21C3: Die Welt frei hacken

Manipulation, Zensur, Propaganda, freies Wissen, Terrorismusbekämpfung, böse Buben, gute Häcksen: Business as Usual der üblichen Verdächtigen auf dem 21. Chaos Communication Congress

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Am Ende des Orwell-Jahres 1984 trafen sich zum ersten Mal rund 300 Hacker im Hamburger Bürgerhaus zum Chaos Communication Congress. Die "üblichen Verdächtigen" ­ so das Motto des 21. Stelldicheins der Szene in diesen Tagen in Berlin ­ sind jetzt deutlich mehr: Mehr als anderthalb tausend Freunde der unorthodoxen Techniknutzung werden dieses Jahr erwartet. Das Grundanliegen des hinter der "europäischen Hackerparty" stehenden Chaos Computer Club (CCC) ist aber gleich geblieben und spiegelt sich am besten in dem inzwischen auch von einem Elektronikmarkt adaptierten heimlichen Slogan "Lass dich nicht verarschen" wider: Vertraue keiner Maschine, die du nicht selber gehackt hast. Und schon gar nicht den Medien oder Politikern. Viel Aufklärungsarbeit hat der Verein aber noch vor sich.

Fotos: Stefan Krempl

Ein Glück, dass es Peter Glaser gibt. Der dem CCC seit langem innig verbundene Autor hat bei der Eröffnung des 21. Chaos Communication Congress (21C3) im aus den Ruinen des Sozialismus auferstandenen Berliner Congress Center am Montag recht erfolgreich versucht, die mit dem frühen Tod des CCC-Doyen Wau Holland entstandene Lücke (Hacken als Form der Gesellschaftskritik) mit Altersweisheit zu füllen. Seine "kleine Geschichte der Technikbegeisterung" war gespickt mit der vom CCC seit langem gepredigten Hackerethik und -philosophie, ohne jedoch das große Gähnen zu wecken.

Wer außer CCC-Veteranen - oder Karl Krauss - könnte eindrucksvoller als einzige Rettung vor "der Maschine", die mit den Fortschritten in der Roboterforschung immer mächtiger wird, schlicht deren sachgemäße Benutzung propagieren? Wer könnte sich ernstgemeinter direkt in die kritische Denktradition der Aufklärung setzen? Wer besser auf die "moralische Dimension" der Technik pochen? Wer glaubhafter für den freien Fluss der Daten gegen das "Entrechtungsmanagement" der DRM-Falken eintreten?

So umschrieb Glaser die großen Motive der vom Internet beflügelten Hackergemeinde. Er erinnerte an den "ersten internationalen Netzhack", einen Einbruch in die Großrechner der NASA, bei dem es letztlich schon um das Prinzip der Teilnahme ­ in diesem Fall am frühen Internet vor dessen explosionsartiger Verbreitung ­ gegangen sei. Die Hacker hätten seitdem zahlreiche konstruktive Methoden der inklusiven sowie kritisch-kreativen Techniknutzung entwickelt und erprobt. Hacken ­ das wird für Glaser anschaulich, wenn man beispielsweise zwei elektronische Leitungen in ein Würstchen steckt und dieses so mithilfe des entstehenden Widerstands "extrem schnell grillt". Nicht jedermanns Problemlösungsansatz sicherlich, aber dafür ein umso direkterer.

Gleichzeitig beklagte Glaser aber, dass die Hacker für die Medien nur interessant würden, wenn sie für eine Fehlermeldung im System sorgen. "Only bad news is good news", natürlich. Und der CCC hatte schon immer ein gespaltenes Verhältnis zur berichterstattenden Presse. Denn auf richtiges Verständnis der komplizierten Technikmaterie und der politischen Hintergründe des eigenen Hackstils kann er dort so gut wie nicht rechnen. Glaser bemängelte denn auch eine übliche News eines Computerblattes aus dem Ressort IT-Sicherheit, wonach 10 Prozent des bösartigen Codes von Viren und Trojanern auf das Konto "von Teenager-Hackern" ­ alias Script-Kiddies ­ gehen sollen.

Wie viel guter Code von Hackern ­ alias findigen Programmierern ­ tagein und tagaus geschrieben wird, würde dagegen keinen Reporter ernsthaft interessieren. Dem von den Mainstream-Medien bedienten Wunsch nach Unterhaltung und der Sucht nach schlechten Nachrichten stellte Glaser dann noch die Welt der Werbung gegenüber ­ gekennzeichnet durch "notorisch gute Nachrichten". Glasers Zielvorstellung und Anspruch: "Wir müssen uns die Frage stellen, ob sich die Realität dazwischen nicht frei hacken lässt."

An der nicht erst in der Mediengesellschaft letztlich utopischen Entblätterung der Wirklichkeit versuchten sich auf dem Congress in diesem Sinne ein Teil des bunten Völkchens und der von außen zu ihr gestoßenen Referenten. An kaum einer anderen Stelle hört man wohl offen oder unterschwellig mehr über Verschwörungstheorien und die ­ zum Teil tödlich endende ­ Fehlrezeption des Illuminatus-Autors Robert Anton Wilsons sowie die Steuerung und Beeinflussung der (Netz-)Wirklichkeit durch Geheimdienste wie die NSA.

Die Zuhörer werden ferner über üble Propagandatricks in Kenntnis gesetzt. Etwa, dass Hollywood-Regisseure ihre Filme wie Terroristen inszenieren ­ und umgekehrt. Offen ausgesprochen wurde zudem endlich einmal die wohl unbewusst schon von vielen am eigenen Leibe erfahrene Erkenntnis, dass der Zuschauer beim Starren auf das coole Medium Glotze weniger Kalorien verbraucht als beim Schlafen.

Auch die faktische Wahrheitssetzung durch Suchmaschinen und das damit einhergehende Zensurpotenzial stand immer wieder auf der Tagesordnung. Dabei rückte unweigerlich der Branchenprimus Google ins Zentrum der Kritik. Nicht nur, weil die Kalifornier längst mit der chinesischen Regierung paktieren und vermeintlich sensible Suchanfragen aus dem Reich der Mitte auf Regierungsseiten umleiten oder zahlreiche revisionistische Sites über das deutsche Portal schlicht ausblenden. Sondern auch, weil Google seinen begehrten und mit besseren Platzierungen in den Ergebnissen einhergehenden PageRank laut dem Multimedia-Studenten Frédéric Philipp Thiele längst zur "Handelsware" gemacht und damit die Suchqualität zur Geldfrage abqualifiziert hat sowie über sein speicherintensives Cookie die Interessen der Nutzer über das wachsende Webimperium des börsennotierten Unternehmens hinweg ausspioniert und zusammenführt.

Viel Spott erntete immer wieder aber ferner Microsofts Google-Klon bei MSN, weil dieser aus falsch verstandenem Jugendschutz heraus bei der Eingabe des Begriffs "Staatsexamen" die Arbeit glatt verweigert ("A tergo" – Sex durch die Hintertür bei MSN), bei "Taschengeld" dagegen frank und frei auf ein "Hobbynuttenverzeichnis" an oberster Stelle verweist.

Internet? Fehlanzeige

Insgesamt kam der Congress nach den Feiertagen dieses Jahr aber ungewöhnlich langsam in Fahrt. "Content is King", hatte CCC-Überorganisator Tim Pritlove das rein von der Masse zumindest deutlich ausgeweitete Vortragsprogramm den Besuchern am ersten Tag schmackhaft gemacht. Gleichzeitig hatte er den Sicherheitstestern und Datensaugern mit der Aussicht auf Uploadraten im Gigabitbereich das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.

Doch der auch von Glaser beschworenen Teilhabe am Breitbandnetz stand peinlicherweise just das notorische Chaos entgegen. "Hast du Netz?", lautete die kommunikative Begrüßungsformel den gesamten ersten Kongresstag über. Vor allem am zweiten Tag konnten sich aber zumindest die Haecksen und ihre männlichen Kollegen aus dem Hackcenter im Untergeschoss des Congress-Centers über eine Verbindung zum weltweiten Datenmeer freuen. Eine funktionierende IP-Adresse fürs drahtlose Datenreisen via WLAN zu ergattern, war bis zum Dienstagabend nach wie vor reine Glückssache.

Mancher Vortragstitel versprach zudem deutlich mehr als der zugehörige Referent später einlösen konnte. Daniel Bartletts Einladung zu einer Sitzung über "automatisierte Hackmethoden mithilfe von Google" warf zwar gewichtige Fragen zu vereinfachten Suchmöglichkeiten nach ausschlachtbarem PHP-Code auf. Doch passende Anwendungsbeispiele hatte Bartlett nicht mitgebracht. Trotz einer spontanen Wiederholung des Anfangsteils seines Vortrags war er so mit diesem schon nach 15 Minuten ­ statt der vorgesehenen 60 ­ durch.

Als angemessener Pausenfüller erwies sich ein Autor, der ein Buch über die "unheilige Allianz" zwischen "Hackern und der russischen Mafia" schreiben will und über das überraschend frei gewordene Podium nach Informanten aus der Szene suchte. Sein Vorschlag für den faustischen Ausplauderhandel lautete: "Perfekte Copyright-Abtretung an mich, perfekter Alibi-Schutz für euch." Unter dem Gelächter der anwesenden Hackergemeinde versprach der Schreiberling, in seinem "Thriller" über Backdoors "keines der üblichen Klischees" aufbauen zu wollen. Er sei sich aber schon sicher, was die ungefähre Quote der sexuellen Kontakte der Hauptpersonen und ihre Freizeitbeschäftigung angehe.

Dass Hacker, die von der rechten Bahn abgekommen oder nie mit ihr in Berührung gekommen sind, vermehrt mit Cybercrime wie Erpressungen, Spamverbreitung nach Mafia-Art, der Aussetzung von Viren oder üblen Phishing-Methoden in Berührung gebracht werden, stellt allerdings durchaus ein Problem für den CCC dar. So ward sich die Community beispielsweise nicht einig, ob die Schuld für das Abfischen von Logindaten, Passwörtern oder Kreditkartennummern via getürkter E-Mails nicht auf die neuesten Sicherheitsstandards setzenden Banken, faulen und dummen Nutzern, den Herstellern angreifbarer Mail-Clients oder all diesen Parteien in die Schuhe zu schieben sei.

Man gibt sich teils reserviert

Alt-CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn vergaß in seinem Jahresrückblick zudem zwar den herbstlichen Hack eines Club-Servers durch eine Gruppe spanischer Sicherheitsexperten zu erwähnen, nicht jedoch die Verhaftung des Sasser-Autors. Dabei handle es sich zwar "nicht direkt um ein CCC-Event", erheiterte der unter die Startup-Gründer gegangene Medienexperte die Congress-Teilnehmer. Hinter dem Vorgehen der befreundeten Firma Microsoft, Prämien für Virenautoren auszuschreiben, witterte er aber dann rasch eine "aus dem Bereich der Geheimdienste" abgeleitete Strategie. Danach entkomme derjenige dem womöglich selbstverschuldeten Schlammassel am besten, der am lautesten "Haltet den Dieb" schreie. Den Teenager samt seines Wurms von der Wümme habe es jedenfalls "schwer erwischt" und die "Diskussion, ob wir eine solche Denunziationspolitik wollen, läuft noch." Ob mit einer solchen Herangehensweise an das Problem einer Viren- und Spam-verseuchten Onlinewelt aber auch künftig die Hackerethik hochgehalten werden kann?

Grenzen und Prinzipien der selbst zusammengehackten Welt der Datenreisenden wie das Postulat nach der universellen Teilnahme kommen auf dem diesjährigen Congress jedenfalls hin und wieder ins Wanken. So hat sich eine Truppe von Starhackern, die als Phenoelit berühmt und berüchtigt ist, erstmals in einer "Reserved Area" in der hintersten Ecke des Hackcenters gemütlich eingerichtet. Diese "VIP-Lounge" ist zwar problemlos hackbar, doch die Schilder am Eingang dürften ihre Wirkung zeigen und so manchen "Nicht-Geladenen" vom Betreten der eingeschränkten Zone abhalten.

Dabei könnten sie dort Zeugen eines weiteren kleinen Tabubruchs werden: Trifft man bei Phenoelit doch beispielsweise auf eine durchaus ansehnliche, farbige Microsoft-Sicherheitsexpertin mit dem aufschlussreichen Namen Window Snyder, die sich als Ex-Mitarbeiterin der von ehemaligen Hackern ins Leben gerufenen US-Firma @stake anscheinend dem neuen Geschäftsfeld "Hacker Relations" der Redmonder verschrieben hat.

Doch der Großteil der Hacker hat auf dem Congress sicher Besseres zu tun, als sich in diplomatischen Beziehungen zu Microsoft einzuüben. Allerorten spielen Pragmatiker neue Linux-Installationen auf ihre Laptops, basteln Lego-Controllern für ausrangierte Zahnarztstühle, perfektionieren Fußball spielende Roboter für den nächsten Weltcup oder üben sich mithilfe des Brettspiels Go im geduldigen Warten auf eine Netzverbindung. Denn noch hat sich nicht überall herumgesprochen, dass den Hackern eine ganz besondere Virenbedrohung in Form einer Windpockeninfektion bereits mehr als ins Haus steht.

Erst einmal überlagert der Spaß am Gerät die Sorgen um die Technikwelt von morgen. Latenter Optimismus herrscht vor, wie ihn der gegen DRM und Zensur in Form eines falsch verstandenen Trusted Computing kämpfende Kryptoforscher Rüdiger Weis mit einem Hauch Pathos auf den Punkt bringt: "Wir werden gewinnen, aber es werden viele Opfer auf dem Weg bleiben."