Biomasse - Energiequelle oder Lebensmittel?

Das wahre Potenzial des einzigen geeigneten Ersatzes für Erdöl - Teil I

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Die Biomasse ist die klassische erneuerbare Energie. Im "ersten Solarzeitalter" (das zweite kommt noch, wenn die fossilen Energiequellen erschöpft sind) - also mindestens von der Steinzeit bis etwa 1800, als das fossile Zeitalter begann - war das Holz die unangefochtene Energiequelle Nummer 1. Und noch heute ist es oft die Biomasse, die den größten Beitrag zur gesamten Energieversorgung leistet. Während man beispielsweise über 18% Windenergie in Dänemark (zu Recht) staunt, liegt der Anteil der Biomasse in der weltweiten Energieversorgung laut IEA bei stolzen 14%. In der EU macht die Biomasse rund 2/3 der gesamten Primärenergie aus erneuerbaren Quellen aus. Neben der traditionellen, oft recht problematischen Nutzung der Biomasse in den Entwicklungsländern wird sie aber auch in neuen Techniken wie Pelletöfen (vor allem in Österreich), Brennstoffzellen und als Ersatz für Erdöl in Form von Rapsöl/Biodiesel verwendet.

Wie weit kann man sich auf die Biomasse verlassen? Hat die Welt genug Land, um neben Lebensmitteln noch Energieträger anzubauen? Müssten alle Landstriche dann in Anspruch genommen werden - lauter Monokulturen, soweit das Auge reicht?

Laut IEA besteht der Anteil der Erneuerbaren Energien weltweit zu 80% aus Biomasse. Gleichzeitig ist der Nutzungsgrad der Biomasse oft ein Zeichen der Armut: Meistens wird sie in der Dritten Welt genutzt, wo sie im Schnitt 25% der Energie bereitstellt - mit Spitzenwerten bis zu 90%, z.B. in Uganda, wo nur noch 3% des Waldbestands steht.

Man spricht deshalb von der traditionellen Nutzung, die gesundheitsschädlich (Ruß von offenen Feuern, Abholzung, usw.) sein und gravierende Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, und der "neuen Biomasse", die nachhaltig und umweltfreundlich ist. Insgesamt dürfte der Paradigmenwechsel weg von der traditionellen und hin zur neuen Biomasse dafür sorgen, dass der Anteil der Biomasse am weltweiten Energieverbrauch nicht steigt, sondern eher stabil bleibt. Nach einem Szenario der IAE von 2003 könnte der Anteil der Biomasse von 14,2% im Jahre 2000 auf 11% im Jahre 2020 sinken, wenn die neue Biomasse die traditionelle ablöst.

Trotzdem wird die Biomasse einen zentralen Platz in einem erneuerbaren Energiesystem einnehmen, denn im Gegensatz zu Wind und Sonne ist sie auf Abruf verfügbar. Das kann zwar auch die Geothermie, aber diese lässt sich nicht als flüssiger Treibstoff oder Gas mobil einsetzen. Die "neue" Biomasse ist also einzigartig unter den Erneuerbaren Energien: das ganze Jahr lang Tag und Nacht verfügbar auf Knopfdruck und flexibel einsetzbar für Wärme, Strom, oder als Treibstoff.

Das Potenzial der "neuen Biomasse"

Immer wieder liest man, dass uns das Erdöl ausgeht und wir deshalb erneuerbare Energien wie Windanlagen und Photovoltaiksysteme forcieren sollten. Was dabei leider übersehen wird: Aus Windenergie und PV macht man Strom, und Strom ist kein geeigneter Ersatz für Erdöl.

Anders die Biomasse, die als Trockenmasse zum Heizen oder als Gas oder Flüssigkeit das Erdöl in seinen verschiedenen Formen sogar als Treibstoff ersetzen kann. Zum Teil können sogar Abfallprodukte aus der Landwirtschaft als Biotreibstoffe verwendet werden: Dünger, Methangase von Kühen oder Pflanzenfett, das Restaurants zum Frittieren verbraucht haben - solche Fritten-Fahrzeuge sind unter Umweltaktivisten besonders in den USA Kult geworden.

Bevor es Erdöl im großen Stile gab, benutzte man Pflanzenöle zum Schmieren und als Treibstoff. Bekanntlich lief der erste Dieselmotor auf Erdnussöl. Heute ist in Deutschland vor allem das Rapsöl auf dem Vormarsch: Seit Anfang 2004 werden 5% Rapsöl in Diesel beigemischt. Da unsere Motoren seit mehr als 100 Jahren auf fossile Treibstoffe abgestimmt sind, läuft nicht jeder Motor heute einwandfrei mit reinen Biotreibstoffen. In der Regel sind aber Beimischungen unproblematisch, und zwar nicht nur für Diesel: In Kolumbien und China besteht das Benzin zu 10% aus Ethanol - in Brasilien sogar zu 20-26%.

Wie die EU-Richtlinie 2003/30/EG vorschreibt, sollen bis Ende 2010 5,75% des Kraftstoffbedarfs durch Biotreibstoffe gedeckt werden. Während also manche Schwellenländer bereits großflächig auf Biotreibstoffe umgestiegen sind, hinken die Industrieländer hinterher. Dabei produziert das vergleichsweise bescheidene Europa schon 17 mal mehr Biodiesel als die USA. In Deutschland haben die Biodieselhersteller 2004 rund 25 Prozent mehr Biodiesel als im Jahre 2003 verkauft: etwa 1,2 Mio. Tonnen.

Ganz Großbritannien ein einziges Rapsfeld

Der World Energy Council spricht sogar von der Biomasse als der "potentiell größten, nachhaltigsten Energiequelle". Doch gerade beim großflächigen Ausbau beginnt die Debatte über das Für und Wider der Biomasse. Wie viel Land müsste man mit Raps bepflanzen, wenn man den ganzen Diesel-Fuhrpark der BRD mit reinem Rapsöl fahren wollte? Nach manchen Berechungen rund 2/3 des Landes. Dabei sind lediglich rund 40% des gesamten privaten deutschen Fuhrparks Dieselfahrzeuge.

Berechnungen in anderen Ländern führen zu ähnlichen Ergebnissen. So hat z.B. der britische Umweltjournalist George Monbiot vom Guardian berechnet, dass ganz England zum Rapsfeld werden müsste, wenn sich das vereinigte Königreich (Großbritannien mit Nordirland) alleine mit Rapsöl als Treibstoff auskommen müsste. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der britische Forscher Jeremy Woods vom Imperial College of London: Um lediglich 5% der Transportenergie bereitzustellen, müsste man, je nach Pflanzensorte, zwischen rund 12% (Zuckerrüben) und 45% (Weizenstroh) des Ackerlands mit Biomasse zupflanzen. Ein Vollversorgung der Transport Energie durch Biomasse scheint für das Königreich völlig außer Reichweite.

Ganz abgesehen davon, dass dies aus vielen Gründen nicht möglich wäre - man braucht nicht nur Platz zum Leben, sondern auch viel Platz, um Nahrungsmittel anzubauen -, wäre eine solche Monokultur äußerst schlecht für die Umwelt. Während Biomasse CO2-neutral (es wird immer nur soviel emittiert, wie die Pflanze während ihres Wachstums aufgenommen hat) und deshalb viel umweltfreundlicher als Erdöl ist, würde der großflächige Anbau einer Pflanzensorte zu den üblichen negativen Folgen führen: Die Böden werden ausgelaugt, die Vielfalt der Tier- und Insektenwelt nimmt ab, usw.

Schätzungen für die weltweite Deckung unserer Energieversorgung durch Biomasse gehen weit auseinander: von weniger als 10% bis mehr als 300%. Ein niederländisches Forschungsteam von der Universität Utrecht untersuchte 17 weltweite Studien zum globalen Potenzial der Biomasse; manche der 17 Studien wagten die Hypothese, dass die Biomasse zwischen 2050-2100 bis zu 50% des Energiebedarfs der Welt decken könnte.

Wie viel von den heutigen 11,8 Millionen Hektar Ackerfläche kann überhaupt zukünftig für den Anbau von Energiepflanzen (statt für Lebensmittel, usw.) verwendet werden? Das Öko-Institut errechnete in ihrem im Auftrag des BMU verfassten Bericht "Bioenergie: Nachwuchs für Deutschland" (2004), dass bis 2030 rund 4,4 Millionen ha aufgrund von steigenden Erträgen durch bessere Agrartechnik und einer schrumpfenden Bevölkerung frei werden könnten. Dann könnte die Biomasse rund 25% des gesamten Energiebedarfs der Bundesrepublik decken. Besonders interessant an diesem Szenario: Der Bioanbau würde auf mindestens 20% zunehmen, und große Monokulturen wären vermieden, d.h. die Nutzung der Biomasse wäre umweltfreundlich und nachhaltig.

Die Prognosen gehen weit auseinander

Allerdings weist eine andere Studie des BMU darauf hin, dass die kurzfristigen Ziele viel bescheidener sind. Bis 2010 werden nur 0.2 Million zusätzliche Hektar frei, die nachhaltig für den Energiepflanzenanbau benutzt werden können. Dies liegt zum Teil daran, dass sich der Bevölkerungsschwund in Deutschland erst ab 2020 richtig bemerkbar machen wird.

Es soll immer mehr Biomasse für Energiezwecke geben. Einerseits wird es in einigen Jahrzehnten einfach weniger Menschen in Deutschland geben; andererseits wird man immer mehr Energie aus den Pflanzen gewinnen können. Alleine zwischen 1990-2002 ist die Energiebilanz von Ethanol aus Mais in den USA um rund 33% gestiegen. Quelle: USDA

Dass eine Deckung von 25-30% unseres Energiebedarfs durch die Biomasse als obere Grenze realistisch sein dürfte, geht unter anderem aus der Kritik eines australischen Kritikers der Biomasse hervor, der nach Lektüre der niederländischen Zusammenfassung der 17 Studien zum Schluss kommt, dass 29% wohl ein ehrgeiziges Ziel wäre.

Und trotzdem findet man von prominenter Stelle noch weit höhere Prognosen, etwa vom MdB Hermann Scheer, Energie-Experte bei der SPD, der schreibt:

Aus einer Waldfläche von etwa 2 Mio qkm, in nachhaltiger Forstwirtschaft genutzt, ließe sich schon der Jahreserdölbedarf decken.

Deutschland hat auch noch mehr als 10 Millionen Hektar Wald (rund 100.000 km2). Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) weist in einer Pressemitteilung auf die Rohstoffe hin, die "ohnehin anfallen [und] bislang nicht genutzt werden": neben Grünschnitt, Stroh, und Biogas sind dies Restholz (fällt als Nebenprodukt bei der Holzverarbeitung an - z.B. macht man Holzpellets aus Sägemehl) und Schwachholz (kleinere Stämme, die bei der Durchforstung anfallen) sowie "bislang ungenutzter Holzzuwachs". Skeptisch dagegen äußerte sich der Bundesverband der Altholzaufbereiter und -verwerter gegenüber der taz: Deren Geschäftführer ist der Auffassung, dass das Altholz - ein Überbegriff, der Rest- und Schwachholz umfasst - nicht mehr lange ausreicht, wenn alle derzeit geplanten oder im Bau befindlichen Biomasseanlage ans Netz gehen. Dafür sieht er mehr Potenzial in der Nutzung des Frischholzes, von dem noch ein Drittel energetisch genutzt werden könne.

Zum Vergleich: Die EU-15 hatte insgesamt eine Fläche von 3,2 Millionen km2. Oder ein besserer Vergleich: Es gibt nach dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen mehr als 45 Millionen km2 Wald weltweit. Deshalb schreibt der Bund der Energieverbraucher:

[Es] wächst weltweit in den Wäldern 25 mal mehr Energie nach, als der Jahreserdölförderung von 3,5 Mrd. t entspricht. Fünf Prozent der Weltwaldflächen könnten den jährlichen Jahreserdölbedarf decken. Dabei ist weder der Anbau von Energiepflanzen noch die Neukultivierung semi-arider Gebiete eingerechnet, die weltweit noch einmal 49 Mio. qkm Fläche ausmachen.

Und selbst die Energie in den Pflanzen, die wir an Tiere füttern, ist auch nicht gänzlich verloren. Eine Kuh produziert zwischen 100-200 Liter Methan pro Tag. In Kalifornien - 2 Millionen Kühe - wittert man hier ein großes Geschäft. Zur Zeit wird in den USA viel in die Vergasung von Biomasse investiert. Bioabfall wird auch schon in neuartigen Brennstoffzellen verwendet.

Deutschland (mehr als 4 Millionen Kühe) verschläft die Entwicklung beim Biogas auch nicht. Der Fachverband Biogas freute sich letztes Jahr besonders, weil das Anfang August 2004 in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz nun vorsieht, dass Energiepflanzen neben Bioabfall gefördert werden, wenn daraus Biogas gemacht wird. Neben der Pyrolyse - die Biomasse wird unter Ausschluss von Sauerstoff erhitzt, um einen Energieträger mit höherem Heizwert zu gewinnen (Holzkohle ist eine traditionelle Form davon) - wurde das Biogas schon mit einer PEM-Brennstoffzelle (Brennstoffzelle ist nicht gleich Brennstoffzelle) getestet.

Neben der Pyrolyse testet man auch noch neuartige Methoden der Vergasung: Statt den bei der Pyrolyse entstandenen Koks mit Luftzufuhr zu vergasen, wird Wasserdampf zugeführt. Daraus entsteht Wasserstoff statt Kohlendioxid. Im November 2004 bekam die H2Herten GmbH endlich die Genehmigung für den Bau des Blauen Turms, in dem das wasserstoffreiche Gas in einer gestuften Reformierung aus der Biomasse gewonnen wird. Viele Umweltorganisationen hatten ursprünglich gegen den Bau des Blauen Turms protestiert, da dieser mit allen möglichen Sorten von Biomassen - auch behandeltem Holz - funktionieren soll. Was aber für die Anlagenbetreiber wie ein Vorteil in Sachen Flexibilität vorkam, wäre dennoch im Falle von manchen Biomassenarten belastend für die Umwelt gewesen, würden giftige Substanzen ungefiltert in die Umwelt entweichen. So darf der neue Blaue Turm gebaut werden, solange er mit unbehandeltem Holz, Straßenbegleitgrün und ähnlich unbedenklicher Biomasse verfeuert wird, wie die Firma der Presse im November 2004 erleichtert erklärte.

Was wird der nachhaltige Beitrag der Biomasse sein?

Die Experten sind sich als wieder mal nicht einig: Maximal 30% unserer Primärenergie wie unser australischer Experte sagt, oder locker 30% alleine vom Holz laut MdB Scheer? Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass der Holzabbau heute keineswegs eine nachhaltige Angelegenheit ist: Manche Länder wie Haiti sind völlig abgeholzt, aber anderswo geht die unersättliche Forstwirtschaft weiter - Ende 2004 hat man bei den Überschwemmungen in den Philippinen gesehen, was passieren kann, wenn der Wald nicht mehr da ist, um große Wassermengen aufzunehmen und Böden zusammenzuhalten. Hinzu kommt, wie Le Monde diplomatique zu berichten wusste, dass die Forstwirtschaft ein genauso schmutziges Geschäft ist wie die Ölwirtschaft. In Ländern wie Kambodscha, Sierra Leone, der Elfenbeinküste, dem Kongo, Burma und Liberia führt der Zankapfel "Waldressourcen" nicht selten zu gewaltigen Konflikten.

Europa sollte sich also nicht darauf verlassen, dass andere Länder ihre Biomasse friedlich zur Verfügung stellen werden. Energie-Unabhängigkeit wird bei der Biomasse immer noch wichtig sein. Die Selbstversorgung wird uns aber nicht leicht fallen: Länder wie Deutschland haben einen sehr hohen Energieverbrauch pro Hektar. Selbst Länder wie die USA, wo der Pro-Kopf-Energiekonsum doppelt so hoch ist, dürften einen größeren Anteil ihrer Versorgung mit Biomasse decken können, weil dort auch unvergleichlich mehr Anbaufläche zur Verfügung steht. Insgesamt hat Europa die niedrigste Biomasse-Dichte auf der Welt: 59 Tonnen pro Hektar; der weltweite Durchschnitt liegt bei 139 Tonnen pro Hektar.

Zum Glück beschränkt sich die Biomasseindustrie nicht auf eine einzige "Superpflanze". Verschiedene Methoden kommen zur Anwendung, um aus sonst ungenutzten Pflanzenresten Energieträger zu machen. Außerdem wird untersucht, welche Pflanzen den größten Energieertrag bieten.

Craig Morris übersetzt bei Petite Planète www.petiteplanete.org.