WM2006: Fußballfans gegen RFID-Tickets und Fragebögen

Beim jährlichen Kongress der Aktiven Fans stand das Thema Datenschutz bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im Vordergrund

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Wenn es um Datenschutz geht, so treffen sich meist die "üblichen Verdächtigen", wie beim CCC-Kongress. Am 18.12.2004 war dies anders: In Oer-Erkenschwick hatte das Bündnis Aktiver Fußballfans Datenschutz, Überwachung und die WM2006 auf die Agenda des jährlichen Fankongresses gesetzt.

Neben der Datei Gewalttäter Sport, die vor allen Dingen von der Vertreterin der Datenschutzbeauftragten Nordrhein-Westfalens thematisiert wurde, ging es um die Anwendung von RFID-Technik und um die datenschutzrechtlich bedenkliche Weitergabe persönlicher Daten der Ticketkäufer.

"Mit der zukunftsweisenden [RFID-] Technologie wird es möglich, Tickets per Handy oder PC zu erwerben, Versandkosten zu sparen, Ticketfälschungen besser auszuschließen und die Sicherheit im Stadion zu erhöhen", heißt es von Seiten des Wirtschaftsministers Clement.

Diese Argumente stießen bei den eingeladenen RFID-Experten des FoeBuD, Claudia Fischer und padeluun, auf wenig Gegenliebe. "RFID geben keine Sicherheit", war das Fazit padeluuns, der sich auf dem Kongress kämpferisch gab. "Kein Schnüffelchip verhindert Gerangel, Schlägereien oder Wutausbrüche."

Noch dazu fehlt in der Sicherheitsargumentation ein wichtiges Glied in der Kette: Die Tickets werden zwar personalisiert, jedoch erfolgt beim Betreten des Stadions keine Identifikation des Ticketinhabers (die dadurch ermöglichte Zeitersparnis ist auch ein Argument für die RFID-Chips). Somit ist keineswegs gewährleistet, dass es sich beim Ticket"besitzer" auch um den Ticket"eigentümer" handelt. Wie soll so also verhindert werden, dass sich ein "Fussball-Rowdy" mit einem legitim gekauften Ticket ins Stadion begibt, wenn nicht jeder Besucher noch einmal durch Vorlage von Personalausweis oder Reisepass seine Identität nachweist? Wenn andererseits eine solche Identifikation stattfindet, wozu dann noch der RFID-Chip im Ticket? Folgt man dieser Argumentation, so muss man sich zwangsläufig der Ansicht des früheren Datenschutzbeauftragten Schleswig Holsteins, Helmut Bäumler, anschließen:

Welche Person ist im Stadion, das will man fest stellen können. Und so sehr ich Verständnis dafür habe, dass man Fussball-Rowdies rechtzeitig abwehren und erkennen möchte: Hier sieht man ganz genau, wohin diese Technik führt, nämlich zur Überwachung von Menschen.

Bewegungsprofile können, mit entsprechend aufgebauten Lesegeräten, erstellt werden und liefern wichtige Erkenntnisse (nicht nur) für die Industrie. Dass sich bei den Sponsoren der WM2006 unter anderem auch Philipps und Gilette, zwei der großen Befürworter bzw. Hersteller der RFID-Chips, wiederfinden, ist somit wenig überraschend für den Foebud.

Für den Verein, der die Entwicklung von RFID-Techniken kritisch beobachtet und bewertet ist die WM2006 auch ein Paradebeispiel dafür, wie sich eine "vermeintliche Freiwilligkeit" in Bezug auf Datensparsamkeit und Datenschutz manifestiert. Wer nicht bereit ist, den "Datenschutzgau" mit zu unterstützen, muss eben auf die WM2006 verzichten - eine Alternative wird nicht angeboten. Dies zeigt sich schon bei den Fragebögen, die ausgefüllt werden müssen um ein Ticket zu erhalten.

Keine Daten - kein Ticket

Ist schon der Einsatz von RFID-Technik ein Dorn im Auge der Datenschutz-Aktivisten, so gilt die nächste, größere Sorge dem Fragebogen beim Ticketkauf. Die dort verlangten Daten gehen über das, was für einen Ticketkauf notwendig ist, nicht nur hinaus, sie werden - so ist es geplant - weiterhin auch an die Fifa und die Sponsoren der WM2006 weitergegeben. Somit finden sie auch ihren Weg in Drittländer, deren Datenschutzgesetze nur als unzureichend angesehen werden können.

Eine Widerspruchsmöglichkeit gegen die Datenweitergabe besteht zur Zeit nicht, ggf. soll diese im Februar 2005, wenn der Ticketverkauf beginnt, "nachgereicht" werden (zu diesem Zeitpunkt wird auch erstmals der Fragebogen offiziell bekannt gegeben). Dies, so padeluun weiter, dürfte dann die Mehrheit der Fußballfans nicht mehr erreichen, zumal die für die Fans bereitstehenden Kartenkontingente begrenzt sind. Eine Praxis, die ebenfalls von den Aktiven Fans kritisiert wurde.

Schon jetzt wurden die fehlenden Datenschutzbestimmungen mehr als unzureichend thematisiert, während andererseits die Sonderregelungen für Abgeordnete beim Ticketkauf (und anschließende Dementies) wie auch die Nachricht, dass es doch deutsches Bier bei der WM2006 geben wird ihren Weg in zahlreiche Medien fanden.

Der Fan als begeisterter Werbeträger

Die Fußballfans vor vollendete Tatsachen zu stellen, birgt noch eine weitere Gefahr, so die FoeBuD-Aktivisten. Denn wenn sich kein nennenswerter Widerstand gegen die RFID-Technik und die unkontrollierte Datensammlung und -weitergabe entwickelt, laufen die Fußballfans Gefahr, unfreiwillig zum Werbeträger für RFID zu werden.

Wenn sich jetzt niemand wehrt, so wird es heißen: Bei der WM2006 wurde die RFID-Technik von den Fans ohne jegliche Kritik angenommen.

Foebud

Während es für einen am Datenschutz interessierten Käufer etwa von Rasierklingen durchaus möglich ist, auf Produkte auszuweichen, die nicht mit RFID-Chips ausgestattet sind, ist dies bei der WM2006 nicht der Fall. Hier ist die einzige Alternative der komplette Verzicht auf ein Ticket. Eine, um es mit drastischen Worten zu sagen, "Friss oder stirb"-Methode.

Aktion kontra Resignation

Wie bei vielen anderen Gelegenheiten zeigte sich auch bei dem Fankongress die Resignation der Betroffenen. "Wenn ich ein Ticket haben will, muss ich eben die Daten liefern." Eine Einschätzung, der sich die Aktivisten des FoeBuD nicht anschließen mochten.

Wie Claudia Fischer betonte, zeigte doch das Engagement beim Thema RFID im Fall der Metro beispielsweise schon Wirkung. Das sei ein Beweis dafür, dass Resignation oftmals unbegründet ist. Padeluun schrieb den Aktiven Fans denn auch eine Hausaufgabe ins Stammbuch: Am 2. Februar sollte die Schlagzeile nicht heißen: "Millionen Menschen beantragen Tickets", sondern "Fans wehren sich gegen Überwachung."

Überwachungsstrukturen - Investition für die Zukunft

Überwachung ist in diesem Fall durchaus unabhängig von der WM2006 zu sehen, denn wie auch schon bei der Olympiade in Griechenland sind die Strukturen, die sich bei der WM2006 hinsichtlich RFID herausbilden, nicht etwa vorübergehend. Vielmehr sollen sie, so bei der WM2006 "erfolgreich", auch weiterhin eingesetzt werden.

Dass das Thema Datenschutz in Bezug auf die Sicherheit der WM2006 klein geschrieben wird, ist spätestens dann wenig verwunderlich, wenn man sich die Aufgabenverteilung hinsichtlich der WM2006 einmal ansieht. Die koordinierende Stelle für die WM2006 bei der Bundesregierung ist das Innenministerium. Datenschutz fällt jedoch in den Bereich "Ticketing", der vom Organisationskomitee übernommen wird. Das Innenministerium wirkt über den Innenminister Otto Schily auf das Organisationskomitee ein. In dessen Aufsichtsrat sitzt beispielsweise Otto Schily. So sind denn Sicherheit und Datenschutz fest in (s)einer Hand. "Ob Datenschutz also bei der WM2006 überhaupt eine Rolle spielen wird, liegt nun an den Fans." stellte Claudia Fischer abschließend fest.