Kritisch, politisch, mittelmäßig

Mit dem Leitwort "Basic" fragt das Berliner Medienkunstfestival Transmediale nach künstlerischen Antworten auf die sozialen Konsequenzen von Technologien

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Ist es ein Videofestival? Ein Kongress? Eine Messe? Oder eine Kunstausstellung? Oder vielleicht bloß Treffpunkt der an digitalen Technologien Interessierten? Die Transmediale macht es einem das Kategorisieren nicht leicht. Zum fünften Mal unter der Leitung von Andreas Broeckmann findet noch bis Dienstag das Berliner Digitalfestival im Haus der Kulturen der Welt statt. Nachdem es im letzten Jahr unter dem Motto "Fly Utopia" um die verbliebenen politischen Utopien ging, widmet man sich mit "Basic", dem diesjährigen Thema, den realpolitischen Konditionen im Hier und Jetzt.

Niklas Roy: Pongmechanik

Dass Medienkunst den gesellschaftspolitischen Status quo reflektiert, ist sicher nicht selbstverständlich, verweist heute aber wohl auch auf den Status der Künstler in Zeiten schmalerer öffentlicher Kassen. Die fetten Jahre sind vorbei und die Szene hat sich politisiert. Kaum fanden sich auf dem diesjährigen Festival noch rein ästhetische Arbeiten. Wo in den vergangenen Jahren ein fröhliches L'art pour l'art betrieben und mit den technischen Möglichkeiten des jeweiligen Mediums gespielt wurde, zeigen sich die in den weitläufigen Hallen des Berliner Haus der Kulturen der Welt prominent platzierten Arbeiten als kritische Kommentare auf unsere Lebenswirklichkeit. Oder sie warten mit derartiger Low-Tech auf - wie beispielsweise "Pongmechanik" von Niklas Roy, die elektro-mechanische Version des Videospiel-Klassikers -, dass in dieser Reduktion schon wieder ein politisches Statement, gepaart mit einem Schuss Nostalgie zu erkennen ist.

Die Medienkunst, die uns interessiert, beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten von Technologien. Wir wollen den gesellschaftlichen Reflexionsprozess fördern. Ob man das dann dezidiert politisch nennt oder ob Fragen wie Sicherheit und Überwachung, Fragen der Software-Aneignung, das Basteln mit neuen Technologien oder kollaborative Systeme im Internet wie Wikipedia lediglich ein Ausdruck von digitaler Kultur sind und damit eine gesellschaftliche Rolle spielen, ist eigentlich egal.

Andreas Broeckmann

Auffällig viele künstlerische Arbeiten setzen sich mit Fragen von Sicherheit und Überwachung, Konsumismus und Biotechnologie auseinander. Michelle Teran hat in ihrem Video "Berlin Walk" im Stadtraum versteckte Überwachungskameras aufgespürt und deren Bilder sichtbar gemacht. Chris Oakley entwirft in "The Catalogue" das Szenario einer perfekten Konsumkontrolle: Sein Video zeigt Kunden in einer Shopping-Mall, denen per Überwachungskamera Markierungen zugeordnet sind, anhand derer sich die Waren, die die Kunden kauften, ablesen lassen. Besonders verdächtig erscheinen allerdings die mit einem roten "Untagged" gekennzeichneten Konsumenten: Sie haben noch gar nichts gekauft. Der Hintergrund sind die vom Handel derzeit forcierten RFID-Chips, die den Strichcode auf Waren ablösen sollen und per Funk zu empfangen sind.

Dass sich Technologien immer auch gegen sich selbst richten lassen, zeigten Rena Tangens und der notorisch gut gelaunte Padeluun vom Bielefelder FOEBUD. In einer spektakulären Aktion hatten sie letztes Jahr den Future-Store des Metro-Handelsriesen in Rheinsberg, wo probehalber RFID-Etiketten eingesetzt werden, besucht und publik gemacht, dass die Kundenkarte RFID-Technologie enthält und somit Kunden auch außerhalb des Geschäfts identifiziert werden können. Auf der Transmediale stellten sie einen Prototyp ihres "Data Privatizers" vor, ein handliches Gerät, das in der Lage ist, RFID-Etiketten auszulesen und beliebig zu überschreiben.

Fühlen, was wir wissen

Auf einem Home-Shopping-Kanal preist ein junger Mann ein seltsames Gerät an, das wie ein Geigerzähler aussieht und auch solche Piepstöne von sich gibt. Für bloß 49,95 Dollar ist es telefonisch zu bestellen. Der "Corporate Fallout Detector" (etwa: Industriemüll-Detektor) war auch auf der Transmediale zu sehen. Die Besucher konnten sich das etwas unhandliche Gerät ausleihen, um den Strichcode von in einem Regal aufgestellten Waren abzuscannen. Ein Schalter ließ sich entweder auf "dirty" oder "unethical" stellen. Je nach Frequenz und Häufigkeit der Piepstöne erhielt man eine Vorstellung davon, wie ungesund die Lebensmittel im eigenen Warenkorb sind beziehungsweise wie ethisch unkorrekt die herstellenden Konzerne handeln.

James Patten: Corporate Fallout Detector

Die Einkaufshilfe von James Patten ironisiert die Überforderung des Konsumenten, der inmitten der bunten Warenwelt mit seiner Kaufentscheidung allein gelassen wird. Als "kalkulierte Verführung, auf der unser Wirtschaftssystem gründet" beschrieb Hortensia Völkers auf der Eröffnungsveranstaltung der Transmediale die sozialen Aspekten, mit denen sich eine politisch ausgerichtete Medienkunst beschäftigt. "Wir können mit Hilfe hochkomplizierter Technik fühlen, was wir wissen", erläutert die Direktorin der Kulturstiftung des Bundes den taktilen und interaktiven Aspekt vieler Medienkunst-Arbeiten. Die Transmediale zählt seit diesem Jahr zu den sechs "Leuchttürmen" der Bundeskultur und wird mit einer entsprechenden finanziellen Ausstattung würdigt.

Wie nahe sich Medienkunst und Politaktivismus stehen, zeigen auch die Arbeiten des Critical Art Ensemble aus Buffalo, USA, das sich insbesondere den Konsequenzen der Biotechnologie verschrieben hat. In einem längeren Exkurs, eingeleitet von der Frage "Wie viele Leute denken an 'Natur', wenn sie ihre täglichen Lebensmittel einkaufen?", zeigte Claire Pentecost im Konferenz-Teil der Transmediale die Ambivalenz des Natur-Begriff auf. Dass "Natur" eine soziale Konstruktion ist und ihre Bedeutung immer von einer herrschenden Ideologie abhängt, hat die Philosophie seit langem beschäftigt. Wie sehr jedoch diese Konstruktion praktisch veränderbar ist und somit den gesamten Bedeutungsdiskurs verschiebt, führten erst die Biotechnologien oder "Lebenswissenschaften", wie sie euphemistisch genannt werden, vor Augen.

In seinen Aktionen, die von Gentests an Lebensmitteln über Kunst-Happenings bis zu Protestveranstaltungen reichen, rückt das Critical Art Ensemble weniger die unmittelbaren Konsequenzen etwa von genveränderten Organismen auf die individuelle Gesundheit in den Vordergrund, als vielmehr deren Herstellungskontext. Global agierende Firmen wie Monsanto verkaufen gentechnisch verändertes Saatgut und Herbizide im Doppelpack und überziehen Bauern mit Urheberrechts- und Patentschutzklagen, wenn diese im nächsten Jahr andere Produkte benutzen wollen. Den industriell-ökonomischen Kontext als undemokratisch und am Gemeinwohl desinteressiert zu geißeln, ist das Ziel solcher Aktionen.

Doch wie kritisch kann eine Medienkunst sein, wenn sie im Grunde dieselben Technologien benutzt, deren Einsatz, wie im Fall der Überwachungs- und Kontrolltechniken, sie zu kritisieren vorgibt? Der niederländische Philosoph Henk Oosterling hat dieses Dilemma als "radikale Mediokrität" beschrieben und ein Bewusstsein seitens der Künstler darüber gefordert. Wenngleich der Widerspruch sich vielleicht nicht auflösen lässt, kann der Transmediale zumindest bescheinigt werden, ein öffentliches Forum für Diskurse geschaffen zu haben, die häufig den engen Zirkel ihrer institutionellen Entstehung nicht verlassen. Zu dieser Diagnose passt eine weitere Beobachtung: Mit der Entgrenzung der Wettbewerbskategorien - in den letzten Jahren wurde ein Preis für Medienkunst in den Kategorien Interaktion, Software und Image vergeben; dieses Jahr gibt es keine Kategorien mehr, wohl aber einen Preis - hat sich die ohnehin undurchsichtige Preisvergabe auf der Transmediale eigentlich erledigt. Sie ist das Relikt eines über Bord geworfenen Ästhetizismus und sollte zumindest auf einem politisch ausgerichteten Festival keine Rolle mehr spielen. Mit Hilfe welcher Kriterien ließen sich schon politische Reflexionen bewerten?