Hagalil funkt SOS

Wegen Mittelstreichung droht dem jüdischen Internetmagazin das Aus

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Seit 1995 ist es Hagalil online gelungen, die Dominanz nazistischer Propaganda im Internet im Bereich des Antisemitismus zurückzudrängen. Das Projekt hat deshalb zum Ziel, die redaktionelle Arbeit von hagalil online weiter auszubauen und zu sichern." Diese lobenden Worte über Hagalil, der "Online-Zeitung für jüdisches Leben", stehen noch immer auf der Datenbank des Projekts Entimon - gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus.

Doch der Hagalil-Verantwortliche David Gall kann darüber nur noch bitter lachen. Denn Entimon hat Hagalil die weitere Förderung in der Größenordnung von 100.000 Euro verweigert. Damit ist die Weiterexistenz der 1995 gegründeten, europaweit einmaligen Internetseite über jüdisches Leben gefährdet.

Dabei sind es ausnahmsweise mal nicht die leeren Kassen, die zu der Mittelkürzung führten. Grund ist vielmehr ein Trägerwechsel. Bisher hat der in Berlin ansässige Verein Tacheles reden die Gelder für Hagalil bei Entimor beantragt. Doch nach Differenzen zwischen Hagalil und Tacheles einigten sch beide Seiten auf einen neuen Träger. Vom zuständigen Ministerium Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sei anfangs Zustimmung signalisiert worden, erklärte Gall. Schließlich ist ein Trägerwechsel nichts Besonderes, wenn sich die politische Zielrichtung nicht ändert und auch keine zusätzlichen Kosten damit verbunden ist.

Doch vor einigen Wochen lehnte der beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für Entimon zuständige Referatsleiter Dr. Olaf Obst einen Trägerwechsel plötzlich ab. Zunächst forderte er Hagalil zu einer Einigung mit dem bisherigen Träger auf. Mittlerweile erklärte Obst die Zusammenarbeit grundsätzlich für abgeschlossen.

Die Fronten sind verhärtet. Herr Obst antworte auf Mails nicht mehr und auch sei auch telefonisch für ihn nicht erreichbar, meint Gall. Gegenüber Telepolis lehnte Obst eine Stellungsnahme ab und verwies auf die Pressestelle. Die stellvertretende Pressesprecherin des Ministeriums Christine Mühlbach betonte, dass man Hagalil trotz kritischer Stimmen gerne gefördert hätte. Doch durch den Trägerwechsel sei das jetzt nicht mehr möglich.

"In dem letzten Wochen hat uns die Angelegenheit schon so viel Zeit gekostet, dass wir die Arbeit auf anderen Gebieten reduzieren mussten", meint Gall. Dabei hätte er wahrlich genug zu tun. Vor allem durch drei Projekte zur Eindämmung von Rechtsradikalismus im Internet ist Hagalil bekannt geworden. Nach dem Prinzip 100 Seiten Wahrheit für jede Seite Lüge und Hass wurden Webseiten mit antisemitischen oder geschichtsrevisionistischen Inhalten von den höheren Suchmaschinenrängen verdrängt. In Chats und Internetforen wird über jüdisches Leben informiert. Seit 1997 hat Hagalil ein Formular ins Netz gestellt, mit dem man Anzeige erstatten kann, wenn man auf nazistische Seiten im Internet stößt.

Die Angebote werden angenommen. Das hat Hagalil durch seine Gegner schon öfter bescheinigt bekommen. Eine ganze Flut von Hassmails geht regelmäßig ein. Die kommen nicht nur von Rechtsextremisten. Auch Rechtskonservative würden sich über ein Ende des Internetdienstes freuen, das als erstes die antisemitische Rede des damaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmann bekannt gemacht hat. David Gall ist denn aus Erfahrung skeptisch, wenn jetzt gerade wieder ein neuer Aufstand der Anständigen von Politikern aller Parteien gefordert wird. "Ich werde den Verdacht nicht los, dass es dabei nur um das deutsche Ansehen im Ausland geht. Dabei hoffe ich doch, dass sich auch bei uns einige Menschen nicht wohlfühlen, wenn der nazistische Geist wieder auftaucht", so Gall gegenüber Telepolis.

Das wird sich auch an der Unterstützung für Hagalil zeigen, das mittlerweile um Spenden bittet. Denn mit genügend Werbeeinnahmen zur Deckung der anfallenden Kosten kann die Internetplattform nicht rechnen. Mit der Begründung, dass man seine Produkte in angenehmer Atmosphäre präsentieren möchte, hatte beispielsweise eine Firma für Druckergeräte abgelehnt, einen Webebanner bei Hagalil zu schalten.