Wahlen in den USA und in der Ukraine

Während die internationale Gemeinschaft eine Kontrolle der Stichwahl in der Ukraine fordert, sind die Unregelmäßigkeiten während der Präsidentschaftswahlen in den USA in Vergessenheit geraten. Ein Interview mit dem US-Politologen James K. Galbraith

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Professor James K. Galbraith lehrt Politik an der Lyndon B. Johnson School of Public Affairs. An der Universität von Texas in Austin arbeitet er unter anderem an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Galbraith hat die US-Präsidentschaftswahlen im Bundesstaat Ohio beobachtet. Die Unregelmäßigkeiten und Kritiken unterschieden sich nicht von denen, die gegenwärtig in der Ukraine vorgebracht werden, sagt er. Nur die Konsequenzen seien andere.

Herr Professor Galbraith, die Washington Post hat die Bush-Regierung zu Beginn der Krise in der Ukraine in einem Leitkommentar aufgefordert, die "ungeschminkte Wahrheit" über die Wahlen in der Ukraine offen zu legen. Warum ließ die Redaktion eine solch kritische Haltung missen, als Vorwürfe gegen die Wahlen in den USA vorgebracht wurden?

James Galbraith: Während der hiesigen Wahlen hatte es vor allem im Bundesstaat Ohio Probleme gegeben. Die Kritik dazu wurde in den US-Medien nicht laut, weil sie so oder so auf der Gewinnerseite standen.

"Wenn der Standard der Ukraine in Ohio zur Anwendung gekommen wäre", sagten Sie kürzlich, "dann wäre die US-Wahl sicherlich als manipuliert eingestuft worden."

James Galbraith: Als US-Außenminister Colin Powell, Politiker wie der republikanische Senator Richard G. Lugar oder politische Institutionen wie das NDI oder das IRI zu den Wahlen in der Ukraine Stellung bezogen, stellten sie den Wahlsieg von Wiktor Janukowitsch ebensowenig in Abrede wie sie seinen Kontrahenten Wiktor Juschtschenko zum Wahlsieger erklärten. Für einen Wahlsieg von Juschtschenko gibt es tatsächlich ja auch keine Beweise. Der Vorwurf lautete vielmehr, dass die Glaubwürdigkeit des Prozesses von einer Reihe von Belegen über einen Wahlbetrug beschädigt sei. Diese Einflussnahmen schlossen die Einschüchterung von Wählern ebenso ein wie den Umstand, dass bestimmten Wählern der Zugang zu den Urnen mit dem offensichtlichen Interesse verwehrt wurde, das Ergebnis zu beeinflussen.

Und eben in diesem Zusammenhang ziehen Sie die Parallele zu der vergangenen US-Präsidentenwahl ...

James Galbraith: ... weil sich die Vorwürfe, wie sie in der Ukraine erhoben werden, exakt mit der Kritik nach der US-Präsidentschaftswahl Anfang November decken. Auch dabei erschwerten Republikaner die Wahlen auf verschiedene Weise ausgerechnet in denjenigen Bezirken, in denen die Demokratische Partei traditionell verankert ist. Das Recht auf die Stimmabgabe wurde in solchen Gegenden oft durch eine spärliche Verteilung der elektronischen Wahlmaschinen eingeschränkt. In der Stadt Columbus, der Hauptstadt von Ohio, mussten die Menschen in den innerstädtischen Bezirken mindestens eineinhalb Stunden auf die Stimmabgabe warten. Gegen Abend wurden die Schlangen länger, manche Wähler mussten bis spät in die Nacht hinein warten.

Welche Bemühungen gab es in den USA nach den vergangenen beiden Präsidentschaftswahlen, diese durchaus bemängelten Missstände aufzuklären?

James Galbraith: Im Fall von Florida im Jahr 2000 wurde der Wahlsieg von Albert Gore, dem Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei, zunächst ja sogar über die Medien bekanntgegeben. Dass ihm die Wahl gestohlen wurde, war unter objektiven Beobachtern Konsens. Aber der Oberste Gerichtshof verhinderte eine Nachzählung der Stimmen.

Die derzeitigen Anstrengungen, Unregelmäßigkeiten der vergangenen Wahl aufzuklären, sind eher juristischer denn politischer Natur. Das juristische Vorgehen in Ohio zielte maßgeblich darauf ab, die korrekte Auszählung der Stimmen zu gewährleisten, und auch eine neue Auszählung würde das Ergebnis jetzt wohl nicht mehr ändern. In keinem der beiden Fälle wurde aber der Möglichkeit von Wahlmanipulationen- oder betrug juristisch begegnet. Tatsächlich sind im US-System keine Rechtsmittel vorgesehen, um nach Ende des Wahlprozesses gegen einen möglichen Betrug vorgehen zu könnten.

Trotzdem gab es aber Vorwürfe nach beiden Wahlen. Weshalb versuchte die Führung der Demokratischen Partei das Wahlergebnis in keinem der Fälle auf politischer Ebene anzufechten?

James Galbraith: Eine gute Frage. Auch wenn die Demokraten still halten, hat diese vergangene Präsidentschaftswahl die Debatte um den demokratischen Charakter des US-Wahlsystems auf die Tagesordnung gesetzt; innerhalb der Demokratischen Partei und über sie hinaus. Ich habe durchaus die Hoffnung, dass dieses Thema künftig eine stärkere Rolle in der öffentlichen Debatte spielen wird - wie die Diskussion um das allgemeine Wahlrecht vor vier Jahrzehnten.

Aber zurück zur Ukraine. Die US-Regierung präsentiert sich während dieser Krise - wie auch in anderen Ländern - als Wahrer demokratischer Werte. Wie reagiert die US-Bevölkerung auf diesen offensichtlichen doppelten Standard?

James Galbraith: Das hat vor allem innenpolitische Konsequenzen. In der US-Bevölkerung setzt sich zunehmend das Gefühl durch, dass dem Wahlprozess nicht getraut werden kann, auch wenn Beweise für Unregelmäßigkeiten nicht schlüssig sind oder ganz fehlen. Das könnte natürlich zu einer generellen Entpolitisierung führen.

Ihr Gegenkonzept?

James Galbraith: Noch bestehende Möglichkeiten zur Manipulation im US-Wahlsystem müssen dringend ausgeräumt werden.