Wie die Katze um den heißen Internet-Brei

In der Diskussion um die Regelung der Internet Governance geht es darum, ob ICANN oder eine UN-Organisation das Sagen haben soll

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Nach 30 Stunden offizieller und mindestens noch einmal 30 Stunden inoffizieller Diskussion hat die von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte "Working Group on Internet Governance" (WGIG) am Freitag Abend auf der PrepCom-2 in Genf ihre zweite Sitzung beendet und einen Zwischenbericht verabschiedet. Noch schleicht die WGIG wie die Katze um den Internet-Brei. Immerhin aber hat sie sich aber den heißen Themen bereits weitgehend angenähert.

Definition von Internet Governance ist gefragt

Die Aufgabe, die Kofi Annan den 40 WGIG-Mitgliedern im November des vorigen Jahres mit auf den Weg gegeben hat (Fasten Your Seatbelts), ist ziemlich umfangreich. WGIG soll dem nächsten WSIS-Gipfel im November 2005 in Tunis eine Arbeitsdefinition zu Internet Governance vorlegen, die mit dem Management des Internet verbundenen "politischen Aspekte" identifizieren, die Rolle der einzelnen "Stakeholder"- Regierungen, privater Sektor, Zivilgesellschaft und internationale Organisationen - klären und dann Vorschläge machen, wie das Internet zukünftig gemanagt werden soll.

Das Mandat für die WGIG war nach einem monatelangen zähen Ringen vor dem ersten WSIS-Gipfel (Dezember 2003) zwischen zwei ziemlich zerstrittenen Lagern entstanden (Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel): Eine Gruppe von Staaten will ICANN als den Manager des Internet sehen, eine andere will die Oberaufsicht der UN für das Internet. Seit im November 2004 die WGIG gegründet wurde, wogt nun unter deren Mitgliedern eine Online- und Offline-Debatte darüber hin und her, wie man zwischen diesen beiden Polen eine Art Mittelweg finden kann.

Zunächst hat die WGIG eine Art Bestandsaufnahme in Form sogenannte "Issue Papers" gemacht und sich mit dem etwas unglückseligen Auftrag, eine Arbeitsdefinition zu erstellen, befasst. Definitorische Übungen in hochsensiblen politischen Minenfeldern sind eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt oder verkommen zu reinen Glasperlenspielen. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass der Zwischenbericht zu diesem Thema nicht viel mehr feststellt, als dass die Definition "Work in Progress" ist.

Dabei wurde aber immerhin herausgearbeitet, dass der etwas mysteriöse Begriff "Ïnternet Governance" weit mehr umfasst als das Management der sogenannten Kernressourcen des Internet (Root Server, Domain Namen, IP-Adressen und Internet-Protokolle), also auch Spam, Cybercrime, VOIP, Informationsfreiheit, ja selbst geistiges Eigentum und Schutz der Privatsphäre mit einschließt. Daraus lässt sich zumindest schon einmal ableiten, dass eine Verengung der "Internet Governance"-Diskussion auf die viel gescholtene ICANN zu kurz greift. Da geht es auch um die IETF, um IAB, um ITU, WIPO, WTO etc.

Weiterhin kam die WGIG zu dem Schluss, dass der Begriff "Governance" nicht mit "Government" verwechselt werden dürfe, sondern eben mehr umfasse als nur den Regierungsaspekt. In der Tat sind in das Management des Internet sehr unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichem Rechtsstatus involviert. Daraus folgt der zweite Schluss, dass eine reine intergouvermentalen Lösung dem Thema ebenfalls nicht gerecht werde.

Zwar hatten in den offenen Konsultationen die Regierungen von Indien, Pakistan, Iran, Saudi-Arabien und Brasilien immer wieder die Notwendigkeit der Schaffung einer "internationalen Regierungsorganisation" für das Internet betont, die Debatte aber verlief sich, als sie konkreter wurde und Fragen auftauchten, was denn eine solche Organisation eigentlich konkret tun solle, wie man zu einer völkerrechtlichen Organisationsstruktur für das Internet in einem vernünftigen Zeitrahmen kommen könnte und wie hilfreich eine neue Bürokratie für das Management von Domain Namen und IP-Adressen wohl sein könne?

Knackpunkt US-Regierung

Als sich die Debatte mehr auf die Sachthemen als auf den institutionellen Rahmen konzentrierte, wurde bald deutlich, dass ICANN bei aller berechtigten Kritik an ihrer inneren Verfassung eigentlich ihren Job so schlecht nun auch wiederum nicht macht. Ein an den WSIS-Prinzipien orientiertes Benchmarking von ICANN zeigte, dass im Vergleich zu den Regierungsorganisationen ITU, WIPO und WTO die ICANN weitaus transparenter und demokratischer ist und dass vor allem die Zivilgesellschaft trotz der in den letzten Jahren erfolgten Beschränkungen größere Teilnahmemöglichkeiten hat als in UN-Gremien. In der ITU machen horrenden Jahresbeiträge die Mitgliedschaft von zivilgesellschaftlichen Organisationen nahezu unmöglich. In der WTO sind sie erst gar nicht zugelassen. Und in der WIPO, wo sie erst vor kurzem die Möglichkeit eines Beobachters erhielten, wurden sie erst dieser Tage bei einem Planungstreffen wieder ausgeladen.

Der Unmut, den viele Regierungen an ICANN artikulieren, hat eigentlich eine ganz andere Quelle als deren verbesserungswürdiges Funktionieren. Im Zentrum der Kritik steht weniger die innere als vielmehr die äußere Verfassung. Für Regierungen der Entwicklungsländer und vor allem für die chinesische Regierung ist es nicht akzeptabel, dass ICANN an einen Vertrag mit dem amerikanischen Handelsministerium gebunden und als eine private Gesellschaft unter kalifornischem Recht inkorporiert ist.

Wenn sich diese "äußere Verfassung" ändern würde, wäre aus vielen Diskussionen die heiße Luft raus - unter der Voraussetzung, die Regierungen finden irgendwo im UN System einen Platz, wo sie die großen Megafragen wie Cybersicherheit. und Cyber-Kriminalität auf einer Meta-Ebene besprechen können.

Richard Beaird vom US-amerikanischen Außenministerium ergriff zwar zweimal das Wort in den offenen Konsultationen, blieb aber in dieser Frage nebulös. Im Oktober 2006 will die US-Regierung das Memorandum of Understanding mit ICANN beenden. Wie es dann weitergehen soll, dazu sagte der US-Diplomat nichts.

In der WGIG selbst ist die US-Regierung nicht vertreten. Insofern war es nicht verwunderlich, dass sich dort ein Konsens aufzubauen scheint, der diesen Punkt stärker als eines der Kernprobleme für "Governance of the Internet" heraushebt.

Eine UNIG.COM?

Modelle für das, was denn nach Oktober 2006 alles passieren könnte, geistern momentan zahlreich durch die Konferenzsäle des Völkerbundgebäudes. Sie reichen von einem zwischenstaatlichen Rahmenabkommen ("Framework Convention") über ein Memorandum of Understanding zwischen ICANN und dem "Govermental Advisory Committee" (GAC) bis zu einer Art Verlängerung der WGIG in Form einer "Únited Nations Internet Governance Coordination Group" (UNIG.COM)

Die Zeit, in der man um den heißen Brei noch herumschleichen konnte, geht für die WGIG zu Ende. Die WGIG-Mitglieder haben jetzt erst einmal erneut sechs Wochen, um sich in Online-Diskussionen noch intensiver mit den Schwachpunkten des existierenden Internet Management System zu befassen. Auf ihrer 3. Tagung, die für Mitte April 2005 in Genf geplant ist, wird man dann von der kritischen Evaluierung zur kreativen Gestaltung übergehen müssen, will man den hochgesteckten Erwartungen Genüge tun. Ob und wie man sich dabei die Finger verbrennt wird, abzuwarten sein.