Open Soße

Planlose Leipziger in Amerika und die Rhetorik der Open-Source-Bewegung

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"Leipziger Filmamateure lassen sich ein Projekt per Spenden finanzieren" - das wäre wohl keine Meldung, die für viel Aufmerksamkeit sorgen würde. Aber weil der Film im Internet zum Download angeboten wird und die Autoren ihn mit dem Etikett "Open Source" versehen haben, wird der ein oder andere auf den Schwindel doch hereinfallen.

Um gleich keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: das Filmchen, um das es hier geht, "Route 66 - ein amerikanischer albTraum" von Stefan Kluge, Mathias Eimann, Gerald Menzel und Dennis Reiss war die Aufregung nie wert, und es ist absolut verständlich, dass sich kein Kinoverleih und kein TV-Kanal damit einlassen wollte.

Das Skript ist selbst für Privatsender der B-Kategorie zu dürftig. Inhaltsangabe: "Fahrt dreier Sachsen auf der Route 66 in einem kaputten Cadillac, garniert mit dummen Sprüchen". Im negativen Sinn ist vielleicht erwähnenswert, dass die drei Vollexperten in den USA nichts anderem begegnen als ihrer eigenen Ahnungslosigkeit - wenn Michael Moore ein zwanzigjähriger Sachse ohne dramaturgisches und propagandistisches Talent wäre, würde er Filme wie diesen drehen. Man könnte noch gnädig sein und Schnitt und Musik loben, weil sie immerhin Ansätze für eine Dokumentation bieten. Aber so wenig Gutes macht so viel Schrott nicht wett. Wer diese Datei auf den Servern lässt, auf denen sie gelagert wird, braucht sich nachher nicht zu ärgern.

Was tun, wenn man nichts hat, aber unbedingt etwas daraus machen will? "They don't know what you're doing / babe, it must be art", lauten die besten zwei Zeilen, die U2 je von sich gegeben haben. Die Leipziger Möchtegern-Filmer beherzigen sie und definieren ihr bemühtes Nichts einfach um: "Open Source" soll der Quatsch jetzt also sein. Um gleich klar zu machen, wo der Hammer hängt, erklären sie sich in einer Notiz auf ihrer Website zu den Underdogs der Medienwelt.

Ein Gespenst geht um im Netz - das Gespenst des Open Source. Alle Mächte der alten Welt haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, die Konzerne und Studios, die Labels und Interessenverbände. Entspannt Euch. Wir machen Schluß damit. Wir können auch von Toastbrot leben. Ab sofort gibt es Filme kostenlos.

Die Videokamerabesitzer aus Leipzig also als Speerspitze des Open-Source-Undergrounds im Kampf gegen die Mächte der alten Welt. Ganz hoher Bullshit-Faktor schon in den ersten Selbststilisierungen, die den Besucher der Website erwarten. "Open Source" als Konzept und Praxis ist natürlich keine Bedrohung der herrschenden Ordnung im Medien-, Software-, oder in irgend einem anderen Bereich, sondern verschafft der Industrie hauptsächlich dringend benötigte Einspar- und Wertschöpfungspotenziale, auf die sie seit langem gewartet hat. Daher wird der Open-Source-Gedanke ja auch keineswegs "verfolgt", sondern setzt sich, unterstützt von Regierungen, einem wachsenden Netz knallhart kapitalistischer Firmen und der Innovationskraft der Enthusiasten so schnell durch wie selten ein anderer.

Aber was in der ernsthaften Open-Source-Bewegung wenigstens als Utopie fortlebt, nämlich die Vernetzung und Freisetzung gemeinsam nutzbarer Produktionsmittel zur Herstellung von Dingen, auf die von allen zum niedrigst denkbaren Preis zugegriffen werden kann, kommt bei Unfug wie "Route 66" und der läppischen Vermarktungsstrategie endgültig auf den Hund. Vergleicht man Route 66 mit einem Projekt wie antville, dann wird der Unterschied erst so richtig deutlich: hier eine Weblogumgebung, die alle Bestandteile (Hardware, quelloffene / frei verfügbare Software, Community) so integriert, dass die Teilnehmer wirklich etwas damit anfangen können - dort ein in die Länge gezogenes Urlaubsvideo, das aus der Not der eigenen Inhaltsleere eine Tugend machen und sich zu diesem Zweck ein unpassendes Kostüm überstreifen will. Um wenigstens den Anschein zu wahren, geben die Medienfüchse aus Leipzig auf Anfrage auch noch das gesamte ungeschnittene Rohmaterial ihres Films her, was ungefähr so sinnvoll ist, als würden Open-Source-Programmierer dem Quellcode ihrer Programme auch noch ihre Einklaufszettel, Telefonrechnungen und Einkommenssteuererklärungen beilegen.

Der Witz an ihrer Software ist ja gerade der, dass sie nicht irgendein unstrukturiertes Rohmaterial darstellt, sondern ein funktionierendes Instrument, das von Nutzern mit ausreichender Sachkenntnis den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden kann - also eben nicht schlecht und recht eingelagerte Tonnen von Weizen, an denen sich jeder mal bedienen kann, sondern die adaptierbaren Blaupausen für Brotbackmaschinen. Das Zeug, aus dem "Route 66" geknetet wurde, taugt aber nicht einmal für eine Satire - bestenfalls Stoff für ein Musikvideo steckt drin, mehr aber auch nicht.

Umso lachhafter, dass die Leipziger Filmschaffenden mit ihrem Gehampel vereinzelt auch noch ernst genommen werden. Um ihr Projekt nachzufinanzieren, rufen sie unter dem Motto "Toastbrot für Independent-Filmer!" zu Spenden auf - auch so ein bescheuert pubertärer Fehlgriff. Einer der Spender wird mit der Bemerkung zitiert, er gebe seine fünf Euro, damit er von weiteren Filmen auf "Kommunistenbasis" verschont wird, denn "die Idee ist schon mal schiefgegangen ". Wenn Bill Gates das Open-Source-Konzept als solches mit Kommunismus verwechselt, ist das ja schon peinlich genug, aber was an dem Leipziger Route-66-Schmarren "kommunistisch" sein soll, ist dann völlig rätselhaft.

Ein anderer Spender sieht die US-Plattenindustrie schon vor der Filmmacht aus Leipzig erzittern (er meint wahrscheinlich die Filmindustrie, was an der Verstrahltheit des Beitrags nichts ändert), und Mutti spendet stramme 100 Euro, damit sich einer der Independentfilmer auch mal wieder richtig satt essen kann. Es ist durchaus möglich, dass all diese Zuschriften authentisch sind - sie riechen nach genau dem dummdeutschen Bierzeitungsmief, der das ganze Projekt durchwabert. Das Spendenziel liegt bei 2000 Euro; es ist zu berfürchten, dass die Filmenthusiasten bei Erreichung dieses Ziels ihre Drohung wahr machen und ein weiteres Projekt in den Sand setzen, das diesmal irgendwas mit Südamerika zu tun haben soll.

Fazit: An der Naivität der Open-Source-Bewegung gibt es viel zu kritisieren, aber die Vereinnahmung durch ein paar Langweiler, die gerne Filmemacher wären, hat sie dann doch nicht verdient.