Pisa-Studie: Jeder deutet, wie er will

Fest steht: Migrantenkinder sind an deutschen Schulen erheblich benachteiligt, insgesamt sind deutsche Schüler besonders schlecht, wenn es um Computer geht

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Das Pisa-Konsortium Deutschland hat ihre zweite Studie vorgestellt. Unter Federführung der OECD wurden Schüler in 31 Staaten getestet, wie gut sie für die "Herausforderungen der Wissensgesellschaft" gerüstet sind.

Die erste Pisa-Studie aus dem Jahr 2000 hatte den deutschen Schülern bescheinigt, im internationalen Vergleich nur unteres Mittelmaß zu sein. Die Autoren der aktuellen Untersuchung betonen, dass nichts dagegen spräche, die beiden Studien miteinander zu vergleichen. Fazit: In einigen Bereichen wie Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften sind die Deutschen ein wenig besser geworden, in anderen schlecht geblieben. Der Abstand zu den Spitzenreitern ist jedoch riesig: In Hongkong, Südkorea und Finnland sind die Schüler im Fach Mathematik den Deutschen mehr als ein Schuljahr voraus.

Die deutsche Schule ist wie bisher eine Klassenschule - Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben weniger Chancen als in anderen Ländern. Die Risikogruppe umfasst rund ein Fünftel alle Schüler - und deren Leistungen drücken den Durchschnitt kräftig nach unten. Besonders benachteiligt sind Immigranten-Kinder. Der Pisa-Forscher Manfred Prenzel auf der Pressekonferenz am 6. Dezember: Es gibt eine "krasse Koppelung zwischen Herkunft und sozialer Kompetenz". Das ist in den anderen Staaten der OECD - außer Belgien und Ungarn - nicht so wie in Deutschland. Nicht der "Migrationshintergrund" als solcher ist entscheidend für die Leistungen, sondern die Tatsache, dass Migranten in Deutschland stärker benachteiligt sind. Nur in Portugal hat man als Kind von Einwanderern noch weniger Chancen.

Die PISA-Studie II umfasst 416 Seiten. Man kann kaum erwarten, dass das jemand liest. In den Medien tobt daher die Schlacht um die Luft- und Deutungshoheit. Gertrud Höhler macht im Magazin Focus die Rechtschreibreform und die "Funktionärswirtschaft" für die miserablen Ergebnisse verantwortlich. Die Berliner Morgenpost lässt Experten zu Wort kommen, die das deutsche Schulsystem in Frage stellen. Die Neue Züricher Zeitung wie auch die PISA-Studie selbst weisen aber darauf hin, dass keine direkten Schlüsse möglich sind, welche Schulart welche Bildung oder nicht ergäbe. Jeder sagt offenbar, was er oder sie schon immer gesagt hat, ganz gleich, was im voluminösen Pisa-Band steht. Manfred Prenzen beklagt im "Tagesspiegel":

Es schockiert mich schon ein bisschen, wenn die gleichen Journalisten, die die mangelhaften Lesekompetenzen der Schüler anprangern, nicht in der Lage sind, die Pisa-Tabellen richtig zu lesen.

Präsentation der Studie. Foto: Burkhard Schröder

Außergewöhnlich schlecht sind deutsche Schülerinnen und Schüler, wenn es um Computer und das Internet geht. Wer das Kleingedruckte liest, muss anhand der Fakten und Statistiken zugeben: nicht die Schüler, sondern die Schule und die Art des Unterrichts sind daran schuld, dass in Deutschland zwar ein "überdurchschnittliches Interesse", jedoch bei vielen Schülern eine im internationalen Vergleich "unterdurchschnittliche Vertrautheit" mit den neuen Medien zu beobachten ist.

Die Pisa-Forscher haben die Computernutzer in vier Gruppen unterteilt: die Enthusiasten, die Pragmatiker, die Freizeitnutzer und die unerfahrenen Computernutzer. Deren Lernfähigkeiten und Wissen wurden mit dem Verfahren der Latent-Class-Analyse getestet. "Nutzung" des Computers bedeutet u.a. : Programme für Textverarbeitung und Tabellenkalkulation sowie Lernprogramme zu benutzen, aber auch Musik aus dem Internet herunterzuladen und Strategiespiele. Die Enthusiasten umfassen laut der Pisa-Studien II mehr als die Hälfte als Nutzertypen, die Pragmatiker rund ein Viertel, die Freizeitnutzer 15 und die Unerfahrenen knapp zehn Prozent, Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen sind statistisch nicht signifikant.. Die beiden letzten Kategorien sind "potenzielle Risikogruppen":

Wahrend es den Pragmatikern offensichtlich an Kompetenzen im Umgang mit neuen Medien mangelt, gelingt es den Freizeitnutzern nicht, ihre Motivation und Fertigkeiten in schul- und programmbezogene Computeraktivitäten umzusetzen.

Im Gegensatz zu englischsprachigen und den skandinavischen Ländern stellen die Forscher "deutliche Rückstände" der deutschen Schülerschaft fest:

Deutschland gehört (zusammen mit Belgien, Korea und der Schweiz) zu den Ländern, in denen eine regelmäßige Computernutzung am wenigsten verbreitet ist und in denen der Anteil der Schülerschaft, die der Schule eine wichtige Rolle beim Erwerb computerbezogener Kenntnisse zuschreibt, am geringsten ist.

Ein Fünftel der 15-Jährigen habe "so gut wie keinen Idee darüber entwickelt, für welche Zwecke und wie man einen Computer angemessen nutzen könnte. Mangelnde Zugangsmöglichkeiten spielen "keine Rolle." Medienkompetenz entwickelt sich also nicht automatisch dann, wenn ein Computer vorhanden ist, sondern nur, wenn man in der Lage ist, das Medium richtig anzuwenden.

Die Pisa-Studie sieht daher schwarz: Die Risikogruppe, also die Freizeitnutzer und die Unerfahrenen, habe erhebliche Nachteile im Berufsleben zu befürchten. Die Studie kann sich sogar einen Seitenhieb gegen die Schule und die Lehrer nicht verkneifen:

Schülerinnen und Schüler, die ihre Computerkenntnisse vornehmlich in der Schule erwerben, weisen gegenüber den Gruppen, die diese anderenorts erwerben, einen deutlichen Kompetenzrückstand auf und gehören weit überdurchschnittlich häufig der Gruppe der Unerfahrenen an."

In der Schule sollen wir für's Leben lernen. Wenn es so bleibt, lernen Schüler jedoch zu Hause am eigenen Rechner offensichtlich besser, mit Computern und dem Internet umzugehen.