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Die Working Group on Internet Governance, die die künftige Verwaltung des Internet klären soll, ist abgeflogen

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Nun ist sie also gestartet die Working Group on Internet Governance (WGIG). Im Dezember 2003 wäre die erste Phase des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS) fast an dem Konflikt gescheitert, ob die Kern-Ressourcen des Internet weiterhin von der privaten Corporation ICANN verwaltet werden sollen oder ob das ganze Thema "Internet Governance" nicht einer UN-Organisation wie der ITU zugeschlagen werden soll (Kompromiss für UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft nach Verhandlungsmarathon gefunden). Der Kompromiss zwischen Chinesen und Amerikanern in letzter Minute war, UN-Generalsekretär Kofi Annan zu bitten, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die der 2. Phase des Gipfels im November 2005 in Tunis handhabbare Vorschläge unterbreiten sollte (Schattenboxen am East River).

Fast ein ganzes Jahr hat vor allem der Schweizer Diplomat Markus Kummer, der jetzt dem WGIG-Sekretariat in Genf vorsteht, hinter den Kulissen die Fäden gezogen. Mitte November 2004 hat Kofi Annan das jetzt aus 40 Personen bestehende Gremium berufen. Den Vorsitz übernahm der indische Diplomat Nita Desai, der nach seinem Rücktritt als stellvertretender UN-Generalsekretär fuer Kofi Annan als Internet-Berater aktiv ist. Acht Monate hat die Gruppe Zeit um einen Bericht zu erarbeiten, der Grundlage für eine Entscheidung in Tunis werden soll.

Eine Multistakeholder Gruppe

Bemerkenswert ist zunächst, dass Kofi Annan das in der WSIS-Deklaration verankerte Prinzip des "Multistakeholderims" sehr ernst genommen hat. Bei der Zusammensetzung der Gruppe folgte er nahezu wortwörtlich der Empfehlung des WSIS-Gipfels und konstitutierte die WGIG nicht als ein subsidiäres Regierungsorgan, sondern als eine sehr gemischte Gruppe. Zu nahezu gleichen Teilen sitzen jetzt Regierungsvertreter, Vertreter der privaten Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sowohl aus dem Süden als auch aus dem Norden nebeneinander. Eine solch ausbalancierte Zusammensetzung garantiert zwar noch keinen Erfolg, ist aber zumindest eine Gewähr dafür, dass nach der Vorlage des Berichts niemand aufstehen und sagen kann, er war nicht dabei und könne folglich den Bericht völlig ignorieren.

Auffällig ist allenfalls das im Unterschied zu den europäischen Regierungen (mit insgesamt vier Sitzen) sowie den Regierungen der Key Player Russland, Japan, Brasilien, Pakistan, Sädafrika und Ägypten weder die US-Regierung noch die chinesische Regierung offiziell in der Gruppe vertreten sind. Zwar geht Frau Hu im chinesischen Informationsindustrie-Ministerium ein und aus, formell aber ist sie Präsidentin der Akademie der Wissenschaften. Und Alan Miller, der die World Information Technology and Service Alliance vertritt, hat mehr als nur gute Kontakte zur US-Regierung. Immerhin aber haben sich die beiden Hauptkombattanten, die in ihren offiziellen Statements gegensätzlichen Prinzipien huldigen - "private sector leadership" durch die USA und "governmental leadership" durch China - Flexibilität geschaffen, um im Fall der Fälle sich etwas von dem zukünftigen WGIG-Report distanzieren zu können, wenn es denn irgendwann in 2005 zum Schwur kommen sollte.

Dritter Weg?

Inwieweit das Spektrum zwischen diesen beiden Polen mit einem vernünftigen "dritten Weg" einer "public-private Partnership", für die unter anderem die Europäische Union ficht, ausgefüllt werden kann, bleibt abzuwarten.

Die erste Sitzung, die vergangene Woche in Genf stattfand, produzierte zunächst erst einmal ein relativ produktives Klima. Keiner der 40 Mitglieder griff zu extremen oder radikalen Formulierungen, auch wenn die Unterschiede in einzelnen Positionen unübersehbar waren.

Das eigentliche interessante an der Auftaktveranstaltung war aber zunächst gar nicht so sehr die konkrete Positionierung, sondern die Praktizierung des "Multistakholderism" in einem vom UN-Generalsekretär abgesegneten Gremium. Regierungsbeamte untereinander sind einen anderen Diskussionsstil gewohnt als die durch Listserver trainierten Vertreter der Zivilgesellschaft. Die Diskussion der ersten Sitzung war dann auch ein bisschen so etwas wie ein "Clash of Cultures" und entfaltete sofort eine ebenso interessante wie eigenwillige Dynamik. Nachdem die Regierungsvertreter ihre meist in den heimischen Ministerien abgestimmten Vorschläge verlesen hatten, geriet die Diskussion bald weg vom Formalen und in die Hände derjenigen, die mit klaren Sachaussagen daherkamen.

Ja mehr noch, hatte während der WSIS I-Phase die Zivilgesellschaft immer wieder Offenheit und Transparenz sowie Zugang zu den geschlossenen Sitzungen der Regierungsgruppe gefordert, so waren es diesmal die nicht in der WGIG vertretenen Regierungen, die offene Sitzungen und freien Zugang forderten. Und - the irony of life - es waren dann die zivilgesellschaftlichen Vertreter in der WGIG, die dem Vorsitzenden Nita Desai vorschlugen, die geplanten "geschlossenen Sitzungen" weitgehend zu öffnen für sogenannten "Onlookers".

Es gibt jetzt also "offene" (mit Rederecht für Nicht-Mitglieder) und "geschlossene" Sitzungen von WGIG und bei den geschlossenen Sitzungen wird es "offene geschlossene" (mit Zugangs-, aber ohne Rederecht für Nichtmitglieder) sowie "geschlossene geschlossene" Sitzungen geben. Das mag kurios klingen, ist aber nicht ohne Pikanterie, denn das Prozedere könnte Schule machen. Man darf gespannt sein, wie die Regierungsvertreter die jetzt bei WGIG Offenheit fordern, reagieren, wenn die Zivilgesellschaft mit den gleichen Forderungen in der Schlussphase der Vorbereitung des Tunis Gipfels auftritt.

Vier Körbe

In der Sache selbst wurde bei der ersten Sitzung zumindest zwei wichtige Weichern gestellt. Erstens entschied sich die Gruppe zunächst für einen breiten Ansatz zum Thema "Internet Governance". Damit werden erst einmal alle moöglichen Themen von Domain Namen zu IP-Adressen, von Root Servern zu Internetprotokollen, von eCommerce zu eGovernment, von Spam zu Cybercrime auf einer Liste erfasst. Die insgesamt 43 Themen sollen dann in "vier Körbe" gepackt werden die sich aus der WSIS-Deklaration ergeben:

  1. die gerechte Verteilung von Ressourcen (das ist z.B. DNS und IP Adressen)
  2. Sicherheit und Stabilitaet des Internet (z.B. Root Server und Spam)
  3. Internet Zugang fuer alle (Infrastruktur, Tarife, Ausbildung)
  4. Multiligualism und kulturelle Vielfalt (Informaitonsfreiheit etc.)

Innerhalb der vier Körbe sollen dann Prioritäten gesetzt und ermittelt werden, wo welche Akteure welche Rolle spielen oder zukünftig spielen sollen. Die WGIG vermied es, sich in die Rolle drängen zu lassen - die ihr ITU-Generalsekretär Utsumi zu Begionn vorgeschlagen hatte -, lediglich darüber zu befinden, ob ITU oder ICANN "the king of the Internet" werden soll. Antizipiert ist vielmehr offensichtlich ein diversifizierter Governance Mechanismus in dem alle möglichen unterschiedlichen Rechtssubjekte miteinander kooperieren. Ein solcher Mechanismus würde übrigens wohl am ehesten die flache und diversifizierte technische Architektur des Internet spiegeln und passt wohl so am ehesten ins 21. Jahrhundert.

Aber noch ist es nicht so weit. Erst einmal muss WGIG fliegen. Zwei Zwischenstopps - im Februar und April 2005 - sind geplant, bevor sich die 40 WGIG-Mitglieder fertig machen müssen zur Landung. Und ob das dann im Juli 2005 eine Bruchlandung wird oder ob man Nita Desai mit seinen Mannen und Frauen mit Girlanden an der WSIS-Gangway empfangen wird, dass wissen momentan weder Piloten noch Passagiere.