"Ich will nie wieder an einen Ort wie diesen zurückkehren"

Folter für verhaftete Online-Journalisten im Iran

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Die Verhaftungswelle von iranischen Journalisten, die im Internet aktiv sind, geht weiter (vgl. "Das größte Gefängnis im Nahen Osten"): Vor einer Woche wurde Arasch Sigardschi inhaftiert. Der Journalist unterhielt einen Blog und ist Redakteur einer Tageszeitung. Sein Vergehen: Er machte sich öffentlich für die Journalistenkollegen stark, die von den iranischen Behörden hinter Gittern gesetzt wurden. Was man lange Zeit schon vermutet hatte, wird jetzt im Zusammenhang mit den Verhaftungen der Online-Journalisten von einem ehemaligen hochrangigen iranischen Regierungsmitglied bestätigt: Die verhafteten Journalisten werden gefoltert.

Mehr als zwanzig Internet-Journalisten und Blogger sind im Iran in den letzten Monaten inhaftiert worden; manche von ihnen, wie Hanif Masrawi sind wieder auf freiem Fuß, allerdings traumatisiert von den Erfahrungen ihrer Haft.

Ich will nie wieder an einen Ort wie diesen zurückkehren. Ganz egal, was man für eine Mentalität hat, ganz egal, wer man ist, es wird dich brechen.

Was Hanif Masrawi und ein anderer Journalist, der seinen Namen nicht veröffentlicht wissen wollte, über ihre Haftbedingungen in der gestrigen Ausgabe der Los Angeles Times erzählten, ist in deprimierenden Einzelheiten einem Bericht des ehemaligen Vizepräsidenten des Iran, Muhammed Ali Abtahi, zu entnehmen.

Der Reformpolitiker, der vor einigen Wochen von seinem Posten zurückgetreten ist, schreibt seit längerem einen Blog (vgl. 150 Jahre Abstand zur Mehrheit der Bevölkerung), dessen offenherzige Kommentare zum Umgang der iranischen Behörden mit dem Internet bei jungen Iranern sehr beliebt sind. Abtahi ist Mitglied eines Komitees, das die Einhaltung der Verfassung überwachen soll (Constitutional Supervision Committee). In einer dreistündigen Sitzung hörten sich die Mitglieder dieses Komitees Ende letzten Jahres (das genaue Datum ist dem Bericht nicht zu entnehmen) an, was die Journalisten Hanif Masrawi, Goreischi, Fereschte Ghaazi, Naderpur und Mollagholi über die Bedingungen ihrer Haft erzählten.

Die Journalisten wurden mit u. a. brutalen Schlägen und Tritten malträtiert, zu verleumderischen Aussagen über sexuelle Verhältnisse erpresst, die andere, Politiker wie Journalisten, in Gefahr bringen sowie in Einzelzellen gesperrt. "Andere Punkte" seien "unmöglich an dieser Stelle zu erwähnen", heißt es in dem Bericht, auf den ein Blogger schon Anfang Januar durch ein Posting beim prominenten amerikanischen Blogger Jeff Jarvis aufmerksam machen wollte. Damals ging das Posting allerdings in den Nachrichten über die Tsunami-Katastrophe unter. Jetzt hat das jüngst gegründete Committee to protect Bloggers, das sich sehr für die iranischen Blogger einsetzt und einen Aktionstag für derzeit inhaftierte Blogger initiiert, erneut darauf aufmerksam gemacht.

In dem Bericht von Muhammed Ali Abtahi finden sich einige bemerkenswerte Einzelheiten, welche die düsteren Ahnungen des iranischen Exilbloggers Hossein Derakhshan (vgl. Blogs und Chatrooms verführen zum Bordellbesuch) bestätigen. So sollen die Blogger zu Geständnissen gezwungen worden sein, wonach sie Teil einer CIA-Verschwörung sind, die über ein Netzwerk "Spider's Web" die islamische Republik Iran unterminieren will. Diese absurde Verschwörungstheorie wurde im September letzten Jahres vom Chefredakteur der Zeitung "Kayhan" veröffentlicht. Derakhshan vermutete damals (zurecht), dass dies der nächste Schritt einer groß angelegten Kampagne gegen Journalisten sei, die das Internet nutzen, um dort ihre Meinung freier zu äußern als es in den iranischen Zeitung möglich ist. Da in dem Kayhan-Artikel die Namen der "verdächtigen" Journalisten in voller Länge genannt wurden, befürchtete Derakhshan, dass sie alle bald verhaftet würden. Genau das ist mittlerweile eingetreten.

Ein anderer bemerkenswerter Aspekt, der im Bericht des "Komitees zur Überwachung der ordnungsgemäßen Einhaltung der Verfassung" eigens herausgestellt wird, ist das völlige Defizit an technischem Wissen über das Internet und Blogs der brutalen "Interrogators", weswegen man auf früher verhaftete Blogger zurückgreifen musste, die schon bei "weicherem Druck" zur Kooperation bereit waren, um die neu Verhafteten zu befragen.

Nach der dreistündigen Anhörung seien die Mitglieder des Komitees deprimiert gewesen, einige hätten geweint. Zwar habe er von dem Vorsitzenden die Erlaubnis bekommen, den Bericht zu veröffentlichen, schreibt Abtahi, weil man sich vor "Gott", der "Nation" und der "Geschichte" zu verantworten habe; die Macht des Komitees ist jedoch gegenüber der faktischen Macht der Gegenseite der Reformer zu gering, als dass man sich vom Bericht des Komitees eine Verbesserung der Situation von Journalisten im Iran erwarten könne.

Die Kampagne der iranische Behörden gegen unliebsame Journalisten und Foren im Internet begann im letzten Sommer, unter der Führung des berüchtigten Generalstabsanwalts Saeed Mortazavi, der Journalisten schon mehrfach mit dem Tod bedroht hat und verdächtigt wird, selbst an Folterungen teilgenommen zu haben. Seit dem Januar dieses Jahres ordnete Mortazavi eine Verschärfung der Maßnahmen gegen Veröffentlichungen im Internet an. Seither sind die großen Weblog-Portale wie Orkut, Nedstat, Blogspot, Persianblog, Blogrolling und andere vom Iran aus nicht mehr zu erreichen. "Die iranischen Internet-User sind jetzt fast gänzlich von der Blogosphäre abgeschnitten", schrieben die Reporter ohne Grenzen am 20.Januar.

Wie die Webseite "Stop Censuring us" gestern meldete, verwendet die für das Filtern zuständige iranische Telekommunikations-Organisation amerikanische Software: Smart Filter.