"Nette Menschen kämpfen gegen die Taliban mit Protestmails"

Die Plage der Ketten-E-Mails

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Eigentlich weiß es jeder, der schon eine Weile online aktiv ist: Man leitet keine Kettenmails weiter, egal, was drin steht. Meist sind sie ohnehin grober Unfug und selbst, wenn sie mal gut gemeint waren, entwickelt sich eine sinnlose, Mailboxen verstopfende Eigendynamik, die Hilfsbereitschaft dort blockiert, wo sie nützlicher wäre.

Wenn ein Text mit "dies ist kein Spam" beginnt, kann man ziemlich sicher sein, dass es sich um Spam handelt. Und wenn eine E-Mail sagt "bitte leiten Sie diese Mail unbedingt an alle Personen in Ihrem Adressbuch weiter", so ist vernünftigen, mit Internet erfahrenen Menschen ebenso klar, dass genau dies das letzte ist, was sie tun sollten.

Doch wie beim Spam gibt es immer die paar Prozent, die darauf reinfallen – oder gar selbst eine Mailkette starten. Es käme wohl kaum jemand auf die Idee, speziell wegen einem von momentan Tausenden vermissten Kindern oder Eltern in Südostasien einen Fernsehsatelliten zu kapern oder dies sonst irgendwie in den TV-Nachrichten zu platzieren – die Empörung ("Warum gerade der? Was ist mit all den anderen?") wäre groß. Doch wäre die Suchmeldung immerhin nach ihrer Ausstrahlung erledigt (der Medienfachmann sagt "sie versendet sich"), wenn dann Kind oder Eltern gefunden sind. Nur Garderobenfehlfunktionen und Versprecher ("Schalke 05" oder "lauer bis mäßiger Südwestfunk... -Wind!!") bleiben in Radio und Fernsehen in langjähriger Erinnerung.

Dieselben Menschen starten dann jedoch eine E-Mail-Kette. So um einen dreijährigen Jungen, der in Phuket im Krankenhaus sitzt und seine Eltern sucht.

Gesendet: Donnerstag, 6. Januar 2005 08:53

Betreff: Important! TSUNAMI victim!

Wichtigkeit: Hoch

PLEASE HELP!!!!!!!!!

A little boy - a tsunami victim from KHOA LAK (picture enclosed) - is looking for his family!!!

Nobody knows who this boy belongs to! Nobody knows what country he comes from.

Please send this to all - we mean all! - the people in your entire network.

If anybody recognizes him, please contact us instantly by phone

076-xxxx-4 ext. 1336, 1339

or e- mail :

info@xxxxx-inter-hospital.co.th

Mirek Wozniak

Commercial Director

Die Eltern und der Junge haben sich längst wiedergefunden, immerhin gab es sie in diesem Fall wenigstens, während andere Geschichten völlig frei erfunden sind. Doch die E-Mail kursiert weiter und das Krankenhaus wird mit Antworten belastet. Die Website des Krankenhauses listet dabei das Mädchen noch als vermisst, weil dort nach wie vor wichtigere Dinge zu tun sind als an Webseiten herumzubasteln und verifiziert somit unbeabsichtigt auch noch die veraltete Kettenmail.

Kettenbriefe sind nicht mehr stoppbar

Andere Kettenbriefe wie der Klassiker "Knochenmarkspender gesucht" kursieren nun teils bereits über fünf Jahre im Netz, obwohl die Aufrufe entweder frei erfunden sind, eine Knochenmarkspende gar nicht geholfen hätte, die Betroffenen inzwischen bereits geheilt oder aber verstorben sind. Von den Dauerscherzen des Kalibers "Es ist ein ganz gefährlicher neuer Virus in Umlauf, Microsoft, AOL und der Papst warnen"… ganz abgesehen.

Besonders lästig sind Kettenmails, die beispielsweise zum E-Mail-Protest gegen schlechte Behandlung von Frauen durch die Taliban aufrufen. Nur gehen den Taliban E-Mails ebenso am Allerwertesten vorbei wie Frauen; dafür waren normale Mailboxen teils mit Hunderten dieser Kettenbriefe verstopft und der Initiatorin der E-Mail-Kette wurde der Account gesperrt.

Die seit Jahren bewährte Anlaufstelle, um die Seriosität von Kettenmails zu überprüfen, ist Hoax-Info der TU Berlin. Einfacher ist es jedoch, sie konsequent zu ignorieren. Wer mit einem Link auf Hoax-Info antwortet, darf sich nämlich meist noch anhören, er sei wohl selten herzlos und auch wenn es den afghanischen Frauen nicht helfe, zähle der Wille, der natürlich erst ab 30 bis 40 Kettenmails täglich ernstzunehmen sei.

Noch zweifelhafter sind Spendenaufrufe, die per E-Mail kursieren, da die im Versenden von Massenmails erfahrenen Spammer der Nigeria-Connection bereits ihre eigene Kontonummer eingetragen haben. Auch politische Organisationen in Südostasien versuchen Geld der spendenwilligen Europäer für sich abzuzweigen. Die Wiki-News haben ein ähnliches Problem. Es war ja auch zu erwarten, dass auch aus dieser Situation so mancher seinen ganz persönlichen Profit schlagen will.