Von der Montagsdemonstration zur Aktion Agenturschluss

Am 3.1.2005 sollen bundesweit Arbeitsagenturen aus Protest gegen Hartz IV lahm gelegt werden

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Die Industrie-Soziologin Mag Wompel ist Redakteurin des LabourNet Germany und war an der Entwicklung der bundesweiten Aktion Agenturschluss wesentlich beteiligt. Am 3. Januar 2005, dem ersten Werktag der "Gültigkeit" von Hartz IV, soll im Rahmen dieser Aktion der Betrieb der Arbeitsagenturen in mehr als 20 Städten lahm gelegt werden.

Unter dem Motto Agenturschluss wird für Anfang Januar zu erneuten Protesten gegen Hartz IV aufgerufen. Was ist damit gemeint?

Mag Wompel: Die bundesweite Initiative Agenturschluss, die von Labournet im Frühsommer dieses Jahres entwickelt wurde, will in mehr als 20 Städten den Betrieb der Arbeitsagenturen am 3. Januar 2005 lahm legen. Mit der Aktion wollen sich Betroffene und noch Nicht-Betroffene gegen die Verarmungs- und Disziplinierungsoffensive der Bundesregierung und gegen die Umsetzung dieses sozialen Angriffs durch die Arbeitsagenturen und Jobcenter wenden.

Hartz VI wurde von Politikern und nicht von den Angestellten der Arbeitsagenturen beschlossen. Sind die nicht die falschen Adressaten?

Mag Wompel: Es ist richtig, dass Hartz IV nicht von den Arbeitsagenturen beschlossen wurden. Doch die Bestimmungen werden dort umgesetzt. Hier müssen die vom Kapital aussortierten Menschen ihre Existenzberechtigung nachweisen, hier werden sie in nicht existenzsichernde Niedriglohn- und Leiharbeit gezwungen, überwacht und mit Leistungskürzungen oder gar -sperren bestraft. Wir wollen in erster Linie die betroffenen Erwerbslosen unterstützen und sie zu Widerstand ermutigen.

Die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen haben durchaus Spielräume bei der Umsetzung der Bestimmungen. Unsere Protest richtet gegen diejenigen, die glauben, einen Job zu verrichten, obwohl vom Fördern kaum noch die Rede ist und Arbeitsplätze nicht in Sicht sind. Es gibt sogar Fälle, wo Erwerbslose verfassungswidrig angeregt wurden, aus der Gewerkschaft auszutreten. Umgekehrt wollen wir mit der Aktion die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen unterstützen, die sich dagegen wehren, dass Menschen derart entwürdigend behandelt werden. Wir hoffen und bauen auf gegenseitige Solidarität. Es gab in den letzten Wochen Schreiben an die Beschäftigten von Arbeitsagenturen, Jobcenter und Sozialämter. Auf Labournet wurde mittlerweile auch ein Internetforum eingerichtet, wo sich Mitarbeiter dieser Ämter untereinander und mit Erwerbslosen anonym austauschen können.

Auch der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, hat die Aktion Agenturschluss kritisiert. Wird damit nicht die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften erschwert?

Mag Wompel: Diese Politik von Bsirske erinnert mich an alte Gewerkschaftspositionen pro Kernenergie oder für Rüstungsaufträge, wenn damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Dabei wird völlig die gesellschaftliche Funktion dieser Arbeitsplätze ausgeblendet. Doch die Abwehrhaltung gegen die Aktion Agenturschluss ist bei Verdi wie auch in anderen Gewerkschaften durchaus nicht so homogen, wie es die Erklärung von Bsirske vermuten lässt. Es gibt dort sehr differenzierte Diskussionen.

Welche Rolle spielt die Gewerkschaftslinke in dieser Auseinandersetzung?

Mag Wompel: Die befindet sich an einem Scheideweg. Es gibt grundsätzliche Kritik an den Gewerkschaften, die Unzufriedenheit mit ihrer Rolle wächst. Die Politik des Ko- Management wurde von der Kapitalseite aufgekündigt. Als Sozialpartner werden die Gewerkschaften höchstens noch als Überbringer schlechter Nachrichten gebraucht. Die Gewerkschaftslinke wird sich auf ihren bundesweiten Kongress Mitte Januar in Stuttgart auch mit der Frage beschäftigen müssen, ob sie innerhalb des DGB weiterarbeitet oder eigene Strukturen schafft.

Warum gelang es nicht, die Hartzproteste mit den Auseinandersetzungen in den Betrieben, z.B. Daimler oder Opel zu verbinden?

Mag Wompel: Meine alltägliche Arbeit bei Labournet ist das Zusammenbringen dieser Kämpfe. Das gelingt bisher nur punktuell. Hartz IV war bei den Kämpfen in den Betrieben, z.B. bei Opel, ein ständiges Thema. Doch Hartz IV macht auch Angst. Viele Kollegen wollen alles vermeiden, um unter diese Bestimmungen zu fallen. Das lähmt auch Aktionen der Gegenwehr.

Ist diese Angst auch der Grund dafür, dass die Anti-Hartz-Bewegung nicht von längerer Dauer war?

Mag Wompel: Die spielte sicher eine große Rolle. Ebenso aber auch ein etwas verqueres Gerechtigkeitsverständnis. Ein Großteil der Anti-Hartz-Demonstranten empörte sich nicht grundsätzlich über die Behandlung von Erwerbslosen. Der Grund für ihre Empörung war vielmehr, dass sie wie Sozialhilfeempfänger behandelt werden, obwohl sie doch so viele Jahre gearbeitet haben und in die Versicherungen eingezahlt haben. Durch eine solche leistungsgebundene Empörung werden neue Spaltungslinien aufgemacht und aktive Solidarität verhindert.

Wie könnte man diesem Problem der Anti-Hartz-Bewegung entgehen?

Mag Wompel: In dem sie beispielsweise die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen erhebt. Es geht um die Rechte aller Menschen unabhängig davon, wie lange jemand gearbeitet und Beiträge in die Versicherung eingezahlt hat. Außerdem muss der Alltagswiderstand gestärkt werden. Die Aktion Agenturschluss ist ein erster Ansatz dafür. Es gibt auch schon Überlegungen, wie es danach weitergeht. Beispielsweise wurde zur Gründung von Arbeitslosenräten aufgerufen, wo die Betroffenen sich selbst organisieren und auch die Entscheidungen der Arbeitsagenturen von unten kontrollieren sollen.