Rocken und Hosen

Schaumbad mit der Rasierklinge am Wannenrand – Hören und Lesen, Teil 1

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Wer das Paradoxe liebt, der kehre ein bei den Moulinettes. Die Moulinettes sind eine erwachsene Mädchenband, bei der auch ein Mann mitspielt. Von München aus bereist das Quartett den Kosmos klassisch guten Liedguts von Harry Nilsson über NRBQ und Richman bis zu Wilson überwiegend in der darin weitgehend unbekannten Fremdsprache deutsch. Nachdem sie auf ihren ersten CD`s "20 Blumen" (1998) und "alfa bravo charlie" (2001) so charmant und bewegend an den Gestaden der Popmusik gelandet sind, wagten sie nun mit ihrer letzten Veröffentlichung "Serendipity Park" ein beschwingtes erstes Schrittchen auf dem Planeten Rock.

Wer aber jetzt meint, dass es ihm oder ihr in der Erwartung von stupiden Gitarren- und endlos Schlagzeug-Soli kalt den Rücken runter laufen müsse, sei gleich wieder beruhigt. Die Moulinettes haben schon längst gelernt, was auch die alten Meister wussten: Dass weniger auch mehr sein kann, und dass die Kunst gerade darin besteht, einzelne Elemente in eine adäquate Einheit zu bringen und nicht pseudohafte Souveränität über Einzeldinge zu demonstrieren. So gesehen lugt bei den Moulinettes immer noch ein unverkennbar großes Stückchen Pop unter dem Rock hervor. Gleichwohl sind die Moulinettes melancholischer geworden (auch wenn das vordergründige "Easy Listening"-Etikett für die Band schon immer nicht mehr als ein Stereotyp war) und das nimmt auch nicht weiter wunder: Schließlich reißen die eher rauhen Zeiten niemand, der seine sieben Zwetschgen einigermaßen beieinander hat, mehr so recht zu Bekenntnissen wie "Let there be Pop!" hin. Außerdem gibt es auch Seelenzustände, die sich eben nicht mit dem leichten Florett der Ironie bezwingen lassen, sondern eher mit einem Colt, der als Patronen Düsternis geladen hat, zur Aufgabe überredet werden müssen.

Das hat man zwar nicht ausgerechnet bei den "Moulinettes" in einem so ausgeprägten Ergebnis erwartet. Es ist aber schön zu hören. Genau für dieses Überraschungsphänomen, dass man etwas findet, wonach was man gar nicht gesucht hat (z.B. Columbus Amerika und die Inkas Pizarro) steht der Titel "Serendipity Park", der im Englischen den geläufigen Ausdruck dafür bezeichnet. (Gleichzeitig war obskurerweise "Serendipity Park" die erste Nudistenanlage in Georgia/USA,- nun ja das ist wohl auch etwas, das man in den Südstaaten nur entdeckt, wenn man nicht genau danach Ausschau hält.)

Easy Listening für Selbstmordgefährdete

So finden sich auf dem letzten Album u.a. schöne traurige Elegien wie "Unsere Anwälte", das verhalten düstere "BBQ" mit deutlichen Glam-Rock-Anleihen, nonchalante Untergangs-Arabesken wie "Rockin`after Mitleid", schwermütige Unendlichkeitsballaden für Schlaflose, den bedrückenden Northern Klopper "Am Abgrund Schlange stehen" sowie eine frohgemute Hommage an Whitman und Burroughs, "Dreckiger auf dem Mond", die zeigt, wo der Punk-Bartl immer noch den Most holt. Hier wird gelitten, aber wohlklingend und mit Stil.

Dass man ebenfalls mit Haltung eine Ehrenrettung deutscher Popmusik unternehmen kann, nachdem den "Fehlfarben" seinerzeit das unerklärliche Malheur passiert ist, Videonachmittage mit dem charmantesten (und leidenschaftslosesten) Menschen aller Zeiten als "vertan" zu bezeichnen, zeigt das Lied "Cary Grant", bei dem nicht zufällig Reminiszenzen an die Popgenies von "Madness" herauszuhören sind. Außerdem macht uns der Song mit dem balzacschen Kuriosum bekannt, dass Kunstfiguren sehr viel lebendiger sein können als reale Personen. Was übrigens auch Cary Grant wusste. Auf die Festellung eines Journalisten, das wohl jeder Mann gerne Cary Grant wäre, soll er geantwortet haben: "Ich auch." Kurzum: Auf "Serendipity Park" findet sich schöne Musik, die man immer hören kann - Musik ideal auch zum Schaumbaden mit einer Flasche Champagner und der Rasierklinge am Wannenrand: Easy Listening für Selbstmordgefährdete.

Gitarrensolo keine musikalische Handlung, sondern ein sexueller Akt

Ebenfalls eine liebsame Überraschung ist das Tour-Tagebuch der Moulinettes-Gitarristin und -Sängerin Claudia Kaiser, "Rocken & Hosen. Unterwegs mit meiner Band", das man als Gegenstand einhelliger Freude nicht genug loben kann. Nach dem Motto "Ernst ist das Leben, heiter die Kunst", schildert Kaiser Begebnisse aus dem Touralltag, denen entschieden erst in pointierter Prosaform vergnügliche Seiten abzugewinnen sind. Kaiser begeht dabei weder den Fehler, sich in zufälligen Freuden und Genervtheiten zu verlieren, noch verrennt sie sich in das Gegenteil und schwadroniert ausschließlich abgehoben über das allgemeine Thema Musik und Musikerdasein.

Ob es bei ihren Beschreibungen um einarmige Gitarrenlehrer, heiratswillige oder abzockende Veranstalter, bestuhlte Frauenfestivals oder einen Backstage-Besuch der Brachial-Metal-Band "Slayer" geht, Kaiser trifft regelmäßig in die Mitte der erzählerischen Extreme und somit ins Schwarze: Hier werden typische Menschen geschildert, die in typischen Situationen typisch reagieren und keine Klischees (und wenn darin trotz allem Klischees vorkommen, sind die Typen selbst dran schuld). Gleichzeitig kommen aber zur großen Freude des Lesers Humor, Zorn und Erkenntnis wahrlich nicht zu kurz.:

Ich war schon immer ein großer Slayer-Fan. Denn obwohl Metal nicht nur ganz doll verdorben, sondern auch die Heimat des größten Männlichkeitsgeprotzes der Musikgeschichte ist (...), zogen mich an Slayer zwei Dinge magisch an. Und diese zwei Dinge heißen Hannemann und King, zwei Leadgitarristen, die so lässig über das Griffbrett rasen, wie sich andere durch die Hosentasche am Gemächt kratzen. Sie erreichen damit nicht nur eine absurde Geschwindigkeit, sondern auch eine Kompaktheit und Melodiosität, als habe sich Stockhausen mit John Coltrane und Brian Wilson gepaart. (...).

Man kann natürlich darüber streiten, ob es überhaupt erstrebenswert ist, Gitarren-Soli zu spielen. Viele tun es und fast genauso viele sollten es lassen, denn meistens klingt es nicht besser, als wenn man eine Katze am Schwanz packt und im Kreis herumschleudert. Die Überflüssigkeit des Gitarrensolos liegt in erster Linie an denen, die sie spielen: Männer. Für sie ist ein Gitarrensolo keine musikalische Handlung, sondern ein sexueller Akt. Der hohle Holzkörper der Gitarre steht dabei für den Körper der Frau. Da sind Männer in ihrer Entwicklung nicht viel weiter als der Säugling, der in den ersten Monaten Luftballons anlächelt, weil sie dem menschlichen Kopf ähneln. (...). Nicht umsonst tragen Männer ihre Gitarren ganz tief hängend, obwohl das blöd aussieht und schlecht für die Haltung ist - offensichtlich soll hier das eine Instrument in möglichst nahen Kontakt zum anderen gebracht werden.

Das kurzweilig und spitz geschriebene Buch kann man getrost neben die von Julie Burchill (die auch heute noch zur Hochform auflaufen kann, aber leider auch mal daneben haut) und die Artikel der unbeschreiblichen Clara Drechsler stellen. Wenn man es liest, muss man sich schon wundern, dass feministische Positionen heutzutage ein eher belächeltes Alice-Schwarzer-Dasein fristen, wo doch ihre Evidenz und Dringlichkeit auf der Hand liegen. Und gerade bei "Rocken und Hosen" scheint es von Vorteil zu sein, dass man diese nicht spinnkram-mäßig- dekonstruktivistische und abstrakt-akademische feministische Weisheiten aus dem vierten Stock aufgetischt bekommt, sondern emanzipatorische Reflexionen über Alltagsereignisse, die durch den geschärften Blick einer zornigen jungen Frau zustande kommen. Und so lässt sich bei der Lektüre interessanterweise immer wieder feststellen, wie blöd als Mann man selbst ist. Der Feminismus in dem Buch von Claudia Kaiser ist schlau, lustig, böse und unschlagbar.