Sicherheitsrisiko vs. Rundfunkfreiheit

Die vorübergehende Schließung des Offenen Kanals Kiel während eines Naziaufmarsches Ende Januar hat bislang kaum Reaktionen ausgelöst

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Der Umgang mit Neonazis ist wieder diskussionswürdig geworden. In Kiel setzte man Ende Januar dennoch auf Altbewährtes. Und man ging noch einen Schritt weiter und schuf so wohlmöglich einen fragwürdigen Präzedenzfall. Im Zusammenhang mit einem Naziaufmarsch in der Kieler Innenstadt wurde der städtische Offene Kanal für einen Tag aus Sicherheitsgründen geschlossen. Eine geplante Berichterstattung über Gegenaktivitäten konnte somit nicht stattfinden. Wollte man so kritische Stimmen im Kieler Äther verhindern?

In den Wochen vor dem Naziaufmarsch hatten Politiker, Polizei und Medien in Schleswig-Holstein Panik verbreitet und vor gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Rechts- und Linksextremen gewarnt. Man solle die Kieler Innenstadt meiden, empfahl Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz (CDU). Der Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch wurde auf verschiedenen Ebenen entgegengearbeitet. Doch anstatt passiv zu bleiben und zu schweigen, bereiteten sich Radiomacher aus Kiel, Hamburg und Husum auf eine ausführliche Live- und Hintergrundberichterstattung auf dem Offenen Kanal Kiel vor.

Wie ein betroffener Sendungsmacher von der Freien Radio Cooperative Husum gegenüber Telepolis mitteilte, gab es dazu verbindliche Absprachen mit der Leiterin des Offenen Kanals. So trafen sich die Radiomacher am Vortag im Gebäude des Offenen Kanals (OK), um die seit Wochen vorbereitete Sendung noch einmal durchzusprechen. Am nächsten Morgen standen sie jedoch vor verschlossener Tür und mussten feststellen, dass in der Nacht das Schloss ausgetauscht worden ist. Zuerst dachte man noch an eine Sabotageaktion der Nazis.

Radiomacher müssen draußen bleiben

Peter Willers - der Beauftragten der Offenen Kanäle in Schleswig Holstein - teilte den Radiomachern dann lediglich mit, dass der OK Kiel aus Sicherheitsgründen geschlossen sei. Die Beantwortung weiterer Fragen wurde abgelehnt. Erst gegen Mittag erhielt ein durch die Radiomacher beauftragter Rechtsanwalt weitere Informationen. Diesem sei von einem Verantwortlichen der zuständigen Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien (ULR) mitgeteilt worden, dass die Polizei gegenüber der ULR die Gefahr von gewalttätigen Auseinandersetzungen um den Offenen Kanal geäußert habe und in diesem Fall nicht in der Lage wäre, das Gebäude zu schützen.

Mehr Informationen oder eine Stellungsnahme durch ULR oder Polizei haben die Radiomacher seitdem nicht erhalten. Sie fragen sich, wie von einer zwei Kilometer entfernten Demonstration Gewalt hätte ausgehen können. Zudem sei ihnen nicht bekannt, dass es in diesem Zusammenhang in Deutschland je zu einem Überfall auf ein freies Medium gekommen sei. Die Aufgabe der Verantwortlichen für den OK hätte es sein müssen, das Recht auf Rundfunkfreiheit zu gewährleisten. Die Aufgaben der Polizei hätte wiederum darin bestehen müssen, das Gebäude zu sichern. Schließlich sei das Demonstrationsrecht der Nazis mit mehr als 2700 Polizisten geschützt worden.

Die Sichtweise der ULR

Die ULR sieht sich bislang nicht dazu veranlasst, öffentlich Stellung gegenüber den Radiomachern zu beziehen. Eine Beschwerde der Betroffenen läge schließlich bislang nicht vor. Stattdessen wirft man den Radiomachern vor, ihrerseits Regeln missachtet und geplant zu haben, den OK an diesem Tag missbräuchlich nutzen zu wollen. Wie Dr. Wolfgang Bauchrowitz, stellvertretender Direktor und Justiziar der ULR in Kiel gegenüber Telepolis mitteilte, habe er die Entscheidung zur Schließung des OK Kiel in Absprache mit dem Beauftragten der Offenen Kanäle und dem Vorsitzenden des Medienrates der ULR getroffen.

Als Begründung wies er zum einem auf die öffentliche Ankündigung eines Inforadios unter Nennung der OK-Frequenz hin, "mit dem linksautonome Aktivitäten koordiniert werden sollten, um eine angemeldete rechtsradikal motivierte Demonstration gezielt zu stören und zu stoppen." Für dieses Inforadio habe es keine Anmeldung gegeben, wie es mit einer dreitägigen Frist vor der Sendung in schriftlicher Form vorgeschrieben sei. "Im konkreten Fall drängt sich der Verdacht auf, dass sich einzelne unbekannte Personen unter Verletzung der geltenden OK-Satzung 'einschleichen' wollten", so Bauchrowitz.

Ein derartiger "Sendeübernahmeversuch" in Schleswig Holstein ist mir noch nicht bekannt geworden und ich werde solche Wege auch nicht akzeptieren.

Dr. Wolfgang Bauchrowitz

Somit hätte sich aus dieser Situation eine Gewaltbereitschaft ergeben können, bei der nicht auszuschließen gewesen wäre, dass der OK Kiel unter Gewaltanwendung hätte "besetzt" werden können. Zudem hätten durch die öffentliche Ankündigung auch gewaltbereite Teilnehmer der Neonazi-Demo davon Kenntnis erlangen können. Nach Informationen, die der ULR vorlagen, sollte die Demonstrationsroute in unmittelbarer Nähe zum OK verlaufen, somit hätte es zu schweren Ausschreitungen kommen können. Um jedes Risiko auszuschließen, sei die Schließung des OK an diesem Tag veranlasst worden, so Bauchrowitz.

Den Vorwurf, die Rundfunkfreiheit mit seiner Entscheidung eingeschränkt zu haben, wies Bauchrowitz von sich. Schließlich könnten die "vermeintlichen" Radiomacher gar nicht betroffen sein. Man könne nur die Freiheit derjenigen einschränken, die sich ordnungsgemäß angemeldet hätten. Dies sei z. B. bei einer gleichzeitig angemeldeten Livesendung im räumlich mit dem OK-Hörfunk zusammenhängenden OK-Fernsehen geschehen, bei der die Nutzer rechtzeitig in Kenntnis gesetzt wurden.

Reaktionen von Polizei und Radiomachern

Auf die Frage nach der Herkunft ihrer Informationen gab die ULR an, diese zunächst eigenständig ermittelt zu haben. Mit Blick auf die Gefährdungslage sei diese von Staatsanwaltschaft und Polizei in Kiel überprüft und bestätig worden. Die Aussage des Pressesprechers der Polizeidirektion Mitte in Kiel, Volker Kühl, widerspricht jedoch dieser Darstellung.

Die Entscheidung den OK zu schließen, sei allein eine interne Entscheidung der ULR gewesen und nicht auf Sicherheitsbedenken der Polizei zurückzuführen, so Kühl gegenüber Telepolis. Auch würden die Informationen nicht stimmen, man hätte das OK-Gebäude nicht schützen können. Zudem war es nach Informationen der Polizei zu keinem Zeitpunkt geplant, die Demonstration am Gebäude des Offenen Kanals vorbeizuführen.

Die Radiomacher zeigten sich verwundert über die Vorwürfe durch die ULR. Von einem "Einschleichen" und einer missbräuchlichen Nutzung könne aufgrund der vorherigen Absprachen und Ankündigungen keine Rede sein. Die Leiterin des OK Kiel sei ihnen gegenüber derzeit zu keiner Stellungsnahme bereit, um dies bestätigen zu können. Das Problem einer fehlenden Anmeldung hätte mit einem Telefongespräch erledigt werden können und sei sicher keine Begründung, um ein Schloss auszuwechseln. Außerdem sei die satzungsmäßig festgelegten Regelungen nicht gängige Praxis in Offenen Kanälen. Es sei sogar möglich, Anmeldungen unter Umständen auch noch kurz vor der Sendung unterschreiben zu können, so die Radiomacher. Nun müsse politisch geklärt werden, dass so etwas nicht wieder vorkomme. Dass man derzeit bei der ULR mit Kritik Schwierigkeiten hat, zeige das Abschalten des Online-Gästebuches auf den Seiten des OK Kiel.

Die Radiomacher sind sich einig, dass die Sichtweise der CDU der falsche Weg sei, Nazis totzuschweigen, um deren Wahlerfolge zu verhindern. So sei die Kieler Oberbürgermeisterin der Meinung, dass man Nazis unterstütze, wenn man über diese berichten würde. Demonstrationen würden ihnen nur Aufwind bieten. Wohin das führen könnte, habe man Sachsen und Brandenburg gesehen, machen die Radiomacher ihre Motivation deutlich. Wie das im Kieler Landtag ausgeht, kann man schon bald erfahren. Am 20. Februar sind in Schleswig Holstein Landtagswahlen. In einem Bericht über die Demo in Kiel auf der Homepage des nationalistischen "Holsteiner Widerstand" heißt es dazu:

Das breite Bündnis der Gegenaktionen zeigt deutlich die Angst, daß die NPD am 20. Februar in den Landtag einzieht. Denn wenn die Befürchtung nicht so groß wäre, hätten CDU und SPD kaum so einig zusammen demonstriert! Insofern kann sich die NPD über die freie Wahlkampfunterstützung auch nicht beschweren.