Britische Antiterrorgesetzgebung verstößt gegen die Menschenrechte

Nach dem höchsten Gericht Großbritanniens ist die - auch in den USA praktizierte - unbegrenzte Haft für terrorverdächtige Ausländer nicht mit einem Rechtsstaat vereinbar

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Die britische Regierung, vereint mit der Bush-Regierung im Krieg gegen den Terrorismus, hat sich auch mit der Verschärfung der Antiterrorgesetze dem großen Bruder angeschlossen. Zwar stammt das Antiterrorgesetz bereits aus dem Jahr 2000, doch kurz nach dem 11.9. 2001 konnte der Anti-Terrorism, Crime and Security Act 2001 ohne Schwierigkeiten umgesetzt werden. Die britische Regierung ging zwar nicht so weit, ein extraterritoriales und außerrechtliches Lagersystem wie die USA einzurichten, aber das Antiterrorgesetz ermöglichte es ihr ebenfalls, angeblich Terrorverdächtige, die keine britischen Staatsbürger sind, ohne Klage und Gerichtsprozess auf unbestimmte Zeit festzuhalten.

Nach Artikel 22 des Gesetzes können Menschen, die keine britischen Staatsbürger sind und die nicht abgeschoben werden können, unbegrenzt in Haft gehalten werden, wenn sie im Verdacht stehen, mit Terrororganisationen verbunden zu sein, und sie eine unmittelbare Gefährdung der nationalen Sicherheit darstellen. Aufgrund dieser willkürlichen Praxis, die jedem rechtsstaatlichen Verständnis entgegen läuft, aber auch wegen der Haftbedingungen wurde von Kritikern schon früh gerügt, dass auch Großbritannien seine Version von Guantanamo im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh besitzt (Großbritannien hat sein eigenes Camp X-Ray). Die Zahl der aufgrund des Antiterrorgesetzes langzeitig Inhaftierten ist allerdings relativ gering, doch waren die 9 Ausländer, die Klage erhoben haben, meist bereits im Dezember 2001 nach einem nicht weiter begründeten Verdacht eingesperrt worden. Zwei von ihnen durften Großbritannien verlassen, einer wurde inzwischen in ein psychiatrisches Krankenhaus verlegt, ein weiterer kam unter strengen Auflagen frei. Die restlichen hatten sich geweigert, in ihre Heimatländer aus Angst vor Folter abgeschoben zu werden.

Bis vor kurzem sah es aber noch so aus, als könnte sich die britische Regierung durchsetzen. Erst im August hatte die Berufungskammer des High Court entschieden, dass Ausländer ohne Anklage und auf bloßen Verdacht hin unbegrenzt lange festgehalten werden können. Zudem hatte es mehrheitlich entschieden, dass auch Informationen, die im Ausland durch Folter erlangt wurden, gegen sie verwendet werden könne (Ein schwarzer Tag für die Menschenrechte in Großbritannien). Gegen das Urteil hatten die Gefangenen Berufung eingelegt.

Nun haben die neun Lordrichter des britischen Oberhauses mit einer Mehrheit von 8 zu 1 den Rechtsstaat in ihrem Urteil rehabilitiert. Das vom gerade zurückgetretenen Innenminister David Blunkett nach dem 11.9. eingebrachte Antiterrorgesetz, so das Oberste Gericht Großbritanniens, verstoße gegen die Menschenrechte, wie sie von der Europäischen Union garantiert werden. Nach Artikel 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) dürfen nur Menschen in Haft genommen werden, wenn sie rechtmäßig durch ein Gericht verurteilt wurden. Nach seiner Festnahme muss er "unverzüglich" einem Richter vorgeführt werden und hat Anspruch auf einen Prozess in angemessener Frist.

This is one of the most important cases which the House has had to decide in recent years. It calls into question the very existence of an ancient liberty of which this country has until now been very proud: freedom from arbitrary arrest and detention. The power which the Home Secretary seeks to uphold is a power to detain people indefinitely without charge or trial. Nothing could be more antithetical to the instincts and traditions of the people of the United Kingdom.

Lord Hoffman in seiner Begründung

Das Antiterrorgesetzt sei "drakonisch" und diskriminierend, so das Gericht und widerspreche der "Rechtsstaatlichkeit". Eine unmittelbare Gefährdung Großbritanniens habe nicht vorgelegen, was das Gesetz aber verlangt, die Regierung habe diese auch nie ausgeführt. Man könne, so das zentrale Argument, das Recht nicht unterschiedlich auf Menschen anwenden, also beispielsweise Ausländer aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Immigrantenstatus grundlegender Menschenrechte berauben. Diese diskriminierende Unterscheidung zwischen Menschen, deren Grundrechte stärker beachtet werden müssen als die anderer, liegt auch dem amerikanischen Umgang mit Gefangenen zugrunde, die des Terrorismus verdächtigt werden. Das Urteil ist damit nicht nur ein Rückschlag für die britische Regierung, sondern auch für die amerikanische.

Shami Chakrabarti von der Menschenrechtsorganisation Liberty sagte zu dem Urteil, dass "künftigen Generationen stolz auf diesen Tag sein werden, an dem das höchste Gericht Großbritanniens die demokratischen Werte über die Politik der Angst gestellt hat". Die britische Regierung habe mit der willkürlichen Inhaftierung eben die Werte unterhöhlt, die sie vorgibt zu verteidigen.

Allerdings ist das Urteil des Gerichts nicht rechtsverbindlich. Daher liegt es am britischen Parlament, ob die Gefangenen, wie das Gericht dies fordert, auch wirklich unverzüglich frei gelassen werden. Rechtlich problematisch könnte es sein, wenn man sie weiterhin als Gefahr für die Sicherheit betrachten will, sie unter strengen Auflagen wie einem Hausarrest frei zu lassen, wie dies bereits geschehen ist. Der neue Innenminister könnte auch versuchen, die Gefangenen in Länder abzuschieben, die bereit sind, sie aufzunehmen. Das aber würde das Einverständnis der Betroffenen voraussetzen. Oder sie müssten endlich vor ein Gericht gestellt werden, wozu aber vermutlich keine Beweise vorliegen. Über die Gefangenen selbst ist wenig bekannt, meist nicht einmal der Name. So ist Häftling A beispielsweise ein Algerier, der schon vor 20 Jahren nach Großbritannien kam und um Asyl bat. Er wurde nach Schweden abgeschoben, kam aber wieder zurück und wurde im Dezember 2001 festgenommen, weil er angeblich eine algerische Terrorgruppe unterstützt und die Ziele von al-Qaida teilt.