Bundesregierung beabsichtigt bedenkliche Verschärfung des Straftatbestands der Volksverhetzung

Der veränderte §130 Strafgesetzbuch soll nicht nur Verherrlichung und Verharmlosung der Nazi-Herrschaft, sondern auch von schweren Verbrechen einer anderen "Gewalt- und Willkürherrschaft" unter Strafe stellen

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Die Bundesregierung will nicht nur das Versammlungsrecht verändern, um Demonstrationen rechtsextremer Organisationen verbieten oder mit Auflagen belegen zu können. Vorgelegt wurde auch der Entwurf für eine Veränderung des § 130 Strafgesetzbuch (Volksverhetzung). Bestraft werden können soll nach dem Willen der Bundesregierung nicht nur, wer die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost oder verherrlicht, sondern auch die Taten, die unter einer anderen "Gewalt- und Willkürherrschaft" nach dem Völkerrecht als Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten. Ganz zurecht lehnen selbst die Fraktionen der Regierungskoalition die gesetzlichen Schnellschüsse aufgrund von verfassungsrechtlichen Bedenken ab.

Die Zielrichtung bei der Veränderung des Versammlungsrechts ist gegen rechtsextreme Proteste gerichtet und soll verhindern, dass Demonstrationen rechtsextremer Organisationen an bestimmten Orten stattfinden. Primär will die Bundesregierung mit der Gesetzesveränderung verhindern, dass die NPD am 8. Mai, dem 60. Jahrestag des Kriegsendes, wie geplant am Berliner Holocaust-Denkmal aufmarschiert und damit gezielt Provokationen auslösen will, um sich größere Aufmerksamkeit zu verschaffen. Allerdings ist nicht nur die Frage, ob im Sinne des Rechtsstaats das Versammlungsrecht nur für bestimmte politische Organisationen eingeschränkt werden darf. Und zudem steht zu erwarten, dass dann, wenn eine solche Veränderung Gesetz geworden ist, weitere Veränderungen gegen andere politische Organisationen leichter umsetzbar sein dürften. Die ehemalige Bundesjustizministerin und FDP-Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnt zu Recht vor einer solchen Veränderung des Demonstrationsrechts. Das sei der Einstieg in ein "Gesinnungsversammlungsrecht".

Das veränderte Versammlungsrecht sieht vor, dass eine Versammlung oder ein Aufzug verboten oder von Auflagen abhängig gemacht werden können,

  1. wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft in einer Weise verherrlicht oder verharmlost wird, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (§ 130 Abs. 4 StGB)
  2. wenn diese an einem Ort stattfindet, der in eindeutiger Weise an die Opfer einer organisierten menschenunwürdigen Behandlung erinnert und als nationales Symbol für diese Behandlung anzusehen ist, und geeignet und nach den konkret feststellbaren Umständen dazu bestimmt ist, diese menschenunwürdige Behandlung der Opfer zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen.

Die Bundesregierung würde diese Orte durch eine Rechtsverordnung festlegen, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Schließen von Strafbarkeitslücken oder Einschränkung der Meinungsfreiheit?

Auch wer dieser von Bundesinnenminister Schily vorgeschlagenen Veränderung zustimmen mag, um den Rechtsextremen bestimmte Provokationen zu verwehren und sie zu hindern, die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen zu missachten oder zu verhöhnen, wird den Veränderungsvorschlag für § 130 von Bundesjustizministerin Zypries vermutlich doch höchst bedenklich finden müssen.

Dieser sieht nämlich eine Strafe nicht nur für denjenigen vor, der Völkermord nach dem Völkerstrafgesetzbuch § 6 Abs. 1 "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost", sondern erweitert das Verbot von einer "unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung" (gemeint ist der Holocaust als Völkermord) auf eine solche "unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft". Überdies soll ganz allgemein die Verharmlosung oder Verherrlichung der "nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft" bestraft werden können. Aber dann auch noch die Billigung, Rechtfertigung Leugnung oder Verharmlosung von Handlungen "unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft", die als Völkermord gelten.

Der Begriff des Verherrlichens wird bereits in § 131 Abs. 1 StGB verwendet. Als Verherrlichen ist dabei nicht nur direkte Glorifizierung der Unrechtshandlungen oder der für sie verantwortlichen Personen zu verstehen, sondern es reicht aus, wenn das Dargestellte in einem positiven Bewertungszusammenhang erscheint oder in der Schilderung der Unrechtshandlungen und ihrer Verantwortungsträger entsprechende positive Wertakzente gesetzt werden.

Als Grundlage der Verschärfung muss das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität herhalten

Die Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Meinungs- und Versammlungsfreiheit sei deswegen nötig, weil die Zahl der Neonazis und der Organisationsgrad der Rechtsextremen stark angestiegen sei und diese von "Strafbarkeitslücken" profitieren. Aber verschärft und verdeutlicht werden soll eben nicht nur das Verbot der Verherrlichung oder Verharmlosung des Nationalismus und seiner Verbrechen, keiner soll in Deutschland auch "ungestraft ein menschenverachtendes System rühmen oder verharmlosen können". Diese ganz erhebliche Erweiterung als Umsetzung des Ersten Zusatzprotokolls zum Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität bezeichnet.

Bei den Anmerkungen in der Pressemitteilung wird der im Gesetzestext noch erwähnte § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch (Völkermord) noch erweitert auf Abs. 2 (Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Aber vermutlich war einfach die Erweiterung auf § 6 gemeint, der beides einschließt. Wörtlich freilich heißt es, dass man damit auch "schwere Unrechtshandlungen" erfassen, "die unterhalb der Schwelle von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" liegen.

Begründet wird die Anwendung des veränderten § 130 auf den Nationalsozialismus und die unter ihm begangenen Taten, die Erweiterung auf völkerrechtswidrige Taten unter jeder "Gewalt- und Willkürherrschaft" wird lediglich als Umsetzung des Zusatzprotokolls begründet. Natürlich ist man sich gegenwärtig, dass hier Einwände ob der Beliebigkeit kommen werden, und hat so eine angeblich nicht-willkürliche Definition mitliefert, eigentlich handelt es sich aber um die Festlegung der Deutungshoheit:

... unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft, soweit die Handlung durch die rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts, dessen Zuständigkeit die Bundesrepublik Deutschland anerkannt hat, festgestellt ist.

Zunächst verwirrend ist, dass diese Erweiterung ausgerechnet im Kontext der Umsetzung des "Ersten Zusatzprotokolls zum Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersysteme begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art" weiter ausgeführt wird (Europarat verschärft Kampf gegen Rassismus im Netz). Dieses Zusatzabkommen betrifft aber nur die Verbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Meinungen im Internet, nicht jedoch auf Versammlungen oder sonst in der Öffentlichkeit ("distributing, or otherwise making available, racist and xenophobic material to the public through a computer system"). Allerdings hatte der Bundesgerichtshof auch eine im Ausland von einem australischen Staatsangehörigen im Internet begangene Holocaust-Leugnung bereits als Störung des öffentlichen Friedens in Deutschland bezeichnet (Leugnung des Holocaust im Internet). In der Erläuterung des Bundesjustizministeriums heißt es lapidar:

§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird in entsprechender Weise erweitert, da im Hinblick auf die Strafwürdigkeit des Verhaltens nicht unterschieden werden soll zwischen dem Aufstacheln zu Hass, Gewalt- oder Willkürmaßnahmen etwa durch entsprechende öffentliche Reden (§ 130 Abs. 1 Nr. StGB) und dem Aufstacheln über die Verbreitung von Schriften (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB).

Das ist im Zusatzprotokoll nicht verlangt, das den Unterzeichnern auch freistellt, die Leugnung, Rechtfertigung, Minimierung oder Billigung von Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur dann unter Strafe zu stellen, wenn diese mit einem Aufruf zur Gewalt einhergeht. Die "Objektivierung" des Tatbestands auf ein internationales Gericht geht jedoch aus dem Zusatzprotokoll hervor: "genocide or crimes against humanity, as defined by international law and recognised as such by final and binding decisions of the International Military Tribunal, established by the London Agreement of 8 August 1945, or of any other international court established by relevant international instruments and whose jurisdiction is recognised by that Party".

"Bsp: Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien"

In der Pressemitteilung soll dies durch den Hinweis auf ein Beispiel verdeutlicht werden, das wohl jedem einleuchten soll, aber eher herausstellt, wie bedenklich solch ein Gesetz die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränken kann:

Voraussetzung dafür ist, dass die Handlung durch die rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts, dessen Zuständigkeit die Bundesrepublik Deutschland anerkannt hat, festgestellt ist. Mit dieser Einschränkung soll nur das Billigen, Rechtfertigen, Leugnen oder Verharmlosen von als geschichtlich gesichert anerkannten Tatsachen unter Strafe gestellt werden. Bsp: Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien.

Nun ist die Frage, was genau man im Bundesjustizministerium unter dem "Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien" meint. Relativ unumstritten dürften die Taten von serbischen Verbänden im Rahmen des Kriegs gegen Kroatien (1991-1992) und des Bosnien-Krieges (1992-1995) sein. Kritiker haben sich bereits darauf gestürzt, dass als Begründung für den Krieg der Nato-Staaten 1999 Serbien des Völkermords bezichtigt wurde, wobei vor allem das zuerst von OSZE-Beobachtern geschilderte Massaker von Racak am 15. Januar 1999. als Legitimation diente.

Die von den Kriegsparteien geschilderten Umstände der angeblichen Hinrichtung und Verstümmelung von 45 Zivilisten wurden aber später in Zweifel gezogen, vermutlich hat es sich um ein Gefecht gehandelt, der Tatort scheint für die Medien inszeniert worden zu sein, aufgrund der den Medien präsentierten Fotografien sprach jedoch der damalige Verteidigungsminister Scharping von Völkermord (Eine Sphinx namens Ranta und das Racak-Massaker sowie die Panorama-sendung Scharpings Propaganda im Kosovo-Krieg). Neben diesem Massaker wurde noch von der systematischen Vertreibung von Hunderttausenden von Kosovo-Albanern durch die Serben sowie von der sogenannten "Operation Hufeisen" gesprochen, nachdem die Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo bereits 1998 geplant worden sei. Diese Operation stellte sich auch als nicht-existent heraus, als ein für die Kriegsrechtfertigung aus Informationen aufgebauschte Behauptung zur Dämonisierung des Gegners (Es begann mit einer Lüge). Lageanalysen des Auswärtigen Amts und des Verteidigungsministeriums sprechen allerdings noch am Tag des Nato-Angriffs nicht von der humanitären Katastrophe, die Außenminister Fischer u.a. in die Nähe des Holocaust rückte.

Sollte man im Bundesjustizministerium beispielsweise den Völkermord im Kosovo vor Augen gehabt haben, so könnte eine Leugnung oder Verharmlosung von diesem bereits bis zu fünf Jahre Gefängnisstrafe bringen und würde damit womöglich auch vernünftige und notwendige Kritik oder Analysen unterbinden oder einschränken.

Wie die Berliner Zeitung berichtet, lehnen die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen aus verfassungsrechtlichen den Gesetzesentwurf des Innenministers und der Justizministerin ab, über den heute im Bundeskabinett und schon am Freitag im Bundestag diskutiert werden soll. Sie haben bereits einen eigenen Entwurf vorgelegt, nach dem die Verharmlosung oder Verherrlichung der "nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft" nicht mehr bestraft werden soll. Damit würde, so die Grünen-Innenpolitikerin Silke Stokar, Gesinnung unter Strafe gestellt und Meinungsäußerung unterdrückt. Die vorgesehene Einschränkung des Versammlungsrechts, was das Verbot von Kundgebungen an Gedenkstätten betrifft, wird allerdings mitgetragen.