WEF gehört die Stadt

Am Samstag stand die Schweizer Hauptstadt ganz im Zeichen der Proteste gegen das Welt-Economic-Forum

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Wer am Samstag nichtsahnend durch die Berner Innenstadt spazierte, kam aus dem Staunen nicht heraus. An einer Ecke beteten junge Leute im Mönchskostüm als Kapitalisten und Polizisten verkleidete Menschen an, woanders liefen Leute mit kleinen Radios herum, die die neuesten Informationen von verschiedenen Aktionen in der ganzen Schweiz bekannt gaben. Auffällig verkleidete Straßenkehrer fegten die Plätze von Bern. "Wir fegen jeden Proteste gegen das Wef von der Straße", hieß es auf großen Schildern, die an den Besen festgemacht waren. "WEF gehört die Stadt", hieß es auf bunten Luftballons. Andere waren etwas frecher mit der Parole "WEF zum Platzen bringen".

WEF - diese drei Buchstaben stehen für das World Economic Forum, das seit 1971 mit der Ausnahme von 2002 jährlich in dem Schweizer Bergdorf Davos tagt.Gegründet wurde es 1971 als esoterisch angehauchtes Managertreffen, hat sich aber mittlerweile zu einem Stelldichein der globalen Machtelite entwickelte. Verantwortung für schwierige Entscheidungen in harten Zeiten lautet das Motto des diesjährigen WEF, das der britische Premiereminister Toni Blair am 26. Januar eröffnen wird. Von den Wahlen in der Ukraine über die EU-Erweiterung bis zur Aidspräventation wird kein aktuelles Thema auf dem Treffen ausgelassen.

Plakat zur Protestaktion "dance out WEF"

Mit der zunehmenden Bedeutung stieg auch bei den Gegnern das Interesse. In den ersten Jahren wurde das WEF noch völlig ignoriert. Die erste Demonstration im Zusammenhang mit dem WEF wurde 1992 von Exiltibetern gegen die Teilnahme des damaligen chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng organisiert. 1998 sorgte erstmals ein linkes Demobündnis für Unruhe im beschaulichen Davos. Die erstarkende globalisierungskritische Bewegung ließ die Zahl der Demonstranten wachsen. Jetzt standen nicht mehr nur einzelne Personen in der Kritik. Dem WEF insgesamt wurde als elitärer Kungelrunde ohne jede demokratische Legitimation die Legitimation abgesprochen.

Im Januar 2001 versuchte die Polizei, alle Proteste gewaltsam zu verhindern ("Davos wird brennen"). Tausende Demonstranten wurden in Landquart festgehalten und antworteten mit Straßenblockaden. Am Abend kam es in der Innenstadt von Zürich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen WEF-Gegnern und der Polizei. Selbst in konservativen Zeitungen wurde anschließend die Frage gestellt, ob es zu rechtfertigen sei, wegen eines privaten Treffens Grundrechte außer Kraft zu setzen (Weltwirtschaftsforum vor dem Aus?). So wurde in den Schweizer Medien überwiegend mit Zufriedenheit registriert, dass WEF-Begründer Klaus Schwab das Treffen 2002 kurzfristig nach New York verlegte (Von den Bergen in die Stadt). Er wolle mit dem Ortswechsel seine Solidarität mit den Opfern der Anschläge vom 11.September ausdrücken, erklärte Schwab (Zwischenstand beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in New York: Furcht).

Doch aufgeben wollte Schwab den Tagungsort in der Schweiz wegen des vielzitierten Geistes von Davos nicht. So wurden jetzt einige handverlesene Vertreter von Nichtregierungsorganisationen zum WEF eingeladen. Die meisten fühlten sich hinterher als dekoratives Beiwerk ohne jede Mitsprache missbraucht und beklagten den geringen Stellenwert des Offenen Forums innerhalb des WEF. Doch auch in diesem Jahr wird es eine mit dem WEF abgestimmte Diskussion zu den Schattenseiten der Globalisierung und der sozialen Verantwortung der Wirtschaft in Davos geben.

Seitdem das WEF die NGOs und ihre Themen entdeckt hat, weht denjenigen, die sich dem Dialog mit dem WEF verweigern, ein scharfer Wind um die Ohren. Die Schweizer Behörden stellten alle, die an einer konsequenten WEF-Kritik festhielten, in die Nähe von Gewaltbereiten (Wenig Zuckerbrot und viel Peitsche) und behandelten sie auch so (Spektakel in den Bergen). WEF-Kritiker wurden auf den Weg nach Davos stundenlang eingekesselt, Züge mit WEF-Gegnern wurden gestürmt, es kam zu zahlreichen Festnahmen.

Daraus haben auch die Kritiker in diesem Jahr Konsequenzen gezogen. Statt in das verkehrstechnisch schwer erreichbar Davos wurde erstmals im Vorfeld des WEF zur Demonstration in die Schweizer Hauptstadt Bern mobilisiert. Es sollte um eine Demonstration gehen, die die Verbreiterung der Bewegung zum Ziel haben sollte. Daher war dem breiten Bündnis klar, dass politische Inhalte und nicht Scharmützel mit der Polizei die Demonstration prägen sollten. Ein großer Teil des Demobündnisses war auch bereit, eine Demo-Konsens-Gruppe, eine Art demoeigenen Ordnerdienst zu installieren. Trotzdem verbot die Berner Stadtregierung die Demonstration durch die Berner Innenstadt. Lediglich eine Kundgebung auf einen von der Polizei kontrollierten Platz wurde genehmigt.

"Wir gehen nicht in eine Polizeifestung" lautete die Devise der großen Mehrheit des Protestbündnisses, die schließlich den Antrag auf Bewilligung der Demonstration absagte und zu Aktionen des zivilen Ungehorsams sowohl gegen das WEF als auch gegen das Demoverbot aufrief. Der begann schon vor einigen Tagen, als WEF-Gegner in die vielgelesene Gratiszeitung 20 Minuten eine globalisierungskritische Beilage schmuggeln konnten, die dem Original so täuschend ähnlich sah, dass unter den Lesern große Verwirrung entstand.

Hinterher registrierte man in der Schweizer Presse zufrieden, dass die im Vorfeld von ihnen selber an die Wand gemalten Gewaltszenarien nicht eingetroffen sind. In Bern blieb alles friedlich. Die Sprecher des Demobündnis konnten immerhin feststellen, dass am Samstag der Protest gegen das WEF deutlich sichtbar war. Doch um die Zukunft der Grundrechte zeigte man sich schon besorgt. Denn sobald sich ein Demozug formierten wollte, griff die Polizei ein und kesselte auch mal vorübergehend Protestierer ein. Auch die am Samstagabend vom globalisierungskritischen Netzwerk Das andere Davos organisierte Podiumsdiskussion über "Strategien gegen den weltweiten Kapitalismus" war betroffen. Zwei zentrale Veranstaltungsorte wurden von den Behörden abgesagt, so dass die Veranstaltung schließlich in einem Kulturzentrum am Rande von Bern verlegt werden musste. Weitere Protestveranstaltungen sind geplant