Der Tod und das Medium

White Noise: Schneegestöber aus dem Jenseits

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In einem vereinfachten Modell von Kommunikation gibt es einen Sender, einen Empfänger und einen Kanal, über den beide miteinander kommunizieren. Jeder Kommunikationsakt unterliegt jedoch Störungen, die dafür verantwortlich sind, dass die Botschaft des Senders nicht ohne Verluste beim Empfänger ankommt. Ein wichtiges Störphänomen ist das Rauschen. Es ist ein Phänomen, das sich sowohl auf den Kanal als auch auf den Sender oder den Empfänger erstrecken kann und die Information verundeutlicht.

Tatsächlich aber muss, damit es überhaupt "Botschaften" gibt, ein Rauschen gegeben sein.

Michel Foucault
Bilder: Universal Pictures

Doch es besitzt nicht nur negative sondern auch positive Effekte auf die Kommunikation. Denn je nachdem, um welche Art von Kommunikation es sich handelt, leistet die Undeutlichkeit, mit der das Rauschen die Kommunikation "verschmutzt", einen Mehrwert: Aus ihm erwächst die Möglichkeit der Interpretation -- der Auslegung der Botschaft beim Empfänger; ein Mehrwert also, der gerade in der künstlerischen Kommunikation gewollt ist, weil er die Vielschichtigkeit der Mitteilung unterstreicht -- oder in der Kommunikation mit den Toten, weil er den Empfänger verstehen lässt, was er verstehen will, wie der Film "White Noise" (un)deutlich vor Augen führt.

In "White Noise" will der Architekt Jonathan Rivers (Michael Keaton) mit dem Geist seiner verstorbenen Frau Anna (Chandra West) kommunizieren. Seit sie unter mysteriösen Umständen in einem Fluss ertrunken ist, ist Jonathans Leben von Trauer bestimmt. Als ihn eines Tages der ihm völlig fremde Raymond Price (Ian McNeice) aufsucht, verändert sich Jonathans Leben. Price gibt vor, mit Anna in Kontakt zu stehen und bietet Jonathan an, seine Trauerarbeit dadurch positiv zu unterstützen, dass er ihm einen Kommunikationskanal zu seiner toten Frau eröffnet. Price empfängt die Stimme der Toten aus dem Rauschen von Telefon-, Fernseh- und Radioübertragungen. Jonathan ist zunächst skeptisch, als sich bei ihm jedoch merkwürdig verrauschte Anrufe (zumal vom Handy seiner Frau) mehren, nimmt er Kontakt zu Price auf. Dieser hat eine Art medienelektronisches Kommunikationslabor eingerichtet, in dem er die Stimmen der Geister aus dem Rauschen herausfiltert, speichert und interpretiert. Und tatsächlich bekommt Jonathan Kontakt -- jedoch nicht nur zu seiner verstorbenen Frau sondern auch zu anderen Wesen jenseits der "Grenze", die keineswegs nur Gutes im Schilde führen.

Trauerarbeit auf allen Frequenzen

"White Noise" erzählt -- wenn man so will -- zwei Geschichten: Eine Geschichte von Tod und Trauer und eine Geschichte von Hermeneutik und Hermetik. Die erste Geschichte bildet die "denotative Oberfläche" des Films. Jonathan erlebt einen Trauerfall, seine Frau verunglückt mit dem Auto an einem Fluss; ihre Leiche wird erst Tage später in einem Containerhafen angespült. Jonathan, der zuvor ein rationaler und beruflich zielstrebiger Mann war, durchlebt zunächst die typischen Phasen der Trauer (Schock, Kontrolle, Regression, Anpassung); in der dritten Phase, dem "Sich-finden und Sich-trennen" bleibt er jedoch stecken und gelangt nicht zu einem "neuen Welt- und Selbstbezug".

Schuld daran ist die Art von "Trauerarbeit", die ihm Raymond Price anbietet: Anstatt sich langsam vom "Geist" seiner Vergangenheit zu trennen, klammert er sich an diesen. Der Grund hierfür ist zunächst, dass Jonathan seine Frau nicht aufgeben will und in ihren Botschaften die Gewissheit ihrer Fortexistenz und ihres postmortalen Glücks sucht. Doch nach und nach mischen sich Untertöne in diese Botschaften. Jonathan findet heraus, dass seine Frau nicht nur das Opfer eines Serienmörders geworden ist, sondern wird von ihr auch aus dem Jenseits instruiert, weitere Verbrechen zu verhindern. Ihre oft unklaren und verrauschten Bild- und Tonbotschaften interpretiert er als Aufruf, den Täter zu stoppen. Doch auch der Mörder erhält seine Anstiftung aus dem Rauschen der Apparate.

Jonathans gesamte Umgebung fordert ihn mehr oder weniger offensichtlich auf, endlich Abschied zu nehmen; sein zwanghaftes Festhalten an den Bildern und Tönen Annas wird in eine neurotische Richtung gedrückt; die Dringlichkeit ihrer Botschaften glaubt ihm niemand. Immer öfter gibt er seinen Sohn bei einer Bekannten ab, immer mehr Fernsehmonitore, Videorecorder und elektronisches Equipment zur Rauschunterdrückung sammelt er in seiner Wohnung an. Er geht immer seltener seinem Broterwerb nach und verbringt seine gesamte Zeit mit der Aufzeichnung und Auswertung des Schneegestöbers. Die Bestätigung, der Jonathan nachjagt, stellt sich schließlich ein: Er gerät dem Serienmörder, der (nicht nur) seine Frau auf dem Gewissen hat, auf die Spur. Seine "Trauerarbeit" erhält so ihren Sinn, auch wenn sie ihm selbst in keiner Hinsicht hilft.

S/N -- S/Z

Der Grund -- und das gibt der Titel des Films bereits vor --, aus dem Jonathan seine Trauer auf so unkonventionelle Weise abarbeitet, findet sich in den Medien. Das fantastische Erzählparadigma des Films ist, dass es ein Leben nach dem Tod gibt und dass dieses Leben im Rauschen der Bilder und Töne eindeutig wahrnehmbar sei. Doch das Rauschen, das lehrt die Informationstheorie, ist genau das Gegenteil von eindeutiger Information, ist Nichtinformation. Nur wenn der Abstand zwischen Signal und Rauschen (S/N) groß genug ist, lässt sich die Botschaft verstehen. Doch eigentlich rauscht es immer -- ob dieses Rauschen nun physikalisch bedingt ist oder durch das Problem der Konnotation. Eindeutigkeit (erst recht medial) kommunizierter Information bleibt ein unerreichbarer Idealzustand und je näher das Rauschen dem Signal kommt, desto mehr muss gefiltert, bearbeitet und interpretiert werden.

"White Noise" stellt -- als "Weißes Rauschen", welches eigentlich der technisch nicht erreichbare Zustand der absoluten Gleichverteilung von Informationen auf allen Frequenzen darstellt -- metaphorisch die prinzipielle Unmöglichkeit eindeutiger Bedeutung einer Botschaft den unbeugsamen Willen des Empfängers "zu verstehen" gegenüber. Dieser konstruiert sich aus dem Zuviel an Information schließlich "seinen eigenen Sinn". Das Rauschen kann somit als eine Metapher für alle möglichen Konnotationen, die bei der Informationsübertragung mitschwingen, gesehen werden. Damit wird jede Information, vor allem die künstlerische, der Deutung des Empfängers unterstellt:

Die prinzipiell Doppelsinn herstellende Konnotation verändert die Reinheit der Kommunikation: sie ist ein gewolltes, sorgfältig ausgearbeitetes 'Geräusch', das in den fiktiven Dialog von Autor und Leser eindringt. Kurz, sie ist eine Gegen-Kommunikation (die Literatur ist eine intentionale Kakophonie).

Roland Barthes

Das in "White Noise" thematisierte Rauschen bildet dieses ästhetische Kommunikationsverhältnis ab, das den Film als Kunstwerk selbst ausmacht. Es definiert seinen "Künstler" als Geräusch-Produzenten, seinen Zuschauer als Bedeutungssucher und, wenn er sie findet, -konstrukteur. Diese Rezeptionssituation findet sich im Film wieder: Indem Jonathan keinen "Sinn" im Tod seiner Frau sieht und aus ihrem augenscheinlichen Unfall eine sinnvolle "Erzählung" rekonstruieren will, beginnt er, die zunächst bedeutungslosen Signale zu interpretieren.

Das Medium ist das Medium

Die mediale Kommunikation der Toten mit den Lebenden in "White Noise" ist stets "live" -- die Geister senden in "Echtzeit". Hierin ähneln sie jenen anderen "Medien", die in Séancen auftreten und Kontakt mit der Geisterwelt aufnehmen. Und noch eine weitere Analogie findet sich bei beiden Medien-Typen: Die Kommunikation ist einkanalig und äußerst schwer verständlich. Doch der Prozess, dem das Rauschen in "White Noise" unterzogen werden muss, um verstanden werden zu können (Signale aufzeichnen und auswerten) unterliegt -- je mehr wir den Charakter von Annas Mitteilungen kennen -- der Dringlichkeit. Denn die "Medien" in "White Noise" erzählen von einer Zukunft, die vielleicht schon erreicht ist, wenn ihre Erzählung verstanden ist.

Der esoterische Einschlag, den der Film ohnehin hat, wird noch unterstrichen durch die Tatsache, dass es die darin beschriebenen Geistersehen/-hörer wirklich gibt. Das "Electronic Voice Phenomenon" (EVP) "ist sehr viel mehr als nur eine nette Idee, die sich Filmemacher in Hollywood ausgedacht haben, um damit einen übernatürlichen Thriller [...] zu produzieren. Es ist ein vielfach untersuchtes Phänomen, das Anhänger in aller Welt hat." (Presseheft) So existieren vor allem im Internet zahlreiche vernetzte Gruppen, die sich der Aufzeichnung und Auswertung von Rauschsignalen angenommen haben, welche sich nun wiederum des Films bedienen und sich in ihrem Tun bestätigen zu lassen. Von dessen horribler Seite distanzieren sie sich jedoch:

We have finally seen the movie and there is no doubt that the movie is a thriller. [...] As a thriller, the movie portrays EVP and Video ITC as if working with these phenomena is dangerous.

American Association Electronic Voice Phenomena

Bei White Noise handelt es sich um eine Fiktion, um einen Thriller, der das breite Publikum in seinen Bann ziehen soll. Mit den wirklichen Tonbandstimmen-Einspielungen, wie sie tausende von Menschen überall auf der Welt praktizieren, hat White Noise daher ab einem gewissen Punkt nicht mehr viel zu tun.

Verein für Transkommunikationsforschung (VTF) e.V.

In der Verbindung von der oft noch wahrnehmbaren Unheimlichkeit der Medientechnik mit der im Film dargestellten Unheimlichkeit aus der Medientechnik versorgt "White Noise" jedoch nicht nur die wachsende Esoterikanhängerschaft mit Bildern. In einer Welt, in der auf nichts so wenig Verlass ist, wie auf Information, da in der medialen Information vielmehr jede denkbare Art von "Botschaft" vermittelt werden kann, wird diese selbst zur Gefahr stilisiert. Mit jedem neuen Medium wuchs bislang die Schar derer, die vor dessen schädlicher Auswirkung und vor seiner subtilen "Anstiftung" gewarnt haben. Bei der heutigen Mediendichte ist der Stimmenchor der Warner zu einem mittlerweile unüberhörbaren Begleitrauschen der Technologieentwicklung geworden.

Weiße Botschaften der Macht

Auch Jonathan lässt sich von seinem ihn warnenden Umfeld nicht davon abhalten, dem Rauschen weiter zuzuhören. Und ihm dringen Botschaften entgegen, die nicht nur aufgrund der Einkanaligkeit weder Antwort noch Widerrede zulassen. Die medialen Geisterstimmen sind Stimmen der Macht, die ihm durch ihre weißrauschende Vielstimmigkeit ein Gefühl der Ohnmacht vermitteln, wie es bereits Kafka in "Das Schloss" beschrieben hat:

Aus der Hörmuschel kam ein Summen, wie K. es sonst beim Telefonieren nie gehört hatte. Es war, wie wenn sich aus dem Summen zahlloser kindlicher Stimmen -- aber auch dieses Summen war keines, sondern war Gesang fernster, allerfernster Stimmen --, wie wenn sich aus diesem Summen in einer geradezu unmöglichen Weise eine einzige hohe, aber starke Stimme bilde, die an das Ohr schlug, so, wie wenn sie fordere, tiefer einzudringen als nur in das armselige Gehör.

Wie K. wird auch Jonathan zum Spielball der Mächte, die sich hinter dem medialen Rauschen verbergen, die ihn instrumentalisieren, ihn von der Gemeinschaft entfremden und ihn schließlich in den Untergang führen.

"White Noise" koppelt seine Erzählung über das Rauschen, über die Geisterstimmen und die Trauerarbeit zu einem Horrorfilm, der aus der scheinbar sinnlosen Information Bedeutung konstruiert. Seine Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, beantwortet er mit ja. Ob dieses Leben jedoch glücklich ist, wie es dieser esoterische Diskurs hinter dem EVP verstehen will, verneint er jedoch: Jenseits des Rauschens haust vor allem eine böse Macht. Denn aus der Flut der medialen Rausch-Information ist für besonders "sensible" Zuhörer/-schauer prinzipiell immer auch ein Signal der Anstiftung heraushörbar/-sehbar.