Der gläserne Patient im Alpenland

Österreichs Regierung bereitet ein Gesetz vor, das den Bürger de facto entmündigt

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Unter dem sperrigen Titel Gesundheitstelematikgesetz wird in Österreich die Rechtgrundlage zum umfassenden Austausch sensibler Personendaten geschaffen. Gesundheitsdienstanbietern soll der Zugriff auf sämtliche Gesundheitsdaten unkontrolliert ermöglicht werden. Österreichs Opposition und Datenschutz-Aktivisten sind empört.

Nachdem schon die sogenannte Bildungsevidenz - eine Verordnung, wonach zahlreiche Daten jedes einzelnen österreichischen Schülers sechzig Jahre lang gespeichert werden sollen (Von der Wiege bis zur Bahre...) - bereits für erheblichen Unmut in Österreich gesorgt hat, protestieren Datenschützer und Opposition jetzt gegen einen weiteren Schritt in Richtung Totalkontrolle des Bürgers.

Ein Hauptkritikpunkt an dem Entwurf des Gesundheitstelematikgesetzes ist die umfassende Liste der Gesundheitsdienstanbieter, denen Zugriff auf sensible Patientendaten eingeräumt wird. Nicht nur Ärzte, Ambulanzen, Labors und Spitäler bekommen nämlich Zugriffsrechte. "Auch Privatversicherungen, von einem Betrieb angestellte Mediziner und alle Verwaltungsbehörden, die mit Abrechungsfragen beschäftigt sind fallen unter diese Gesundheitsanbieter", zeigt Hans Zeger, Mitglied des österreichischen Datenschutzrates, das Problem auf. "Damit erlangen nicht nur Personen Zugang zu höchstsensiblen Informationen, die auf Grund ihrer Ausbildung und des Standesrechts zur Heilung der Patienten verpflichtet sind, sondern die ganz andere, oft bloß wirtschaftlich begründete Interessen haben und die durch den Zugang zu den Gesundheitsinformationen Stellenbewerber oder Antragsteller für Versicherungsleistungen ausschließen können."

Auch die Liste der gesundheitsbezogenen Daten ist lang. Neben Arzneimittel, Diagnosen und Therapien würden auch alle Pflegemethoden, Lebensgewohnheiten und Umwelteinflüsse, aber auch alle Abrechnungs- und Kostendaten fallen, erklärt Zeger. Dass es dem österreichischen Gesetzgeber nicht ausschließlich um die Daten zu Erkrankungen einer Person geht, ist in den Erläuterungen zum Gesetzestext explizit festgehalten:

Mit der WHO-Definition von Gesundheit (Zustand des völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen) wird deutlich, dass Gesundheitsdaten nicht mit Krankheitsdaten gleichzusetzen sind. In Z 1 des Entwurfes wird daher einerseits klar gestellt, dass unter Gesundheitsdaten auch Vorsorge-, Verrechnungs- und Versicherungsdaten zu verstehen sind. (...) Mit lit. c werden Datenarten bezeichnet, die bei Bedarf im Rahmen der medizinischen Diagnostik erhoben werden und andererseits Sachverhalte - z.B. Daten über das Sexualleben, die dem Begriff "Lebensgewohnheiten" zuzuordnen sind - betreffen, die selbst Gegenstand medizinischer Fragestellungen sein können.

Totale Personenkontrolle?

In der Praxis heißt das, dass Augen-, Zahn- und sogar der Betriebsarzt auch Einblick in das Sexualleben eines Österreichers oder einer Österreicherin bekommen kann. Für Hans Zeger ist es nicht nachvollziehbar, warum der "Augenarzt automatisch von einer Zahnbehandlung erfahren sollte oder psychische Diagnosen an alle Gesundheitseinrichtungen verbreitet werden". Im gesamten Entwurf werde der Patient, um dessen Daten und Rechte es geht, kein einziges Mal erwähnt, nicht einmal Patientenanwälten werden irgendwelche Kontroll- oder Einsichtsrechte in diesen Verbund eingeräumt:

Damit wird das Ärztegeheimnis auf kaltem Weg abgeschafft. Dieses ist ein höchstpersönliches Recht und muss in jedem Einzelfall vom Patienten für eine Datenweitergabe zwischen Ärzten bzw. medizinischen Einrichtungen erteilt werden.

Einen ersten Vorstoß zum Gesundheitstelematikgesetz gab es bereits im Sommer 2002. Danach wurde es still. Was nun vorliegt, ist eine weiterer Schritt in Richtung Totalüberwachung des Bürgers. Die oppositionellen Sozialdemokraten (SPÖ) kritisieren, dass das Gesundheitstelematikgesetz am Datenschutzrat "vorbeimanipuliert" worden wäre. Es seien weder die Ärztekammer oder die Apothekerkammer, noch der Patientenanwalt, die Sozialversicherungsträger oder die Opposition mit diesem Gesetzesentwurf befasst worden, kritisierte der SPÖ-Konsumentenschutzsprecher. Dieser Entwurf widerspreche außerdem den europäischen Datenschutzrichtlinien. Ein Hauptproblem sind aus Sicht des SPÖ-Konsumentensprechers die Daten des Erbgutes, die ebenfalls abgespeichert werden können. Das Gesetz soll bereits am 9. Dezember mit der Stimmenmehrheit der Regierungsparteien FPÖ und ÖVP im Parlament abgesegnet werden.

"Wird das Gesundheitstelematikgesetz in der vorliegenden Form beschlossen, werden es die ungenügenden Protokollierungsbestimmungen im Datenschutzgesetz dem Patienten völlig unmöglich machen herauszufinden, wer seine Gesundheitsdaten hat", warnen Dateschützer. Besonders empört zeigt sich die Arge Daten darüber, dass Verstöße gegen die im Gesetz vorgesehenen "an sich lockeren" Datensicherheitsbestimmungen bis 31.12.2007, also drei Jahre lang, ungeahndet bleiben sollen.

Für Hans Zeger ist die Diskussion von "technokratischen Aspekten" beherrscht. Auf einer Tagung des österreichischen Gesundheitsministeriums schwärmte ein Referent sogar von einem "lebensbegleitenden elektronischen Akt" der zentral verwaltet wird. "Die Debatte ist bestimmt vom technisch Machbaren, nicht vom gesundheitspolitisch Wünschbaren", kommentiert Zeger. Seiner Ansicht nach wird von der österreichischen Regierung derzeit ein "geradliniges Konzept zur totalen Personenkontrolle" verfolgt:

Nach dem zentralen Melderegister und dessen privatwirtschaftlichen Verwertung ("Business-Unit"), dem Bildungsdokumentationsgesetz mit Mindestspeicherdauer von Schulverhalten zumindest bis zum 75. Lebensjahr und einem E-government-Gesetz, das es dem Innenminister ermöglicht von jedem elektronisch abgewickelten Behördenkontakt in Österreich zu erfahren, ermöglicht das Gesundheitstelematikgesetz den Durchgriff auf alle Gesundheitsdaten. Idealerweise leicht verknüpfbar mit der Sozialversicherungsnummer.