Der schleichende Tod einer Währung

Eine System-Analyse anlässlich der Diskussion um den Euro-Stabilitätspakt

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Der Euro soll so stabil sein, wie es die D-Mark einst war. Mit der Aufweichung des Stabilitätspaktes wird auch auf politischer Ebene Realität, was sich aus der Systemdynamik unseres Wirtschaftssystems zwingend ergibt: Überschuldungszwang und Inflationsgefahren. Über die (In-)Stabilität einer Währung (nach heutigem Aufbau) am Beispiel des Euro.

Als sich die Regierungen der teilnehmenden europäischen Völker darauf einigten, eine gemeinsame europäische Währung einzuführen, legten sie die Regeln für diese Währung in einem Vertrag fest: Der Euro-Stabilitätspakt. Wie der Name des Vertragswerkes suggeriert, sollen die darin festgelegten Kriterien für eine "Stabilität" des Euro sorgen. Was heißt "Stabilität" einer Währung?

Geld ist - aus wirtschaftstheoretischer Sicht - ein Werkzeug. Mit Hilfe dieses Werkzeuges wird die Verteilung der produzierten Leistungen und Güter in der Wirtschaft koordiniert. Ohne ein Tauschmittel wäre eine hochgradig arbeitsteilige Gesellschaft wie die unsrige undenkbar. Neben der Funktion als Tauschmittel fungiert Geld auch als Wertmaßstab, das heißt, es bietet die Möglichkeit des Wertvergleiches zwischen unterschiedlichen Gütern/Leistungen. Äpfel und Birnen kann man nur dann miteinander vergleichen, wenn eine gemeinsame Vergleichsbasis geschaffen ist. Geld ermöglicht den Vergleich des Tauschwerts von Äpfel und Birnen; es ist also ein Maßstab für den Wert.

Preisstabilität als Illusion

Absolute Preisstabilität ist in einer Volkswirtschaft dann erreicht, wenn ein Korb von Waren und Leistungen (beispielsweise Äpfel, Birnen, Arbeitsstunde, Computer, ...) von Jahr zu Jahr denselben Gesamtwert hat, auch wenn sich Einzelpreise innerhalb dieses Warenkorbes ändern. Erhöht sich der Gesamtpreis des Warenkorbes jährlich um 2% (Inflationsrate = 2%), so gilt dies gemäß den Regelungen der europäischen Geldverwalter als Preisstabilität.

Je stabiler die in einer bestimmten Währung gemessenen Preise, umso "stabiler" ist die Währung, denn die Stabilität einer Währung misst sich daran, welche Leistungen der Käufer dafür bekommt. Jährliche Preissteigerungen von 2% werden von den europäischen Geldverwaltern als stabil angesehen, nur ist diese "Stabilität" Selbstbetrug, was dem betroffenen Bürger aber nur selten deutlich gemacht wird. Eine jährliche Inflation von 2% bedeutet, dass sich die Preise des Warenkorbes alle 35 Jahre verdoppeln. Selbst bei Einhaltung der selbstauferlegten Stabilitätskriterien darf der Euro-Benutzer also damit rechnen, in 35 Jahren nur noch die Hälfte an Leistungen für dieselbe Menge an Euro zu erhalten. Es zeigt sich, dass Preisstabilität somit nur gegeben ist, wenn der zeitliche Aspekt außen vor gelassen wird.

Als provokant mögen wirtschaftswissenschaftlich ausgebildete Leser deshalb möglicherweise den folgenden Vergleich ansehen. Für aufgeschlossene Leser könnte die Illusion greifbar werden: Ein Maßstab für die Länge ist der Meter. Jeder Architekt greift auf diesen Maßstab zurück, um Häuser zu bauen und die Pläne von 1950 sind heute noch genauso nutzbar. Ein anderer weit verbreiteter und oft genutzter Maßstab ist das Kilogramm. Auch das Kilogramm ist heute noch dasselbe wie vor 50 Jahren und damals ermittelte Werte sind mit den heutigen direkt vergleichbar. Nur dem wichtigsten Maßstab für wirtschaftliche Vorgänge, dem Wert einer Währung, ist es erlaubt, sich jährlich zu ändern und trotzdem als "stabil" bezeichnet zu werden; ja, es ist sogar Ziel der Europäischen Zentralbank, möglichst nah an jährliche Preissteigerungen von 2% heranzukommen!

Systemdynamiken

Es ist anzumerken, dass die Instabilität einer Währung heutigen Aufbaus systemimmanent ist, das heißt: Jede Währung, die im Aufbau dem Euro ähnelt, enthält zwingend die schleichende Geldentwertung, ohne dass die Geldverwalter wirklich Macht haben, etwas dagegen zu tun. Warum ist dies so?

In unserem Geldsystem existiert eine Verzinsung von Geldkapital, welche dauerhaft über 0% liegt. Für die Herausgabe seines Bargeldes erhalten Geldbesitzer also beispielhaft 3% Zinsen - und zwar vom Schuldner. Die Banken in einer Wirtschaft handeln als Geldvermittler, sie "sammeln" das Geld der Sparer ein, um es an die Schuldner weiterzuverleihen und zwischen beiden die Zinszahlungen zu gewährleisten. Jedem Euro Geldvermögen steht somit genau ein Euro Geldschulden gegenüber. In einer Gesamtwirtschaft ist die Gesamthöhe der Geldvermögen somit genauso hoch wie die Gesamtschulden desselben Wirtschaftssystems. Man kann hier auch von Geldvermögen-Schulden-Paaren sprechen, denn Geldschulden und Geldvermögen sind unterschiedliche Seiten derselben Medaille.

Existiert nun die genannte Verzinsung oberhalb 0%, so fließen beständig Zins-Zahlungen von den Schuldnern zu den Gläubigern. Werden alle Zinszahlungen vollständig verkonsumiert, ändert sich an der beschriebenen Situation nichts. Werden jedoch die Zinseinkommen der Geldvermögensbesitzer erneut ihren Vermögen zugeschlagen, so resultiert daraus - in der Betrachtung des Gesamtsystems! - die Notwendigkeit einer Erhöhung der Gesamtschulden um dieselbe Höhe. Geldvermögen und Schulden sind paarweise miteinander gekoppelt.

Die ewige direkte Verkonsumierung der Zinseinkommen ist unrealistisch, da ein einzelner "Bill Gates" oder "Schuhmacher" ausreicht, um Vermögen zu erzeugen, dessen Zinseinkommen ein Einzelner beim besten Willen nicht mehr verkonsumieren kann. Immer erhöhen sich bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung diese Einkommen und die Summe der Geldvermögen und folgerichtig die Geldschulden. Dabei ist es bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung irrelevant, ob die steigenden Geldvermögen von der Privatwirtschaft oder vom Staat als Schulden aufgenommen werden - Fakt ist, dass die Schulden im selben Maße steigen (müssen), wie es die Geldvermögen tun.

Die vorgesehene Aufweichung des Euro-Stabilitätspaktes setzt genau an diesem Punkt an: Den Regierungen Europas würde es erlaubt werden, die Verschuldung des Gesamtsystems durch die Aufnahme neuer Staatsschulden zu vergrößern - und damit auch erst das weitere Wachstum der Geldvermögen zu ermöglichen.

Bei einer dauerhaften Verzinsung oberhalb von 0% steigt also nicht nur die Vermögensbildung im System ständig an (die deutschen Geldvermögen nähern sich der 4-Billionen-Grenze, also dem doppelten des jährlichen Bruttoninlandsproduktes), auch die Verschuldung weiter Teile des Wirtschaftssystems nimmt beständig zu. Die Verschuldungskrise in der Privatwirtschaft sowie beim Staat ist also weder Zufall noch ausschließlich auf Inkompetenz der Beteiligten zurückzuführen, sondern eine sich zwingend aus der Systematik der wirtschaftlichen Grundregeln ergebende Entwicklung. Die daraus resultierende Überschuldung und der Anstieg der Insolvenzen sind ebenso systemimmanente Zwänge und keineswegs nur dem persönlichen Pech der davon Betroffenen zuzuschreiben.

Die (schleichende) Inflation des Euro

Geld ist nur dann etwas wert, wenn man dafür etwas kaufen kann. Der Wert einer Währung nimmt ab, wenn die dafür kaufbaren Dinge abnehmen. Grob kann die Inflationsgefahr für den Euro anhand der (gerundeten) Zahlen für Deutschland deutlich gemacht werden.

Da Geld bekanntlich nicht essbar ist, stellt es nur einen Anspruch auf Leistungen dar. Letztlich ist alles Sparen der Sparer darauf ausgelegt, das Gesparte später zu verkonsumieren. Die (gerundeten) 4 Billionen Euro Geldvermögen der Deutschen sind also nur Ansprüche auf Leistungen, nicht aber die Leistungen selbst.

Nun erbringt die deutsche Volkswirtschaft aber "nur" Leistungen im Wert von 2 Billionen Euro jährlich (BIP). Um also ihr finanziell Gespartes in reale Leistungen umsetzen zu können, müssten die Deutschen also 2 Jahre lang ohne Lohn arbeiten, dann wären die 4 Billionen Euro Geldvermögen in reale Werte "umwandelbar". Ein unrealistisches Szenario! Realistischer ist, dass die Geldvermögensbesitzer irgendwann die bereits existierenden Güter und Leistungen (speziell Immobilien und Grund und Boden) kaufen und damit die Preise in diesen Sektoren ansteigen. Genau dieser Preisanstieg ist es jedoch, der als "Inflation" den Wert des Euro schmälert, denn wenn sich die Preise (beispielhaft) verdoppeln, so ist ein Euro eben nur noch die Hälfte wert.

Die Aufweichung des Euro-Stabilitätspaktes durch die europäischen Regierungen ist nicht (nur) das Resultat schlechter Politik, sondern eine sich aus den Systemdynamiken unseres Geldsystems zwingend ergebende Situation. Zwingend herleiten lässt sich ebenso eine schleichende Entwertung des Euro, die sich zu einer galoppierenden Inflation ausweiten kann, wenn die Geldvermögensbesitzer beginnen, der Geldentwertung durch (preissteigernden) Kauf von Sachvermögen zu begegnen. Gefährlich ist es für 400 Millionen Europäer, dass diese Zusammenhänge von der Politik nicht wahrgenommen werden - denn die Stabilität eines Wirtschaftssystem hängt zwingend von der Stabilität seines Fundaments ab: dem Geldsystem.