Das große Rascheln

Die Tierwelt Nordamerikas ist aufgrund des Klimawandels in Bewegung

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Empirische Studien zu klimatischen Einflüssen auf Populationen füllen die Biologie-Literatur des 20. Jahrhunderts. Die Effekte sowohl kleiner Veränderungen im Klima als auch lokaler oder regionaler Klimacharakteristika auf Populationshäufigkeiten sind dokumentiert. Das Pew Center on Global Climate Change legte nun erstmals eine zusammenfassende Studie zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die wilde Tierwelt der Vereinigten Staaten vor.

Gerade erst ist die Studie Arctic Climate Impact Assessment veröffentlicht worden, in der sich Wissenschaftler der acht Arktis-Anliegerstaaten unter Hinzuziehung von Interessenvertretern verbliebener Ureinwohner zu Aussagen hinsichtlich des Klimawandels durchringen konnten und diese in zehn Thesen zusammengefasst haben.

Die Arktis wird als vom Klimawandel besonders stark betroffener Lebensraum herausgestellt. Eisbären, Walrosse und einige Robbenarten sind in ihrem Bestand gefährdet. Die sommerliche Eisbedeckung könnte vollständig verschwinden. Hinzu kommt das schnelle Abtauen des grönländischen Inlandeises. Das alles könnte die Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um 90 Zentimeter ansteigen lassen und weltweit zu Überschwemmungen führen.

Neunbinden-Gürteltier. Das Neunbinden-Gürteltier benötigt mehr als 380 Millimeter jährlichen Niederschlag; es ist an Gegenden gebunden, in denen es außerdem weniger als 20-24 Tage mit Frost im Winter gibt; sie können außerdem nicht mehr als neun aufeinander folgende Tage mit Frost tolerieren. Foto: Peter May

Im Polit-Geplänkel verschwanden zu erstellende Handlungsrichtlinien für die Zukunft vorläufig von der Tagesordnung. Unter anderem wird eine Verlagerung der Lebensbereiche vieler Tiere und Pflanzen in nördlichere Gefilde erwartet; einige zurzeit noch verbreitet vorkommende arktische Arten werden in ihrem Bestand zurückgehen.

Diesen Aspekt vertieft eine Studie des Pew Center on Global Climate Change, eine unabhängige und gemeinnützige Organisation, die sich mit der Vielfalt der durch den Klimawandel ausgelösten ökologischen Veränderungen speziell in den USA befasst. Carmille Parmesan, University of Austin, Texas, und Hector Galbraith, Galbraith Environmental Sciences und University of Boulder, Colorado, analysierten über 40 relevante Studien. In mehr als der Hälfte der Fälle fanden sie starke Hinweise auf einen direkten Zusammenhang von beobachteten biologischen Veränderungen und menschlichen Aktivitäten. Diese Studien decken einen weiten Bereich an Pflanzen und Tieren in verschiedenen Gegenden der USA ab. Trotz der Vielfalt an Untersuchungsgegenständen sind die beobachteten ökologischen Effekte einander sehr ähnlich.

Die durchschnittlichen Temperaturen in den USA stiegen über das letzte Jahrhundert um 0,6 Grad Celsius, bei gleichzeitig um 5-10% erhöhten Niederschlägen. Das Ausmaß der Erwärmung schwankt in Abhängigkeit von der jeweiligen Region. So erhöhten sich die Durchschnittstemperaturen allein in Alaska in den letzten 50 Jahren um 2-4 Grad Celsius. Diese Temperaturänderungen haben den ökologischen Kontext vieler einheimischer Spezies verändert und zu Änderungen in deren Physis, Verhalten und Aufenthaltsort geführt. Diese Reaktion der "biologische Indikatoren des Klimawandels" können sich nachteilig auf die Artenvielfalt Nordamerikas auswirken.

Bei bestimmten Schwellenwerten für Temperatur und Niederschlag unterliegen viele biologische Prozesse schlagartigen Veränderungen; vereinzelt auftretende Extremtemperaturen können physische Charakteristika verändern. So wird bei bestimmten Arten das Geschlecht individueller Species durch die jeweiligen Höchsttemperaturen während einer kritischen Phase der embryonischen Entwicklung bestimmt.

Die Niederschlagsmuster unterliegen ebenfalls Änderungen. Regen und Schnee fallen in wenigeren, dafür heftigeren Ereignissen. Die Schneebedeckung im Winter hat sich im Gebiet um die Grossen Seen erhöht, während andere Gegenden wie der Südwesten trockener wurden. ENSO-Ereignisse (El Niño/ Southern Oscillation) haben an Häufigkeit und Intensität zugenommen; einige Modelle sagen für 2050 voraus, dass normale Bedingungen zu diesem Zeitpunkt El Niño-artig sein werden.

Eingeschränkte Frost- und Niederschlagstoleranzen sind für viele Pflanzen und Tiere bekannt. Tropische Bäume werden durch Temperaturen von 0-10 Grad Celsius getötet, währenddessen temperierte großblättrige Laubbäume -40 Grad Celsius überleben können. Verschiedene boreale Arten scheinen jegliche natürlich vorkommende tiefe Temperaturen auszuhalten.

Die Zeitpunkte bedeutender ökologischer Ereignisse wie das Blühen von Pflanzen oder die Brutzeiten von Vögeln haben sich verschoben - direkt gekoppelt an den Klimawandel

Bei Graubrusthähern in Arizona wurde beispielsweise eine Vorverlegung der Brutsaison um durchschnittlich zehn Tage registriert. Die ersten Gelege sind dabei zeitmäßig an die Frühlingstemperaturen gekoppelt, die sich im Studienzeitraum von 1971-1998 z.B. im April um 2,5° Celsius erhöhten.

Graubrusthäher. Foto: William Hull/mangoverde

Eine andere Studie verfolgte von 1959-1991 das Brutverhalten von Baumschwalben in über 3400 Nestern, verteilt über Nordamerika, und hat ein um durchschnittlich neun Tage verfrühtes Legedatum gefunden; eine direkte Verknüpfung an die jeweiligen Mai-Temperaturen wurde nachgewiesen. Diese Beobachtungen lassen sich auch in anderen Teilen der Welt machen. In ganz Europa treiben die Bäume früher aus, Büsche und Gräser blühen früher, die Laubfärbung setzt später ein: Alles in allem hat sich die vegetative Wachstumsphase seit 1960 um fast elf Tage verlängert.

In Großbritannien wurde für 20 Vogelarten ebenfalls eine um neun Tage verfrühte Eiablage gefunden; der Rote Admiral tritt nunmehr einen Monat früher in Erscheinung als noch vor 20 Jahren. Für die Autoren der Studie sind diese Befunde von Veränderungen im zeitlichen Ablauf von ökologischen Ereignissen im 20. Jahrhundert Ausdruck eines langfristigen Klimawandels.

Die geographischen Lebensräume mancher Pflanzen und Tiere haben sich nordwärts und bergauf verschoben; für manche Arten wurden sie stark eingeengt. Die Verschiebung von Baumgrenzen war Gegenstand zahlreicher Studien und ist Resultat der komplexen Wechselbeziehung von Temperaturen, Niederschlagsmengen, Waldbränden, Pflanzenfressern und Ausbrüchen von Krankheiten.

Eines der bestuntersuchten Beispiele ist der Scheckenfalter in den westlichen Bundesstaaten der USA. Mit dem Anstieg der Temperaturen über das letzte Jahrhundert verschwanden viele südliche und in flacheren Regionen lebende Populationen völlig. Der Scheckenfalter verschwand aus Mexiko und wird nun auch in Kanada angetroffen.

Der Rotfuchs dringt in die Reviere des Polarfuchses ein und bedroht als direkter und zudem stärkerer Rivale dessen Bestand. Ähnliche Lebensraumverschiebungen wurden für andere Vögel, Säugetiere, Wirbellose und Pflanzen festgestellt. Außerdem erfolgen weitere Lebensraumeinschränkungen durch den Anstieg des Meeresspiegels.

Die Veränderungen in den komplexen Beziehungen der Arten untereinander stellt eine potentielle Bedrohung der Artenvielfalt dar. Die Veränderungen in den Spezies-Zusammensetzungen einzelner Ökosysteme führen höchstwahrscheinlich zu Änderungen in Räuber-Beute-Beziehungen und schließlich zum Verlust von lokaler und regionaler Artenvielfalt.

Ökosystemprozesse wie Kohlenstoff-Kreislauf und Kohlenstoff-Speicherung haben sich durch den Klimawechsel verändert. Die Verlängerung der Wachstumsphase hat den jährlichen Zyklus der atmosphärischen Kohlendioxidkonzentrationen verändert, da Pflanzen eine wichtige Zwischenstation des Kohlenstoff-Flusses durch die Ökosysteme sind. Einige Tundren-Gebiete in Alaska haben aufgrund wärmerer Winter ihre Kohlendioxid-Senken-Funktion eingebüsst - sie agieren mittlerweile als CO2-Quelle. Ebenso boreale Nadelwälder, die aufgrund klimatischer Veränderungen erhöhtem Wassermangel, Ausbrüchen von Krankheiten sowie häufiger vorkommenden Waldbränden ausgesetzt sind.

In anderen Bundesstaaten ist eine gegenteilige Tendenz zu beobachten: Aufgrund von Wiederaufforstungen nach Holzeinschlag und die Aufgabe landwirtschaftlicher Nutzflächen sind viele der Wälder in den letzten Dekaden zu Kohlendioxid-Senken geworden. Es wird jedoch erwartet, dass dieser Trend aufhört, wenn die Wälder herangewachsen sind.

Der Klimaeinfluss auf die Ökosysteme der Vereinigten Staaten betrifft verschiedene geographische Gegenden und eine Vielfalt an Spezies und reflektiert ebenso globale Trends

2001 kam das Intergovernmental Panel on Climate Change zum Schluss, dass der Anstieg der jährlichen Durchschnittstemperaturen über die vergangenen 50 Jahre hauptsächlich wegen erhöhter Konzentrationen anthropogener Treibhausgase in der Atmosphäre erfolgte.

Die eingangs erwähnte ACIA-Studie kommt qualitativ zum gleichen Schluss: Die globalen Temperaturen steigen momentan mit einer für alle Erfahrungen der modernen menschlichen Gesellschaft beispiellosen Geschwindigkeit; zahlenmäßig liegen die ACIA-Ergebnisse unter dem Mittelwert der für möglich gehaltenen Temperaturanstiege aller vom ICPP ausgewerteten Klimaszenarien und Emissionsmodelle. Sie versteht sich ausdrücklich nicht als "worst-case scenario".

Die Zuordnung globaler Trends zu regionalen oder örtlichen Veränderungen ist schwierig. Je größer das untersuchte Gebiet, je geglätteter ist das Signal des Klimas und umso leichter ist es, einen anthropogenen Fingerabdruck zu finden.

Rekonstruktion der Änderungen der Kohlenstoff-Emissionen, Kohlendioxid-Konzentrationen und Lufttemperaturen über die letzten 1000 Jahre, nördliche Hemisphäre. Grafik: Arctic Climate Impact Assessment

Globale biologische Trends wurden prognostiziert; sie stimmen mit den Beobachtungen überein. Die Konsequenz wird sein, dass sich diese biologischen Trends über die nächsten Jahrzehnte bei weiterer Emission von Treibhausgasen fortsetzen werden.

Die meisten Ökosysteme in den Vereinigten Staaten leiden bereits unter anderen anthropogenen Stressfaktoren wie die Zerstörung von Lebensräumen, Zersiedelung, überdimensionierte Ausbeutung von Grund und Boden, Einführung invasiver Species und Umweltverschmutzung.

Weltweit sind momentan 25% der verbliebenen Säugetiere und 11% der Vögel vom Aussterben bedroht (IUCN 1996). 80% der einstmals existierenden Wälder sind beseitigt oder degradiert; Bergbau, Holzeinschlag und andere Maßnahmen bedrohen fast 40% der verbliebenen Flächen (UNEP 1999).

In den aquatischen Lebensräumen sieht es nicht besser aus - allein in Nordamerika sind 70% der Mollusken und 37% der Fischarten im Aussterben begriffen. Das Resultat des erhöhten Drucks auf die biologischen Systeme könnte ein Frühstadium eines massiven Aussterbens sein, das das Verschwinden von bis zu einem Drittel aller Arten weltweit bis 2100 zur Folge hätte. Solche Raten des Aussterbens sind in der Erdgeschichte ohne Präzedenzfall. Realistische langfristige Prognosen bleiben aufgrund der enormen Komplexität der zugrunde liegenden Prozesse schwierig. Fossilienfunde belegen jedoch, dass starke Klimaschwankungen in der Erdgeschichte auch von starken Lebensraumverschiebungen begleitet waren - die jedoch nur zum Verschwinden relativ weniger Spezies führten.

Das Pew Center schlägt zur Verminderung schädlicher Auswirkungen des Klimawandels auf US-Ökosysteme eine Palette von Strategien vor: adaptives Management, Unterstützung von Übergangslebensräumen auf nichtgeschützten Flächen sowie die Abschwächung nichtklimatischer Stressfaktoren. Den Tieren soll also gewissermaßen beim Umzug geholfen werden. Die Einschätzung, dass rund die Hälfte der untersuchten Spezies vom Klimawandel betroffen ist, soll als eher konservative Beurteilung der tatsächlichen Situation verstanden werden.