Ein Weichei erobert die Welt

Roman der Utopie: Oliver Stones Antikenepos "Alexander" macht keine Konzession an den Mainstream

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Alexander der Große according to Oliver Stone - "Alexander", der nach über einem Jahrzehnt Vorbereitung jetzt ins Kino kommt, war seit langem das Wunschprojekt des Regisseurs, der mit seinen ebenso sensiblen wie scharfen, oft provokativen Diagnosen des Gegenwartsamerika zu einem der wichtigsten US-Filmemacher wurde. Auch dies ist ein Film über Charisma, ödipale Familienverhältnisse und Politik, zugleich ein opulentes Geschichtsgemälde, eine Auseinandersetzung mit den Epen des klassischen Hollywood. Das Ergebnis fasziniert, besticht durch Intelligenz und Bildgewalt, durch das Wissen eines Regisseurs, der sich seinem Thema jederzeit gewachsen zeigt - und ist doch in gewissem Sinn enttäuschend: Manchmal wirr, findet der Film seinen Roten Faden nur selten: Grandios und in bestechenden Bildern scheitert "Alexander" weil er zu viel, nämlich alles will.

"Never hesitate! If you hesitate, she will strike. Like people. You can love them, feed them for years, but one day..." - so eine Mami möchte man haben. Nicht nur, weil sie aussieht, wie Angelina Jolie, ihr leicht bekleideter Körper - aber in Griechenland ist's ja auch warm - ständig von ganz schon dämonisch aussehenden Giftschlangen umräkelt wird, sondern weil sie einfach absolut hundertprozentig loyal zu ihrem Sohn steht. Auch Papa Philip, immerhin noch König in Mazedonien, macht keinen Stich im Vergleich zu Alexander. Von dem weiß die Mutter schon früh: "Wenn Deine Kameraden längst nur noch als Schatten in der Unterwelt existieren, wird man sich an Dich noch für viele Jahrhunderte erinnern als an den jungen Alexander den Großen." "Sie gab ihm seinen Optimismus auf den Weg", meint Oliver Stone, "Greif Dir die Welt!"

Charisma hat Stone schon immer besonders interessiert. Und eine wohlwollende Interpretation seines neuen Films "Alexander" könnte diesen als nichts anderes begreifen, als seinen neuesten Versuch, diesem rätselhaften Phänomen auf den Grund zu gehen, das alle seine Filme prägt - ob diese nun von Präsidenten ("JFK", "Nixon"), Rockstars ("The Doors"), mediengewandten Serienkillern ("Natural Born Killers") oder Profifootballtrainern ("Any Given Sunday") handeln: Wie Gefolgschaft unter den Menschen eigentlich organisiert wird, wie sie sich zur Macht zusammenballt, und, in wenigen Fällen, zum Staunen der Welt wird - bevor dann das unvermeidliche Scheitern einsetzt. Als Hybris vielleicht, mehr aber noch, als Unfähigkeit, das Momentum, mit dem die Macht errungen wurde ins Endlose weiter zu tragen.

Antiker Kennedy

Zuletzt, bevor Stone sein Wunschprojekt "Alexander", für das er angeblich ein Vierteljahrhundert recherchiert hat, endlich angehen konnte, hat er mehrere Dokumentarfilme gemacht. Einer kreiste um Jassir Arafat und seine Anhänger, zweimal ging es um Fidel Castro. Beide seien, so der Regisseur, für ihn Männer, die erleben mussten, wie ihre Träume alterten, wie aus ihnen eine Fratze der ursprünglichen Intentionen wurde.

Alexander der Große (356-323 v. Chr.) hingegen ist für Stone so etwas wie die Verkörperung einer fast unschuldigen Macht, eines politischen Idealismus der noch kaum gebrochen ist. "Er war ein Träumer" erzählt dessen alter Kriegskamerad Ptolemaios einmal über Alexander in diesem Film, "Er war ein Gott, er war Prometheus, ein Freund des Menschen, er veränderte die Welt. Alles war möglich, weil die Welt von einem König regiert wurde." Der Halbgott Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte. Der Traum vom guten Führer, der immer wieder von links von rechts, totalitär und liberal geträumt worden ist, und wohl auch geträumt werden wird. Stone, bzw. sein Erzähler fragt schon nach: "Gab es so einen Menschen je wirklich?", weiß: "Wir idolisieren ihn, machen ihn besser, als er wirklich war", konstatiert auch: "Die Träumer töten mit ihren zerplatzten Träumen." Auf der anderen Seite aber, das macht der Film unmissverständlich klar, sind es die Träumer, die die Geschichte vorantreiben.

"Alle Träumer müssen am Ende sterben." - Alexander wäre also in Stones Perspektive so etwas, wie ein antiker Kennedy, der zu "new frontiers" aufbrach, Europa und Asien zusammenschmiedete, und rechtzeitig genug starb, bevor die großen Ideen schal wurden, die Realität des politischen Geschäfts die Reinheit der Utopie beschädigte.

Schon früh strebt er nach Höherem: "Warum beherrschen wir die Perser nicht?" fragt Klein-Alexander in der Grundschule bei Aristoteles. Der erzählt von den "oriental races", die irgendwie anders seien - eine Antwort, die auch den zukünftigen Herrscher kaum befriedigen kann, zumal der Athener Philosoph ihn auch noch darauf hinweeist, dass sein geliebter Held Achill "selfish" gewesen sei. Wenn seine Mutter für ihn jenen optimistischen Geist einer Aufklärung verkörpert, die die Grenzen der Welt in Frage stellt, sie aus den Angeln hebt, dann steht der Vater Philip von Mazedonien in Alexanders Leben according to Stone für die old school des Politischen: "There is no glory without suffering", bleut er dem Knaben ein, "The king isn't born, he is made." "Mit seinem Pessimismus", so Stone, "vererbte Philip ihm die notwendige Stärke, die unterschwellige Grausamkeit der griechischen Seele."

"I can explain you anything"

Am Anfang das Ende. Mit dem Tod des berühmtesten Griechenfürsten aller Zeiten lässt Oliver Stone sein Filmepos beginnen. Die Bilder in denen er das tut, lehnen sich deutlich an den Auftakt von Orson Welles' "Citizen Kane" an: Der erschlaffenden Hand des Sterbenden entgleitet der Siegelring, die Umgebung mischt sich mit Phantasiebildern, Erinnerungen setzen ein. Unübersehbar hat Stone hier Großes vor, wie Alexander sein Leben am sagenhaften Helden Achilles orientierte, misst sich Stone an legendären Filmen und Regiemeistern.

Vielleicht hätte er dieser, ihm zweifellos naheliegenden Intuition ganz konsequent folgen und seinen Film ausschließlich a la Welles aus der subjektiven Perspektive der Hauptfigur in Form von Flashbacks erzählen sollen, vielleicht wäre dann auch ihm ein großer Film gelungen. Doch Stone entschied sich noch für eine zweite Narrationsebene, und so sieht der Zuschauer alsbald Anthony Hopkins als Alexanders greisen ehemaligen Kampfkameraden Ptolemaios - "40 Jahre später, unsere Welt von damals ist nun verschwunden." - mit der weisen Stimme des über allen Dingen schwebenden Historikers von den alten Zeiten schwafeln, und die notgedrungen trotz knapp drei Stunden Länge arg gestraffte sprunghafte zu roten Erzählfäden knüpfen. Das mag für manch' historisch uninformierten Zuschauer das Chaos der Namen und Fakten wieder einigermaßen ins Lot bringen, den Film hingegen wirft es aus seinem Gleichgewicht, belastet ihn mit einem grundsätzlichen Widerspruch: Seine Perspektive schwankt nämlich ständig zwischen einer halbwegs faktenkorrekten, authentischen Darstellung der damaligen Welt bzw. der Ereignisse der Herrschaftszeit Alexanders und der persönlich-subjektiven Sicht einer getriebenen, schwer traumatisierten, mitunter größenwahnsinnigen, zugleich unbezweifelbar charismatischen Persönlichkeit, die modern und ihrer Zeit in manchem weit voraus war, hin und her.

Oliver Stone hat immer schon ein Interesse am Epischen gehabt, an ausladenden, mitunter überdeutlichen Bildern, am Grellen. Sein Kino ist Pop mit einer Neigung zum Trash, vor B-Movie-Gesten scheut dieser Regisseur ebenso wenig zurück, wie vor gelegentlichen Moralpredigten. Zugleich ist Stone viel sensibler, als es das Klischee vom latent größenwahnsinnigen, manchmal vulgären Regiemaniac und Provokateur will. Diese erst zweite Verfilmung des Lebens Alexanders des Großen - nach 1956 Robert Rossen mit Richard Burton in der Titelrolle - beweist dies aufs Neue: Ein mitunter glänzender, immer visuell kraftvoller Film, der Motive aus der Filmgeschichte - etwa die Darstellung Babylons im Griffith-Klassiker "Intolerance" - aufgreift und in etwas Eigenes verwandelt, das unverkennbar Stones Handschrift trägt - wenngleich weniger, als die meisten seiner früheren Filme. Vieles ist perfekt recherchiert, detailgenau verfilmt, zugleich kennt Stone neben den historischen Klassikern - Droysen über 100 Jahre alte Darstellung erwähnt er in Interviews häufig, der britische Alexander-Biograph Robin Lane Fox (dessen bahnbrechende Biographie auf Deutsch jetzt bei Klett-Cotta erschienen ist: "Alexander der Große. Eroberer der Welt") beriet Stone in der Vorbereitung -, auch poetische Phantasiestücke, wie Klaus Manns 1929 erschienenen Debütroman "Alexander" mit dem Untertitel "Roman der Utopie". Wer Stone im Vorfeld des Kinostarts traf, konnte erleben, dass der Regisseur - "I can explain you anything..." - einem jeden einzelnen Schlachtverlauf notfalls persönlich aufmalen könnte. Historisch kann man Stone wenig vormachen, hier hat sich einer akribisch in seinen Stoff vertieft.

Der Herrscher im psychischen Striptease

Betrachtet man Stones bisherige Filme, dann scheint die Wahl des Themas nur auf den ersten Blick einen Bruch zu bedeuten. Eigentlich passt es nämlich ganz gut: Immer wieder interessiert sich Stone für das Geheimnis jenes Zaubers, mit dem ein Mensch andere Menschen begeistern kann, für das was die griechische Antike "Gnadengabe", Charisma nannte. In seiner Darstellung von Alexanders Wirkung bewegt sich Stone über Max Weber berühmte Definition, ("Charisma soll eine als außeralltäglich geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als 'Führer' gewertet wird. Darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den 'Anhängern', bewertet wird, kommt es an.") hinaus, und illustriert entsprechende Bemerkungen des US-Soziologen Richard Sennett, die dieser allerdings auf eine explizit moderne Gesellschaft, jene des 19.Jahrhunderts gemünzt hatte: "Die Enthüllung innerer Regungen wurde das Erregende. Wenn jemand imstande war, sich in der Öffentlichkeit zu offenbaren und diese Selbstenthüllung gleichzeitig zu kontrollieren, dann wirkte er erregend. Man spürte, dass Macht von ihm ausging, ohne erklären zu können, warum - das säkulare Charisma: ein psychischer Striptease."

Genau erklärt wird im Film die Wirkung Alexanders nicht - wie ein klassischer Hollywood-Held darf er quasi wie von selbst Gefolgschaft einfordern, und erhält sie. Auch wenn seine emotional-revolutionäre Herrschaft aus einer Krise - der Ermordung Philips - entspringt, ist sie in der persönlichkeitszentrierten griechischen Gesellschaft ein stabilisierendes Element. Erst indem es Passivität erzeugt, indem Alexanders Blick zunehmend selbstherrlich und idiosynkratisch im Caesarenwahn auf das eigene Ego und weg von den Belangen seiner Armee und der Gesellschaft gelenkt wird, erzeugt es eine Form der Krise. Sennett schreibt: "Das moderne Charisma ist die Ordnung selbst und produziert gerade als solche Krisen." Das Scheitern Alexanders ist bei Stone gleichermaßen das Scheitern eines Charismatikers unter dem ständigen Bewährungszwang des charismatischen Herrschers, als auch das seiner Anhänger, die es an Vertrauen - dem notwendigen Kapital des Charismatikers - fehlen lassen.

Zuviel Homer gelesen

Alexander der Große fügt sich auch gut zu Stones Lieblingsthema ödipaler Familienverhältnisse, das er in fast allen seinen Filmen entfaltet. Sein Alexander ist ein kleiner Junge, der unter übermächtiger Mutterliebe und fehlender Anerkennung des Vaters leidet. Die Szenen, in denen wir ihn mit seinem Vater, dem einäugigen Philip von Mazedonien (Val Kilmer stoisch und glaubwürdig) sehen, gehören zu den besten des Films, ebenso wie die der latent inzestuösen Mutter-Sohn-Beziehung, die der Film behauptet. Mutter Olympias wird wie erwähnt von Angelina Jolie gespielt, die zwar kaum älter ist, als Alexander-Darsteller Colin Farrell, aber gerade in der übertriebenen Camp-Attitude, in der sie mit schweren Akzent, gerunzelter Stirn wallenden Kleidern und um den Körper gewickelten Schlangen durch den Film schreitet, stellt sich die nötige Mischung aus darstellerischer Kraft und Distanz, ja Selbstironie ein, die jene Aura alter Hollywood-Sandalenklassiker herstellt, die dem Film ansonsten zumeist fehlt. Olympias begreift den Sohn - "zögere nie!" - als ihren Rächer und Vollstrecker ihrer Träume, fordert ihn kaum verhüllt zum Vatermord auf, während Philip sich eine Zweitfrau nimmt und den Sohn nur warnt: "Nimm Dich vor allen Frauen in Acht."

Man nimmt Alexander ab, dass er zwischen diesen dominanten Eltern hin- und hergerissen ist, ahnt, dass hier die Wurzel seiner bisexuellen Neigungen ebenso liegt, wie, dass sich im Drang, die ganze Welt zu erobern vielleicht nur der Wunsch verbirgt, dem Zuhause zu entfliehen. Überhaupt erscheint Stones Alexander über weite Strecken als sensibles Weichei, das zuviel Homer gelesen hat, davon träumt Achilles zu sein, gern ein paar Tränchen zuviel vergießt, und lieber zögert, als entscheidet. Und Colin Farell der mit blondierten Locken aussieht wie Mozart in der Endphase, erweist sich als Fehlbesetzung: gar zu weich und tuntig, eben wie ein überforderter Schauspieler, der sich in Manierismen flüchtet, nimmt man ihm weder den Welteroberer, noch den bisexuellen Verführer aller Geschlechter je ab.

Auch für diesen Film gilt, was für alle Stone-Filme geht: Das Private ist hier selbstverständlich hochpolitisch. In Zeiten, in denen die US-Gesellschaft um die, von der Regierung heftig bekämpfte Zulassung der Homosexuellenehe streitet, ist die einigermaßen deutliche Darstellung eines männerliebenden Fürsten trotz allem Wissen um die Lebensart der griechischen Antike, in den USA immer noch eine Provokation - und wenn manch liberaler US-Kritiker jetzt mäkelt, dass die entsprechenden Szenen weit weniger explizit seien, als eine wilde Bettszene Alexanders mit seiner Braut Roxanne, und Stone deshalb Feigheit und Verklemmtheit vorwirft, entspricht dies wohl kaum dem Mehrheitsempfinden der US-Kinogänger.

Doch auch andere Parallelen drängen sich auf: Ein komplexbeladener Sohn, der unter einem übermächtigen, angstvoll verehrten Vater leidet, in seiner Jugend Drogen konsumierte und sexuelle Ausschweifungen liebte, führt einen letztlich gescheiterten Feldzug über den heutigen Irak und Persien bis nach Indien - nicht wenige denken da an die derzeitige US-Administration.

Im Unterschied zu der lag das Ziel der Politik des Film-Alexander - und hier mag man so etwas wie die "Message" des Films entdecken - aber in einer offenen multikulturellen Gesellschaft, in der Verschmelzung der Kulturen. Unübersehbar steckt ein zweiter Film in diesem drin, der von einem Gewaltmenschen erzählt, der sich durch seine Mission rechtfertigt. Unübersehbar schleichen sich auch in den Film des linken Hollywood-Auteurs Stone immer wieder Plädoyers für Unilateralismus ein: "This people want, need change" ruft Alexander, kurz bevor er in Persien in einen Guerillakrieg verwickelt wird. Doch wenn er "Free the people of the world" ruft, ähnelt das immer noch mehr einem Rockkonzert, als einer Pressekonferenz von Condoleeza Rice. Dieser Alexander will und erreicht Völkervermischung, in seiner Liebe zu Asien entdeckt er den zivilisierten Gegenentwurf zu seiner eigenen Welt, sozusagen eine andere Moderne. Gerade hier ist er uns Zeitgenossen nahe. Nach seinem Tod herrschten - trotz der Diadochenkämpfe - über hundert Jahre Prosperität und Boom. Man kann mit guten Gründen sagen, dass die Römer viele Ideen von Alexander aufgegriffen und in ihrem Imperium weitergeführt haben.

Alexander ist "der letzte Grieche" (Stone), denn seine Herrschaft bedeutet das Ende der antiken griechischen Welt. Mit ihm mündete sie in etwas anderes, neues, in das gewaltige Imperium, dass er geformt hat. Mit ihm begannen Ost und West ihre vielfältige Wechselbeziehung. Alexanders - wie der Film zeigt - auch nicht gerade friedliche Welteroberung ist eine erfolgreiche, weil tolerante, offene, vom Eroberten faszinierte - und auch darin der Gegenentwurf zum jetzigen Gebaren der US-Regierung, vergleichbar - wenn man schon einen fast vollständig in Europa produzierten Film so konkret parallelisieren muss - eher mit der US-Politik zwischen 1940 und 1950. So gesehen zeigt Oliver Stone nicht etwa, wie man meinen könnte, die bösen Folgen einer per se bösen kulturellen Globalisierung, sondern eine andere, bessere Globalisierung. Stone portraitiert den Griechenfürsten als Träumer, politischen Visionär und Vorreiter eines neuen, freiheitlichen Lebensstils voll nie gekannter Freizügigkeit. Das ist nicht wahnsinnig politisch unkorrekt, doch immerhin eine linksliberale Variante der bekannten Hollywoodmythen. Das mag alles historisch nicht korrekt sein, mag mit den negativen Zügen die Ambivalenz dieser historischen Figur unterschlagen. Doch bekommt hier der Film jene klare Richtung, die ihm an anderer Stelle immer wieder verlorenzugehen droht. Was diesen Alexander eigentlich antreibt, kann man ansonsten nur aus dem Verhältnis zu seinen Eltern heraus mühsam rekonstruieren.

Psychedelic Soldier

Auch visuell überzeugt "Alexander" nur zum Teil. Zu sauber und klar sind die Bilder über weite Strecken, zu albern und kitschig oft das Setdesign, zu bombastisch die Musik, zu kühl und studioartig das Sounddesign. Im Gegensatz zu Stones früheren Filmen ist der Schnitt ohne Ambition, oft lahm und selten in dem kaleidoskopartigen, exaltierten Stil gehalten, für den Stone zu recht berühmt ist. Atmosphärisch stimmt der Film von Anfang an nicht. Aber großartig und innovativ ist die Darstellung zweier großer Schlachten. In Gaugamela schlägt Alexander den König Dareios - der zweifellos gewisse Ähnlichkeiten mit Bin Laden aufweist, und dessen starrer Blick sich immer wieder intensiv direkt durch die Leinwand auf den Zuschauer richtet - in die Flucht und vollzieht den regime change in Persien. Zwar ist immer klar, wo der Feind steht, doch ist die Schlachterfahrung selbst hübsch chaotisch und sehr realistisch inszeniert, manchmal behält man nur mit Hilfe von Inserts - "linker Flügel der Griechen", "rechter Flügel der Perser" - den Überblick, dann wieder fliegt man wie Vogel über die Wüste und die Schlachtreihen - man sieht hier kein fröhlich-patriotisches Sterben im Krieg mit pathetischen Sprüchen, das noch Petersens "Troia" unerträglich machte. Auch ein Kampf in Indien ist visuell atemberaubend, die Begegnung des Reiters Alexander mit einem Elefanten wird zum mythischen Moment des Films, ähnlich wie in "Apokalypse Now" oder "Excalibur" ist hier alles in psychodelisches Rot getaucht.

Mehr davon - und "Alexander" wäre ein großer Film geworden. Doch immer wieder zerstört zuviel Gerede, zuviel Zwischenerzählung den reinen Zauber. Ein Film über dieses Thema kann nichts anderes sein, als Arbeit am Mythos. Und im Unterschied zu einem Film wie "Motorcycle Diaries", der seine sperrige Figur aller Authentizität beraubt, um sie dem Massenpublikum zumuten zu können, versucht Stone seinem Stoff gerecht zu bleiben. Man muss loben, dass Stone keine Konzession an Mainstream macht. Das Ergebnis dieses opulenten Geschichtsgemälde, fasziniert, nicht nur als Auseinandersetzung mit den Epen des klassischen Hollywood, besticht durch Intelligenz und Bildgewalt, durch das Wissen eines Regisseurs, der sich seinem Thema jederzeit gewachsen zeigt. Aber die verschiedenen Teile passen hier oft nicht zusammen, indem er seine Hauptfigur gleichzeitig entmythisiert und verklärt, fehlt dem Film die Konsequenz, die er benötigte, um nicht nur stellenweise zu begeistern.

Literaturhinweise:

Robin Lane Fox: "Alexander der Große. Eroberer der Welt "; Klett-Cotta, Stuttgart 2004, 807 Seiten, EUR 29
Gerhard Wirth: "Alexander der Große"; rororo Monographien, Reinbek 2004, 157 Seiten EUR 7,50
Michael Wood: "Auf den Spuren Alexanders des Grossen"; reclam 2002, 256 Seiten EUR 29,90