Rausgegoogelt

Wie Google Webseitenbetreiber an ihrer eigenen Existenz zweifeln lässt

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Die Kernfrage der Philosophie ist die Frage nach dem menschlichen Sein. "Cogito ergo sum", ich denke, also bin ich, dachte Descartes. "Das Wesen des Daseins liegt in seiner Existenz" sagte Heidegger. Im Internet jedoch ist alles viel einfacher: "Bist du nicht in Google, gibt es dich nicht."

Alle Websites, die technisch erreichbar sind und über Baustellenschilder hinaus gehen, sind unter den 8 Milliarden Google-Websites verzeichnet. Alle? Nein, eine kleine Zahl von Websites wird bei Google systematisch ausgesperrt. Und das hat meist einen guten Grund: "Doorways" mit verlockenden Titeln zum Beispiel und andere Schlagwortgräber schaffen es immer wieder, sich in die Topränge der Suchergebnisse zu schleichen. Googles Programmierer arbeiten daher kontinuierlich an Algorithmen, um solchen Suchmaschinenspam auszusperren.

Doch wo gehobelt wird, da fallen auch Späne. Mit einem erfrischend schlichten Webdesign bietet Engelbert Schinkel auf www.seelenfarben.de Fotos, ein Weblog, Lyrik, Grußkarten und mehr Besinnliches an. Im Juli gewann er den Homepageaward 2004 – und kaum zwei Wochen später kennt Google ihn nicht mehr. Statt www.seelenfarben.de, ehemals mit Pagerank 5 und schon etliche Jahre gelistet, erschien auf Platz 1 eine andere – kommerzielle – Grußkartenseite.

Schinkel schrieb Google eine Email und wurde hingehalten mit Texten aus der Konserve, die sich nicht wirklich mit seinem Problem befassten. Er konsultierte in einschlägigen Foren Suchmaschinenprofis, fragte wiederholt bei Google nach und verzweifelte ob seiner vom umtriebigen Suchmaschinenprimus in Zweifel gezogenen Existenz.

Per Anwalt zurück in die Suchmaschine?

Schließlich wandte er sich an einen Anwalt, der Google einen freundlichen Brief schrieb. Prompt war "Seelenfarben" wieder korrekt gelistet. Ob es sich um eine reine Koinzidenz oder eine Reaktion der Suchmaschinenbetreiber handelte, wird wohl im Dunkeln bleiben.

Natürlich kann man trefflich darüber streiten, ob der Gang zum Anwalt ein adäquates Mittel ist, seine Website in einer Suchmaschine zu pushen. Doch darum ging es nicht: Die Existenz von www.seelenfarben.de war komplett aus dem Index getilgt worden. Hätte es sich um eine kommerzielle Website gehandelt – der Betreiber hätte unter Umständen mit erheblichen Verlusten rechnen müssen. Onlineshops und andere webbasierte Dienstleistungen können es sich nicht erlauben, in der führenden Suchmaschine sogar unter ihrem Firmennamen unauffindbar zu sein.

Suchmaschinenprofis vermuten indes, dass Schinkel sich das Verschwinden selbst eingebrockt hat: Seine zweite Domain www.addler.de hatte denselben Inhalt wie die Seelenfarben – was Google als Spam einstuft und prompt nur die ältere Domain anzeigt. Doch Antwort kann er nicht erwarten.

Mögliche Falle: Mehrere parallel laufende Domains

Birthe Stuijts optimiert Websites für Suchmaschinen und hat Verständnis für Google: "Die Offenlegung, warum eine Seite aus Google rausgeflogen ist, kann Aufschluss über neue Algorithmen oder Filter geben. Und wer lässt sich schon gerne in die Karten schauen?". Für ihre Kunden ist das nicht immer unproblematisch.

Es gibt zwar klare Richtlinien von Google, aber der Unterschied zwischen Spam und nicht Spam ist manchmal schwer erkennbar, es gibt da eine sehr breite Grauzone. Und nicht jeder hat einen Dienstleister, der hier beratend zur Seite steht.

So kocht schnell die Gerüchteküche, wenn Unerklärliches mit Pageranks und Suchmaschinenplazierungen geschieht. Webdesignerin Angie Radtke aus Bonn hatte so einen zunächst unerklärlichen Fall. Sie betreut das Webdesign einer gemeinnützigen Stiftung. Auch die Stiftung verschwand quasi über Nacht aus dem Google-Index. Auch die Designerin kontaktierte Google, bekam aber weder aus der deutschen Niederlassung in Hamburg noch aus dem Stammhaus in den USA eine Erklärung. Bis sie auf einen Verein aufmerksam wurde, der auf seiner Website ihren Kunden verlinkt hatte. Der Verein tummelte sich nämlich seit neuestem in genau den Toprängen, von denen ihr Kunde verschwunden war!

Gefahr: Ungewöhnliche Redirects

Das verwendete Redaktionssystem führte den Surfer über ein PHP-Script, das im selben Browserfenster eine dynamisches HTML-Dokument erzeugte. Dieses Dokument leitete mit dem META-Tag "redirect" unverzüglich auf Radtkes Kunden weiter. Diese Vorgehensweise ist alltäglich, denn viele Portale und Webverzeichnisse bewerten die verlinkten Seiten nach der Anzahl der Klicks – und die lassen sich kaum anders als mit einem zwischengeschalteten Server-Site-Script ermitteln. Das gleiche gilt, wenn Banner nach der Anzahl der Klicks abgerechnet werden.

"Kaum war der Link geändert, waren wir wieder gelistet", berichtet die Bonnerin. Möglicherweise handelte es sich auch hier um einen Kollateralschaden der Googleschen Spamabwehrgeschwader, vielleicht auch um einen echten Softwarefehler. Ob Google die Sache für wichtig genug hält, um sich ihrer anzunehmen, wird die Zukunft zeigen. "Wer Feinde hat und diesen Trick kennt, weiß jedenfalls, wie er sie aus Google rauswerfen kann." meint Radtke.