Starke Jungs, die beim Ordnen helfen

Das Elitedesaster: Die Sondereinsatzkommandos der Polizei kommen ins Gerede

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Das SEK Köln und das SEK Dresden haben im letzten halben Jahr für handfeste Skandale gesorgt. Aber eigentlich belegen diese Skandale nur die Normalität des Skandalösen.

Dresden, 18.12.04. Eine SEK-Einheit dringt in die Wohnung eines Verdächtigen ein, fesselt ihn und seine Lebensgefährtin, durchsucht die Wohnung und erschießt während der Aktion die beiden Hunde des Paars.

Kleiner Schönheitsfehler: Die Elitepolizisten hatten es nicht, wie sie glaubten, mit einem szenebekannten Zuhälter zu tun, dessen Wohnung sie auf Waffen und Drogen filzen wollten, sondern mit einem zufällig im gleichen Haus wohnenden Kollegen der Dresdener Polizei. Bernd W., der Überfallene, berichtete später, die SEKler hätten schon beim Eindringen in die Wohnung um sich geschossen. Man brauchte eine halbe Stunde, um den Fehler zu bemerken. Am Rande interessant: Die Lebensgefährtin von Bernd W. ist die Schwester des verdächtigten Zuhälters, und arbeitet in der Poststelle des sächsischen Innenministeriums.

Was der sächsische Innenminister Thomas de Maizière natürlich sofort benutzte, um den Angriff seiner Truppe in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, nach dem Motto: Ein Fehler mag das gewesen sein, aber vielleicht kein gar so großer wie gedacht. Wie dem auch sei: Vorausgesetzt, man glaubt an die Notwendigkeit der polizeilichen Sondereinheiten, könnte man die Dresdener Aktion noch für einen Fehler halten, der auch den Besten unterläuft. Schwerer fällt eine solche Einschätzung bei dem Skandal um das SEK Köln. Über Jahre hinweg hatte sich dort eine solche Häufung von Merkwürdigkeiten ergeben, dass man Mitte Juli 2004 die Einheit auflöste, sowie den Kommandoleiter und sieben Mitglieder vom Dienst suspendierte.

Unter anderem wegen folgender Vorwürfe: fahrlässige Tötung, Körperverletzung im Amt, Diebstahl, Betrug und Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Am schwerwiegendsten waren zwei Vorfälle, bei denen ein SEK-Mitglied selbst während einer Übung der Einheit und ein Verdächtiger während eines Einsatzes starben (2004 und 2001).

Die Aura des Besonderen

Die taz köln berichtete intensiv, aber was bundesweit verbreitete Medien angeht, verschwand das Thema sehr rasch wieder in der Versenkung. Jetzt irgendein Geschrei à la "Was ist mit unserer Polizeielite los?" anzustimmen, wäre natürlich völlig fruchtlos. Denn wenn man davon ausgeht, dass die Geschehnisse von Dresden und Köln keine total isolierten Ereignisse sind - und nach Erfahrungen mit dem herdenmäßigen Auftreten von schwarzen Schafen bei der Polizei kann man das durchaus - wenn man also davon ausgeht, dass auch anderen SEKs öfter ordinäre Fehler unterlaufen, die man einer Elite gar nicht zutraut, und dass Korruption auch für andere SEKs kein völliges Fremdwort ist, dann verhält sich diese Elite vollkommen normal: Sie bewegt sich außerhalb des Gesetzes, dessen Allgemeingültigkeit sie zu schützen vorgibt.

Warum es bisweilen SEKlern an Gesetzestreue mangelt, erklären Kriminologen mit der besonderen Situation in der Gruppe. Die 25- bis 40-jährigen Beamten müssten Details ihrer Arbeit in der Regel geheim halten, die Kollegen ersetzten nicht selten den Freundeskreis und die nervenaufreibenden Einsätze belasteten oft das Privatleben. "Sie leben ein Stück von der Gesellschaft entrückt", mein Martin Herrnkind. "Sie spüren die Aura des Besonderen, und der daraus resultierende Korpsgeist kann verhängnisvoll sein", warnt der frühere Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen. Es bestehe die Gefahr einer "gefährlichen Eigendynamik" und "manchmal verschwimmen die Grenzen des Unrechtsbewusstseins", so Herrnkind, der zur Zeit an einer Doktorarbeit über Polizeiübergriffe schreibt.

Quelle: www.beucker.de

Hohes Gewinn- und Funpotenzial

Was der kritische Polizist hier so milde umschreibt, ist aber gar nicht ungewöhnlich - der eigentliche Witz an der Zugehörigkeit zu einer Elite ist ja, dass sie Extras mit sich bringt, in deren Genuss die Fussgänger nie kommen, weil sie sich entweder an die Spielregeln halten, die von der Elite in ihrem Namen formuliert werden, oder eins auf die Mütze kriegen. Ob es sich nun um die Legislative oder die Exekutive handelt - solche künstlichen Trennungen werden ohnehin immer überflüssiger - die Elite schafft (bestärkt) im Namen aller Gesetze für die anderen, die sie selbst pausenlos bricht - nicht völlig ohne Risiko, aber mit hohem Gewinn- und Funpotenzial. Manchen reicht die etwas schickere Uniform, ein wenig cooles High-Tech-Spielzeug und die bloße Lizenz zum Töten, andere entwickeln da mehr Unternehmergeist und wollen neben dem spirituellen Mehrwert auch einen ordentlichen Schnitt erwirtschaften.

Das gibt es, seit es Polizisten gibt, und deswegen ist es auch eigentlich kein Skandal, sondern eher eine ständige, unvermeidliche Begleitmusik. Viel interessanter als der Skandalcharakter dieser Zustände ist die Frage, warum der Rechtsstaat sich die rechtsfreien Räume so beständig selber schafft, die er anderswo doch mit so großem Nachdruck bekämpft.

Umkonfigurierung des Selbstverständnisses

Wie verhält es sich mit der Konjunktur des staatlichen Rechtsbruchs? Innen- und Außenpolitik marschieren auch hier im Gleichschritt. Natürlich sind die Tendenzen zur Militarisierung der Polizei, die ganzen Folterdebatten und Folterskandale und der neue deutsche Expansionismus vom Balkan bis nach Afghanistan zuerst verschiedene Aspekte einer fortschreitenden Gedächtniserosion: "aus der Geschichte lernen" war gestern, heute sind Einwände gegen den organisierten Übergriff hier wie dort nur noch das Papperlapapp lahmarschiger Bedenkenträger, die nicht wissen, wann es angeraten ist, Fünfe gerade sein zu lassen und wann nicht. Aber wenn dieses typische Gemisch aus Liebe zur Barbarei, Ordnungswille und Großmäuligkeit, das mit politischen und administrativen Elitekonzepten immer einhergeht, in diesem Fall nur Symptom eines erneuten Ausbruchs der deutschen Krankheit ist - warum lässt sich dann in so vielen Demokratien etwas Ähnliches beobachten?

Weil die Entscheider in diesen Demokratien in aller Konsequenz begriffen haben, dass große Politik für sie nicht nur möglich, sondern absolut notwendig ist. An der Hobelbank stehend, sind sie bereit, die notwendigen Späne fallen zu lassen. In Deutschland erleben wir in diesem Zusammenhang die Umkonfigurierung des Selbstverständnisses, die Umwertung alter Werte, die Schaffung einer neuen Kultur, die sich zuerst in einer neuen kulturellen Rhetorik ausdrückt. Der Mief des neuen deutschen Selbstbewusstseins, die Angst um die Weltgeltung deutscher Produkte, das Wehklagen um mittelmäßige sportliche Leistungen, die herrische Ungeduld mit dem "Reformtempo", dieses ganze Bewusstsein, dass jetzt der Ernst des Lebens beginnt, nachdem die Schonzeit vorbei ist, begleitet dabei notwendigerweise den beginnenden Kampf um einen Platz an der Sonne. Er ist noch gar nicht richtig ausgebrochen, aber schon die Aussichten auf das Kommende, die Morgenluft, die aus Panik und froher Erwartung gemischte Aufbruchsstimmung kontaminiert alles mit der Hysterie, dass jetzt unbedingt gehandelt werden müsse, um irgend etwas Hochwichtiges zu retten: Deutschland, den DFB, den DAX, das Abendland, die Leitkultur. Wie die Akteure in der Wirtschaft kämpfen die Player in der politischen Sphäre darum, "gut aufgestellt" zu sein, also stellen sie sich auf, und vergessen weder die inneren noch die äußeren Werte.

Demokratie als Eisenfaust im Samthandschuh

Und obwohl diese Ideologie noch gar nicht genau weiß, wo sie selber hin will, obwohl sie sich noch gar nicht selber kennt, eines ist schon mal klar: Man wird Spezialisten brauchen. Die kleinen SEK-Ereignisse von Dresden und Köln und die Folterstunden in Abu Ghraib sind eben keine Exzesse, sondern verschiedene Aspekte eines unbedingten staatlichen Durchsetzungswillens, der die Verwirklichung politischer und wirtschaftlicher Interessen nicht von Klimbim wie Grundrechten und Demokratie behindert sehen will. Wer es daheim und in der Welt ernst meint mit der rechten Ordnung, der braucht ein paar starke Jungs, die ihm beim Ordnen helfen, ob sie sich nun Special Forces nennen oder KSK, SWAT oder SEK spielt keine große Rolle, das kann man den Ministerialbeamten und den Uniformschneidern überlassen.

Auf jeden Fall müssen die starken Jungs stolz auf ihre Taten und Untaten sein, Korpsgeist ist von Nutzen, und Zimperlichkeit sollte nicht zu ihren Wesensmerkmalen gehören. An Interesse und Nachwuchs für eine dienende Elite dieser Art mangelt es nicht. Das belegen so verschiedene Dinge wie die Websites zum Thema Sondereinheiten und die Mails zu meiner völlig fiktiven Erzählung "Druckpunkt", in denen mich männliche Jugendliche immer wieder fragen, wie meine Zeit beim SEK eigentlich so gewesen sei. Und daran ändern auch Filme wie "Die fetten Jahre sind vorbei" nichts, in denen das SEK einmal nicht der Problemlöser für die schwierigen Lagen ist, sondern einfach übertölpelt wird. Die Demokratie als Eisenfaust im Samthandschuh mit immer weniger Samt und immer mehr Eisen wird sich auf ihre Untertanen verlassen können.