Es ist mehr als nur Nothilfe nötig

Die Flutkatastrophe im Indischen Ozean wirft ein Schlaglicht auf die Probleme der Region - und das Verhältnis der "internationalen Gemeinschaft" zu ihnen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach der Flutkatastrophe in Südostasien ist die Hilfsbereitschaft in Deutschland enorm. 3,6 Millionen Euro Spenden gingen bis Mitte der Woche allein bei der Aktion Deutschland Hilft ein, in der sich über zehn Hilfsorganisationen zusammengeschlossen haben. Das "Aktionsbündnis Katastrophenhilfe" des Deutschen Roten Kreuzes, des UN-Kinderhilfswerkes UNICEF und verschiedenen kirchlichen Organisationen (ohne Internetpräsenz) konnte derweil 1,3 Millionen Euro verbuchen. Die Bundesregierung erhöhte die Soforthilfe aus öffentlichen Geldern auf 20 Millionen Euro. Die Opferzahlen mussten inzwischen auf mindestens 140.000 nach oben korrigiert werden.

Doch bei aller Hilfsbereitschaft drohen die Probleme der Region in den Hintergrund zu treten. So bestehen gerade im Fall des am schwersten betroffenen Landes Indonesien berechtigte Zweifel an dem sauberen Umgang mit staatlichen Hilfsgeldern. Erinnerungen werden an die Hilfsbereitschaft wach, nachdem 1998 der Wirbelsturm "Mitch" Tausenden in Zentralamerika das Leben gekostet hatte. Erst später wurde bekannt, dass in Nicaragua viele Menschen trotz der enormen Hilfs- und Spendenbereitschaft auf sich gestellt blieben. Einen großen Teil der Gelder hatte der damalige Präsident Nicaraguas, Arnoldo Alemán, in die eigene Taschen umgeleitet.

Florian Rötzer: Bam und Südostasien

Allein in Indonesien gehen die Behörden nun von mindestens 80.000 Toten aus. Manche rechnen mit weit höheren Opfern. Der indonesische Botschafter Rusdihardjo in Malaysia sagte, dass es möglicherweise bis zu 400.000 Toten geben könnte. Manche Inseln im Westen des Landes seien ganz verschwunden, in manchen Städten wie in Meulaboh (150.000 Einwohner) gebe es nach Beobachtungen aus der Luft kein Lebenszeichen. Hier sei nur ein einziges Gebäude stehen geblieben, das sich auf einem Hügel befindet. Andere Berichte sind ganz so dramatisch, aber die Rede ist immer noch von mindestens 40.000 Toten alleine in Meulaboh.

Die Soforthilfe für die gesamte Region, die von der Katastrophe betroffen ist, ist auf dem Weg und dringend benötigt. Aber sie wird womöglich für viele Menschen, vor allem in entlegenen und abgeschnittenen Gebieten, zu spät kommen. Die nun zugesagten Gelder dürften auch kaum für das Nötigste reichen. Noch ist die Zahl der Toten und der Verwundeten unbekannt, die mit dem Ausbruch von Seuchen weiter steigen kann. Vermutlich sind mindestens 5 Millionen Menschen obdachlos geworden, viele Küstenregionen sind schwer zerstört. Der Wiederaufbau nach der Soforthilfe wird Milliarden von Euro kosten, die von den oft armen Ländern nicht selbst aufgebracht werden können.

Wie die Erfahrung zeigt, versprechen die Regierungen der Industriestaaten schnell unter dem Druck der Medien und der Bevölkerung Gelder, die dann aber nur teilweise, wenn überhaupt eintreffen. So sind angeblich Zusagen von 500 Millionen US-Dollar bei der UN eingegangen, die Hälfte von der Weltbank. Benötigt werden langfristig aber viele Milliarden. Doch selbst die schnell von 15 auf 35 Millionen Dollar aufgestockte Geldhilfe, die die US-Regierung in Aussicht gestellt hat, nachdem Jan Egeland, UN-Beauftragter für humanitäre Angelegenheiten, die Geizigkeit der reichen Länder beklagt hatte und sich offenbar vor allem die Bush-Regierung angesprochen fühlte, sind noch nicht gesichert. Tatsächlich zahlt die USA mit 0,14 Prozent ihres Bruttosozialprodukts die geringste Summe von allen Industrieländern an Entwicklungshilfe.

US-Präsident Bush wies die Kritik zurück, bezeichnete die USA als "großzügige Nation", da man die privaten Spenden mit berücksichtigen müsse, und betonte, dass die zugesagten 35 Millionen an Softhilfe nur der Anfang seien, während er gleichzeitig die Empfindlichkeit ausagierte und im üblichen Stil mit einer "Allianz" von Ländern unabhängig von der UN die Hilfe unter der Leitung der USA koordinieren wolle. Bush hatte allerdings auch schon afrikanischen Ländern jährlich 5 Milliarden versprochen. Bislang ist davon nichts eingetroffen.

Fast genau vor einem Jahr wurde die Stadt Bam im Iran weitgehend zerstört. Es gab 40.000 Tote. Auch vor einem Jahr wurde schnell Hilfe versprochen (auch wenn in Südostasien die Betroffenheit in den westlichen Ländern größer ist, da es sich um beliebte Touristengebiete handelt und so auch Bürger der reichen Staaten zu Opfern wurden). Versprochen wurden 1,1 Milliarden Dollar vom Ausland, angekommen sind nur 17,5 Millionen Dollar. Solange die Bilder der Katastrophe auf den Bildschirmen und in den Zeitungen sind, ist die Hilfsbereitschaft groß - und steigt auch der Zwang zu helfen. Verschwindet die mediale Aufmerksamkeit, erlischt auch das Interesse der Menschen. Kaum mehr wird gefragt, ob die Versprechungen der Regierung, die unter dem Druck der Weltöffentlichkeit und der eigenen Bevölkerung zustande gekommen sind, auch eingelöst werden.

Forderungen nach internationaler Aufsicht in Indonesien

"Wir halten eine internationale Kontrolle der Gelder wegen der Missbrauchsgefahr in Indonesien für unabdingbar", bestätigte Marianne Klute von Watch Indonesia auf Anfrage von Telepolis am Donnerstag. Positiv bewertet die Menschenrechtsorganisation in diesem Zusammenhang die Öffnung der Bürgerkriegsprovinz Aceh für internationale Helfer, "denn das gewährt zumindest einen minimalen Einblick in die Lage vor Ort", sagt Klute. Allerdings müssten auch ausländische Regierungen ihrer Beobachterfunktion gerecht werden. In Aceh gebe es weder Touristen, noch könnten sich Journalisten frei bewegen.

Somit interessieren sich nur wenige für die Lage dieser wahrscheinlich am schwersten von der Katastrophe betroffenen Region. Seit fast zwei Jahren steht die Provinz (Aceh) unter Ausnahmezustand. (...) Eine Militäroperation gegen die Freiheitskämpfer der GAM (Bewegung Freies Aceh) dauert an. 30.000 Soldaten der indonesischen Streitkräfte stehen in der Provinz.

Aus einem aktuellen Bericht von Watch Indonesia

Stellvertretend für andere Menschenrechts- und Hilfsorganisationen fordert die in Berlin ansässige Gruppe nun ein verstärktes Engagement der Internationalen Gemeinschaft in Aceh. "Was wir nicht wollen, ist ein militärisches Eingreifen", erläutert Klute. Vielmehr müssten ausländische Regierungen direkt auf die indonesische Regierung einwirken, um den Konflikt mit den Rebellen auf friedlichem Weg zu beenden.

Gerade von Deutschland seien hier die falschen Signale ausgegangen. Als im Sommer vergangenen Jahres etwa ehemalige Kriegsschiffe der DDR-Volksmarine im Krieg gegen die Rebellen in Aceh eingesetzt wurden, traf das in Berlin auf stille Akzeptanz. Dabei hätten die Schiffe, die noch unter der unionsgeführten Bundesregierung an Indonesien verkauft worden waren, laut Vertrag nicht für militärische Zwecke eingesetzt werden dürfen. Obgleich SPD- und Grünenabgeordnete noch lauthals protestiert hatten, als Altbundeskanzler Helmut Kohl den indonesischen Diktator Suharto seinerzeit als "guten Freund" bezeichnete, erhoben sie im laufenden Krieg keinen Einspruch mehr.

Von "Hoyerswerda" nach "Berlin": Die deutsche Truppe und die Krise

Neben der Erhöhung der Soforthilfe für die Staaten der Krisenregion reagierte die Bundesregierung Mitte der Woche vor allem mit der Mobilisierung der Bundeswehr:

Ich habe mit dem Bundesverteidigungsminister besprochen, dass die Bundeswehr Lazarette soweit verfügbar und Anlagen zur Trinkwasserbehandlung auch für längere Zeit zur Verfügung stellt. (...) Wir werden alle unsere Ressourcen nutzen, um dort hilfreich zu sein.

Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Erklärung zur Lage in der Katastrophenregion

Dabei werden die Kapazitäten der Bundeswehr keineswegs der ihr zugewiesenen Rolle gerecht. Gerade einmal ein Airbus A310 zur medizinischen Versorgung und Evakuierung befindet sich im Einsatz. Ein weiteres Flugzeug dieses Typs soll nach Angaben von SPD-Verteidigungsminister Peter Struck bis zum 2. Januar verfügbar sein.

Von Hilfsorganisationen werden solche "humanitären Einsätze" der Bundeswehr sowie anderer nationaler Armeen und militärischer Organisationen schon seit geraumer Zeit kritisiert. Thomas Gebauer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation medico international, nahm sich diesem Trend in einem Aufsatz zur Entwicklung der Nothilfe an. Gerade auch Militärs, so Gebauer, umgäben sich immer häufiger mit der Aura des Helfers und behaupteten, statt Krieg zu führen, nur noch humanitär intervenieren zu wollen:

Fraglos genießt diese zupackende Hilfe für Menschen in Not ein hohes öffentliches Ansehen.

Die Grenzen zwischen Krieg und Hilfseinsatz verschwänden dabei zusehends, was durchaus ein gewollter Effekt ist und daher in die militärischen Strategien einfließt.

Force Protection nennt die NATO jene humanitären Hilfsprogramme, die Streitkräfte parallel zu militärischen Operationen durchführen, um deren Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen.

Medico-Geschäftsführer Thomas Gebauer

Besonders offensichtlich wird die Verquickung von Kriegseinsatz und humanitärer Hilfsaktion im derzeitigen Vorgehen der Bundeswehr. So ließ das Verteidigungsministerium den Einsatzgruppenversorger "Berlin" von seiner aktuellen Aufgabe im Rahmen der US-geleiteten Operation "Enduring Freedom" aus dem Golf von Omar vorübergehend entbinden, damit er in der Krisenregion Katastrophenhilfe leisten kann. An Bord des Schiffes stehen nach Angaben des Verteidigungsministeriums 45 Betten zur Behandlung Verletzter zur Verfügung. Hinzu kommen vier Betten für Intensivpatienten und zwei Operationssäle. Nach dem öffentlichkeitswirksamen Einsatz in den Gewässern Südostasiens wird die "Berlin" dann wieder in den Krieg gegen den Terror zurückkehren.

Vielleicht aber begegnet sie aber vorher dem Kriegsschiff "Teluk Gilimanuk" der indonesischen Marine. Es wäre ein Treffen alter Bekannter. Vor seinem Einsatz im indonesischen Bürgerkrieg trug das ehemalige Volksmarineschiff nämlich den Namen "Hoyerswerda" - und lag in Deutschland vor Anker.