Treffpunkt Dresden

Am 60. Jahrestag der Bombardierung erwartet die sächsische Landeshauptstadt den größten rechten Aufmarsch in der Geschichte der Bundesrepublik

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Seine neuen Parlamentskollegen seien "auf ekelhafte Weise intelligent" stellte Cornelius Weiss, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Sächsischen Landtag, vor kurzem fest, und beschrieb damit auf recht sinnfällige Weise, was die NPD-Fraktion um Holger Apfel von anderen rechtsextremen Gruppierungen unterscheidet, denen in Deutschland nach 1945 der Sprung in diverse Volksvertretungen gelang. Die frisch gewählten Mandatsträger üben sich in scheinbar alltäglicher, wenn auch stets demagogisch aufgemachter Parlamentsarbeit und diskutieren über eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die drohende Insolvenz des Textilunternehmens Neu Erba Lautex oder die Turbulenzen um die Sächsische Landesbank.

Dem Versuch, landespolitische Sachkompetenz unter Beweis zu stellen, entspricht das Bemühen um eine gelegentliche Imagekorrektur. Ende Januar erstattete Holger Apfel nach eigenen Angaben gegen den CDU- Fraktionsvorsitzenden Fritz Hähle Anzeige wegen des Verdachts der verleumderischen Beleidigung, weil dieser ihn in einer autorisierten Presseerklärung als "Nationalsozialisten" bezeichnet habe. Apfel erklärte dazu: "Herr Dr. Hähle will offensichtlich mit der Diffamierung unserer Abgeordneten als Nationalsozialisten die Mitglieder der NPD-Fraktion beleidigen und in ihrer Würde herabsetzen."

Dem Bemühen um eine "nationale Volksfront" sind solche Äußerungen allerdings bisweilen abträglich. In einschlägigen Internet-Foren zeigen sich Aktivisten entrüstet über Apfels wenig glaubwürdige, aber doch offiziell verlautbarte Distanz zu den gemeinsamen historischen Vorbildern. Für sie stellt sich nach diesem Statement bereits die Frage, ob jene neue Allianz, die durch den Parteieintritt prominenter Neonazis wie Thomas "Steiner" Wulff, Thorsten Heise, Ralph Tegethoff und Norman Bordin so hoffnungsvoll begonnen hat, nicht gleich wieder beendet werden sollte.

Wir sind nicht bereit uns als Fußabtreter für die Partei missbrauchen zu lassen. Wenn sie Angst vor einem Verbot hat, soll sie sich konsequent von uns trennen und öffentlich Stellung beziehen. Eines ist sicher, man kann uns nicht gleichzeitig ablehnen und befürworten! (...) Fest steht, dass die derzeitige Situation der nationalsozialistischen Bewegung schadet und geklärt werden muss. Wir brauchen keinen Feind von innen, uns reichen die Feinde von außen.

Freier Widerstand

Jahrestag der Bombardierung Dresdens als Vorwand zur braunen Umdeutung der Geschichte

Um den "freien Widerstand" halbwegs auf Kurs zu halten, bedarf es nun weiterer handfester Auftritte von der Art des kalkulierten Skandals, den die NPD Ende Januar im Sächsischen Landtag mit dem klaren Bewusstsein in Szene setzte, dass der 60. Jahrestag der Zerstörung Dresdens als Bindemittel für die gesamte rechte Szene fungieren kann. Die Demonstration gegen den "anglo-amerikanischen Terrorangriff", der wahlweise auch gern als "Bomben-Holocaust" tituliert wird, eint alte Nazis, junge Aktivisten und Protestwähler seit vielen Jahren, könnte 2005 aber zum größten rechten Aufmarsch in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland führen. Daran wird auch die von Innenminister Otto Schily (SPD) geplante Änderung des Versammlungsrechts, wenn sie denn überhaupt jemals in Kraft tritt, noch nichts ändern können.

Mittlerweile kursiert selbst in Sicherheitskreisen die Zahl von 7.000 Teilnehmern, die sich dem "Trauermarsch" anschließen wollen. Zu den Rednern der Kundgebung, die wie jedes Jahr von der "Jungen Landsmannschaft Ostpreußen" angemeldet wurde, gehören unter anderem der Vorsitzende der Deutschen Volksunion, Gerhard Frey, der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt, der Schirmherr der Veranstaltung, Holger Apfel, und Alexander Kleber von der Jungen Landsmannschaft. Außerdem wird Franz Schönhuber als früherer Bundesvorsitzender der Republikaner und jetziger NPD-Freund zu den Gesinnungsgenossen sprechen. Darüber hinaus haben sich Ulrich Pätzold und Thomas Nissen angekündigt; sie vertreten die Deutsche Partei und die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Republikaner in der NPD.

Im Umkreis des "Trauermarsches" sind Rechtsextreme aller Couleur eifrig bemüht, die angenommenen Opferzahlen von etwa 35.000 auf rund 300.000 Menschen zu erhöhen, Kriegsschuldfragen zu relativieren und dem deutschen Volk selbst eine Opferrolle zuzuweisen, die ihm ganz sicher nicht zukommt. Sie verquirlen revanchistisches Gedankengut, bizarre Rechtfertigungsstrategien und neuzeitliche Ressentiments ausländerfeindlicher oder antisemitischer Art, um eine möglichst breite Basis zu finden und von hier aus die Interpretationshoheit über historische Ereignisse zu erobern.

Die Bombardierung Dresdens bietet sich für dieses Vorhaben ganz besonders an, weil sie schon zu DDR-Zeiten unzureichend aufgearbeitet und in der Bundesrepublik zumeist verschämt verschwiegen wurde. Insofern besetzen die Rechten zielgenau ein Themenfeld, mit dem sich große Teile der Öffentlichkeit und die demokratischen Parteien erstaunlich schwer tun. Auch die Gegenreaktion der Antifaschisten, die unter dem Schlagwort "No tears for krauts" firmiert, trägt kaum dazu bei, eine unvoreingenommene Diskussion zu ermöglichen. In einem entsprechenden Aufruf heißt es:

Angesichts der Shoa und des deutschen Vernichtungskrieges stellt sich für uns weder die Frage nach der Traumatisierung der "deutschen Zivilbevölkerung" noch interessieren uns deren "Leidensgeschichten".

Das ist verständlich, aber nicht unbedingt konstruktiv, so dass die inhaltliche Auseinandersetzung mit der rechten Geschichtsumdeutung vorerst couragierten Bürgern und einzelnen Interessengemeinschaften überlassen bleibt. Auch wenn Sachsens Regierungschef Georg Milbradt (CDU) am Sonntag "hässliche Bilder" befürchtet, wird er es wieder bei unverbindlichen Absichtserklärungen bewenden lassen, die fast schon so kontraproduktiv sind, wie die an Peinlichkeit kaum zu überbietenden Schuldzuweisungen, mit denen sich manche Volksvertreter am Aschermittwoch behakten.

Holocaust-Überlebende sagt Vortrag in Dresden ab

Unter all diesen Umständen hat die Germanistin und Schriftstellerin Ruth Klüger ("weiter leben. Eine Jugend") einen für Sonntag geplanten Vortrag im Dresdner Schauspielhaus kurzfristig abgesagt. Die 73-Jährige, die als Überlebende der Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau sowie des Arbeitslagers Christianstadt zum Thema "Victor Klemperers Weg als Deutscher und Jude" sprechen wollte, fühlt sich aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Dresden "fehl am Platz", was den Schauspielintendanten Holk Freytag zu folgender Stellungnahme veranlasste:

Es ist für uns alle unfassbar, dass sich 60 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur eine Überlebende von Auschwitz genötigt sieht, einen Vortrag über Victor Klemperer am 13. Februar in Dresden abzusagen. Es wäre für Dresden wichtig gewesen, die Gedanken von Ruth Klüger an diesem Tag zu hören. Der Holocaust hat auch Dresden ärmer gemacht; wenn heute selbst renommierte Wissenschaftler jüdischen Glaubens wieder Bedenken haben, zu uns zu kommen, wenn sie ein weiteres Mal ausgegrenzt werden, trifft dies die kulturelle Identität der Stadt ins Mark.

Holk Freytag

In einer ihrer zahlreichen unsäglichen Stellungnahmen wertet die NPD Klügers Absage postwendend als "frohe Kunde". Die "jüdische Germanistin und, wie sie behauptet, Holocaust-Überlebende" gehöre schließlich zu denjenigen, die 60 Jahre nach Kriegsende noch immer darauf aus seien, "den Deutschen Schuldgefühle einzuimpfen."

Sinkende Hemmschwelle gegenüber dem Zeigen brauner Gesinnung

Die Gesamtsituation ist umso bedenklicher als die selbsternannte Volksfront den braunen Terminkalender 2005 schon mit weiteren öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen gefüllt hat. Am 8. Mai will die NPD durchs Brandenburger Tor marschieren, im August wird wie jedes Jahr der Todestag von Rudolf Heß im fränkischen Wunsiedel gefeiert, und am 12. November rüsten die Ewiggestrigen zum "Heldengedenken in Halbe", wo alljährlich an Hitlers letztes Aufgebot erinnert wird, um "ein machtvolles Zeichen für die Treue und Tapferkeit des deutschen Frontsoldaten" zu setzen.

Und dann gibt es da noch das "Pressefest der Deutschen Stimme", das 2004 nach Angaben der Veranstalter von 6.900 Menschen besucht wurde. Ein Jahr zuvor vermeldeten die Organisatoren noch 3.800 Teilnehmer, was als deutliches Indiz für ein Absinken der Hemmschwelle gewertet werden kann, die in früheren Jahren das offene Zurschaustellen einer entsprechenden politischen Haltung vielerorts verhinderte.

Diese Tendenz zeigt sich jedoch nicht nur bei den von zahlreichen Werbetrommeln begleiteten Großveranstaltungen, sondern auch und gerade in der Provinz. Dem sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz ist beispielsweise ein "Problem" im niederschlesischen Oberlausitzkreis, genauer gesagt: in Mücka, aufgefallen. Dort organisierte die Jugendorganisation der NPD am 27. November 2004 und am 10. Dezember 2004 zwei Konzerte in der Diskothek "WODAN". Im November nahmen rund 1.000 Personen teil, zwei Wochen später kamen etwa 250 Besucher, und den Verfassungsschützern wurden erhellende Erkenntnisse zuteil:

Während die klassischen rechtsextremistischen Konzerte von den Szeneangehörigen selbst organisiert und meist konspirativ durchgeführt werden, trat hier die Jugendorganisation der NPD offen als Veranstalter auf. (...) Weitere derartige Veranstaltungen sollen künftig regelmäßig in Mücka durchgeführt werden. Angesichts des besonderen Charakters dieser Konzerte - offen bekannt und angemeldet - besteht die Gefahr, dass nicht nur bisher unpolitische Jugendliche daran teilnehmen und dadurch in die rechtsextremistische Szene integriert werden, sondern die Veranstalter - und damit der Rechtsextremismus - zunehmend Akzeptanz in dieser Region findet.

Sächsische Verfassungsschutzbehörde

Darüber hinaus registrierte das Amt einen deutlichen Zuwachs innerhalb der rechtsextremistischen Kameradschaftsszene, deren Organisatoren gezielt junge Menschen ansprechen und für sich zu gewinnen suchen:

Zu den Aktivitäten zählen unter anderem sportliche Wettkämpfe, Erntedankfeste, Geländemärsche, Liederabende oder Wanderungen. Aber auch das Aufgreifen alter Bräuche wie z. B. Sonnwendfeiern und germanischer Symbolik erlangt dabei zunehmend an Bedeutung. Freilich besitzen viele dieser Veranstaltungen vordergründig keinen extremistischen Charakter. Dennoch besitzen sie eine wichtige Funktion. Sie fördern den Gruppenzusammenhalt und stiften Identität und befördern so die Entstehung und Verfestigung rechtsextremistischer Verhaltensmuster.

Dass die Auswirkungen dieser Entwicklung nicht auf Jugendliche begrenzt bleiben, sondern das gesellschaftliche Klima insgesamt verändern, versteht sich von selbst und wird auch amtlicherseits genau so eingeschätzt.

In jüngerer Zeit zeigte sich, dass vor allem in ländlich geprägten Gebieten Kameradschaften zunehmend an Akzeptanz gewinnen und bereits einen Teil des öffentlichen Lebens darstellen. Kameradschaftliche Strukturen, die in Großstädten eher eine randständige Existenz führen, können im ländlichen Raum durchaus einen Bestandteil der "Mitte der Gesellschaft" darstellen. Gerade auf dem Lande, wo Brauchtum und Tradition im öffentlichen Leben eine Rolle spielen, werden diese natürlichen Bedürfnisse zielgerichtet auch von Rechtsextremisten aufgegriffen und für ihr Weltbild instrumentalisiert.

An Informationen herrscht also selbst im Detail kein Mangel. Sowohl die symbolträchtigen Großveranstaltungen als auch die eher unscheinbaren Aktionen, in deren Umkreis rechtes Gedankengut schnelle Verbreitung findet, spielen sich in aller Regel vor den Augen der Öffentlichkeit ab. Doch dieser durchaus bemerkenswerte, im ersten Moment zu vorsichtigem Optimismus verführende Umstand hatte noch nie besondere Bedeutung. Wie sagte Max Frisch in seinem "Lehrstück ohne Lehre", das er 1958 unter dem Titel "Biedermann und die Brandstifter" veröffentlichte?

Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.

Max Frisch