In Sex oder Gewalt liegt manchmal eine Art Erlösung

Hart und glasklar: "Samaria", Kim Ki-Duks Schulmädchenreport der anderen Art

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Vieles in Korea scheint sich von unseren Verhältnissen zu unterscheiden: Es gibt ein anderes Wetter, anderes Licht, das Leben der Landbevölkerung prägt den Alltag, wie die buddhistische Religion; man isst viel Fisch, und die Behausungen vieler Menschen sehen im Vergleich zur unserigen glänzend lackierten Industriemoderne seltsam heruntergekommen aus, ein bisschen altmodisch, aber auch manchmal dreckig und verwahrlost. Und dann sind da noch die Amerikaner. Man vergisst leicht, wie stark die US-Militärpräsenz dort seit dem Koreakrieg der 50er Jahre doch noch ist, auch abseits vom 38. Breitengrad, der das Land seit damals in zwei ungleiche Hälften teilt. Kalter Krieg, geteilte Familien, und im Gefolge spürbare Identitätskrisen - es gibt mehr Verwandtschaften zwischen Deutschen und Koreanern, als es auf den ersten Blick scheint. In den Filmen von Kim Ki-duk ist all dies präsent. Ferne und Nähe der Erfahrungen verbinden sich zu einer seltsamen Gefühlsmischung, die den jungen Regisseur für die Filmszene der Gegenwart besonders attraktiv macht. Jetzt kommt sein neuester Film, "Samaria" ins Kino - eine Passionsgeschichte, mit der Kim bei den Berliner Filmfestspielen den Silbernen Bären gewann.

"Samaria" ist kein moralischer Film. Aber er setzt die Massstäbe für die Moral neu. Er hinterfragt: was ist überhaupt Moral? Moral ist ja ein Massstab der Gesellschaft. aber niemand kann allen Forderungen der Gesellschaft gerecht werden. Deshalb geschehen viele Dinge, die keineswegs moralisch sind.

Kim Ki-duk

Unschuld im Ausdruck, Schuld im Tun - verträumt gehen zwei junge Schulmädchen in einem Park spazieren. Verspielt und verführerisch wirkt die eine, scheu und spröde ihre Freundin. Schnell verstehen wir und wundern uns doch nur noch mehr. Denn beide haben ein weiteres, geheimes Leben, von dem nur sie etwas wissen dürfen: Jae-young arbeitet neben der Schule als Prostituierte. Sie scheint daran sogar gewissen Spaß zu haben, bleibt rein und irgendwie unberührt. Ganz anders geht es Yeo-Jin, über die wir mehr erfahren. Sie verachtet die Freier und ist, wenn man so will, die Zuhälterin ihrer besten Freundin, der sie in einer merkwürdigen, unausgesprochenen Liebe verbunden ist. Gemeinsam träumen sie beide von einer Reise nach Paris, vom Weggehen, vom Glück der Freiheit. Jae-young ist alles, was für Yeo-Jin zählt. Ihre Mutter ist lange tot, sie lebt allein mit ihrem liebevollen Vater. Als ihre Freundin stirbt, bricht für Yeo-Jin eine Welt zusammen. Trost findet sie nur auf eine Weise, die ihr Vater nicht verstehen kann...

Früher hat er lebende Frösche zerteilt, Hunde verprügelt, seine Figuren Angelhaken erst essen, dann sich selbst wieder herausziehen lassen, Blut, Sperma und Urin in größeren Massen vergossen, und mit alldem die Besucher internationaler Festivals gehörig schockiert - ungesehene, einfallsreiche, an Höhepunkte der europäischen Avantgarde anknüpfende Bilder. Seit kurzem nun dreht der koreanische Autorenfilmer Kim Ki-Duk etwas andere Werke: zärtlich-poetische Etüden, ebenso buddhistisch wie französisch angehaucht, mit zarten Satie-Klängen im Hintergrund, aber immer noch wunderschön, voller visueller und erzählerischer Originalität und eigentümlich verstörender Kraft. Kim zeigt eine Welt, die eine Hölle ist, in der es von Anfang an keinen Ausweg gibt, nur Sehnsucht. Und nur in Sex oder Gewalt liegt manchmal eine Art Erlösung, zumindest für Augenblicke.

Guerilla-Style und neue Welle in Korea

Er ist der dem westlichen Publikum bekannteste Repräsentant des "Korean New Wave", des Aufbruchs, den das südkoreanische Kino im letzten Jahrzehnt erlebt. Seitdem Park Chan-wook nach anderen aufsehenerregenden Filmen ("JSA", "Sympathy for Mr. Vengeance") mit der furiosen Rachestory "Old Boy", einer Art "Kill Bill" auf koreanisch, aber voller sozialer Bezüge, in Cannes den zweitwichtigsten Preis gewann, weiß es jeder: Korea ist das zu Zeit vielleicht interessanteste Filmland, das noch im allgemeinen Aufbruch des asiatischen Kinos hervorsticht. Neben Kim und Park gibt es noch eine Handvoll weiterer hochinteressanter Regisseure, die alle zwischen 30 und 45 Jahre alt sind, und das Kino ihrer Heimat in den nächsten zwei Jahrzehnten prägen werden: Ob Bong Joon-ho, der mit "Memoires of Murder", einer wunderschönen Mischung aus politischer Parabel und Burleske, alle Stereotypen des Serienkillergenres ad absurdum führt, Kang Lone mit seinem Debüt "Looking for Bruce Lee!", einem Mord-Thriller, bei dem die erfolgreiche Überführung des Täters die Kenntnis der Filme der Hongkonger-Kung-Fu-Legende voraussetzt, oder Hung San-soo mit seinen ans französische Autorenkino erinnernden ruhigen Liebesgrotesken "Turning Gate" und "Woman is the Future of Man", oder alle anderen koreanischen Filmemacher, die einem auf den europäischen Festivals der letzten Jahre und manchmal auch im normalen Kinoverleih begegnen und die man hier noch nennen müsste - es sind vor allem visuell bezaubernde Werke, die zugleich in hochintelligenter Weise Geschichte und Gegenwart ihrer Heimat reflektieren. Bei allem in Europa immer noch wirksamen Fremdheitseffekt findet diese neue Generation auch im Westen ein aufgeschlossenes Publikum, das sich von ihren Filmen ganz unmittelbar ansprechen lässt. Oft sind es ganz atemberaubende, virtuose Bilder, mit denen hier Emotionen sichtbar gemacht werden - hochkompliziert und doch von unmittelbarer poetischer Kraft.

Auch dieser Boom ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat ökonomische Voraussetzungen: Im wirtschaftlich boomenden Südkorea werden Filmproduktionen durch Kredite zu Sonderkonditionen und Steuererleichterungen begünstigt. Die früher massive Zensur ist eng begrenzt. Viele Filmemacher haben einen Auslandsaufenthalt in Europa hinter sich: Park Chan-wook studierte deutsche Philosophie und nennt - man sieht das seinem Werk an - Nietzsche als Lieblingsphilosophen. Kang Lone studierte in Paris und Kim Ki-duk schlug sich drei Jahre in Montpellier als Touristenmaler durch.

Ich habe von 1990 bis 1993 in Frankreich und Westeuropa ungefähr zwei Jahre lang wie ein Vagabund gelebt. Das hat mich von vielen Gewohnheiten Koreas befreit. Diese Zeit hat mir die Kraft gegeben, viele Beschränkungen Koreas zu überwinden. Vieles in Korea ist an Macht, Geld, Materialismus gekoppelt. In Europa wurde mir klar, dass der eigene Wille mehr zählt. Erst das hat mir geholfen, zu einem Regisseur zu werden. Ich habe Bilder gemalt, und diese Bilder, die vieles meiner inneren Welt ausdrücken, sind immer noch ein Material für meine Filme.

Kim Ki-duk

Kim bleibt in alldem zugleich ein Sonderfall, eine klare Ausnahme. Ein Singulär. Abseits der Filmindustrie, abseits aller Moden und über lange Zeit weit entfernt von den Erwartungshaltungen, die hierzulande gegenüber anspruchsvolleren asiatischen Filmen bestehen, geht der 1960 geborene Regisseur seinen merkwürdigen, sehr persönlichen, künstlerisch beispiellosen Weg. Scheinbar ganz konsequent, unbeirrt und unbeeinflusst, dreht er zur Zeit pro Jahr mehr als einen Spielfilm, unter auch für Korea ungewöhnlichen Bedingungen - kleines Budget, kleines Team, sehr wenig Drehtage - unter denen hierzulande kaum ein Filmhochschüler bereit wäre, seinen Abschlußfilm zu realisieren. Während das durchschnittliche Budget eine koreanischen Films bei zwei bis drei Milllionen US-Dollar liegt, und die Produktionszeit bei drei bis sechs Monaten, benötigte Kim für seinen vorletzten Film "Samaria" nur 400.000 US-Dollar, und 13 Drehtage - von "Guerilla-Style-Filmmaking" spricht sein Produzent. Trotzdem gelingen ihm seltsam verstörende, gerade darin aber auch wieder sehr wahrhaftige, filmisch bestechende Kinowerke.

Alpträume aus Gewalt und Sexualität

Mitte der 90er Jahre begann er. "Birdcage Inn" war 1998 bei der Berlinale sein erster internationaler Auftritt. Davor waren zwei Filme - "Crocodile" (1996), "Wild Animals" (1997) - entstanden, die nur auf Spezialfestivals einem westlichen Publikum zugänglich waren. Die Verquickung von Sexualität und Gewalt, beide in direkter, mitunter roher Weise auf die Leinwand geworfen, und das existentielle Panorama eines menschlichen Lebens, das unvermeidlich zwischen persönlicher Passionen und unvermeidlicher Korruption hin und her gerissen ist, steht schon hier im Zentrum. Am zwingendsten zeigte das vielleicht "The Isle", der 2000 in Venedig im Wettbewerb lief und zwar keinen Preis gewann, aber zum Skandalerfolg des Festivals wurde und Kim Ki-Duk international zum Durchbruch verhalf.

Die Geschichte spielt ausschließlich an einem ruhigen See, rund um ein paar Hausboote. Urlauber kommen zum Angeln und Entspannen her, doch die Herrscherin ist Hee-Jin, eine junge Frau, die nur redet, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Sie lebt ein Doppelleben, einerseits ist sie den Gästen gegen Bares bei den Sorgen des Alltags gefällig, zu denen am Abend auch sexuelle Dienstleistungen gehören, die sie mit der gleichen Sachlichkeit erledigt, mit der sie Stunden zuvor eine warme Suppe brachte. Zugleich taucht sie durch den See und - einer bösen Nixe gleich - unverhofft unter ihren Gästen auf, um sie klammheimlich zu verwunden und unerkannt wieder zu verschwinden. Am Ufer hat diese heimliche Herrin des Sees einen Vogel gefangen, den sie liebevoll füttert; sonst beobachtet sie und schweigt. Eines Tages zieht ein junger Mann in eines der Häuser ein, der von heftigen und gewaltsamen Alpträumen gequält wird. Bald nähern sie sich an, und irgendwann, als es gerade heftig regnet, kommt sie und bleibt. Sie bleibt auch, als er sich sträubt, auch noch, als er - um sie fortzuweisen - Besuch von einer Hure erhält, und selbst dann, nein: erst recht, als er sich durch das Verschlucken von Angelhaken grausam selbst verstümmelt. Sie rettet ihn, operiert ihn ohne Narkose, holt die Haken aus seinem Rachen, füttert ihn. Das alles musste gezeigt werden, weil diese Geschichte einer Amour Fou mit sadomasochistischen Zügen, erst dadurch wirklich wieder zu dem wird, was einmal "fou" hieß: Unbegreiflich, wild, schockierend, abstoßend, und gerade in all dem auch faszinierend - weil man eine Wahrhaftigkeit spürt, begreift, dass es hier nicht darum geht, durch oberflächliche Provokationen von sich reden zu machen, sondern darum, innere Wahrheiten zu zeigen, und Bilder für eine märchenhafte Liebe zu finden, die weder traditioneller Moral, noch den Geboten der Rationalität folgt. Und genau dies - durch zwingende, faszinierende, unvergessliche Bilder und neue Erfahrungen zu bieten, ist es, was man von guter Kunst zuallererst erwarten muss. Und gerade von "den Angelhaken" in "The Isle" reden manche noch nach Jahren.

Oder von den Hunden. In "Adress Unknown", der ein Jahr später gleichfalls im Wettbewerb von Venedig lief, werden sie gequält, geschlagen, bei lebendigem Leib geschlachtet. Der Film spielt im Korea der späten 70er und 80er Jahre, erzählt vom brutalen Alltag eines Hundesmetzgers und einer Gruppe von Menschen, die alle irgendwie mit einer Militärkaserne der amerikanischen Besatzungsmacht zu tun haben. An dieser grotesken Parabel auf die desillusionierte südkoreanische Gesellschaft und ihr prekäres Verhältnis zu den USA zeigt sich, dass die existentielle Diagnose bei Kim Ki-Duk immer auch Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft ist.

Man wird diesem Regisseur, wie auch den meisten anderen Repräsentanten der "Korean New Wave" - etwa "Old Boy"-Regisseur Park Chan-wook - nur gerecht, wenn man die dichte Verflechtung von individueller Vergangenheit und der politischen wie kulturellen Geschichte Koreas berücksichtigt, insbesondere die Nachwirkung der japanischen Besatzung und die Folgen des Koreakriegs, der Teilung des Landes und der nicht immer nur schützende und segensreiche Einfluß der USA. Die Bezüge darauf sind in fast allen Filme Kims direkt, wenn auch unaufdringlich präsent, sie sind für das Verständnis seines Werks wichtiger, als dies vergleichsweise für das Verständnis der Filme der meisten europäischen Filmemacher.

Kim zeigt das Korea von heute. Viel Landwirtschaft, die allerdings zusehends von Industrialisierung und Moderne in Mitleidenschaft gezogen wird. Vor allem zeigt er soziale Realität: Die Brutalität auf dem Land. Frauen, die sich prostituieren. Hundemetzger bei der Arbeit. Amerikanische Besatzer, die die koreanische Bevölkerung verachten und ausnutzen.

Realismus und Klischee, Geschichte und Mythos

Wie in keinem zweiten Film reflektiert der Regisseur in "Adress Unknown", dem einzigen seiner Filme, die in einer klar definierten Vergangenheit spielen, auch Erfahrungen seiner eigenen Kindheit: Als Sohn eines Soldaten und Veteranen des Koreakriegs bezeichnet Kim seine Erziehung als "streng militärisch": Schläge gehörten zur Tagesordnung. Später dann, als er fünf Jahre lang in einer Eliteeinheit der Armee diente, erlebte er Ähnliches. Was die Darstellung von Gewalt in allen Filmen Kim Ki-Duks so wirkungsvoll und einmalig macht, ist ihre Authentizität. Gewalt bei Kim ist roh, direkt und unverstellt. Sie wird deutlich gezeigt, aber nie genossen. Sie ist ein körperlicher Ausdruck von Erfahrungen der Figuren eine Form von Offenheit und dabei zugleich eine weise des Umgangs mit traumatischen Erlebnissen.

"Bad Guy"

Dann kam "Bad Guy". Bei der Berlinale fiel der Film durch, in Süd-Korea wurde er 2002 einer der erfolgreichsten des Jahres. Erzählt wird einmal mehr von einer amour fou, der gewaltgeprägten, aber ganz unschuldig-unmittelbaren Liebe eines Zuhälters zu einer Schülerin aus bürgerlichen Verhältnissen, die er zur Prostituierten macht. Auch hier schönt Kim keine einzige der vielen Wunden der zeitgenössischen koreanischen Gesellschaft. Wenn es wieder einmal um Prostitution geht, so ist an Kims Aussage zu erinnern, dass seiner Ansicht nach nahezu alle Beziehungen zwischen Männern und Frauen eine Form der Prostitution darstellen. Auf diese Themen - amour fou, Prostitution, die Frage nach den Maßstäben für Moral, dem Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Forderungen und individuellem Bedürfnis und dem, was in einer konkreten Situation Moral heißt - kommt Kim auch in seinen letzten beiden Filmen "Samaria" und "Binjip" zurück.

Wir machen unausweichlich viele Fehler. Kim Ki-duk

"Samaria", mit dem Kim in Berlin gewann, liegt noch am nächsten dran an Filmen wie "The Isle" oder dem unterschätzten "Adress Unknown". Hart und glasklar erzählt er seine Passionsgeschichte: Ein Tryptichon. Der erste Teil, "Vasumitra", benannt nach einer legendären indischen Prostituierten, die ihre Freier durch die Kraft des Sex in Gläubige verwandelt haben soll, erzählt die Freundschaft der Mädchen Jae-young und Yeo-Jin. Im zweiten Teil, der Samaritergeschichte "Samaria" sucht Yeo-Jin Erlösung, indem sie die - vermeintlichen - Leiden ihrer Freundin auf sich nimmt, und dadurch Wiedergutmachung der Sünde sucht. Sie bedient die alten Freier, doch zahlt sie ihnen ihr Geld zurück.

Eines Tages entdeckt sie ihr liebevoller Vater, der von all der Vorgeschichte nichts weiß. Verzweifelt verfolgt er sie und bedrängt die Freier der Tochter. Einen der Ex-Freier treibt der Vater in den Selbstmord, einen anderen bringt er um. Nur eine Variante des Erlösungsmotivs. Ein Eindringling in die Verhältnisse bürgerlicher Sicherheit, zu der die Verlogenheit heimlicher Puffbesuche ebenso gehört wie die trügerische Hoffnung auf moralische Reinheit, die Vater und Tochter gemeinsam haben. Der "Intruder" ist eigentlich ein altes Thema des US-Kinos, doch Hollywood steht immer ganz auf Seiten der bedrohten Familien. Kim Ki-Duk hat mehr Verständnis für die andere Seite, macht zugleich deutlich, dass hier in der Gewalt viel Zärtlichkeit liegt, dass einer das zerstört, nach dem er sich heimlich sehnt.

Zugleich wird auch unübersehbar, dass die verschiedenen Erwartungen, die Menschen aneinander stellen, immer fehlgehen, immer unangemessen sind, weil sie eigentlich nie den anderen, sondern immer nur einen selber meinen. Das galt schon für Yeo-Jins Verhältnis zu Jae-young. Dieser dritte Teil, der in eine hochemotionale Vater-Tochter-Fahrt aus der Stadt heraus in eine unberührte Berglandschaft mündet, heißt "Sonata", tatsächlich nach dem Autotyp, der hier benutzt wird. Und nun wird die archetypische kraftvolle Tragödie über moralische Missverständnisse, die immer von einer latenten Bedrohung geprägt ist, zum Film über den Wert des Verzeihens. Zutiefst humanes Kino als moralische Anstalt, aber ohne moralischen Zeigefinger, stilistisch elegant, und ganz visuell, mit vielen Anklängen ans französische Kino, und unaufdringlichen Verweisen an die Songs von Serge Gainsbourgh und die Romane Boris Vians, ist diese wahnsinnige Liebesgeschichte ein neuer Ausdruck für die Stärke des koreanischen Kinos. Hier kommt es auf jede Nuance an, werden Zumutung und Tabubruch zur künstlerischen Tugend.

Eine Ausnahme bildet auch "Spring, Summer, Fall, Winter... and Spring" nicht wirklich. Die Geschichte kreist um einen jungen und einen alten Mönch in einem kleinen buddhistischen Kloster inmitten eines waldumsäumten Bergsees. Dasein als ruhiger Kreislauf der Selbstvervollkommnung, ein Lernprozeß der Gelassenheit - doch eine Idylle ist alles nur auf den ersten Blick. Auch hier gibt es kein Leben ohne Schuld und Sühne. Doch indem die Form und die Oberfläche der Bilder weitgehend harmonisch bleiben, bedient Kim zumindest hier ein wenig zu deutlich auch jenes stilisierte Bild, das der Westen von Asien noch immer hat: eine Ästhetik vollendeter Symmetrie, Reduktion des Lebens auf Archetypen, Zusammenfallen der Ordnung der Natur mit der des menschlichen Lebens, Lehrer-Schüler-Verhältnisse, die Macht der Emotionen und ihr Scheitern an der vernünftigen Gelassenheit, die Religion und Philosophie favorisieren. In der Verklärung solcher Tugenden, im Vorrang asketischer Reinheit und Ordnung liegt auch eine zweifelhafte Sehnsucht danach, vor dem vermeintlichen Chaos der Moderne in die scheinbare Idylle zu entfliehen, die ihren Oberflächencharme bei aller Brechung hier nie verliert. Eine Sehnsucht, die Geschichte zu verlassen und wieder in Natur und Mythos einzutauchen.

Katholische Passionsspiele und Crossover

Was Kims Werk eint, ist, dass es sich bei seinen Filmen durchweg um Passionsspiele handelt. Wichtig hierfür ist zweifellos die Tatsache, dass Kim im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute kein Buddhist, sondern katholisch ist. Die Bedeutung der Religion betont er selbst immer wieder in seinem Werk. Im Interview nannte er das "Verzeihen" die Zentralidee seines Kinos: "Das ganze Leben soll ein Verzeihen sein." Viele seiner Figuren sind Geächtete: Zuhälter, Huren, Hundefänger, Behinderte, Verbrecher. "Manche meiner Charaktere sind mir keineswegs sympathisch."

Filmästhetisch mündet das in eine Bildsprache, die zunächst sehr still und poetisch wirkt. Kims Kino ist ein Kino der Ruhe. Sparsam ist die Musik, langsam wird geschnitten, langsam bewegt sich, wenn überhaupt die Kamera, oft ruht sie stattdessen auf ihren Gegenständen, die in blassen Farben an alte Fotografien erinnern. Die Bildausschnitte sind dabei so sorgsam gewählt, dass es nie gezwungen wirkt; viel mehr legt sich der Eindruck von Konzentration und Anspannung in den Saal, einer Anspannung die sich entladen muss.

Aber nichts ist einfach. Kühl und zurückgenommen sind die Bilder, reduziert die Kameraarbeit. So entsteht eine meditative Ruhe. Manches in diesen Filmen wird Europäern wie ein wildes, maßlos übertriebenes Symbolbild erscheinen - zum Beispiel der Fisch in "The Isle", dem die Filetstücke vom lebendigen Leib geschnitten werden, und der dann zappelnd in den See zurückgeworfen wird. Auch nach Tagen lebt er noch. Dies sei, kann man hören, in Korea gängige Praxis. Immer wieder wird die Ruhe durch Chocs gestört. Kims Filme sind hart. Sie verbergen nichts, zeigen alles. Ungeschönt. Brutal, zugleich auf einer symbolischen Ebene Traktate über Sehen und Blindheit.

Immer wieder kommt es zum Crossover mit anderen kulturellen Einflüssen, etwa der indischen in "Samaria". Noch wichtiger ist aber die Bedeutung der französischen Einflüsse für Kims Werk. Es geht die Legende, dass Kim bei seinem längeren Aufenthalt in Frankreich Anfang der 90er Jahre nur dreimal ins Kino ging. Dort habe er "Der Liebhaber", "Die Liebenden von Pont Neuf" und "Das Schweigen der Lämmer" gesehen. Si non e vero... Mancher hat sich hier an Sci-Fi-Romane erinnert gefühlt, in denen aus Partikeln einer alten Kultur eine neue entsteht, "die womöglich alles falsch verstanden hat, aber das ist egal." Man sollte solchen Aussagen aber unbedingt mißtrauen, schon dass es ausgerechnet drei Filme sein sollen, verweist die Anekdote in die Nähe mittelalterlicher Heiligenlegenden. Vielleicht trifft die Beobachtung trotzdem einen Punkt: Denn mit seinen universalen Tragödien, die manche als sadistische Machwerke kritisierten, andere als authentischen Ausdruck einer sozialen Krise ernst nahmen, erweist sich Kim jedenfalls als mitunter überraschend direkter, ja naiver Künstler - allerdings im komplizierteren Sinn des Wortes -, der weder zu typisch westlichen Skrupeln noch zu übertriebender Reflexion neigt. Sein Kino ist romantisch, surrealistisch und erschütternd, dabei rätselhaft in jeder Hinsicht geprägt von einer anderen Einstellung, und genau darum herausfordernd; allemal ist es interessanter als vieles, und möglicherweise auf dem Weg zu wahrer Größe.

Man wünscht diesem Regisseur, der in diesem Jahr mit vergleichsweise angepassten, freundlichen Filmen prompt zwei wichtige Preise gewann, dass er sich nicht verbiegen lässt, wieder ganz der berückenden Konsequenz von "The Isle", "Adress Unknown" und "Bad Guy" vertraut, seine besten, weil im letzten Grund überhaupt nicht begreiflichen Werken, vertraut.