Mit Süße ins Außenamt

Warum die Aufgeregtheiten um den Stabwechsel im State Department künstlich, voreilig und, vermutlich, überflüssig sind

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Schon wieder scheinen, nachdem man sich in Europa und Deutschland gerade notdürftig mit der Wiederwahl George W.'s abgefunden hat, einige besonders große und dicke Tränen in den Atlantik zu kullern. Der Anlass ist diesmal aber eher ein profaner. Der in Europa so hochgeschätzte Vier-Sterne General Colin Powell geht in seinen wohlverdienten Ruhestand und Condoleezza "Condi" Rice, die ehemalige Sicherheitsberaterin des Präsidenten, folgt ihm im Amt nach. Was an diesem Stabwechsel so schrecklich dramatisch sein soll, dass nun allerorts Sternendeuter auftauchen und sich in Orakelsprüchen mühen, erschließt sich dem Beobachter weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick.

Condoleezza Rice bei der Nominierung zur Außenministerin durch US-Präsident Bush am 16.11.

Terror lives when freedom dies.

Condi Rice

Dass nach vier Jahren Amtszeit der Außenminister in den USA abtritt, und ein Anderer an seine Stelle tritt, ist beileibe nichts Neues. Das Amt gilt wegen der regen Reise- und Flugtätigkeit, bei der laufend Zeit- und Klimazonen durchquert werden müssen, aber auch wegen des damit verbundenen politischen Krisenmanagements, das ständig Gespräche vor Ort oder möglichst gleichzeitig erfordert, als besonders anstrengend, Kräfte raubend und Energie verzehrend. An persönliche Präferenzen, Freiheiten oder familiäre Bande zu denken oder sie zu pflegen, ist während dieser Zeit völlig ausgeschlossen. Der Job und die daran gekoppelten Erwartungen nehmen seinen Träger voll in Beschlag.

Dementsprechend ausgelaugt, erschöpft und müde wirken dessen Amtsinhaber meist schon nach Monaten. Bei Madelaine Albright, der toughen Lady und Vorgängerin von Powell, verhielt es sich da nicht anders wie bei Henry Kissinger oder James Baker. Auch sie hätte ihr Amt, wäre eine dritte Amtsperiode Clintons möglich gewesen oder Al Gore ins Weiße Haus eingezogen, zur Verfügung gestellt.

Höchst selten haben sich Minister dieses Typs überhaupt bereit erklärt, eine zweite "Amtsperiode" anzugehen, geschweige denn durchzustehen. In der jüngeren Geschichte hat das außer Dean Rusk, der zwei Präsidenten, nämlich John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson gedient hat, nur George P. Shultz gewagt, der Secretary of State unter dem Präsidenten Ronald Reagan war und in dessen Amtszeit Alexander Haig beerbte. Alle anderen haben ihren Dienst nach vier Jahren quittiert oder sind sogar bereits nach zwei oder drei Jahren ausgestiegen.

Üblicher Vorgang

Ungewöhnlich ist es also nicht, dass ein Kabinettsmitglied nach Beendigung seiner Amtszeit seinen Posten zur Verfügung stellt und eine andere Herausforderung in die Wirtschaft als Manager oder Aufsichtsrat oder an der Universität als Lehrender oder Vortragsreisender sucht. Wie man hörte, hatte auch Frau Rice, wäre sie nicht zur Nachfolgerin im Außenamt gekürt worden, ursprünglich vor, nach Stanford zurückzukehren und ihren dortigen Job an der Universität wieder aufzunehmen.

Europa und insbesondere Deutschland pflegen da bekanntlich eine völlig andere politische Kultur. Wer hierzulande einmal in die Politik geht, und das meist in jungen Jahren, da man sonst als Quer- oder Seiteneinsteiger kaum eine Chance hat, verbleibt in der Regel dort bis zu seiner Verrentung oder, schlimmer noch, bis an sein Lebensende. Dementsprechend opportunistisch und langweilig sind auch die Politiker dort. Politikern wie Eichel, Schily, Trittin oder Stolpe würde es daher nie im Traum einfallen, ihr Amt freiwillig aufzugeben, unabhängig davon wie "erfolgreich" sie ihr Amt versehen oder ausgefüllt haben.

Noch mehr gilt das für das Außenministerium. Anders als in den USA wird hier, auch weil damit das Amt des Vizekanzlers verbunden ist und der meist vom kleineren Koalitionspartner gestellt wird, viel mehr Wert auf politische Kontinuität und Berechenbarkeit gelegt, die durch Personen verkörpert werden. Es verwundert daher nicht, dass Politiker wie Hans-Dietrich Genscher, der etliche Regierungen und Bundeskanzler hat kommen und gehen sehen, oder Joschka Fischer, den höchstens ein Ruf ins Amt des EU-Außenministers zur Aufgabe seines Postens veranlassen könnte, glauben, das Amt regelrecht gepachtet zu haben. Um sie aus dem Amt zu drängen, bedarf es schon eines Regierungswechsels oder einer schweren persönlichen Verfehlung oder Vorteilsannahme im Amt.

Die Person ist unwichtig

Von daher ist die Entscheidung des Präsidenten, den scheinbar moderaten und frustrierten Powell durch die "süße" Sicherheitsberaterin zu ersetzen, zunächst weder als klares Signal zu werten, dass die neue Administration noch eisenhärter als bisher die künftige Weltordnung nach Vorstellungen von Bush und seinen neokonservativen Beratern realisieren wird, noch bedeutet dieser Schritt, dass der aktive Kampf gegen Terroristen und Schurkenstaaten sowie die Verbreitung westlicher Werte noch kompromissloser geführt wird. Die stringente Macht- und Geopolitik, die das Land seit dem Fall der Mauer eingeschlagen hat, und die durch den blutigen Anschlag auf das World Trade Center nochmals verstärkt worden ist, ändert ein Stabwechsel im Außenamt nicht.

Die politische Großwetterlage ist gleich geblieben. Nach wie vor stehen nach Meinung des amtierenden Präsidenten und aller Berater die Kräfte der Ordnung und der Freiheit den Kräften des Chaos und der Unsicherheit gegenüber; und nach wir vor sind alle maßgeblichen Kräfte der Ansicht, dass die einzig mögliche Verteidigung gegenüber dieser Art von Bedrohung ist, den Kampf zum Feind zu tragen.

Von daher ist es im Prinzip völlig unwichtig, welchen Einfluss die Neocons künftig auf die Regierung nehmen werden. Dieser beschränkt sich nicht, wie gern und häufig kolportiert wird, auf Namen und Adressen, sondern wirkt eher wie ein Virus, der das Denken vieler Demokraten, Realisten und Republikaner befallen hat und ihr politisches Handeln lenkt und leitet (Das neokonservative Zeitalter). Auch Warren Christopher und Madelaine Albright, die beiden früheren Secretary of State während der Clinton-Regierung, oder John Holbroke, der bei einem Kerry-Sieg für das Amt im Gespräch war, waren oder wären keine angenehmeren Gesprächs- oder Verhandlungspartner gewesen. Kompromisslos und hart hätten auch sie die Interessen Amerikas durchgesetzt, militärisch und/oder erpresserisch gewirkt.

Anscheinend messen viele Kommentatoren und Beobachter auf dem alten Kontinent dem Klartext des Präsidenten und seiner Berater zu wenig Bedeutung bei. "Die Nation ist im Krieg [...] gegen einen entschlossenen Gegner", hat Bush bei der Ernennung von Condi Rice erst wieder ausdrücklich und unmissverständlich gesagt. Ständig wird hierzulande oder in Europa vergessen oder verdrängt, dass sich die Supermacht im Krieg befindet, sogar im Vierten Weltkrieg, wenn wir den Worten Eliot Cohens und Norman Podhoretz folgen.

Es ist schon erstaunlich, wie Personen zentriert hierzulande Politik immer noch gedacht wird und wie wenig man bereit ist, politische Doktrinen und Programme zur Kenntnis zu nehmen. Als ob mit dem Auswechseln von Personen sich auch die Leitlinien einer Supermacht ändern würden. Was sich mit der Entscheidung für oder gegen jemanden ändert, sind allenfalls Umgangsformen, Tonfall und Stil, die Art also, wie der neue Amtsträger Probleme managt oder an sie herangeht, mit Mitarbeitern umgeht oder Entscheidungen zu vermitteln gedenkt.

Mittlerweile sollte klar sein, dass nicht persönliche Macken, Haltungen und Vorlieben die Politik bestimmen, sondern Ämter und Programme, Institutionen und Strukturen. Sogar die mittelalterliche Tradition wusste das schon und sprach deshalb (siehe Ernst Kantorowicz) von den zwei Körpern, die der König zugleich repräsentierte: vom sterblichen Körper, der betrauert und in einer feierlichen Zeremonie zu Grabe getragen wurde, sowie vom überdauernden Körper, dem, verewigt in politischen Institutionen und Ämtern, dieser Tod nichts anhaben konnte und durfte.

Wie sehr diese Strukturen das Handeln der Akteure bestimmen, kann man am Beispiel Schröders und Fischers oder auch der Partei der Grünen trefflich studieren. Wer hätte in den 1980er jemals geglaubt, dass ausgerechnet Atomkraftgegner, linke Pazifisten und erklärte Anti-Militaristen das Völkerrecht beugen und mit den verhassten Amerikanern in den Krieg wider das Böse ziehen würden?

Wo ist der Jubel?

Statt Krokodilstränen zu vergießen und Schwanengesänge anzustimmen, müssten jetzt vor allem unsere linken Multikulturalisten in Jubelstürme ausbrechen. Mehr als Colin Powell, der als erster Schwarzer in der Geschichte der USA dem State Departement vorstand, erfüllt sich mit der Berufung von "Con Dolcezza" das, wofür Feministinnen wie Alice Schwarzer und die Multi-Kulti-Fraktion Jahre lang gekämpft haben: die neue Außenministerin ist schwarz, weiblich und vollkommen emanzipiert, sie agiert autonom und selbstbestimmt und wird weder von einem Mann noch von einer Familie in ihren Handlungen eingeschränkt.

Hinzu kommt, dass sie sich aus bescheidenen Verhältnissen empor gearbeitet und in ihrer Jugendzeit die Rassendiskriminierung hautnah und am eigenen Körper erlebt hat. Obwohl ihr Vater Republikaner war, hat sie sich zunächst davon nicht in ihrem politischen Urteil beeinflussen lassen, sondern in ihrer Jugendzeit demokratisch gewählt. In Stanford, an der sie zuerst als Dozentin lehrte, später als deren Vizekanzlerin über Milliarden-Beträge mit entschied, hat sie sich für die Einhaltung so genannter Affirmative Action Programme eingesetzt und stark gemacht.

Kein Multilateralist

Natürlich ist auch Condi Rice eine Verfechterin der eher harten Linie, auch wenn sie, wie man hört und liest, häufig zwischen State Departement und Pentagon als Vermittlerin auftrat. Zieht man ihre Rede zu Rate, die sie am 26. Juni letzten Jahres vor dem International Institute for Strategic Studies in London gehalten hat, dann ist sie mit Sicherheit keine Freundin der Multipolarität, vor allem dann nicht, wenn man meint, dass es sich dabei um "irgendetwas Gutes", oder "um seiner selbst willen Wünschenswertes" handeln würde. "Multipolarität", sagt sie dort, sei in Wirklichkeit "nie eine einigende Idee oder Vision" gewesen. Im Gegenteil: "Sie führte zu dem 'großen Krieg' - dem Ersten Weltkrieg -, der zu dem 'guten Krieg' - dem Zweiten Weltkrieg - führte, der dem Kalten Krieg wich."

Doch welcher Geopolitiker von Rang, der in einer der zahlreichen Denkfabriken am Potomac Dienst tut, sagt, wenn man genau hinhört, überhaupt etwas anderes? Mehr oder weniger ist dieses Modell, das "Rivalität und Gegnerschaft einschließt, widerstreitende Interessen zulässt und den Kampf von Werten fördert", dem des unipolaren Moments gewichen. Zur Unipolarität gibt es aktuell keine echte Alternative. Die Frage ist allenfalls, wie und auf welche Weise sie ausgeübt wird, kompromisslos, von Fall zu Fall oder stetig nach möglichen Partnern Ausschau haltend. Und da ist auch Frau Rice sich bewusst, dass die USA in der Welt wenig erreichen wird, wenn "sich das Land nicht um Partnerschaften und Kooperation mit befreundeten Saaten oder Verbündeten bemüht."

Europäisches Verständnis

Es könnte daher gut sein, dass ihre Berufung auf den Stuhl des Außenministers für Europa auch angenehme Seiten beinhalten könnte. Genau wie ihre einstige Lehrmeisterin Madelaine Albright versteht sie nämlich viel von transatlantischen Beziehungen, von ihrer Geschichte und der Politik der Sowjetunion im Kalten Krieg. Auch wenn ihr der Spruch: "Bestraft Frankreich, ignoriert Deutschland und verzeiht Russland" zugeschrieben wird, mit dem sie ihre Enttäuschung über die ablehnende Haltung der Kriegsunwilligen im Sicherheitsrat zum Ausdruck gebracht haben soll, spricht sie in ihrer Londoner Rede ausdrücklich davon, "das europäische Projekt vehement zu unterstützen". Schließlich hätte Amerika "teuer für die Unterstützung der Umgestaltung und Integration Europas bezahlt - weil es in unserem Interesse lag und so eindeutig im Einklang mit unseren Werten stand."

Außerdem ist sie von Brent Scowcroft, dem ehemaligen Sicherheitsberater der Clinton-Regierung, ausgebildet worden, der zwar die Irak-Kampagne zuletzt heftig kritisiert hat, ansonsten aber mit seiner Consulting-Firma das aktuelle Denken und Handeln des politischen Washington maßgeblich mitbestimmt. So kommt etwa auch Stephen Hadley, vormaliger Deputy National Security Advisor von Frau Rice und Nachfolger im Amt auch aus dessen realistischer Schule. Scowcraft hat sie nicht nur persönlich gefördert, durch ihn entwickelte sich Frau Rice auch zur Realpolitikerin und Expertin für osteuropäische Politik mit hervorragenden Kenntnissen über Deutschland, Europa und Russland. Zu wissen, wie Europäer ticken und fühlen, könnte daher eher nützlich als schädlich sein, und zwar für beide Seiten des Atlantiks.

Dienstbarkeiten und Unterwürfigkeit

Zum Problem könnte sich höchstens die persönliche Nähe und besondere Vertrautheit und Loyalität auswachsen, die sie zu ihrem Präsidenten entwickelt hat. Ob sie George W. Bush, den sie angeblich im vertrauten Kreis schon mal versehentlich fast als "meinen Ehemann" bezeichnet haben soll, auch widersprechen oder ihn zurechtweisen wird, wird man nie genau erfahren. Am Ohr des Machthabers zu kleben und dessen Einflüsterer zu sein, mag, das wissen wir seit Macchiavelli und Carl Schmitt, für den einen oder anderen Machtpolitiker von strategischer und außerordentlicher Bedeutung sein. Ob diese Position allerdings auch für das Amt des State Departments gilt und förderlich ist, das sich traditionell im Streit mit dem Weißen Haus und dem Pentagon befindet, ist eher zu bezweifeln.

Dissens ist wichtig für die konstruktive Bewältigung von Aufgaben, Problemen und Situationen. Er eröffnet Möglichkeiten und erweitert Handlungsspielräume, weil er Dinge, Ereignisse und Phänomene auch von einer anderen Seite aus zu beleuchten pflegt. Herrscht dagegen weitgehend Einigkeit, nur noch Friede, Freude, Eierkuchen, oder gar Unterwürfigkeit, ist das für die Analyse und Entscheidungsfindung oftmals von großem Nachteil. Mit dem Verlust von Spannungen, Gegensätzen und Widerspruch gehen somit auch Möglichkeiten verloren - Möglichkeiten, es möglicherweise anders, klüger und besser zu machen.