Besucht Israel!

Nach dem Tod von Palästinenserpräsident Jasser Arafat hat eine neue Runde der Nahostdiplomatie begonnen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der scheidende US-Außenminister Colin Powell war der Erste auf einer langen Liste von internationalen Politikern, die sich in den kommenden Wochen in israel und den palästinensischen Gebieten die Klinke in die Hand geben werden. Am Mittwoch vergangener Woche folgte ihm der britische Außenminister Jack Straw; Ende dieser Woche wird außerdem Steven Hadley, der stellvertretende Sicherheitsberater von US-Präsident George W. Bush, eintreffen, um mit der vorübergehenden palästinensischen Führung über die Situation nach dem Tod von Palästinenserpräsident Jasser Arafat und die erwarteten Entwicklungen auf der palästinensischen Seite zu sprechen. Außerdem werden in der kommenden Woche Ägyptens Außenminister Ahmed Abdul Gheid, sein Geheimdienstchef Omar Suleiman und der spanische Außenminister Miguel Moratinos in der Region erwartet. Der türkische Außenminister Abdullah Gül und Großbritanniens Premierminister Tony Blair werden Israel und den palästinensischen Gebieten kurz vor Weihnachten ihre Besuche abstatten. Damit, so ein Sprecher des britischen Premiers am Freitag, wolle die Regierung in London die Bedeutung des Nahostfriedensprozesses für ihre Außenpolitik demonstrieren.

Gemeinsames Ziel der Polittouristen: Nach dem Tod von Jasser Arafat Anfang November wollen sie den festgefahrenen Friedensprozess wieder in Gang bringen. Aus dem einseitigen israelischen Abzug aus Gaza und Teilen des nördlichen Westjordanlandes soll eine Räumung in beiderseitigem Einvernehmen werden, eingebettet in die "Straßenkarte zum Frieden," die das sogenannte "Nahost-Quartett" aus USA, Europäischer Union, Russland und den Vereinigten Nationen im Frühjahr vergangenen Jahres vorgelegt hatte.

"Der Tod Jasser Arafats hat die Möglichkeit für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen eröffnet," erklärt Kommentator Zeew Schiff in der Zeitung HaAretz den Ansturm der internationalen Politiker. "Es geht darum, die demokratischen Kräfte auf der palästinensischen Seite zu stärken, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und dabei gleichzeitig den Extremismus zu schwächen", schreibt er in der Ausgabe vom vergangenen Donnerstag - dem Tag, an dem die Europäische Union ein erstes Signal entsandte: Sie setzte die Hamas, deren bewaffneter Flügel für eine Vielzahl von Anschlägen in Israel verantwortlich gemacht wird, auf ihre Terrorliste.

Es mangelt an Visionen

Dennoch rechnet in der Region kaum jemand damit, dass diese neue Runde der Nahostdiplomatie eine grundlegende Änderung der Positionen auf beiden Seiten mit sich bringen wird: Jerusalem und die Flüchtlingsfrage werden weiterhin Streitpunkte bleiben. So gelang es US-Außenminister Colin Powell in der Tat zwar, seinen israelischen Amtskollegen Silwan Schalom dazu zu überreden, die palästinensische Führung bei der Umsetzung der Präsidentschaftswahlen im Januar zu unterstützen und den Palästinenserinnen und Palästinensern in Ost-Jerusalem, das von Israel als Teil seines Staatsgebietes beansprucht wird, die Teilnahme an den Wahlen zu erlauben. Doch ansonsten ergaben weder sein Besuch, noch der des britischen Außenministers Jack Straw etwas Neues: Israels Regierung stellte einmal mehr Gespräche in Aussicht, sollten die Palästinenser einen der moderaten Kandidaten zu ihrem Präsidenten wählen, betonte aber auch einmal mehr, dass nach der Umsetzung des Trennungsplanes möglicherweise jahrelang gar nichts mehr passieren könnte, falls dies nicht nicht der Fall sein sollte.

Doch auch für den Fall neuer Verhandlungen mahnt Jerusalem zu zurückhaltendem Optimismus: "Wir werden zwar mit einer neuen palästinensischen Führung zu tun haben, die Forderungen werden aber die gleichen bleiben", sagte Schalom am Mittwoch in einer gemeinsamem Pressekonferenz mit Straw, nachdem dieser erklärt hatte, die Republik Irland habe in ihrer Verfassung lange Zeit Nordirland als Teil des Staates bezeichnet: "Am Ende haben beide Seiten Kompromisse gemacht, um den Frieden zu sichern."

Ob, und wenn ja in welchem Umfang beide Seiten zu Kompromissen bereit sein werden, hängt aber nicht allein davon ab, ob die ausländischen Gesprächspartner dazu in der Lage sein werden, ausreichenden Druck auszuüben: Die neue Runde der Nahostdiplomatie beginnt in einer Zeit der politischen Unsicherheit auf beiden Seiten: In Israel fehlt es der Mitte-Rechts-Regierung von Premierminister Ariel Scharon an einer sicheren Parlamentsmehrheit. Gerne würde er deshalb die Arbeiterpartei mit in die Koalition holen, wozu die Sozialdemokraten im Prinzip auch bereit wären. Doch Scharons eigener Likud-Block möchte dem nur zustimmen, wenn gleichzeitig die religiöse Schas-Partei mit aufgenommen wird.

Das Problem: Die liberale, radikal-säkulare Schinui-Partei ist dagegen und will die Koalition keinesfalls freiwillig verlassen. "Die Position Israels zum Friedensprozess wird davon bestimmt, wie die Regierung in Zukunft zusammen gesetzt sein wird", sagt der politische Analyst Yaaron May von der Universität Tel Aviv. Eine rechtskonservative Führung auf einer der beiden Seiten werde Verhandlungen entweder massiv erschweren oder, was wahrscheinlicher sei, unmöglich machen.

Zweifel an den langfristigen Erfolgsaussichten der internationalen Initiativen gibt es aber auch aus anderen Gründen: "Es mangelt nach wie vor an Visionen", sagt Prof Yaaron Esrachi, Leiter des Israel Democracy Institute:

Alle Versuche der internationalen Gemeinschaft, den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, stützen sich derweil auf die Straßenkarte zum Frieden

Dieser Mehrpunkteplan habe aber bisher überhaupt keine Ergebnisse gebracht. "Die Roadmap hängt viel zu stark von einer politischen Kontinuität ab," so Esrachi: "Wir haben nach Oslo gesehen, wie ein einziger Regierungswechsel den Prozess in Stocken bringen kann." 1996 hatte Premierminister Benjamin Netanjahu nach seinem Wahlsieg die Umsetzung der Osloer Übereinkünfte blockiert.

Der britische Analyst Neill Lochery vom University College in London mahnt derweil zu einer grundsätzlichen Änderung der Positionen:

Für einen dauerhaften Frieden ist ein Umdenken auf beiden Seiten erforderlich - vor allem was Jerusalem und die Flüchtlingsfrage betrifft. Ich sehe hier derzeit keinen Raum für Kompromisse. Die internationale Diplomatie kann derzeit nur Erfolge erzielen, wenn sie sich mit Fragen der konkreten Umsetzung der Gazaräumung befasst.

So scheint Israels Regierung viel Gewicht auf den erwarteten Besuch aus Ägypten zu legen: Gesprochen werden soll ausschließlich hinter geschlossenen Türen; schon jetzt wurde eine absolute Nachrichtensperre verhängt. Themen werden, soviel ist aber sicher, die Sicherung der Grenze zwischen Ägypten und Gaza sowie die Entsendung von Sicherheitsberatern nach dem für September 2005 geplanten Abzug sein.