Der Preis des Kriegs und die Macht der Bilder

Der Irak ist wieder zu einer Furchtgesellschaft geworden - welchem Schrecken die Menschen manchmal ausgesetzt sind, zeigen Fotografien über einen tragischen Vorfall in einer nordirakischen Stadt

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Die designierte US-Außenministerin Condoleezza Rice sprach während ihrer ersten Anhörung vor dem Senat davon, dass die USA den weltgeschichtlichen Auftrag habe, der Welt Freiheit und Demokratie zu bringen und so lange dafür zu kämpfen, bis die letzte Furchtgesellschaft von der Welt verschwunden ist. Allgemein setzt die Bush-Regierung nun auf eine Verbindung von Freiheit und militärischer Stärke. Da gab es Veranstaltungen wie "Let Freedom Ring" oder das Konzert "Celebration of Freedom". Natürlich wird George W. Bush bei seiner Rede zur Amtseinführung über Freiheit sprechen, die ganze Veranstaltung, die Washington in einem Ausnahmezustand versetzt, gilt als "Feier für die Freiheit" und steht unter dem Motiv "Die Freiheit zelebrieren, den Dienst ehren". Bush hat auch schon wieder deutlich gemacht, dass der Auftrag der USA, Freiheit auf der ganzen Welt zu schaffen, von höher kommt: "We have a calling from beyond the stars to stand for freedom, and America will always be faithful to that cause."

Den Preis von militärischen Konflikten, aus welchem Grund sie auch immer geführt werden, will ein Blog durch Veröffentlichung von Fotografien deutlich machen. Dazu gehören auch die Bilder eines Vorfalls im Irak, bei dem amerikanische Soldaten das Feuer auf ein Fahrzeug eröffneten, dessen Fahrer auf Zeichen nicht reagierte, den Wagen zu stoppen.

Das Mittel für die weltweite Verbreitung von Freiheit ist neben der Diplomatie, auf die sich Rice angeblich stärker stützen will als bisher, eben auch das Militär und der militärisch organisierte Regimewechsel. Militärisches Eingreifen aber mündet bestenfalls nicht nur im Sturz eines autoritären Regimes und einer freieren Gesellschaft, sondern bringt auch Opfer unter den Befreiten mit sich. Das lässt sich trotz aller "Präzisionsschläge" nicht vermeiden, einen sauberen Krieg wird es nicht geben.

Wie viele Zivilisten im Irak umgekommen oder verletzt wurden, ist unbekannt - und interessiert auch niemanden, höchstens die Kriegsgegner, die deren Zahl gerne spekulativ hinaufrechnen. Aber auch die an den Konflikten nicht direkt beteiligten Zivilisten sterben oder leiden ebenso wie die Soldaten für die Freiheit. Ihrer jedoch gedenkt der Freiheitspräsident nicht, der nur die eigenen Soldaten ehrt - und will so politisch auf verständliche Weise nur die saubere, schöne und idealistische Seite der Befreiungskriege von oben herauskehren, in denen es Ungerechtigkeit, Grausamkeit und willkürliches Blutvergießen nur auf der Seite der Bösen gibt: Das ist natürlich nur das Spiegelbild der Verlustrechnungen der ebenso einseitigen Gegner, die allerdings für ihre barbarischen Taten prinzipiell weder Bedauern noch Entschuldigungen äußern, schließlich handeln sie direkt im göttlichen Auftrag, der wohl alles entschuldet und erlaubt, und der Selbstmordanschlag der Sprung ins Paradies ist.

City of Fear

Während Afghanistan allmählich aus der Aufmerksamkeit verschwindet, hat sich allerdings der Irak tatsächlich von einer Art der Furchtgesellschaft, die von einer grausamen Diktatur ausging, in eine andere verwandelt, die aus dem Durcheinander der Gegner und der blühenden Kriminalität hervorgeht. Aus der Ferne erfahren wir von den täglichen Anschlägen, Entführungen, Ermordungen und Operationen, kaum von den Raubüberfällen und der täglichen Gewalt. Schon seit geraumer Zeit leben viele Iraker in ständiger Angst und Unsicherheit in einem Staat, in dem es kein Gewaltmonopol und erst recht kein staatliches Rechtssystem gibt. Weder vor den Banden, noch vor den Aufständischen oder islamistischen Terroristen und auch nicht vor den Besatzungssoldaten können die Menschen sich sicher fühlen.

Während die einen bei ihren Anschlägen auf US-Soldaten sowie irakische Polizisten, Soldaten und mittlerweile Wahlhelfer wahllos auch andere Menschen töten und verletzen, die sich zufällig am selben Platz aufhalten, schießen und bombardieren auch die Koalitionstruppen oft schnell aus Angst, aufgrund falscher Informationen oder präventiver Sicherheit auf vermeintliche Gegner und treffen dabei Zivilisten. Kollateralschaden auf beiden Seiten. Während die einen zur Verbreitung von Angst und Schrecken auch auf die Wirkung der Bilder von ihren blutigen Taten setzen und sie auch selbst dokumentieren, um die Medien damit zu versorgen, verbreiten die anderen die Bilder von den guten und helfenden Soldaten - das Pentagon nennt sie mitunter neuerdings auch Freedom's Ambassadors.

Robert Fisk, Irak-Korrespondent für die britische Zeitung Independent, schrieb vor kurzem von der Furcht, die im Irak umgeht und jeden von den Zivilisten über die Aufständischen und Soldaten bis hin zu den Journalisten betrifft, da jeder in diesem Land potenzielles Opfer sein kann, ein Leben nicht viel zählt:

Baghdad is a city of fear. Fearful Iraqis, fearful militiamen, fearful American soldiers, fearful journalists.

Jan. 30, that day upon which the blessings of democracy will shower upon us, is approaching with all the certainty and speed of doomsday. The latest Zarqawi video shows the execution of six Iraqi policemen. Each shot in the back of the head, one by one. A survivor plays dead. Then a gunman walks confidently up behind him and blows his head apart with bullets.

These images haunt everyone. At the al-Hurriya intersection Tuesday morning, four truckloads of Iraqi national guardsmen -- the future saviors of Iraq, according to President Bush -- are passing my car. Their rifles are porcupine quills, pointing at every motorist, every Iraqi on the pavement, the Iraqi army pointing their weapons at their own people. And they are all wearing masks -- black hoods or ski masks or kuffiyas that leave only slits for frightened eyes.

"Angmessene Aktionen gegen mögliche Bedrohungen"

Es war ein Vorfall am 18. Januar, der schlicht tragisch zu nennen ist, weil es wirklich Schuldige nicht gibt. Aber es ist ein schrecklicher Vorfall, der verinnert, was Kriege sind - und dass sie mit dem Blutvergießen auf der einen oder anderen Seite nicht aufhören, sondern sich in den Seelen der Beteiligten eingraben: in die Seelen derjenigen, die unschuldige Menschen erschossen haben, und in die derjenigen, die zufällig überlebt und als Kinder ihre Eltern verloren haben.

Das Pentagon teilte mit, dass am 18. Januar zwei irakische Zivilisten getötet wurden, "als das Fahrzeug, in dem sie fuhren, mit hoher Geschwindigkeit eine US-Militärpatrouille in der Nähe von Tel Afar in Nordirak passieren wollte". Sachlich heißt es weiter: "Sechs Kinder auf den Rücksitzen blieben unverwundet." Angeblich hätten die Soldaten mit Handzeichen versucht, das Auto aufzuhalten, "aber dann eröffneten sie das Feuer und töteten den Fahrer sowie die Beifahrerin". Das Militär äußerte Beileid, aber fügte hinzu, dass man "angemessene Aktionen gegen mögliche Bedrohungen" ausführen müsse, weil es so viele Autobomben gibt. Irakischen Zivilisten seien gewarnt worden, allen Signalen von Soldaten zu gehorchen.

Die Zahl der Anschläge vor den Wahlen am 30. Januar nimmt zu. Viele gehen davon aus, dass sie sich noch steigern werden, um die Iraker davon abzuhalten, bei den Wahlen zu helfen, diese zu sichern oder an ihnen teilzunehmen. Verständlicherweise steigt die Nervosität bei den Mitgliedern der Koalitionstruppen an. Aus ihrer Sicht ist es nahe liegend, lieber einmal zu früh zu schießen, als selbst Opfer zu werden. Es handelt sich um ein Abwägen von Leben und Tod, von Überleben und Töten. Und wer stärker ist, hat oft die bessere Chancen zum Überleben. Es ist eine Situation, die sich für diejenigen, die sich in ihr befinden, nicht gänzlich kontrollieren lässt. Verantwortlich für die Situation sind andere, aber die um ihr Leben bangenden Soldaten auf Patrouille, die das Ausgangsverbot überwachen sollen, und die ebenfalls ängstliche irakische Familie, die womöglich eine Festnahme fürchtet, treffen an einem Abend aufeinander.

Mehr als den trockenen Bericht hätte man nicht zur Kenntnis genommen, der Vorfall wäre als unbedeutendes, alltägliches Ereignis, das einfach vorkommt, ad acta gelegt worden, weil man sich das nicht vorstellen kann, weil es größere, blutigere, schlimmere, wichtigere Vorfälle gibt, die derartiges in den Schatten treten lassen. Zufällig aber war ein Fotograf anwesend, der den Vorfall in Bildern festhalten konnte. Und ähnlich wie bei den Folterbildern oder den Videos, auf denen Terroristen ihre Gefangenen abschlachten, wird dieser Vorfall zu einem Ereignis, das die Wirklichkeit des blutigen Konflikts deutlich und schmerzhaft vor Augen stellt. Soldaten, die ihr Leben retten wollten und offenbar nicht wissen, was sie mit den überlebenden Kindern anfangen sollen, zu denen sie auch keine Nähe haben, während die Kinder voller Panik und Schreck nach dem Erlebten von den Mördern ihrer Eltern betreut werden. Ein Kind, voller Blut, kauert am Boden, zwischen den Stiefeln und Waffen der Soldaten, schreiend, verzweifelt. Zwei andere kleine Kinder, winzig zwischen den Beinen der Soldaten, ungläubig, ausgeliefert.

Chris Hondros, der Fotograf, schildert, wie er den Vorfall erlebt hat. Tagsüber seien die Patrouillen in Tel Afar meist ruhig, manchmal unterhalten sich die Soldaten mit den Bürgern der Stadt, in der es letztes Jahr schon einmal schwere Kämpfe gegeben hat. Mehrheitlich wird Tel Afar von Turkmenen bewohnt. Erst einige Tage vor dem Vorfall sei es zu Schießereien zwischen US-Truppen und ansässigen Aufständischen gekommen. Vor allem nachts sei es übliche Praxis, dass Soldaten auf Patrouille entgegen kommende Wagen aus Angst vor Autobomben stoppen. Das habe man auch mit dem Auto am 18. Januar versucht, aber es habe nicht angehalten, sondern die Geschwindigkeit eher erhöht. Dann sei der Ruf gekommen "Stop that car!", gleichzeitig seien die ersten Schüsse gefallen. Dann wurde so lange weiter gefeuert, bis der Wagen zum Stillstand kam.

Die Soldaten erkannten, dass es sich um Zivilisten handelte, holten die Kinder heraus, leisteten Erste Hilfe und brachten sie anschließend ins Krankenhaus. Der Fahrer war völlig durchlöchert von Schüssen, berichtet der Fotograf:

Meanwhile, the children continued to wail and scream, huddled against a wall, sandwiched between soldiers either binding their wounds or trying to comfort them. The Army's translator later told me that this was a Turkoman family and that the teenaged girl kept shouting, "Why did they shoot us? We have no weapons! We were just going home!"

Ein Blog gegen den abgestumpften Blick

Ein Blogger, der angeblich nicht gegen Bush oder gegen den Krieg eingestellt ist, aber wegen der einseitigen Berichterstattung vor allem während der Erstürmung und "Säuberung" von Falludscha erzürnt war, hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Bilder zu veröffentlichen, die die Wirklichkeit des Konflikts zeigen. Seit September veröffentlichte der amerikanische Blogger auf Falluja in Picture Fotografien über die Opfer von Anschlägen und über die des Stadtkampfes in Falludscha, gleich ob es sich um US-Soldaten, Aufständische oder Zivilisten handelt. Sie vermittelten tatsächlich einen realistischen, aber schrecklichen Eindruck von dem, was in dieser lange Zeit abgeschotteten, weitgehend zerstörten Stadt vor sich ging und was die meisten Medien, aus welchen Gründen auch immer, nicht zeigen wollten oder sich nicht trauten.

Nach Falludscha taufte er seinen Blog in CrisisPictures um und will nun über den Irak hinaus den Menschen vor Augen führen, welche Folgen Konflikte haben. Dazu gehören nun auch die Fotos von Chris Hondros, die er für Getty Images gemacht hat. Die Fotografien werden von Agenturen gekauft, um sie veröffentlichen zu können, daher ist dies eine teure Angelegenheit. Ob die Absicht, mit dem Zeigen der Bilder das "Abstumpfen durch mediale Übersättigung" konterkarieren zu können, zutrifft oder dies selbst dazu beiträgt, mag dahin gestellt sein, gleichwohl bleibt es wichtig, zumindest hin und wieder solche Bilder zu zeigen, damit die Menschen auch durch Anschauung wissen, was sie in den Nachrichten hören oder lesen und was oft genug dabei abstrakt und entfernt bleibt.

Crisis Pictures prints daily news images of humanitarian emergencies mainstream media usually ignores. Pictures have the power to do more than convey facts of overwhelming events. We are numb to the grim statistics of death and disaster that accompany stories of crisis. What we cannot ever get used to is the face of a mother who has lost her child. As the reaction to the Asian Tsunami demonstrates, strong coverage in images leads to responsibility and action over cyncism and helplessness.