EU-Hühner bedrohen Kameruns Wirtschaft

Subventioniertes und tiefgefrorenes Hühnerfleisch hat auch gesundheitlich fatale Folgen

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Essen Sie gerne Hühnchen? Mmmmmh... am liebsten die zarte Brust? Wussten Sie, dass der Verzehr von Hühnchenbrust in der EU die Chickenfarms in Westafrika ruiniert? Wie es dazu kommt, weiß Francisco Mari, Berater beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED): "Die Bestimmungen der WTO besagen, dass Importe nur unter ganz bestimmten Bedingungen verhindert werden dürfen. Sie ermöglichen also den fast unbeschränkten Handel zwischen den Mitgliedsstaaten." Diese Regelung kommt indes nur den Nordländern zugute. Die Südländer können ihre Agrarprodukte nicht ohne weiteres in den reichen Norden verschiffen, der seine eigenen Produkte protektioniert, denn für den Agrarbereich gilt eine Friedensklausel. Klagen sind unzulässig.

Im Jahr 1999 hatten die EU-Geflügelproduzenten ein Problem: Aufgeschreckt vom belgischen Dioxin-Hühnerskandal verschmähten die europäischen Verbraucher das Geflügel. Weil niemand in der EU am Auftürmen eines Hühnchenberges interessiert war, griffen die europäischen Agrarminister zu einem anderen Mittel: Sie subventionierten den Export von tiefgekühlten Hühnern nach Westafrika.

Die Subvention war rechtens, da durch den Giftskandal und dem daraus resultierenden Konsumentenboykott eine "marktverzerrende Situation" eingetreten war. So butterte die EU 50 Cent in jedes Kilo Hühnerexportfleisch - die Preise der lokalen Produzenten konnten damit unterboten werden.

Die Exporteure wählten die Route nach Westafrika, weil sie ihnen bereits bekannt war. Bereits Mitte der 90iger Jahre wurde nach bekannt werden des BSE-Skandals Rindfleisch auf diesem Weg verschifft.

Francisco Mari

Die europäischen Exporteure kannten also die Linienführung der Kühlschiffe vor der afrikanischen Küste, sie kannten die Importbestimmungen und hatten zudem kein Währungsproblem, da die französischen Ex-Kolonien - also fast ganz Westafrika - in der CFA-Währungszone zusammen gefasst sind, die durch einen festen Wechselkurs an den Euro gebunden ist.

Für die afrikanischen Verbraucher schien der Hähnchenimport zunächst ein wahrer Segen. Das tiefgefrorene Federvieh war billiger als die einheimischen Hühner, die zudem ausschließlich lebend auf den Märkten feilgeboten wurden; also vor den Verzehr noch geschlachtet und gerupft werden wollten. Zudem gilt das EU-Hühnerfleisch als zarter als das jener Gockel und Hennen , die von den lokalen Hühnerfarmen stammen. Günstiger, praktischer und leckerer - wer könnte da widerstehen?

Fatale Folgen

Die Hühnerproduzenten Kameruns erlebten im Jahr 1999 quasi über Nacht einen fatalen Einbruch ihrer Absatzzahlen, etliche Hochzeitsgesellschaften griffen zur Bewirtung ihrer Gäste lieber zu den EU-Schnäppchenhühnern. "Geiz ist geil" gilt auch in Afrika. Die fatalen Folgen dieser Entscheidung waren auf den ersten Blick nicht sichtbar. Die Europäer hatten beim Transport von Tiefkühlware nach Afrika gute Erfahrungen mit den Container-Schiffen gemacht, die seit langem vor allem Tiefkühlfisch nach Kamerun und die angrenzten Länder liefern.

Nur schien sich niemand so richtig Gedanken darüber zu machen, wie die Hähnchen aus der Hafenstadt Douala ins Landesinnere gelangen sollen. Eine Kühlkette im Land existiert nicht - es gibt weder ausreichend Kühlhäuser und mit Ausnahme von ein oder zwei veralteten Lastwagen keine Tiefkühlwagen. Was für den Fisch schon nicht gut sein kann, hat bei den Hähnchen eine katastrophale Wirkung; müssen die Vögel doch bei einer sehr viel tieferen Temperatur frisch gehalten werden.

Ideal sind diese Bedingungen nur zur Bakterienzucht. Bei einer Untersuchung von 200 Proben, genommen auf acht verschiedenen kamerunschen Märkten, maß das Pasteur-Institut einen Mikrobenbesatz, der 6- bis 180-fach über den EU-Höchstwerten liegt; an jeder fünften Probe war das magen- und darmgefährdende Campylobacter nachzuweisen und an jeder sechsten Probe Salmonellen. Das ist nicht lecker, sondern lebensgefährlich und seuchengefährdend.

Nach einem kurzzeiteigen Importstopp und dem Auslaufen der Subventionen hatte der Spuk im Jahr 2000 ein jähes Ende. Vorübergehend. In Europa hatte sich derweil nämlich das Verbraucherverhalten geändert. Hierzulande aß man wieder Huhn, aber nur die zarte Brust; andere Hühnerteile wurden verschmäht. Auf denen blieben die hiesigen Hühnerproduzenten sitzen, da seit Kühnasts BSE-Gesetzgebung von 2001 Tierkadaver auch nicht mehr als Tierfutter verwendet werden dürfen. Seither subventionieren die europäischen Verbraucher den Tiefkühl-Hühnchen-Export nach Afrika direkt. Die Produzenten hoben den Preis für Hühnerbrustfilet ein wenig an und verschifften den Löwenanteil des restliche Hühnerklein nach Kamerun und Co. Das passiert, wenn für den Export nicht die gleichen Spielregeln gelten wie für den Verkauf im Inland.

Hühnerteile

Hühnerteile sind auf den ersten Blick aber erst einmal eine tolle Importidee für Kamerun: Ein ganzes Huhn kostet dort in etwa den Gegenwert eines Wochenlohns; erstmals war es nun möglich, kleinere Portionen zu kaufen. Bislang ausschließlich edles Festessen, war Hühnchen fortan etwas, mit dem die kamerunschen Hausfrauen einfache Maisgerichte mit ein wenig Fleischgeschmack aufpeppen konnten. Von den Gefahren war den wenigsten etwas bewusst.

Für Kameruns Wirtschaft wurden die Importe indes zu einer tödlichen Bedrohung. Im Jahr 1996 hatte das Land 900 Tonnen Hühnerfleisch importiert, 2003 waren es bereits 24.000 Tonnen - das sind mehr als 80 Prozent des Gesamtverbrauchs. Die CADCI (Citizen Association for the Defense of Collective Interests) veröffentlichte jüngst eine Studie, die aufzeigte, dass von 100 kleinen Hühnerfarmen (mit weniger als 500 Hühnern), die im Jahr 1996 existierten, bis heute nur 8 überlebten - ein Verlust von 92 Prozent.

"Eine Katastrophe für die Volkswirtschaft!", so nennt CADCI den Hühnerimport aus Europa in seinen Publikationen. Nach Rechnung der Nichtregierungsorganisation sind in der Folge rund 110.000 Jobs in der Landwirtschaft verloren gegangen. Außer der Hühnerproduktion sind auch die Maisbauern betroffen - verhindere der Import jeder Tonne Tiefkühlhühner doch die Produktion von 500 Hühnern im Land und demzufolge den Konsum von 1,5 Tonnen Mais, rechnen CADCI-Vertreter vor.

Erfolgreicher Widerstand

Spät, aber erfolgreich regte sich im vergangenen Jahr schließlich Widerstand gegen die Hühnerinvasion. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen - viele darunter wiederum durch Entwicklungshilfegeldern aus Europa finanziert - schlossen sich zusammen mit den Hühnerfarmern Kameruns und organisierten eine groß angelegte Kampagne unter dem Motto "Poulet Congeles. Danger de mort!"

Die afrikanischen Verbraucher reagierten darauf äußerst sensibel. Innerhalb weniger Wochen ging der Verbrauch von tief gefrorenen Importhühnern um rund 80 Prozent zurück. Die Importeure reagierten mit neuen Hygienevorschriften. Aber die plötzlich sauberweißen Kittel der Fischverkäufer - die auch den Importhühnerverkauf übernommen hatten - kamen bei den Kamerunern genauso wenig an wie das Bemühen, die Klappe des Kühlkorbes, in dem die Ware feilgeboten wird, häufiger als zuvor geschlossen zu halten. Schließlich reagierte auch die Regierung mit einem Moratorium - dem Importverbot für Tiefkühlhühner.

Ein süßer Erfolg, aber eine bittere Lage: Die heimische Hühnerzucht liegt am Boden und Weihnachten steht vor der Tür. An diesen Feiertagen essen die Kameruner traditionell so viel Hühnerfleisch wie zu keiner anderen Jahreszeit. Um den Bedarf zu decken, hätten die Hühnerfarmer spätestens acht Wochen vor dem Fest mit der Aufzucht beginnen müssen. Aber kaum einer hatte Geld für die Anschaffung neuer Küken. Kredite dafür gab es nicht, da die wenigsten aufgrund der Absatzkrise ihren letzten Mikrokredit bedienen konnten. Damit ist der Erfolg der Kampagne zumindest in Frage gestellt und es steht zu befürchten, dass das Geschäft mit den Importhühner zu Weihnachten doch wieder florieren wird.

In der gesamten Region treibt der Import von EU-Hühnern ähnliche Blüten wie in Kamerun. Zurzeit wird das Fleisch im Hafen von Yaundé nicht gelöscht. Aber die Tiefkühlschiffe haben schon Kurs auf den nächsten Anlaufpunkt genommen: Pointe Noire, Republik Kongo.