Aus Tauschbörsen Bezahldienste machen

Wie Napster Gründer Shawn Fanning Peer-to-Peer-Technologie und Musikindustrie miteinander versöhnen will

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Shawn Fanning, Gründer der ehemals kostenlosen Musiktauschbörse Napster, ist wieder da. Im Gepäck hat der Napster-Gründer ein Konzept, mit dem der bisher illegale Tausch urheberrechtlich geschützter Musiktitel über Musiktauschbörsen legalisiert werden könnte. Fanning glaubt, mit seiner Firma Snocap Tauschbörsen und Musikindustrie miteinander versöhnen zu können. Seine Firma soll dabei als Bindeglied zwischen den Rechteinhabern einerseits und den Tauschbörsen sowie deren Nutzern andererseits fungieren. Kritiker bezweifeln, ob Fannings Modell funktionieren kann.

Snocap will in Zusammenarbeit mit den gängigen Musiktauschbörsen einen kostenpflichtigen Musikdownload organisieren. Die etablierten Online-Musikläden könnten nur auf ein vergleichsweise geringes Repertoire zurückgreifen, begründet Fannings seine Geschäftsidee, während die Tauschbörsen aus einem nahezu unerschöpflichen, allerdings weitgehend illegalen Titelfundus schöpfen könnten, was der Musikindustrie erheblich gegen den Strich geht.

Fanning will seine Firma deshalb als Lizenzierungsplattform zwischen Rechteinhaber und Tauschbörsennutzer schalten. Die Tauschbörsennutzer liefern das Repertoire, Snocap kümmert sich um die Rechte, und die Rechteinhaber bestimmen, wie ihre Musik vermarktet wird. Sie setzen die Preise fest, bestimmen das Audio-Format und legen per eigenem DRM beispielsweise fest, wie viele Kopien von einem Titel angefertigt und gebrannt werden dürfen. Die Tauschbörsen schließlich kassieren von den Nutzern eine Downloadgebühr, die sie mit den Rechteinhabern und Fannings Lizenzierungsfirma teilen müssen.

Fannings Firma wird zur Lizenzierungsplattform

Die Idee ist im Prinzip recht simpel: Die Musikindustrie bzw. die Inhaber von Urheberrechten melden ihre Musikkataloge bei Snocap an. Alle Musiktitel, die in den angeschlossenen Musiktauschbörsen von Usern angefordert werden, werden bei Snocap zunächst überprüft, ob sie überhaupt legal getauscht werden dürfen. Jeder bei Snocap angemeldete Titel erhält nach einem von Philipps lizenzierten Verfahren einen digitalen Fingerabdruck, der auf seiner Geräuschcharakteristik beruht. Auch illegale Kopien lassen sich dadurch erkennen. Ein zum Tausch angebotener Musiktitel wird vor seinem Download mit den Titeln in der Snocap-Datenbank verglichen. Ein Download findet nur für Titel statt, die im Snocap-System registriert sind.

Damit dieser Vorgang funktionieren kann, müssen die Musiktauschbörsen ihre Software anpassen. Aber das ist nur die eine, die technische Bedingung, die laut Fanning problemlos zu realisieren sei. Die zweite vermutlich wichtigere Bedingung, ohne die Fannings Lizenzierungsplattform nicht funktionieren kann, ist: Sowohl die Musikindustrie als auch die großen Tauschbörsen müssen bereit sein, Fannings kommerzielles Lizenzierungsspielchen mitzuspielen.

Das Lizenzierungsproblem ist keineswegs gelöst

Der erste Trumpf, den Fannings aus dem Ärmel ziehen konnte, heißt Universal Music. Offenbar ist es Fannings gelungen, diesen Musikkonzern für sein Geschäftsmodell zu gewinnen und einen Lizenzierungsvertrag abzuschließen. Die anderen drei großen Musikkonzerne halten sich noch bedeckt. EMI hat zwar bestätigt, dass Gespräche stattgefunden haben. Ein konkretes Ergebnis hat es aber offenbar noch nicht gegeben. Bei Sony BMG und Warner Music heißt es derzeit: Kein Kommentar.

Eine der Ursache für diese Zurückhaltung mag darin liegen, dass Lizenzierung ein reichlich komplexer Vorgang ist. Will Snocap wirklich die angepeilte Lizenzierungsbreite und damit ein möglichst großes Titelangebot erreichen, müssen nicht nur die vier Großen der Musikindustrie, sondern auch die unzähligen kleinen unabhängigen Labels sowie diejenigen Künstler für Fannings Geschäftsmodell begeistert werden, die ihre Rechte in eigener Regie verwalten.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Peer-to-Peer-Netzwerke keine Landesgrenzen kennen, die Rechtevergabe aber durchaus länderspezifisch geregelt ist. So kann Künstler A in den USA bei Universal, in Europa aber bei Sony BMG unter Vertrag sein. Soll Künstler A über Snocap vertrieben werden, müsste sich die Firma sowohl mit Universal für die US-Rechte als auch mit Sony BMG für die Europa-Rechte einigen – ein Zeit raubendes, aufwändiges, rechtlich aber nötiges Verfahren. Denn auch die Alternative, User aus Ländern, für die Snocap keine Rechte erworben hat, per IP-Adresse auszufiltern, ist nur begrenzt realisierbar. AOL-Nutzer beispielsweise erhalten weltweit IP-Adressen zugewiesen, die sie als US-Bürger ausweisen – auch wenn sie in Europa leben. Kurzum: Das Lizenzierungsproblem ist bisher noch keineswegs gelöst.

Die Musikindustrie favorisiert Online-Läden à la I-Tunes

Die Musikindustrie scheint Fannings Konzept gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen zu sein – zumindest nach außen hin. Kann man doch auf diese Weise demonstrieren, dass man der Peer-to-Peer-Technologie keineswegs völlig ablehnend gegenübersteht. Kritiker wie Fred Von Lohmann, Anwalt der US-Konsumentenschutzorganisation EFF, sehen in der Peer-to-Peer-"freundlichen" Haltung der Musikindustrie allerdings eher eine gezielte Propagandastrategie als ein wirkliches Engagement für Fannings Geschäftsidee oder andere Peer-to-Peer-Modelle wie "Peer Impact" oder "Mashboxx".

Die Musikindustrie zeige ihren "guten Willen", das Musiktauschbörsenproblem einvernehmlich lösen zu wollen. Wenn Snocap oder die anderen Peer-to-Peer-Modelle scheitern, könne die Musikindustrie sagen, man habe es zumindest versucht.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Musikindustrie in ihrer Online-Strategie grundsätzlich längst festgelegt hat. Ihre Unterstützung gilt primär dem bereits etablierten Modell der Online-Musikläden à la I-Tunes, Napster und Co. Alle anderen von der Musikindustrie gestützten, legalen Peer-to-Peer-Modelle lassen sich lediglich als Teil einer öffentlichkeitswirksamen Umarmungsstrategie interpretieren. Lohmann wirft noch eine zweite Frage auf: Eine Musiktauschbörse, die Fannings Modell akzeptiert und ihre Software entsprechend ändert, liefere sich einem "wenig transparenten", zentralen Netzwerk aus, das ihre Inhalte sowie die Aktivitäten ihrer User vollständig kontrolliere. Warum sollte sie das tun?

Diese Frage lässt sich auch auf die Nutzer von Musiktauschbörsen erweitern: Warum sollten sich User, die beispielsweise kopiergeschütztes, also widerrechtlich kopiertes Material anbieten, freiwillig der umfassenden Kontrolle durch Snocap ausliefern? Was geschieht mit den Daten, die Snocap über seine User sammelt? Die Firma bräuchte nur eins (IP-Adresse) plus eins (illegal kopierte Musiktitel) zusammenzuzählen und könnte jeden Urheberrechtsverstoß gerichtsverwertbar dokumentieren.

Tauschbörsenfirmen halten sich bedeckt

Es darf deshalb kaum verwundern, dass beispielsweise die Firma Sharman Networks, Betreiber der Musiktauschbörse Kazaa, derzeit noch jeden Kommentar verweigert. Anders Michael Weiss vom Morpheus-Betreiber Streamcast. Der Streamcast-Chef gibt offen zu, dass er von Fannings Idee nicht sonderlich beglückt ist. Weiss spielt auf die zentrale Struktur des alten, auf Druck der Musikindustrie abgeschalteten Napster-Netzwerkes an und meint, die Idee, dezentral organisierte Tauschbörsen über ein zentrales Netzwerk kontrollieren zu wollen, sei überholte Technik von gestern. Außerdem sei er nicht sicher, ob die Snocap-Technologie überhaupt problemlos mit der Morpheus-Software zusammenarbeite.

Von anderen etablierten Tauschbörsen liegen noch keine Stellungnahmen vor, was darauf schließen lässt, dass die Bereitschaft, sich auf Fannings Geschäftsmodell einzulassen, nicht sonderlich groß zu sein scheint.

Soweit ersichtlich gibt es mit dem neuen Peer-to-Peer-Service MashBoxx erst eine einzige Tauschbörse, die definitiv mit Snocap zusammenarbeiten will. Diese Tauschbörse wird von Sony BMG unterstützt. Sie soll Anfang nächsten Jahres online gehen und Titel aus dem Sony-BMG-Katalog kostenpflichtig anbieten. Ein weiteres kostenpflichtiges "Peer-to-Peer"-Projekt der Musikindustrie hört auf den Namen "Peer Impact". Es wird von der US-Firma Wurld Media aufgezogen, soll ebenfalls nächstes Jahr an den Start gehen, wird von den drei großen Konzernen Universal Music, Sony BMG und Warner Music unterstützt und läuft unter dem beziehungsreichen Slogan: "Es zahlt sich aus zu teilen."