch leicht als "gewaltverherrlichend" eingestuft werden.

Die härteren Erotikangebote in Deutschland müssen daher mit einer Alterskontrolle nachgerüstet werden, die momentan meist Auge in Auge mit dem Postboten abläuft und dann durch Einschieben eines Zäpfchens ("Dongle") in den Computer vollzogen wird, weil die Eingabe von Personalauweisnummern als unsicherer und beispielsweise für SM-Erotik als unzureichend angesehen wird. Für den gestandenen Masochisten ist es ja auch durchaus stilecht, sich beim Postboten oder auf dem Postamt als volljährig ausweisen zu müssen.

Porno: Nur für Erwachsene – oder Spanier

Noch lieber wird allerdings gesehen, wenn die Betreiber solcher Webseiten Deutschland verlassen und die Alterskontrolle dann wieder abbauen, weil sie in Spanien, den Niederlanden oder den USA nicht erforderlich ist. So kommen nun zwar auch Kinder wieder an die Ferkeleien, auch wenn diese sich für solchen Quatsch gar nicht interessieren, aber die lästigen Steuereinnahmen gehen zumindest nicht mehr an Deutschland.

Die nur geschmacklosen, doch nicht mehr erotischen Seiten kommen dagegen in einen Karton mit Naziseiten: Hier ist das Alter nicht mehr entscheidend – Sperrverfügungen sind stattdessen angesagt, das deutsche Internet wird gefiltert: Wer von einem die Verfügungen der Düsseldorfer Bezirksregierung beachtenden Provider aus ins Netz geht, wird beim Aufruf der verbotenen Websites plötzlich eine Mitteilung der Düsseldorfer Bezirksregierung oder der Kriminalpolizei auf seinem Schirm finden und an jene Domains verschickte E-Mails werden dort ebenfalls nicht ankommen.

Mit Ogrish.com ging es dann ein Stück weiter dahin, das Übel an der Wurzel auszurotten: Hier wurde nicht bei Zugangsprovidern gefiltert, sondern schon an der Quelle – der deutsche Registrar Joker.com wurde gezwungen, bereits auf seiner Seite die Domain offline zu schalten. Dass diese von einem amerikanischen Bürger betrieben und beim niederländischen Hoster XS4ALL gelagert war, spielte dabei keine Rolle: Am deutschen (oder genauer: Düsseldorfer) Wesen sollte das Internet genesen.

Gewalt und Splatter wird in Düsseldorf ausgefiltert

Natürlich verschwinden auf diese Art zwar Anfragen und E-Mails im Orkus, doch keine Inhalte. So viel wissen selbst die dümmsten Domainstreithälse: Sie können zwar durchaus den Traffic des von ihnen Beklagten auf ihre eigene Website umlenken und dessen E-Mails einsacken, doch die Website selbst wird unter einer anderen Adresse wiedererstehen und irgendwann auch wieder gefunden.

Nicht zu wissen scheinen dies nun allerdings James E. Ferrell, Gründer des Propangasvertriebs Ferrell Gas und der in Ohio lebende Kunsthändler Bruce Ferrini. Diese hatten nämlich dem in London lebenden Kunsthändler Michel van Rijn per Gerichtsbeschluss untersagt, sich weiterhin über sie zu äußern. Die Vorwürfe von Michel van Rijn, um die der Streit geht, lauten, dass der Gashändler Geschäfte mit der Hisbollah mache und Plünderware aus dem Libanon als Antiquitäten nach London schmuggle.

Michel van Rijn: Für mehr "Homeland Security"

Da Ferrell mehrfach befüllte Tankfahrzeuge gestohlen wurden, die sich gut für Terroranschläge eignen würden, sah van Rijn eine große Gefahr und damit eine Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren. Er nahm zwar die beanstandeten Seiten vom Webserver, erklärte jedoch seine zugrunde liegende Rechereche und linkte von seiner Website zu einem Artikel der New York Times, in dem von Ferell die Rede war.

Die Folge: Ferrell legte dem US-Registrar Network Solutions den Gerichtsbeschluss vor und dieser löschte die DNS-Einträge für die bei ihm registrierte Domain michelvanrijn.com – die Website ist nun offline, ebenso wurde Michel van Rijn damit der E-Mail-Posteingang stillgelegt: Der Provider, auch hier XS4ALL, kann dagegen nichts unternehmen.

DNS-Manipulation gegen unliebsame Website

Somit hat die "deutsche Methode" nun weltweite Anerkennung gefunden, nur geht es inzwischen nicht mehr darum, ob eine Website die Allgemeinheit stören könnte wie bei Rotten.com oder Ogrish.com und sich eine Staatsanwaltschaft einschaltet, sondern es geht um rein zivilrechtliche, private Rechtsstreits: Wenn mir nicht gefällt, was jemand über mich auf seiner Website schreibt, so kann ich ihn durch Abschalten der Domain und damit der E-Mail-Kommunikation bestrafen lassen. Dies ist nicht wirklich weit weg von der gängigeren Variante, ungeliebten Mitmenschen durch Anrufe oder gefälschte Briefe DSL, Telefon oder Strom abzuschalten, um sie offline zu bekommen – nur: Es ist legal!

Inzwischen ist Michel van Rijns Website statt unter .com unter der niederländischen Adresse michelvanrijn.nl wieder zu erreichen, auf die US-Gerichte keinen Zugriff haben. Und die den Gas- und den Kunsthändler störenden Vorwürfe werden so erst recht publik. Allerdings wird damit auch klar: Für sichere E-Mail-Kommunikation sollte man sich von CNO-Domains (.com .net .org) fernhalten und auch nicht dieselbe Domain für Websites und Mailkommunikation verwenden, wenn die E-Mail wichtiger ist als die Website.

Ferell ist im Übrigen nicht untätig geblieben und hat nun die niederländische Anwaltskanzlei Houthoff Buruma angeheurt, um nun XS4ALL vor Ort auf den Pelz zu rücken. Die Kanzlei hatte erst vor einem Jahr den niederländischen Big Brother-Award verliehen bekommen.

Neues Spiel: Anlegen einer verunglimpfenden Webpage in eigenem Namen

Und ein weiteres unerwartetes Problem: Weil sich Michel van Rijns im Laufe seiner Recherchen auch noch mit einer türkischen Mafiagang angelegt hat, bekam er nicht nur Drohungen, dass ihm oder seiner Familie etwas passieren könnte. Es wurde auch für ihn in seinem Namen die Website unter michelvanrijn.net angelegt und mit einem wenig schmeichelhaften Bild belegt – doch das Gerichtsurteil hindert ihn nun auch daran, diesen Zustand zu ändern, obwohl diese Domain nicht bei Networksolutions gelagert ist sonden bei Tucows. Ansich ein sicherer Platz für Domains – doch in diesem Fall etwas zu sicher: Bevor der Rechtsstreit um michelvanrijn.com nicht erledigt ist, will Tucows van Rijn nämlich nun auch keinen Zugriff auf die mit seinem Namen und seiner Adresse registrierte michelvanrijn.net geben. Damit bleibt das Schandbild im Netz. Das Recht ist halt nur auf der Seite dessen, der an Webseiten, die auf andere Leute registriert sind, etwas auszusetzen hat.

Hello

I see that there is a court action pending, therefore everything in the whois will remain status quo until a decision is rendered.

Please contact disputes@opensrs.org if you have any questions.

Regards,
Paul Karkas
compliance@opensrs.org
Compliance Officer, Tucows Inc.


ORIGINAL MESSAGE:
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From: "Webmaster michelvanrijn.com"
Posted At: 06:42:04.000 11/04/2004
Posted To: help@domaindirect.com
Subject: michelvanrijn.net


Dear sir/madam,
I am the webmaster of michelvanrijn.com.
The domain name michelvanrijn.net has been registered with Tucows inc.see below. The hosting is done on IP 207.234.129.65
When I go to www.michelvanrijn.net I see a picture of Mr. van Rijn with a not so flattering text.
The same page comes up at http://www.kabusunuz.com/mvr/ hosting on 213.171.192.233
Mr. van Rijn never registered this domain with you. The person who did copied the adres and other information from the infromation for michelvanrijn.com.
[...] So the person who registered michelvanrijn.net gave you false information, probably falsified a autograph to get this domain name.
This with only one reason, to offend Mr. van Rijn.
What actions can you take, or what actions should we take?
hope to hear from you soon
Kind regards
Webmaster for michelvanrijn.com