"George W. Bush - Our Leader"

Über die Hälfte der US-Bürger glaubt, dass Gott die Menschen in ihrer jetzigen Gestalt geschaffen hat - Nachrichten aus dem religiös-konservativen Teil der Supermacht

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Die USA sind eine gespaltene Nation. Das verdankt sich viel auch der Religiosität vieler Amerikaner. Die Wiederwahl von Bush dürfte auch die fundamentalistischen christlichen Gruppen in den USA einen weiteren Aufschwung verleihen, zumindest werden deren politische Interessen stärker Eingang in die Gesetzgebung finden. Mit den anstehenden Besetzungen von neuen Richtern - der Vorsitzende ist schwer erkrankt, 8 von neun der Richter sind über 65, 3 haben gesundheitliche Probleme - könnte sich das Land weiter ändern, was Themen wie Abtreibung, Meinungsfreiheit, Trennung von Staat und Kirche, Homosexualität oder Schusswaffenbesitz betrifft. Rechte fordern, die UN aus den USA zu vertreiben. Bedenklich mag auch stimmen, dass an machen Orten große Plakate aufgetaucht sind, auf denen zu lesen ist: "George W. Bush - Our Leader".

Noch ist unklar, was diejenigen, die für das Riesenplakat verantwortlich sind, damit bezwecken. Eines befindet sich an einer Straße in Orlando. Auf ihm steht, es handele sich um eine "political public service message", die von Clear Channel Outdoor stammt, einer zu Clear Channel gehörenden Werbeagentur (ein weiteres Plakat wurde von einem Charles W. Clayton Jr. bezahlt, auch in Jacksonville wurde ein Plakat gesehen). Clear Channel ist eine Radiokette mit über 1200 Radio- und 37 Fernsehsendern und soll angeblich 100 Millionen Amerikaner erreichen. Das Medienunternehmen ist stramm konservativ, kontrolliert einen großen Teil des amerikanischen Radio- und vor allem Popmusikmarktes und gibt beispielsweise Rush Limbaugh, dem ultrakonservativen und einflussreichen Radiokommentator, eine Bühne. So verwundert nicht, dass Clear Channel natürlich am Boykott von Dixie Chicks maßgeblich beteiligt war und vor der Invasion in den Irak unter dem Motto "Give war a chance" Stimmung für den Krieg gemacht hat (Der Kultur-Krieg).

Da der Pressesprecher von Clear Channel nicht verfügbar war, erhielt man in Orkando keine Auskunft. In Jacksonville erklärte ein Angestellter, dass Clear Channel keine politische Werbung mache und das Plakat eine Fälschung sei. Ein weiterer Mitarbeiter erklärte, man mache sehr wohl politische Werbung im Auftrag von Kunden. Die Zeitung Orlando Sentinel veröffentlichte einen Leserbrief, in dem es heißt:

I wonder if anyone else finds the president's picture on a billboard odd? I'm sorry, but it reminds me of countries with dictators, and it seems people are making him out to be the messiah, the savior of our world. Fear, fear, fear. I'm tired of being afraid.

Die UN soll die USA verlassen, Richter am Supreme Court fordert mehr Religion in der Politik

Eine rechtsgerichtete republikanische Gruppe namens Move America Forward fordert nun über einer Kampagne mit Fernsehspots und einer Petition, dass der Hauptsitz der Vereinten Nationen in den USA geschlossen wird und von den USA weniger oder kein Geld mehr erhält. Die internationale Organisation würde gegen die nationalen Interessen der USA handeln und sich mehr und mehr an die Seite derjenigen stellen, die die "Ausübung von Terrorismus gegen unschuldige und unbewaffnete Zivilisten tolerieren".

Im Überschwang geht man noch weiter und bezeichnet die UN als "sicheren Hafen, Apologeten und Verteidiger von Terrororganisationen und ihren Akteuren". Konkret wird der UN Korruption im Umgang mit den Geldern des "Öl für Lebensmittel"-Programms vorgeworfen, Kofi Annan hat es tatsächlich versäumt, hier rechtzeitig und scharf einzugreifen. Die Anschuldigungen richten sich auch gegen Frankreich, China und Russland. Mit dem Geld seien angeblich auch Waffen gekauft worden, die nun von den Widerstandgruppen im Irak gegen die Koalitionstruppen eingesetzt werden. Und letztlich seien die Vereinten Nationen nur ein "Hindernis im Kampf gegen den Terrorismus".

Die Ablehnung der UN und der internationalen, nicht von der USA kontrollierbaren Zusammenarbeit ist Bestandteil der amerikanischen Politik, aber unter der Bush-Regierung besonders deutlich geworden, die in der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA den amerikanischen Nationalismus zur Doktrin erhoben hat. Dazu gehört beispielsweise auch die Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs (US-Regierung zieht Unterschrift unter das Statut von Rom zurück) und der American Servicemembers' Protection Act of 2002, nach dem der Präsident sogar mit Waffengewalt gegen den Strafgerichtshof in Den Haag einschreiten dürfte (US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden)

Gerade hat erst Antonin Scalia, ein strenger Katholik, einer der Richter des Supreme Court, 1986 von Ronald Reagan berufen, strikter Abtreibungsgegner und möglicher Anwärter auf den Vorsitz, gesagt, dass eine religiös neutrale Regierung nicht zu Amerika passe, bei dem der Glaube an Gott in allen Belangen vom Geld bis zum Militär zur Geltung komme: "Ich schlage vor, dass sich unsere Jurisprudenz mit unseren Handlungen vereinbaren muss."

Scalia rüttelt an der Trennung von Staat und Religion und will die Verfassung auch weiterhin strikt im Sinne der Gründungsväter ausgelegt haben. Das kann mitunter auch zu "liberalen" Auslegungen führen, so war Scalia im Fall Hamdi v. Rumsfeld der Meinung, dass die Regierung nicht das Recht habe, jemanden als "feindlichen Kämpfer" zu behandeln (Schnelle Freilassung eines "feindlichen Kämpfers"). Das stünde allein in der Macht des Kongresses. In einer anderen Rede machte er sich über die "Weisen" lustig, die denken, dass die Gläubigen irrational und geistig einfach gestrickt seien, weil sie an Wunder und Wiederauferstehung glauben. Es sei jedoch irrational, an die Unmöglichkeit von beidem zu glauben.

Die religiöse Nation der Wiedergeborenen

Die "Werte" sollen die Präsidentschaftswahlen stärker bestimmt haben als die harten Themen Irak-Krieg, Krieg gegen den Terrorismus, Steuern, Gesundheitssystem oder Wirtschaft (Der Gottesstaat im Westen). Mit der Werteorientierung ist vor allem die religiöse Grundprägung vieler Amerikaner gemeint. Die Amerikaner sind unter den Bürgern reicher Länder am stärksten religiös orientiert. In dieser Hinsicht stehen die USA ärmeren und auch arabischen Ländern näher als den übrigen Industriestaaten. Nach einer Umfrage sagen 59 Prozent der US-Amerikaner, dass die Religion in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt. Schon im benachbarten Kanada sehen das nur noch 30 Prozent so, während in Westeuropa die Briten mit 33 Prozent an der religiösen Spitze stehen und ansonsten eher Werte von 20 Prozent und darunter zu beobachten sind (Religion spielt für die US-Bürger eine wichtige Rolle). Womöglich gehört zu der religiösen und zugleich häufig patriotisch-kapitalistisch-militaristischen Sicht auch eine verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung (Bush-Anhänger zeichnen sich durch Realitätsausblendung aus).

Bei einer Pew-Umfrage nach den Wahlen wurde gefragt, was die Menschen darunter im Kontext der Wahl verstehen. Die Meisten sagten, das habe gesellschaftliche Themen betroffen. Ganz oben steht dabei die offenbar viele beunruhigende Homosexuellenehe, gefolgt von Abtreibung und schließlich die Verwendung von Stammzellen. Zwar sagten weniger, dass sie unter Werte religiöse Themen verstehen, aber die drei genannten Punkte gehören zur religiösen Ausrichtung und deren Ablehnung wird religiös begründet.

Eine aktuelle Umfrage im Auftrag von CBS und der New York Times zeigt zwar, dass mit 51 Prozent die Mehrheit der Befragten Präsident Bush eine gute Note gibt, trotzdem glauben 54 Prozent, dass das Land in eine falsche Richtung geht. Wirtschaft, Irak-Krieg und Terrorismus liegen bei den genannten Problemen ganz oben - und stets sagen - mit Ausnahme vom Terrorismus - mehr Menschen und manchmal die Mehrheit, was auch auf die Außenpolitik generell und besonders auf die Lösung internationaler Konflikte zutrifft, dass sie die Politik der Bush- Regierung hier ablehnen. Trotzdem sind 56% optimistisch, dass in den nächsten vier Jahren unter Bush schon alles gut gehen wird.

Was die Ernennung von Richtern im Supreme Court betrifft, fürchtet nur ein Drittel, dass dieser zu konservativ werden könnte. Man ist für eine strengere Regelung der Abtreibung oder gleich für ein Verbot und für ein Verbot der Homosexuellenehe, 40 % ist das so wichtig, dass deswegen auch die Verfassung verändert werden sollte. Den Einfluss der 70 Millionen evangelikalen Christen oder Wiedergeborenen, die maßgeblich zum Erfolg von Bush beigetragen haben, auf die Regierung findet ein Drittel zu groß und ein Drittel gerade richtig. Für 12% haben sie zu wenig Einfluss, ein Fünftel hofft oder fürchtet allerdings, dass sie in den nächsten vier Jahren mehr politische Bedeutung erlangen werden. Ein Drittel der Befragten bezeichnet sich übrigens selbst als evangelikale Christen. Immerhin wenden sich dennoch 85% dagegen, dass Politiker ihre Glaubensvorstellungen zu geltendem Recht machen dürfen.

Gleichwohl sind die Menschen weiter zerrissen. Ein Drittel will, dass Regierungsangehörige der Religion oder Religionsführern näher stehen, die Hälfte äußert dagegen eher Bedenken. Einig sind sich Amerikaner aber weitgehend darin, dass die "popular culture" (Fernsehen, Kinofilme und Musik) die moralischen Maßstäbe gefährdet. Das sagen über zwei Drittel der Befragten. Hollywood scheint hier die Verkörperung der moralischen Gefahr darzustellen.

Ganz erstaunlich ist immer wieder, wie sich die religiöse Orientierung der Menschen in der auch technisch und wissenschaftlich führenden Supermacht auswirkt. So sagen 55 Prozent der Befragten, dass Gott die Menschen in ihrer jetzigen Form geschaffen haben. Nur 13 Prozent sind hingegen der Ansicht, die Menschen hätten sich in der Evolution ohne Lenkung Gottes entwickelt. Ganz sicher scheinen sich jedoch viele auch wieder nicht zu sein. Immerhin aber wollen 37 Prozent (über ein Drittel!), dass an den Schulen Kreationismus anstatt Evolution gelehrt werden soll (Der Kreationismus und die USA). Damit wäre man bildungspolitisch tatsächlich in einem Gottesstaat angelangt.