Die Weihnachtsflut kam nicht wirklich überraschend

Von "seit 500 Jahren keine Tsunamis" kann im Indischen Ozean absolut keine Rede sein

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"Im Vergleich zum Pazifik sind Tsunamis im Indischen Ozean selten, seit 500 Jahren ist eine solche Welle nicht mehr vorgekommen", so wurde in den deutschen Nachrichten begründet, wieso diese Länder keine Notwendigkeit für ein Vorwarnsystem sahen, das möglicherweise 100.000 Menschenleben gerettet hätte. Dies ist ein Irrtum, die Region um Sumatra ist seit Jahrhunderten geologisch sehr aktiv und die berüchtigte Explosion der Insel Krakatau zwischen Sumatra und Java, die die Erde verdunkelte und das Klima jahrelang beeinflusste, ist gerade erst 121 Jahre her.

Es wird momentan so getan, als sei das Seebeben, das den Tsunami erzeugte, völlig überraschend gekommen. Dem ist nicht so; die Wissenschaftler können zwar den exakten Zeitpunkt nicht voraussagen, doch dass ein Erdbeben an der Sumatra-Verwerfung bevorstand, wo inmitten der Sundastraße die Australisch-Ozeanische Platte auf die Asiatische Kontinentalplatte stößt, war ihnen ebenso klar, wie dass es irgendwann in den nächsten Jahrzehnten auch wieder in Kalifornien an der San-Andreas-Verwerfung Ärger gibt: Die tektonischen Platten verschieben sich gegeneinander und je länger die Erde in einer solchen Problemzone ruhig bleibt, die Verschiebung also ins Stocken kommt und sich Druck aufbaut, desto kräftiger rumpelt es, wenn der Druck zu groß wird und die Dinge dann schlagartig wieder in Bewegung kommen.

Sumatra-Verwerfung (Bild: Caltech)

Dabei kommt ein großes Beben selten ohne Vorboten: Kleinere Beben zeigen sich bereits Wochen, Monate oder Jahre vorher. Vor zwei Jahren gab es vor Sumatra bereits ein Beben der Stärke 7,7. Kerry Sieh, Geologe am California Institute of Technology, hatte eigentlich nächste Woche vor, wieder vor Ort – am nördlichen Ende der unter dem Meer vor Sumatra liegenden Verwerfung – Korallen zu untersuchen, um aus diesen mehr über den Wasserstand und damit vergangene Beben vor Sumatra zu erfahren: 1797 und 1833 hatte es dort ähnlich große Beben gegeben, kleinere dazwischen in den Jahren 1861, 1876, 1893 und 1935. Aus der Untersuchung der Korallen hatte Sieh bereits entnehmen können, dass etwa alle 230 Jahre die Erde vor Sumatra besonders stark bebt. Die jetzige Katastrophe war somit überfällig.

An der Sumatra-Verwerfung liegt auch die 100 km lange Toba-Caldera, wie der amerikanische Yellowstone-Nationalpark die Spur eines Supervulkans, der vor 74.000 Jahren zuletzt ausbrach und bei dem ein erneuter Ausbruch monströse Auswirkungen vergleichbar einem nuklearen Winter hätte.

Toba-Caldera als Falschfarben-Satellitenbild mit Sumatra-Verwerfung (Bild: Landsat Pathfinder Project)

Das Beben von 1833 hatte dabei ähnliche Tsunami-Auswirkungen wie das von 2004. Sylvester 1881 gab es ebenfalls ein Tsunami-auslösendes Beben auf den ständig von Erdbeben heimgesuchten Nicobaren mit Stärke 7,9 – wie das Beben von 2002 nur zwei Jahre vor dem Ausbruch des Krakatau im Jahr 1883.

Dieser wiederum hatte nicht nur mehrere Jahre Auswirkungen auf das Klima der gesamten Erde; er erzeugte nach dem Einsturz des verbliebenen Vulkankegels auch eine ähnlich katastrophale Flutwelle, die bis zu 37 Meter hoch wurde und 36.417 Menschen auf dem Gewissen haben soll – ein Vielfaches der vom eigentlichen Vulkanausbruch Betroffenen.

Tsunami von 1833 nach Berechnungen von Geoscience Australien

Seit 1927 ist nach nur 44 Jahren Pause ein neuer Vulkan an der Stelle des explodierten Krakatau aus dem Meer gestiegen: Anak Krakatau, das "Kind des Krakatau", der mittlerweile auch wieder ziemlich aktiv ist und 1953 erneut alles Leben auf der Insel auslöschte. Dass es auch hier irgendwann wieder einen größeren Knall gibt, ist also absehbar: Der sogenannte "indonesische Feuergürtel" ist mit 150 aktiven Vulkanen eine der vulkanisch aktivsten Regionen der Welt

Der Krakatau-Ausbruch ist gerade erst 121 Jahre her, in geologischen Maßstäben ein paar Minuten. Es mag im Indischen Ozean also nur alle 100 Jahre Tsunamis geben statt alle 10 wie im Pazifik, doch ist dies kein Argument, auf ein Vorwarnsystem zu verzichten, denn von einem Vulkanausbruch oder Erdbeben bis zum Eintreffen der Flutwelle bleibt bei den meisten gefährdeten Regionen eine ganze Stunde Zeit oder noch mehr.