Asyl in Deutschland

Residenzpflicht und Abschiebungen von Tamilen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Hartherzigkeit deutscher Behörden gegenüber Asylbewerbern wird in diesen Tagen wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. Deutsche Behörden schieben weiterhin abgelehnte Asylbewerber auch nach Sri Lanka ab. Gleichzeitig bemüht sich die Bundesregierung in einer neuen europäische Verfahrungsrichtlinie über Mindeststandards für Flüchtlinge die bisher nur in Deutschland bestehende "Residenzpflicht" zu verankern.. Jetzt klagen Flüchtlinge auch in Strassburg gegen die Bundesrepublik

Während beispielsweise Kanada Abschiebungen von Menschen aus Tsunami-betroffenen Staaten ausgesetzt hat, wird in deutschen Länderinnenministerien nicht einmal an einen vorübergehenden Abschiebungsstopp gedacht. Die im Grundsatz eher asylfeindlichen deutschen Behörden verweisen auf die angeblich bestehende Möglichkeit für die Flüchtlinge, ihre Existenz in angeblich von der Flutkatastrophe nicht betroffenen Gebieten zu sichern.

Angesichts der Tatsache, dass ein großer Teil der tamilisch besiedelten Gebiete, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, von der Katastrophe betroffen ist, ist dies blanker Zynismus.

Pro Asyl

Der Tsunami hat nach Angaben des Hohen Kommissars für Flüchtlinge (UNHCR) mehr als 835.000 Menschen in Sri Lankas Küstenprovinzen entwurzelt, die in mehr als 750 Lagern untergebracht sind. Etwa die Hälfte der displaced persons lebt in den Tamilengebieten. Dabei erfasst die UNHCR-Statistik nur die durch die Flutkatastrophe obdachlos gewordenen Menschen, nicht diejenigen, die in den vergangenen Jahren in Folge des Bürgerkriegs zu Binnenflüchtlingen wurden. Folglich fordern Flüchtlingshilfeorganisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und PRO ASYL eine Stornierung anstehender Abschiebungsflüge und einen sofortigen förmlichen Abschiebungsstopp Von den zuständigen Innenministerien wurde ein genereller Abschiebestopp für Flüchtlinge aus den Katastrophengebieten bisher abgelehnt.

Sondergesetz nach Nazi-Vorbild

Diese Hartherzigkeit der deutschen Innenbehörden verwundert nicht, wenn man sich die übrige Lebensumstände (Bundesregierung befürchtet Imageverlust) und die behördliche Verfahrenspraxis gegenüber Flüchtlingen (Größtmögliche Gemeinheit ansieht. Für Flüchtlinge gelten hierzulande auch nach der Neuregelung des Aufenthaltsrechts weiterhin Sondergesetze wie beispielsweise die "Residenzpflicht" ("Die Würde des Weißen Deutschen ist unantastbar"). Sie besagt, dass Asylbewerber sich nur in dem Landkreis aufhalten dürfen, in dem sich ihre Unterkunft befindet. Reisen außerhalb des zugewiesenen Gebiets bedürfen einer Sondererlaubnis. Ob, wie oft und für welchen Anlass dieses gewährt wird, darüber entscheiden die Mitarbeiter der jeweils zuständigen Ausländerämter.

So etwas wie die heutige Residenzpflicht für Asylbewerber gab es schon einmal in Deutschland: 1938. Nach der Ausländerpolizeiverordnung des Reichsgesetzblattes Nr.132, §1-2, wurden Ausländer, die ihre Landkreise ohne Genehmigung verließen, zu einer Geldstrafe und/oder Gefängnis verurteilt. Deutsche Juristen und Bürokraten greifen im Umgang mit Ausländern immer gerne auf "Altbewährtes" zurück. Im Behördendeutsch liest sich das wie folgt:

Nach § 56 Absatz 1 AsylVfG ist die Aufenthaltsgestattung des Asylbewerbers räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt bzw. in dem der Ausländer, der in den Fällen des § 14 Absatz 2 Satz 1 AsylVfG nicht in einer Aufnahmeeinrichtung wohnt, sich aufhält. Nach §§ 57,58 AsylVfG ist das vorübergehende Verlassen des Bezirks unter den dort genannten Voraussetzungen erlaubt.

So ist es sicherlich kein Zufall, dass es vergleichbare Bestimmungen zumindest bisher in keinem anderen Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft gibt. Bisher - denn auf Druck des deutschen Innenministers Otto Schily wurde der Text einer derzeit noch im parlamentarischen Abstimmungsprozess befindlichen Richtlinie über Mindestaufnahmebedingungen für Flüchtlinge so verändert, dass Deutschland sein Sondergesetz behalten kann. Ursprünglich wollte die EU-Kommission solche Restriktionen für Asylbewerber verhindern. Auch die Überarbeitung des Aufenthaltsrechts für Ausländer in Deutschland änderte nichts an diesem, seit 1982 im deutschen Asylverfahrensgesetz verankerten Sondergesetz.

Kirchenbesuch behördlich verboten

So werden insbesondere jene Asylbewerber, die tatsächlich wegen politischer Verfolgung nach Deutschland geflohen sind und sich weiterhin für ihre politischen Ziele einsetzen, Opfer bundesdeutscher Bürokratenwillkür. Ein Beispiel aus dem Landkreis Peine. Der dortige "Fachdienst Ordnungswesen -Ausländerangelegenheiten" der Kreisverwaltung schrieb am 17. November 2004 einem kurdischen Flüchtling, warum er nicht zu einem Gottesdienst fahren dürfe.

Ein Antrag auf Ausstellung einer Erlaubnis zwecks Teilnahme am Gottesdienst in der Landeskirchlichen Gemeinschaft in Braunschweig wurde am 09.09.2004 gestellt. Diesen Antrag lehnte ich mit Bescheid vom 16. 09.2004 ab. Mit Schreiben von 09.10.2004 legten Sie gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. De Widerspruch ist zulässig, jedoch unbegründet.

Als türksicher Staatsbürger im Asylverfahren unterliegen Sie den Bestimmungen des Asylverfahrensgesetzes (...)Danach ist die Aufenthaltsgestattung räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. (...) Ein dringendes öffentliches Interesse können Sie nicht geltend machen ,da es vorliegend schon an einem öffentlichen Interesse, welches die Erteilung der erstrebten Erlaubnis rechtfertigen würde, fehlt, denn der geplante Besuch dient ausschließlich der privaten Religionsausübung. (...) Ihr Wunsch, an einer Teilnahme des Gottesdienstes in Braunschweig, dessen Predigt in Ihre Heimatsprache übersetzt wird, ist zwar verständlich, aber nicht gleichzeitig als zwingend anzusehen...

Jeder Mitarbeiter eines Ausländeramtes kann mittels der Residenzpflicht in seinem Bereich seinen ganz individuelle Machtphantasien freien Lauf lassen. Eine parlamentarische Kontrolle von Ausländerämtern - etwa durch den Stadtrat - findet in den meisten Städten, Gemeinden und Landkreisen nicht statt. Kaum ein Bereich der bundesdeutschen Bürokratie wird so wenig hinterfragt wie die Ausländerämter.

Einmalig in Europa

Cornelius Y. ein afrikanischer Flüchtling schrieb dem Autor:

Es gibt nirgendwo in Europa so ein Gesetz oder Verordnung außer in Deutschland, obwohl Deutschland versucht, dieses Gesetz nach anderen Europäische Ländern zu exportieren. Ich habe jetzt momentan eine Klage gegen den deutschen Staat beim Europäische Gerichthof in Strassburg eingereicht und einige Mitglieder von unsere Organisation werden das auch machen.

Seine Organisation, Voice, kämpft seit Jahren vor allem gegen die Residenzpflicht.

Auch Sunny Omwenyeke , ein Menschenrechtler aus Nigeria, klagt in Strassburg gegen die Residenzpflicht. Sein Fall begann im Jahre 2000, als die Ausländerbehörde Wolfsburg es verweigerte, Omwenyeke eine Reiseerlaubnis für einen Flüchtlings- und MigrantInnenkongress in Jena auszustellen, an dessen Vorbereitung Omwenyeke zentral beteiligt war. Der inzwischen anerkannte politische Flüchtling konnte kein Verständnis "für diesen Akt willkürlicher politischer Zensur aufbringen" und fuhr trotzdem nach Jena. Auf dem Weg dorthin kontrollierte die Polizei seinen Ausweis. Deswegen erhielt er später eine Geldbuße, die Omwenyeke mit Verweis auf den diskriminierenden Charakter der Residenzpflicht nicht bezahlte.

Es folgten mehre Verfahren und 2003 wurde er schließlich vom Amtsgericht Bremen zu 15 Tagessätzen à 7,50 Euro verurteilt, obwohl er inzwischen als Asylberechtigter anerkannt worden war und nicht mehr unter die Residenzpflicht fällt. Rechtsmittel gegen das Urteil bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht blieben erfolglos. Deshalb folgte nun die Klage in Karlsruhe. Da Omwenyeke. sich weigert, die Geldstrafe zu bezahlen, ging er Mitte Dezember für maximal 15 Tage ins Gefängnis.

"Ich gehe lieber aufrecht ins Gefängnis, als mich zu beugen", sagte er. "Kein anderes sich demokratisch nennendes Land auf der Welt hat ein solches Gesetz. Nur die Passgesetze aus Südafrika zu Zeiten der Apartheid waren vergleichbar, aber die wurden glücklicherweise abgeschafft."

Ein anderer Flüchtling, Ahmed Sameer, erklärt:

Als ich hier in Deutschland um Asyl suchte, hätte ich niemals erwartet, dass ich Bedingungen unterworfen würde, die denen glichen, vor denen ich aus Palästina geflohen bin. Das Residenzpflichtgesetz entmenschlicht und kriminalisiert mich nicht nur; zu einem Großteil hält es mich auch davon ab, die deutsche Öffentlichkeit über die gegenwärtige Situation in den Besetzen Gebieten der West Bank und des Gazastreifens zu informieren und mich politisch für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen im Exil zu engagieren.

Politische Betätigung jedoch sehen deutsche Behörden bei Flüchtlingen nicht gerne. Auf der Grundlage der Residenzpflicht werden bundesweite Versammlungen oder Demonstrationen immer wieder be- oder sogar verhindert. Da die Ausländerbehörden nur in den seltensten Fällen die Teilnahme an einer Veranstaltung außerhalb der jeweiligen Kreisgrenze genehmigen, reisen die Flüchtlinge oftmals illegal zum Versammlungsort, wo oftmals die Polizei bereits auf sie wartet. Der Ausweiskontrolle folgt dann in den meisten Fällen die Verurteilung wegen Verstoß gegen das Sondergesetz. Auf diese Weise steigt gleichzeitig die viel zitierte "Ausländerkriminalität" in der Kriminalstatistik. Die dadurch künstlich erhöhte Kriminalitätsrate dient Politikern wie Otto Schily als Argument für weitere Restriktionen gegenüber Flüchtlingen.

Arztbesuch in der Nachbarschaft verboten

Aber auch im täglichen Leben bedeutet die Residenzpflicht oftmals eine unsinnige Einschränkung. So befindet sich beispielsweise die Gemeinschaftsunterkunft Schwetzingen nur 10 km entfernt von der Großstadt Mannheim. Mannheim und Heidelberg haben einen regionalen Verkehrsverbund, d.h. die Straßenbahnen verkehren zwischen beiden Städten.

Der Besuch Mannheims ist den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft aber nicht gestattet. Wenn notwendig und begründbar werden Sondergenehmigungen gegen Erstattung von 7€ pro Erwachsenen und 4€ pro Kind erteilt. Da Flüchtlinge aber nur ein Taschengeld von monatlich 40€ Taschengeld und Kinder nur 20€ pro Monat erhalten, werden solche Gebühren zu einer spürbaren Belastung. Für Udo Dreutler, Sprecher des Arbeitskreis Asyl für die Region Nordbaden steht fest, dass solche Gebühren abschreckend wirken sollen. Er kennt weitere Beispiele dieser Behördenwillkür aus seiner Arbeit:

Eine der Gemeinschaftsunterkünfte des Enzkreises liegt im Holzbachtal, ca. 6 km von Marxzell entfernt. Dort verkehrt die Nahverkehrlinie Karlsruhe- Herrenalb in kurzen Zeitabständen. Da Marxzell aber zum Landkreis Karlsruhe gehört, darf diese Bahn nicht benutzt werden. Auch das nahegelegene Karlsruhe mit seinen umfangreichen medizinischen Möglichkeiten ist tabu.

Die Bewohner müssen mit der sparsam verkehrenden Buslinie Kliniken des Enzkreises besuchen. In Sonderfällen wird auch Genehmigung erteilt, Ärzte oder das Klinikum in Pforzheim zu besuchen. (Pforzheim ist außer für Behördenbesuche tabu!)

Zusammenfassend kann man sagen: Wir bauen ein umfassendes Europa, innerhalb dessen sich Flüchtlinge und Asylbewerber mit Kleinstaatereien herumschlagen müssen, wie sie zur Zeit unserer Großeltern noch üblich war.

Meldepflicht würde genügen

Dabei wäre die offiziell angegebene Zielsetzung der Residenzpflicht - wie in anderen Ländern auch - mittels einfacher Meldeauflagen zu erreichen. Denn laut Bundesministerium des Innern sind

die gesetzgeberischen Ziele der räumlichen Beschränkung

- eine gleichmäßige Verteilung der mit der Aufnahme von Asylbewerbern verbundenen Aufgaben und Belastungen sowie

- die jederzeitige Erreichbarkeit des Asylantragstellers für die Zwecke seines Verfahrens und dessen beschleunigte Durchführung.

Tatsächlich dauern Asylverfahren auch heute noch oftmals mehrere Jahre - von "beschleunigter Durchführung" kann schon deshalb keine Rede sein. In Polen beispielsweise gibt es nach Auskunft der polnischen Botschaft "keine Aufenthaltsbeschränkung während des Asylverfahrens. Sie müssen aber über den Aufenthaltsort informieren und sich zur Verhör stellen." Es geht also auch ohne solche Sondergesetze - man muss es nur wollen.