"A tergo" – Sex durch die Hintertür bei MSN

Die deutsche Ausgabe der neuen MSN-Suchmaschine "säubert" das Netz

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Vor gut einer Woche hat Microsoft seine neue Suchmaschine ins Rennen um den goldenen Suchmaschinenthron geschickt. Der Suchmaschinenwerbemarkt ist äußerst lukrativ. Das hat auch Microsoft gemerkt – später als andere – und seiner Netzsparte MSN bisher rund 300 Millionen Dollar spendiert, um eine eigene Suchtechnologie zu entwickeln. Die wurde nun mit gehörigem Mediengetöse der surfenden Weltbevölkerung als öffentlicher Betatest präsentiert. 18 Monate Entwicklungsarbeit stecken in der neuen Suchmaschine, die bereits vorab per MSN-Sandbox-Seite zu bestaunen war.

Der Sandkiste ist die neue Suchmaschine nun entwachsen. Wirklich erwachsen geworden ist sie aber offenbar noch nicht. Denn Sex und andere Webinhalte aus dem Dunkelweb sucht man bei der deutschen Betaversion der neuen MSN-Suchmaschine vergebens. Die sonst als prüde verschrienen US-Amerikaner hingegen dürfen alles suchen – und auch finden.

Kein "Staatsexamen" mit MSN

Die US-amerikanische Version der Beta-Suchmaschine weiß auf viele Suchanfragen sogar dann eine Antwort, wenn man die berüchtigten sieben schmutzigen Wörter benutzt. Demgegenüber verweigert der deutsche Suchalgorithmus seinen Dienst zuweilen schon dann, wenn die drei Buchstaben S E X in einem Suchwort wie "Staatsexamen" völlig unerotisch hintereinander stehen.

Statt einer Suchergebnisliste wird dem Suchenden eine Hinweisseite vorgesetzt:

Bei der Suche nach Staatsexamen werden möglicherweise sexuelle Inhalte ausgegeben. Ändern Sie Ihre Suchbegriffe, um Ergebnisse zu erhalten.

Mehr Sex für Surfer aus Österreich und der Schweiz

Eine solche Hinweisseite gibt es nur für Nutzer aus der Bundesrepublik. Wird derselbe Begriff etwa bei der deutschsprachigen Version der Schweizer MSN Search oder bei MSN Austria gesucht, listen MSN Search CH und AT die entsprechenden und im übrigen völlig asexuellen Webfundstellen akkurat auf.

Deutsche Studenten, die sich über ihr Staatsexamen informieren wollen, müssen also auf die österreichische oder deutschschweizerische MSN-Suchseite ausweichen – oder eine andere Suchmaschine nutzen. Entsprechendes gilt für eine lange Liste weiterer Begriffe mit direkter oder indirekter sexueller Bedeutung, die dem Suchenden keine Ergebnislisten, sondern nur besagte schnöde Hinweisseite präsentieren.

Auch die alte MSN-Suche mag keinen Sex

Dass MSN das Web für deutsche User von Schmuddelkram "befreit", ist nichts Neues. Schon die alte MSN-Suche hatte etwas gegen Sex. Sie bezieht ihre Suchergebnisse von Yahoo und wird von Microsoft so lange weiterbetrieben, wie sich die eigene Suchmaschine noch in der Testphase befindet.

Der Suchbegriff "Staatsexamen" führt bei der alten Suche durchaus zum gewünschten Ziel. Das wirft ein wenig vorteilhaftes Licht auf die Genauigkeit der neuen MSN-Suchtechnologie. Offenbar arbeitet die neue Suchmaschine mit fehlerhaften Suchalgorithmen bzw. fehlerhaft generierten Tabulisten, also schlechter als die von Yahoo gefütterte alte Suche aus dem Hause MSN.

Doch auch die alte MSN-Suche verweigert bei Suchbegriffen mit mutmaßlich sexuellen Inhalten rigoros ihre Dienste und sagt beispielsweise Hobby-Ornithologen, die nach "Vögeln" suchen, ungeschminkt auf einer Hinweisseite auch warum:

Sie haben einen Suchbegriff eingegeben, der möglicherweise Inhalte für Erwachsene zurückgibt. Diese Inhalte werden auf der MSN Suche derzeit nicht angezeigt.

Finden durch die Hintertür

Übrigens kanalisiert auch die alte US-MSN-Search die Suche ihrer User – hier allerdings mit kommerziellen Hintergedanken: Wer bei MSN Search ein Four-Letter-Word als Suchbegriff eingibt, gelangt auf eine Zwischenseite mit einem Werbelink und dem Infotext: "You have entered a search term that is likely to return adult content" sowie der Warnung:

If you are under 18 or live in an area where it is illegal for you to view explicit content, please revise your search.

Wer seine Suche nicht revidieren möchte, weil er explizit das sucht, was er als Suchbegriff auch eingegeben hat, darf sich zur "Sponsored Website" NightSurf.com, einem "unabhängigen Suchservice für Erwachsene", weiterklicken – egal ob er nun unter 18 oder 80 ist. Wem dieser kommerzielle Dienst nicht passt, der gelangt mit dem "Go back to MSN-Search"-Link dann doch noch auf die gewünschte Ergebnisliste, die allerdings – soweit ersichtlich – von kommerziellen Sexangeboten gereinigt wurde.

Die US-Variante der neuen MSN Suche kennt diese Art des Geldverdienens und des Findens durch die Hintertür übrigens noch nicht. Hier gelangt man derzeit noch ohne Umschweife auf Ergebnislisten mit pornografischen Inhalten.

"MSN Ratgeber Jugendschutz"

Während sich MSN Deutschland über die Gründe für die sexuelle Abstinenz seiner neuen Beta-Suchmaschine ausschweigt, lässt die alte Suche die Katze freundlicherweise schon seit längerem aus dem Sack.: Ursache ist das deutsche Jugendschutzgesetz bzw. das, was die MSN-Verantwortlichen in vorauseilendem Gehorsam daraus machen. In seinem MSN Ratgeber Jugendschutz heißt es, es würden im Rahmen der MSN Suche bei

Eingabe von Suchbegriffen wie 'Sex' oder 'Porno' im Gegensatz zu anderen Suchmaschinen keinerlei Suchtreffer angezeigt. Ebenso hat sich MSN entschlossen, keine Adult- oder Erwachsenensuchbegriffe zu vermarkten.

Des Weiteren prüfe man "die Möglichkeit, mit zuverlässigen Partnern, die ihre Inhalte mit einem AV-System (Altersverifikationssystem) schützen, eine Erwachsenensuche aufzubauen." Das US-amerikanische Vorbild NightSurf.com – allerdings mit deutschen AV-Systemen – scheint durchzuschimmern, bislang offenbar ohne greifbares Ergebnis, wie die neue MSN-Beta-Suche mit ihrem rigorosen, übereifrigen Filter zeigt.

Erfolg ist eine Image-Frage

Der gezielte Seitenhieb auf die Suchmaschinenkonkurrenz von Google bis Yahoo ist nicht zu übersehen. Während die Konkurrenz auch weiterhin rücksichtslos das schmuddelige Finsterweb durchstöbert, präsentiert sich MSN Deutschland als "saubere", "familienfreundliche" Suchalternative. Der viel beschworene "Krieg der Suchmaschinen" reduziert sich bei MSN Deutschland offenbar auf einen Kampf um das vermeintlich bessere Image.

Wenn man zumindest mit der alten MSN Suchtechnologie Google und Co. nicht schlagen konnte, dann eben mit dem besseren Image: Wer Schmutz und Schund sucht, ist mit Google gut bedient. Familienfreundlich saubere (sprich: gesäuberte) Suchergebnislisten gibt's nur bei MSN. Nicht Qualität führt zum Erfolg, sondern das bessere, das saubere Image.

Eine solche Marketingstrategie kommt nicht von ungefähr. Sie findet ihre Basis im deutschen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, der am 1. April letzten Jahres in Kraft trat. Im "MSN-Ratgeber Jugendschutz" heißt es dazu:

MSN hat zum Inkrafttreten des neuen Staatsvertrags unmittelbar mit entsprechenden Maßnahmen reagiert und das Portal und Produkte an die neuen gesetzlichen Bestimmungen angepasst.

MSN Ratgeber Jugendschutz

Zu diesen Maßnahmen gehörten die öffentlichkeitswirksame Schließung sämtlicher MSN-Chaträume, die der Internetsparte von Microsoft ein gehöriges Maß an Medienaufmerksamkeit und kostenloser Werbung bescherte, sowie die "Regulierung" der alten MSN-Suche, die in Deutschland erstaunlich still und leise über die Bühne ging.

(Selbst-)Regulierung der Suchmaschinen

Dabei steht die Regulierung von Suchmaschinen schon seit geraumer Zeit weit oben auf der Wunschliste von staatlichen Medienwächtern und Jugendschützern. So fordert beispielsweise Marcel Machill, Journalistik-Professor an der Uni Leipzig und Berater der Bertelsmann-Stiftung schon seit längerem die Entwicklung neuer "Regulierungsmechanismen" für die Kommunikation im Netz.

Im Unterschied zur Offline-Massenkommunikation, die über verantwortliche "Verlage, Sender, Zeitungen oder die Musikindustrie" vermittelt werde, fehle im World Wide Web bisher ein entsprechendes Vermittlungs-, sprich: Kontrollorgan. Dies sei ein Mangel, der sich insbesondere bei den Suchmaschinen wegen ihrer "bedeutenden Portalfunktion" bemerkbar mache. Hier kontrolliere niemand, was in den Suchergebnislisten angeboten wird.

Gerade Kinder und Jugendliche (…) müssen davor geschützt werden, bei (…) der Erkundung des World Wide Web auf Inhalte zu stoßen, denen sie noch nicht gewachsen sind

Bertelsmann-Stiftung

"Code of Conduct" für Suchmaschinen

Machill und andere haben deshalb im Rahmen einer von der Bertelsmann Stiftung finanzierten Studie einen Code of Conduct, also einen Verhaltenskodex für Suchmaschinenbetreiber entwickelt. Dieser sieht in punkto Jugendschutz unter anderem vor:

Die Suchmaschinenbetreiber verfolgen die Intention, Kinder und Jugendliche vor jugendgefährdenden Inhalten zu schützen. Dafür stellen die Betreiber Familienfilter zur Verfügung mit dem Hinweis, dass Filter keine absolute Jugendschutzsicherheit gewährleisten können und dass Kinder nicht ohne Aufsicht der Eltern das Internet nutzen sollen.

Darüber hinaus sollen "nach nationaler Gesetzgebung als illegal geltende Seiten (…) aus den Ergebnislisten entfernt (werden), sobald die Suchmaschinenbetreiber Kenntnis davon erhalten und Zugriff auf die illegalen Seiten im Index haben."

Unterstützung erhielt der Bertelsmannsche Suchmaschinenkodex bei seiner Vorstellung auf den Münchener Medientagen im Oktober letzten Jahres von AOL Deutschland, von der Allesklar.com AG sowie von MSN Deutschland. Im gleichen Monat begann MSN mit dem Großreinemachen: Sämtliche öffentliche MSN-Chats wurden unter anderem. mit dem Hinweis auf den Jugendschutz geschlossen

In vorauseilendem, übereifrigem Gehorsam wurde die MSN-Suche durch Filtertechniken derartig familienfreundlich gesäubert, dass sexuelle Inhalte anschließend niemandem mehr zugänglich waren. Ob sich die Webfilterung bei der neuen MSN-Beta-Suche nur auf sexuelle Inhalte bezieht, welche sonstigen Webinhalte herausgefiltert werden und bei welchen konkreten Suchbegriffen die Algorithmen ihren Dienst versagen, verrät Microsoft ebenso wenig wie die Methode, mit der man die neue MSN-Beta-Suchmaschine überlisten kann.

Doppelt gesucht findet besser

Dabei ist das Rezept bislang denkbar einfach: Statt eines einzigen sexuell anrüchigen Begriffs braucht man über den praktischen Suchassistenten nur einen zweiten (auch sexuell besetzten) Suchbegriff einzugeben und schon steht auch dem deutschen MSN-Nutzer (nicht nur) das Dunkelweb weit offen. Und wer das mit der Hintertür wörtlich nimmt, wird bei der Analyse des dritten Eintrags feststellen, dass der Hersteller der Suchmaschine anscheinend auch selbst bestens im Geschäft ist