Doch die Bestie macht mir Grauen

Abu Graib ist überall

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Die ersten Reaktionen auf die Ereignisse im Abu-Ghraib-Gefängnis waren Ablehnung und Schock. Wie konnten Amerikaner in dem Land, das sie befreien wollen, so etwas tun? Einige Politiker waren mit ihrem Urteil schnell bei der Hand. Sie beschuldigten "die wenigen faulen Äpfel" als Ursache für die Missstände. Wenn hier nur Einzelne verantwortlich sein sollen, wo waren dann die Vorgesetzten? Sie sollten Missbräuche erkennen und abstellen und nicht hinsehen oder gar dulden (S.T. Fiske et al. Science 2004 306:1482).

Auch Metaanalysen bestätigen diesen Trend. Metaanalysen sind Studien, in denen die Summe von Empfindungen in einer Vielzahl von Untersuchungen geprüft werden. So haben 25.000 Studien, bei denen 8 Millionen Menschen befragt wurden, gezeigt: Egal ob schwarz oder weiß, Christ oder Moslem, die sozialen Konflikte, können im richtigen oder falschen Zusammenhang gesehen den Einzelnen aggressiv, angepasst oder gehorsam machen und damit verleiten, Gewalt gegen andere auszuüben (Das Böse steckt im System). Die Vorgänge in Abu Ghraib sind deshalb keineswegs ein zufällig abnormer Teil im Handeln einiger weniger

Die 800ste Militärpolizei-Einheit, die zur Bewachung des Abu-Ghraib-Gefängnisses eingesetzt wurde, ist hierfür geradezu beispielhaft. Die Soldaten wurden täglich angeheizt: Einmal durch den Krieg und zum anderen gestichelt und schikaniert durch die aufgebrachten Bürger, die sie keineswegs als Befreier sahen. Ferner durch den Tod ihrer Kameraden, der Tag für Tag und völlig unvorhersehbar über sie hereinbrach. Dazu war die Kriegsmoral gesunken, der Kommandoton war lax geworden, sie waren zu jung und zum Teil untrainiert für ihren Job. Ihre Rückkehr in die Heimat war schon nahezu ein Jahr überfällig. Die Annehmlichkeiten ihrer Tätigkeit waren knapp geworden. Hitze und alle damit verbundenen Unannehmlichkeiten kamen hinzu.

Ferner waren die Gefängnisinsassen nicht Verbrecher im üblichen Sinne, sondern nach Vorstellung ihrer Vorgesetzten die schlimmsten Feinde überhaupt. So verbinden sich emotionale Momente, nämlich Abscheu und Verachtung, mit "wissenschaftlichen Erkenntnissen".

Ganz im Sinne der Parolen der "Homeland Security": Von "Man muss ihnen wachsam gegenübertreten" über "Ihre Anwesenheit ist alarmierend" bis zur Feststellung "Sie sind gefährlich". Und für jede Behauptung gibt es eine oder mehrere "wissenschaftliche Beweise" (S. T. Fiske, Social Beings (Wiley, New York, 2004).

Ein Bild von den Methoden im Gefängnis Abu Ghraib

Die amerikanische Geschichte ist voll von Beispielen für die Unterdrückung von "Außenseitergruppen". Ob Schwarzer oder armer Weißer, Mann oder Frau, ob als Japaner während des Krieges, oder als Homosexueller.

Dabei sind die Vorgänge in Abu Ghraib nur ein Beispiel zu den unzähligen Opfern der Folter. In mehr als 45 Ländern ist Folter an der Tagesordnung. Das 20. Jahrhundert wird auch als "Jahrhundert der Flüchtlinge" apostrophiert, weil Menschen zu Millionen aus ihren Häusern vertrieben wurden und werden. Das wiederum ist ein idealer Nährboden für Gewalt und Folter.

Wie in Abu Ghraib verschließen viele die Augen vor dieser menschlichen Brutalität, obwohl heute Folter und ihre Auswirkungen im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen (Krug EG, Dahlberg LL, Mercy JA, Zwi AB, Lozano R, eds. World report on violence and health. Geneva: World Health Organization, 2002). Der Umgang mit Überlebenden ist selbst für Ärzte ungeheuer schwer, weil sie Einfühlungsvermögen und Erfahrung brauchen, um diesen Menschen wirklich zu helfen. So wird häufig geschwiegen und die Opfer alleine gelassen. (Richard F. Mollica New Engl. J. Med. 2004 351:5)

Natürlich werden die Verantwortlichen von Abu Ghraib zur Rechenschaft gezogen. Welche? Die "Handlanger" und nicht die "großen Fische". Aber es sind Lehren daraus gezogen worden. Für alle, die zur Bewachung und Betreuung von Inhaftierten eingesetzt werden, gilt jetzt:

All personnel who may engage in detention operations, from point of capture to final disposition, should participate in a professional ethics program that would equip them with a sharp moral compass for guidance in situations often riven with conflicting moral obligations.

www.informationclearinghouse.info/article6785.htm

Ob diese Erkenntnis auch für jenes Gefängnis zutrifft, das in der Guantanamo Bay liegt? Hier geht es um Gefangene, die ohne Prozess solange festgehalten werden, bis es "keinen Terroristen auf dieser Welt mehr gibt" (Donald Rumsfeld). Oder für jene, die vom CIA gefangen genommen und an unbekannten Orten inhaftiert wurden. Das bedeutet lebenslänglich ohne Anwalt und gerichtliches Verfahren: Sehr praktisch, weil kein Gefangener darüber klagen kann, was ihm zugefügt wurde. In unserer Zeit eine wahrlich ungewöhnliche Ansicht zur demokratischen Rechtssprechung.

Präsident Bush stellt Alberto R.Gonzales als seinen zukünftigen "attorney general" vor. (Bild: Weißes Haus)

Ungewöhnlich auch die Nominierung des "attorney general" (Generalstaatsanwalt) Alberto R. Gonzales. Am 4.1.2005 geht ein Brief von ehemaligen Offizieren, nicht zuletzt vom General John M. Shalikashvili, dem ehemaligen Vorsitzenden des "Joint Chiefs of Staff" im Senat ein. Darin wird dem juristischen Ausschuss ("Judiciary Committee") des Senats mitgeteilt, dass Gonzales als Berater des Präsidenten unter anderem in einem Gutachten (Die US-Regierung und die Folter) erklärt hat: Die USA können sich über die Genfer Konvention hinwegsetzen und ferner seien einige Foltermethoden im Kampf gegen den Terror gerechtfertigt.