Schlechte Karten bei Premiere

Abmahnfalle Kartenleser und Pay-TV

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Wer etwas auf Ebay verkauft, kann damit die Haushaltskasse aufbessern -- oder sich erst recht in die Pleite reiten. Aufpassen sollte man, falls man Kartenleser für Geld-, Telefon- oder Handykarten verkaufen will.

Es gab Zeiten, da wurde das Bezahlfernsehen Premiere fast so oft gehackt wie bezahlt. Ganze Boards im Netz beschäftigten sich mit dem Knacken der Verschlüsselung -- die fundiertesten Informationen gaben dabei möglicherweise Saboteure der ausländischen Konkurrenz, die hofften, das glücklose Unternehmen irgendwann zum Dumpingpreis übernehmen zu können. Doch als Leo Kirch schließlich tatsächlich verkaufen wollte, hatte keiner mehr Interesse.

Als Premiere noch analog verschlüsselt wurde, konnte es mit immer leistungsfähigeren Computern in Echtzeit rein durch Ausprobieren entschlüsselt werden. Da hierzu weder die Codeschlüssel erforderlich waren noch ein "Crackvorgang" notwendig wurde, war dies nicht einmal strafbar und ein Grund, die analoge Übertragung über Satellit und im Kabel schleunigst einzustellen.

Das seitdem digital ausgestrahlte und in Betacrypt, dem hauseigenen Premiere-Verschlüsselungsverfahren codierte Programm war dann etwas schwieriger zu knacken. Mit genaueren Untersuchungen an den Premiere-Smartcards war jedoch auch dies machbar. War es eher etwas für unterbeschäftigte Hobbyisten, mit Computer und aus Internet-Boards laufend neu geladenen Codetabellen die Verschlüsselung selbst zu knacken, so wurde der Vertrieb gehackter abgelaufener Premiere-Chipkarten, die durch manipulierte Einträge wieder gültig wurden und das komplette Programm boten, zum Problem: Hier gingen dem Sender die Kunden verloren, die normalerweise wirklich ein Abonnement geordert hätten und so am Bahnhofskiosk Piratenarten zum halben Preis erhielten. Dass der Sender hiergegen massiv vorgehen musste, ist somit nicht weiter verwunderlich.

Sein Verkauf kann ins Auge gehen: Kartenleser Towitoko Chipdrive (Bild: W.D.Roth)

Heute ist nicht mehr der als Medienmogul unbeliebte Leo Kirch Eigentümer von Premiere, sondern Georg Kofler, der zwar mitunter große Töne spuckt und auch das wieder aufgreift, woran Leo Kirch zuvor scheiterte, nämlich den Börsengang. Der Sender ist damit aber das Image des Bösen los und die Hardcore-Hacker haben ohnehin längst festgestellt, dass Spielfilme, die sie sich bereits -- wenn auch in schlechterer Qualität -- Monate zuvor aus dem Netz gezogen haben oder Ballspiele der Bundesliga für sie gar nicht so schrecklich interessant sind. Zudem ist das neue Kodierungsverfahren Nagravision bislang ungehackt -- maximal können Interessierte über das Internet eine Smartcard gemeinsam nutzen, was aber recht umständlich ist und zu regelmäßigen einige Sekunden dauernden Bildausfällen beim häufigen Codewechsel führt.

Premiere ist nach aktuellem Stand der Technik nicht mehr zu hacken

Von daher sollte man annehmen, dass es auch kein Thema mehr ist, das frühere Handwerkszeug der Kartenpiraten zu verfolgen: Programmer, also Chipkartenleser und -schreiber, mit denen man die alten Premiere-Chipkarten "aufbohren" konnte. Doch weit gefehlt: Es geht heute nicht mehr um eine echte Gefahr, es geht ums Prinzip. Es könnte ja sonst sein, dass eines Tages Nagravision auch gehackt ist, wenn Werkzeuge zum Knacken von Verschlüsselungen allgemein erhältlich sind und dann wäre das Geschäftsmodell von Premiere wieder in Frage gestellt.

Pay-TV-Anbieter in anderen Ländern betrifft dies natürlich ebenso. Deshalb gibt es seit dem 20. November 1998 die Richtlinie 98/84EG, auch Zugangskontrolldienste-Richtlinie genannt. Mit dem "Gesetz zum Schutz von zugangskontrollierten Diensten" (ZKDSG), wurde diese in deutsches Recht umgesetzt. Es trat am 23. März 2002 in Kraft und betrifft nicht nur Pay-TV -- es wäre beispielsweise auch auf zugangsgeschützte Webseiten oder Musikdownloads anwendbar. Der Anlass war jedoch Pay-TV, es gilt als "Lex Premiere", obwohl es im Kabel auch andere deutsche Pay-TV-Anbieter gibt.

Die baugleichen Zwillinge Dr. Kofler und Mr. Hyde (SCM Chipdrive micro): So schnell kann ein Kartenleser illegal werden, auch wenn "Homebanking" darauf steht (Bild: W.D.Roth)

Seitdem werden für das gewerbliche Herstellen, Einführen oder Vertreiben dieser sogenannten "Umgehungsvorrichtungen", mit denen sich ein Verschlüsselungs- bzw. Zugangskontrollsystem aushebeln lässt, bis zu einem Jahr Gefängnis fällig. Sogar der reine Besitz dieser Hackertools kann nun bis zu 50.000 Euro kosten. Das ZKDSG sieht Straf- und Bußgeldsanktionen vor, obwohl die EU-Richtlinie strafrechtliche Sanktionen nicht zwingend vorschrieb, um einen deutlichen Abschreckungseffekt zu erzielen.

Strafbar ist schon der Besitz

Entsprechende Urteile wurden dann gegen universell programmierbare Dekodiervorrichtungen wie von SCM Microsystems gegen das sogenannte "Magic Modul" erlassen. Diese Module wurden mit einem Zugang zu einem billigen Pornokanal oder für normale Dinge wie die Zugangskontrolle zu Computern verkauft und auch nur dafür beworben, konnte dann jedoch mit Software wie "Pentacrypt", die in Webboards zu finden war, auch auf andere Pay-TV-Sender umprogrammiert werden. Da das Magic Modul ausschließlich in Satelliten-TV-Zeitschriften beworben wurde, gingen die Gerichte davon aus, dass die anderen möglichen Anwendungen reine Tarnung darstellten. Deshalb wurden diese Module komplett illegal und es spielt seitdem keine Rolle mehr, wofür ein Kartenleser konkret angepriesen wird: Sobald dies im Umfeld Satelliten-oder Pay-TV geschieht, wird das Angebot automatisch als illegal eingestuft. Inzwischen klagen auch nicht mehr die Hersteller von Kartenlesern, sondern der Sender selbst.

Gefährliche Unsicherheit: "In welche Rubrik gehören Programmer?"

An drei Entscheidungen -- Aktenzeichen 3 W 11/04 (= 312 O 949/03), 3 W 21/04 (= 312 O 950/03) und 3 W 37/04 (= 312 O 769/03) -- am Hamburger Oberlandesgericht konnte Premiere diese Einstufung sogar noch verschärfen: Seitdem spielt es auch fast keine Rolle mehr, ob das betreffende Gerät überhaupt im Pay-TV-Umfeld verwendbar ist: Dass es -- auch unbeabsichtigt -- behauptet wird, reicht bereits. Und genau dies passiert auf Ebay sehr leicht: Weiß man dort beim Einstellen eines Artikels nicht, in welche Rubrik dieser gehört -- für die gängigen "Chipdrive"-Homebanking- und Telefonkartenleser von Towitoko (heute SCM Microsystems) wäre dies beispielsweise Handyzubehör -- so kann man sich von einer Software eine Rubrik vorschlagen lassen. Und bei den Stichworten "Kartenleser" oder "Programmer" (beispielsweise für EPROMs, aber als Begriff auch im Chipkartenumfeld gebräuchlich) schlägt Ebay unter anderem auch "Pay TV" vor, weil dort in der Vergangenheit eben bereits Kartenleser und Karten-Programmer angeboten wurden.

Nimmt man diesen Vorschlag an, so kommt wenig später von der von Premiere beauftragten Rechtsanwaltskanzlei Leisner-Scheffler eine Abmahnung mit Rechnung von 500 bis 1000 Euro. Auch die Kanzlei Leisner-Scheffler hat nämlich eine Software laufen, die wiederum vollautomatisch alle Auktion in der Rubrik "Pay-TV" nach den kritischen Stichwörtern wie "Kartenleser" durchsucht. Und ebenso vollautomatisch gehen dann die Abmahnungen hinaus. So auch in einem Fall, in der -- sachlich völlig korrekt -- in der Rubrik "Pay-TV" eine "Fernbedienung für D-Box von Sagem" eingestellt wurde. Doch die Auktion enthielt auch noch einen Hinweis auf andere Auktionen des Anbieters:

Stelle die Tage aufgrund einer großen Aufräumaktion viele weitere Sachen ein - u.a. Festplatte IDE, SCSI - HDD, Notebook, PDA REX 6000 u. 5000, Wechselrahmen, Funktelefone Siemens Gigaset Pocket 2011, ISDN-Telefonanlage Teledat X120, TDSL MODEM, NTBA, Splitter, SAT-Receiver, Kartenleser Towitoko und noch einiges anderes.

Und beim Stichwort "Kartenleser" schlug die Abmahnsoftware zu -- obwohl dieser eben nicht unter "Pay-TV", sondern legal in den Rubriken "Cardreader" und "Finanzsoftware" eingestellt war und zum Homebanking mit einer HBCI-Karte der Dresdner Bank angeboten wurde. In diesem Fall bestätigte Dr. Manfred Müller von SCM Microsystems als Hersteller des Towitoko-Kartenlesers: "Nichtsdestotrotz denken wir, wurde in den von Ihnen geschilderten Fall absolut zu Unrecht abgemahnt."

Ob die Abmahnung dann tatsächlich zurückgenommen wurde, konnte Telepolis nicht in Erfahrung bringen. Doch selbst wenn, bedeutet dies viel unnötigen Ärger. Die Abmahnungen sind zwar zugegeben um Größenordnungen preiswerter als die des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und man wird auch nicht gezwungen, seine E-Mails dem Sender als kostenlosen Content zur kommerziellen Auswertung zu übergeben oder sich in den Big-Brother-Container sperren zu lassen. Man kann aber auch nicht per Sonderkündigung das Premiere-Abo stilllegen, um vom gesparten Geld die Abmahnung zu zahlen, wie es einige Betroffene versucht hatten, weil ihnen die Lust auf Fernsehen ohnehin vergangen war. Wer sichergehen will, sollte deshalb auch nichts aus dem Bereich Satellitenfernsehen, Pay-TV oder Set-Top-Box gleichzeitig mit Kartenlesern in Auktionshäusern anbieten, denn es gibt ja immer noch den Link "Andere Artikel dieses Anbieters".

Alles kann abgemahnt werden

Die Towitoko-Kartenleser waren und sind übrigens prinzipiell nicht zum Hacken von Pay-TV-Chipkarten geeignet, auch nicht von älteren Systemen. Um die Pay-TV-Technik nicht zu sabotieren, sind die mit durchaus zahlreicher Anwendungssoftware für Chipkarten von der Krankenversicherungskarte über die Geldkarte, Festnetz-Telefonkarten, Handy-SIM-Karten oder Zugangs- und Passwortchips lieferbaren Towitoko-Kartenleser nämlich auch mit Hackersoftware schon von der Hardware her gar nicht imstande, mit den Pay-TV-Karten irgendetwas anzufangen. Nur: Das spielt rechtlich keine Rolle! So absurd es ist: Wenn jemand eine kaputte Glühbirne in Ebay anböte mit dem Hinweis, man könne mit ihr Premiere kostenlos sehen, so könnte er dafür nun auch rechtskräftig verurteilt werden.

Wer hier die dritte Möglichkeit wählt, hat bald die Abmahnung im Haus

Ebenso gab es ebenfalls 500 bis 1000 Euro teure Abmahnungen durch die Kanzlei Leisner-Scheffler gegen Personen, die das "Hackers Blackbook" verkauft hatten, ein Machwerk mit wenigen losen Seiten, das nicht hält, was es verspricht. Doch verspricht es unter anderem, zu zeigen, wie Hacker Pay-TV knacken. Und das reicht für die Abmahnung, obwohl nur ein historisches analoges Verschlüsselungsverfahren kurz erwähnt wird.

Das Buch wird auf vielen Webseiten beworben, da es ein Partnerprogramm gibt und somit ständigen Nachschub an Verkäufern. Mancher hat längst gut verdient, wenn die Post der Kanzlei Leisner-Scheffler kommt, doch andere haben sich nur ein Exemplar für den Eigenbedarf gekauft, dessen Nutzlosigkeit festgestellt und es dann bei Ebay eingestellt, in der Hoffnung, von einem anderen Dummen wenigstens einen Teil des Kaufpreises zurückzubekommen.

Frau verkauft, Mann mahnt ab

Besonders peinlich ist aber, dass die Frau von Hauke Scheffler eine Website für Rechtsberatung per 0190-Nummer betreibt. Dort wird nicht nur ausgerechnet Beratung bei Abmahnungen infolge von Ebay-Auktionen angeboten -- ein Schelm, wer sich hierbei Böses denkt. Nein, es wird auch noch Amazon-Werbung eingeblendet, die offensichtlich mit Stichworten wie "Hacker" und "Piraten" nach Büchern sucht, denn neben des eigenen Buchs des Herrn Scheffler werden hier auch Hacker-Bücher beworben. Darunter auch eben jenes von der Kanzlei Leisner-Scheffler verfolgte "Hackers Blackbook", bis Amazon es aus dem Programm nahm. Bei den durch Abmahnungen Betroffenen löst dies natürlich große Verärgerung aus, dass sie für etwas abgemahnt werden, das die Familie des Abmahners selbst ganz ungestraft tun kann.

Ein weiteres Thema sind D-Boxen, die nicht mehr im Originalzustand sind und Module, die in Zusammenhang mit einer legalen Premiere-Smartcard das Programm auf nicht für Premiere freigegebenen Receivern dekodieren. So ist die Originalsoftware der D-Box langsam und wenig leistungsfähig, Alternativen auf Linux-Basis werden deshalb gerne genutzt. Hier ist das Problem, dass diese Lösungen meistens das Premiere-Jugendschutzsystem ignorieren und so die Lizenz des Senders gefährden. Deshalb wird auch hier abgemahnt. Wobei es übrigens nicht verboten ist, wie teilweise behauptet wird, solcherart modifizierte D-Boxen zu verkaufen, jedoch darf bei diesen nicht darauf hingewiesen werden, dass man damit noch Premiere empfangen kann und schon gar nicht, dass der mitunter durchaus lästige Jugendschutzcode nicht mehr abgefragt wird, so Unternehmenssprecher Michael Jachan gegenüber Telepolis. Das gleiche gilt für sogenannte Alphacrypt-Module: Diese dürfen durchaus verkauft und benutzt werden, beispielsweise um mit einer gültigen Chipkarte den ORF oder einen der Technisat-Pay-Radiokanäle zu empfangen. Die Benutzung für Premiere verstößt jedoch gegen die Geschäftsbedingungen, und die Bewerbung für diesen Zweck sowieso. Da diese Module nicht billig sind, und technische Einschränkungen haben, wenn man mit ihnen doch Premiere gucken will, ist allerdings auch das Interesse bei normalen Kunden, die keine ausländischen Pay-TV-Sender abbonnieren wollen, eher gering und ein zugelassener Receiver nicht nur die stressfreiere, sondern auch die preiswertere Lösung.

Obwohl die Premiere-Abmahnungen und die abmahnende Kanzlei definitiv noch zu den Gemäßigteren im deutschen Abmahn-Unwesen gegen Privatleute gehören, ist die Wut bei den Betroffenen inzwischen so groß geworden, dass sie bei der Staatsanwaltschaft München Strafanzeige gestellt haben. Und auch das bisher stets willige Oberlandesgericht Hamburg scheint seit November 2004 eine andere Richtung einzuschlagen, zuletzt vor nur wenigen Tagen. Ebenso fallen die Entscheidungen in Sachen Jugendschutz inzwischen auch öfters zugunsten des Angeklagten aus. Und auch mit den Abmahnkosten selbst wird es inzwischen eng. Ebenso wird Ebay immer unbeliebter, weil sie gefährliche Rubriken wie "Pay-TV" nicht ganz schließen.

Wer sich Ärger ersparen will, sollte aber auch weiterhin in Auktionen umgebaute D-Boxen und Kartenleser auf keinen Fall in Zusammenhang mit Premiere oder Pay-TV bringen, ob durch den Angebotstext oder die Rubrizierung. Auch eine kleine Abmahnung ist eine zuviel. Und falls der Kartenleser einen ungünstigen Namen wie beispielsweise Cyberjack hat, blüht auch Ärger. In diesem Fall, bei dem der Kartenleser nicht unter "Pay-TV" stand, stellte sich allerdings später heraus, dass es doch nicht am Wort "Cyberjack" lag -- eine geschützte Marke für Kartenleser der Firma Reiner SCT --, sondern im HTML-Code des Auktionstextes unsichtbar das Wort "Premiere" versteckt worden war, um die Verkaufschancen zu verbessern. Doch der erste Interessent, der den Kartenleser so über die Suchmaschine fand, war dann eben auch Premiere...