Großer Aufmarsch ohne großes Publikum

"Trauermarsch" der "nationalen Opposition" erzielt in Dresden nicht den gewünschten Effekt

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"Dresden war im Februar 1945 das größte noch existierende Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie. Deshalb müssen wir uns von der Formel der 'unschuldigen Stadt' lösen", hatte Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg am Samstag erklärt und so noch einmal versucht, den 60. Jahrestag des verheerenden Bombenangriffs vor dem Zugriff rechtsextremer Interpretationsversuche zu schützen. Leider vergeblich, denn am Sonntag marschierten gut 5.000 NPD- und DVU-Mitglieder mit Neonazis, Altnazis und braunen Aktivisten aller Art durch die sächsische Landeshauptstadt.

Vor laufenden Kameras gedachten sie der "Opfer des alliierten Bombenterrors" oder - mit geringer Akzentverschiebung - der "Opfer des alliierten Massenmordes". Auf einem Transparent wurde der "Tag der Rache" angekündigt, DVU-Chef Gerhard Frey beschwor die baldige Auferstehung Deutschlands, und der einst "dabei gewesene", aber nun eben auch reichlich senile Franz Schönhuber mochte keinen Unterschied zwischen einem britischen Bomberpiloten und einem KZ-Aufseher erkennen.

Was die Führungsriege der Rechtsextremisten in Dresden von sich gab, war abscheulich genug und allemal geeignet, mit dem Begriff Volksverhetzung exakt beschrieben zu werden. Das ist insbesondere deshalb besorgniserregend, weil sich ihre Anhängerschar in dieser Größenordnung zuletzt vor über 60 Jahren zusammengefunden haben dürfte.

Die NPD wertete diesen Umstand am Sonntag umgehend als "Zeichen einer noch nie dagewesenen Einigkeit der nationalen Opposition", was allerdings auch dem Umstand geschuldet sein mag, dass sie selbst 8.000 Teilnehmer gezählt hat und andere Meldungen für eine "dreiste Lüge" hält. Holger Apfel, Fraktionsvorsitzender der NPD im Sächsischen Landtag, erklärte dazu:

Damals wie heute lügen die antideutschen Geschichtsverfälscher. Wir haben heute in Dresden eine der größten Manifestationen der nationalen Opposition in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt. (...) Aus Dresden geht der Ruf durch ganz Deutschland: Schluß mit dem antideutschen Opferkult - wir Deutsche werden uns Schritt für Schritt unsere nationale Würde zurückerobern.

Die überwiegende Mehrheit der Dresdner hat damit an diesem 13. Februar schon begonnen, denn sie hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass rechte Propagandisten nur für einen - bei weitem zu hohen, aber doch überschaubaren - Prozentsatz der Bevölkerung sprechen. An den Gedenkveranstaltungen der "nationalen Opposition" mochten sich nur wenige Bürger beteiligen, stattdessen zeigten viele Zehntausende ihre Bereitschaft, aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen und in Zukunft dafür Sorge zu tragen, dass von dieser Stadt Gedanken wie Frieden, Toleranz und Völkerverständigung ausgehen.

Zweifellos sind illuminierte Protestnoten ("Diese Stadt hat Nazis satt!") und weiße Rosen kaum geeignet, um das Problem des wiedererstarkten Rechtsextremismus zu lösen. Doch die Tatsache, dass es der NPD und ihren Gesinnungsgenossen diesmal nicht gelungen ist, einen Gedenktag zum Propagandafeldzug umzufunktionieren, die Ortsansässigen aufhorchen zu lassen und das Interesse sämtlicher Medienvertreter auf sich zu lenken, gibt ein wenig Anlass zur Hoffnung. Der größte rechtsextreme Aufmarsch in der Geschichte der Bundesrepublik fand praktisch keine Zuschauer und wohl auch wenig Resonanz.

Diese positiven Ansätze werden sich allerdings nur weiterentwickeln lassen, wenn die demokratischen Parteien einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der selbsternannten Volksfront nicht länger aus dem Wege gehen. Soll der Rechtsextremismus hierzulande eine Randnotiz bleiben, dann muss die Entstehung reaktionärer Zentren, die sich mittlerweile schon zu rechtsfreien Räumen auswachsen ("Frontstadt" Schleusingen), durch das unmissverständliche Aufzeigen von Gefahren und sinnvollen Alternativen verhindert werden. Hier haben Politik und Zivilgesellschaft einen kaum überschaubaren Nachholbedarf, dessen dauerhafter Erfolg, selbst im Falle seiner Aufarbeitung, derzeit ungewiss ist. Das gilt vor allem im gesamten Bereich der Jugendarbeit, deren sträfliche Vernachlässigung vom rechten Spektrum gezielt ausgenutzt wird. Übrigens nicht nur in Sachsen, sondern beispielsweise auch in Schleswig-Holstein, wo die NPD bis zur Landtagswahl am kommenden Sonntag 5.000 CDs an junge Wahlberechtigte verteilen will. NPD-Spitzenkandidat Uwe Schäfer begründete diese Maßnahme:

Die NPD betreibt die kostenlose Verteilung dieser Musik-CD, auf der nationale Rockgruppen und Liedermacher zu hören sind, aus der Erkenntnis heraus, daß volkstreue Musik - ob traditionell oder modern - ein entscheidendes Element zur Wahrung nationaler Identität ist und im Medienzeitalter für die Vermittlung politischer Botschaften vor allem für Jugendliche immer wichtiger wird.

In dieser Situation ist schließlich auch die Bundespolitik gefragt, genau das umzusetzen, was am Jahrestag der Zerstörung Dresdens aus dem Kanzleramt verlautete:

60 Jahre nach Kriegsende erleben wir, wie von einigen versucht wird, das Leid der Menschen zu missbrauchen und zu instrumentalisieren. Geschichtliche Zusammenhänge werden verfälscht. Die Schuld und Verantwortung, die Nazi-Deutschland für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, für Vernichtung und Terror hatte, wird gar geleugnet. Wir werden diesen Versuchen der Umdeutung der Geschichte mit allen Mitteln entgegentreten. Wir werden nicht zulassen, dass Ursache und Wirkung verkehrt werden.

Wenn das gelingen soll, muss sich die Bundesrepublik Deutschland als wehrhafte Demokratie erweisen und sämtliche rechtsstaatlichen Mittel einsetzen. Dazu kann auch eine klar definierte Einschränkung des Versammlungsrechts gehören, die propagandistische Auftritte an symbolträchtigen Stätten verhindert. Andernfalls werden entsprechende Gedenktage ihren fahlen Beigeschmack noch lange behalten.