Der Terrorismus der Gastarbeiter

Vom religiösen Mord zur Integrationsdebatte - die öffentliche Diskussion krankt an ihrer Unredlichkeit

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Egal wie verkürzt Altbundeskanzler Helmut Schmidt zitiert wurde oder welche Intention ihn getrieben haben mag, als alter Politikhase hätte er sich über seine Aussagen im Klaren sein müssen. Der Gastarbeiter terrorisiert die deutsche Bevölkerung durch seine Anwesenheit, deshalb wäre es - eine Deutung - wohl besser gewesen, man hätte damals alleine weiter gemacht. Noch besser Bundesinnenminister-Anwärter Günther Beckstein, der traurig dreinblickend meinte, man hätte doch vielleicht lieber die Fabriken ins Ausland verlagern sollen, als die Ausländer nach Deutschland zu holen. Vielen Dank Herr Beckstein, aber genau in den Genuss kommen wir im Moment. Ist die Wirtschaft der Politik schon wieder einen Schritt voraus gewesen?

Manchmal wünschte man mehr solch ehrlicher Geistesblitze bei noch im Amt befindlichen Politikern, dann würde man wissen, woran man ist. Aber leider scheinen sich Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in der Politik erst mit dem Rentenbescheid einzufinden: Die Beispiele Blüm, Geißler, Biedenkopf und zuletzt Schmidt, um nur einige zu nennen, zeigen dies. Ist damit eine Demokratie in der Berliner Republik, in einer Informationsgesellschaft zu machen? Oder werden ihre aktiven Repräsentanten durch die "Ehrlichkeit" der außer Dienst gestellten zunehmend diskreditiert?

Auch die Gesellschaft stellt sich nicht wirklich einer ehrlichen Debatte. Sonst könnte sich Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm nicht schon wieder mit dem alten Vorschlag einer Ausländerquote für Stadtteile ins Gespräch bringen. Die Idee ist zwar gut gemeint, scheiterte aber bislang an deutschen Parallelgesellschaften: Die besserverdienende Upperclass (zu der auch die Wähler der Grünen gehören) hat Angst vor der muselmanischen Invasion, und hat solche Quoten im Schulterschluss mit der bürgerlichen Nachbarschaft schon vor Jahren für ihre Stadtviertel abgelehnt.

Kulturkrampf auf deutsche Art

Im Moment wird mit riesengroßem Tara und Tamtam die Patriotismus-Terrorismus-Integrations-Islamismus-Christenheits-Keule durch die Lande geschwungen, dass einem ganz schwindelig werden kann. Fast hat man das Gefühl, viele hätten nur auf den Tag gewartet, an dem ein religiöser Fanatiker in den (liberalen) Niederlanden einen die Meinungsfreiheit bis zum Exzess ausreizenden Filmemacher ermorden würde. #

Nun ist es endlich soweit. In herbstliches Braun gehüllt raschelt der Blätterwald: Multikulti = tödlich; Gutmenschen = böse; Gastarbeiter = schlecht; Islam = brutal; Integration = Programmfehler; Bärte = terroristisch; 68' = gescheitert. Und ganz nebenbei: Die Reaktionen sind so extrem und verzerrt, dass man meinen könnte, seit Anfang der 90er Jahre wären nicht über einhundert Ausländer in Deutschland von Deutschen erstochen und erschlagen worden, sondern deutsche Künstler hätten ihre künstlerische Freiheit jedes Jahr mit einem Blutzoll an den Islamismus bezahlen müssen.

Und aus der rechten Seite der Mitte tönt: Wir haben's ja schon immer gesagt. Großspuriger und inhaltsloser kann man seine eigenen Verantwortlichkeiten an der Situation nicht kaschieren. Nachdem auch die Linke nun zurecht ins Grübeln kam, ist die Paarung wieder perfekt: Heute sind wir an einem Punkt angelangt, welcher deutlich macht, dass die beiden Seiten, die seit dreißig Jahren diesen deutschen Kulturkampf führen, noch nie ein Tor geschossen haben und nach jedem Spiel, ohne sich die Hand zu geben, den Platz verlassen. Das ist unsportlich. Und das unbefriedigende 0:0 macht die Wiederaufführung dieses nationalen Dramas unerträglich. Als Mittel gegen diesen Kulturkrampf sollte endlich einmal jemand eine Koalition aus CSU und Bündnis90/Die Grünen vorschlagen - diese Synthese könnte womöglich Deutschland wieder vorwärts bringen. Die Politik braucht wieder Visionen, nicht einen islamischen, statt einem christlichen Feiertag.

Es gibt wenig Visionäres - und auch keine Erleuchtung, ob von Gott oder Allah wäre ja egal. Stattdessen tragen alle möglichen Leute aus der politischen Branche halbwissend eine brennende Fackel durchs Dorf und schreien Feuer, während die eingeborenen Dorfbewohner anscheinend kopf-, identitäts- und kulturlos ihre Benzinkanister zum Löschen herausholen. Selbst Helmuth Schmidts kräftige Backpfeifen machten die Köpfe nicht klarer: Für jeden Gastarbeiter, der sich in den 60er Jahren bei seiner Drecksarbeit noch beschimpfen lassen musste, nur weil er Ausländer ist, gibt's heute eine links und rechts hinter die Löffel. Solche kleine Herabwürdigungen der Familie, der Eltern und Großeltern finden die jungen Deutschen ausländischer Herkunft, also die Gastarbeiterkinder der zweiten und dritten Einwanderergeneration, sicher sehr integrativ - Leidkultur eben, werden sie vielleicht denken.

Verfassungseid zuerst für Ausländer

Dann gibt es noch die Geschichte wie aus "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" der "Verfassungseid zuerst für Ausländer" wurde. Die Losung "Arbeitslätze zuerst für Deutsche" ist schnell dahergesagt, aber auch problematisch, weil sie sich, obwohl zuletzt auch von der jetzigen Regierung im Rahmen von Hartz IV propagiert (nachdem die CDU/CSU dies schon länger gefordert hatte), vor einigen Jahren noch eindeutig dem Rechtsradikalenmilieu zuordnen ließ.

Zu erinnern ist auch eine Zeit, in der Staatsdiener von ihren Posten entfernt wurden. Vielleicht hätte sich der eine oder andere frei gewählte demokratische Politiker erst einmal ein paar Gedanken machen sollen, bevor er die eigenen wirtschaftsliberalen Parolen dadurch ad absurdum führt, dass er inmitten der Globalisierung Tätigkeiten von denjenigen ausgeübt sehen will, welche die "richtige" Religion, Herkunft oder Staatsangehörigkeit haben. Wird nicht immer postuliert, dass der Kampf um Arbeitsplätze einer ist, in dem sich die am besten Befähigten durchsetzen sollen? Anscheinend hat dies nur noch partiell zu gelten, was von einer heuchlerischen Doppelmoral zeugt: Aber besser eine Doppelmoral als keine Moral, denken sich wohl viele, und liegen auch damit voll im Trend.

Die nach den Landtagswahlerfolgen der rechten Parteien angekündigte Öffnung der CDU/CSU nach rechts ist momentan in vollem Gange. Als ein Integrationsprogramm für rechtsradikale Mitläufer und latente Verfassungsfremde wird es sicher erfolgreich sein, bei wirklichen Extremisten gilt das Gleiche wie bei religiösen Hassfanatikern: Sie können nur mit Härte bekämpft werden. Re-demokratisierbare anti-demokratische Kräfte werden so hoffentlich wieder in das System integriert werden können, das ist zum Wohle der Demokratie und Deutschlands. Manch ein Ausländer, der nach Deutschland kam, weil er unser System als hervorragend ansah, hätte sich über so viel Aufmerksamkeit sicher gefreut.

Die wird ihm nun auch zuteil, denn der neue (Verfassungs-)Patriotismus soll nun ja auch auf sie ausgedehnt werden. Ministerpräsident Edmund Stoiber möchte die einbürgerungswilligen Ausländer (nachfolgend vereinfacht "Neu-Deutsche" genannt) auf die Verfassung schwören lassen. Selbstverständlich setzt dieses Vorhaben Kenntnisse über deren Inhalt voraus, welchen man praktischerweise gleich in der Deutschstunde behandeln könnte, die durchaus zu Recht gefordert wird. Das Beherrschen der deutschen Sprache hat ohne Zweifel ganz praktische Gründe (man kann zum Beispiel die Verfassung lesen). Welche der Schwur auf das Grundgesetz hat, hat noch niemand dargelegt.

Todesstrafe für deutsche Verfassungterroristen?

Man stelle sich einmal die Situation vor, in der ein "eingebürgerter Türke" sich mit seinem deutschen Nachbarn (nachfolgend vereinfacht Alt-Deutscher genannt) über die Folterandrohung des ehemaligen Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner unterhält. Der Neu-Deutsche könnte mit dem Grundgesetz argumentieren, der Alt-Deutsche aber findet das heute schon alles gar nicht so schlimm, ja ganz im Gegenteil: Der Zweck heiligt die Mittel, wenn es sein muss auch gegen die Verfassung - so denkt die Mehrheit der Bundesbürger in diesen Fällen.

Von der Folter bei der Bundeswehr kommt man dann recht schnell zur gerne mehrheitlich geforderten Todesstrafe, wahlweise für Kinderschänder oder Top-Terroristen, wobei man Letztere vor der Exekution auch foltern dürfen sollte, schließlich geht es ja um Menschenleben. Dies zeigt nur, dass die Mehrheit das Grundgesetz nicht kennt, und wenn es den kleinen emotionalen Kitzel will oder hat, Angst oder Freude, je nachdem, auch beiseite schiebt. Der spaltende Eid - Was soll er also bringen? Soll er bewirken, dass Bürger ausländischer Herkunft den Bürgern inländischer Herkunft - dann vielleicht sogar in besserem Hochdeutsch - die Verfassung erklären?

Dadurch würden sich neue Parallelgesellschaften bilden. Es tun sich Abgründe auf. Wenn der Gleichheitsgrundsatz der Verfassung dem Millionär dasselbe Kindergeld zuspricht wie dem Sozialhilfeempfänger, dann stellt sich laut diesem der Alt-Deutsche genauso gegen das Grundgesetz wenn er die Todesstrafe fordert, wie der Ausländer, der aus diesem Grund kein Neu-Deutscher werden dürfte. Würde das nicht eine Ausbürgerung zur Konsequenz haben müssen? Sind wir nicht alle vor Gott und dem Grundgesetz gleich? Oder weil sich viele gerne der Mehrheit zugehörig fühlen, sollte man einmal anhand einer Umfrage die Kenntnisse der Bundesbürger über die Grundlagen des Minderheitenschutzes im Grundgesetz abfragen. Auf die Ergebnisse könnte man gespannt sein.

Und was ist die Moral des flüchtigen Zeitgeistes? Die Verfassung als Grundlage unseres Gemeinwesens ist absolut notwendig, als Integrationsinstrument aber nur bedingt tauglich, und vor allem zu wenig bekannt, besonders Bundesbürgern. Anhand des unproblematischen Kurzschlusses von weltweitem Terrorismus und nationaler Integrationsdebatte lässt sich ablesen, dass Deutschland nach der angelaufenen Integration in den Weltmarkt, auch die Re-Integration in die Weltpolitik anstrebt, solche Kurzschlüsse aber keine Jahrzehnte alten innerdeutschen Probleme lösen helfen.