Von Hunden und Menschen

Über eine chinesische "Hundezeitung", die aus unerfindlichen Gründen von der Deutschen Welle Ende 2004 als weltweit bester Weblog ausgezeichnet wurde

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China ist im Aufwind, nicht nur wirtschaftlich. Westliche Investoren und Touristen gehen nach China, und die Chinesen gehen in die Welt. Inzwischen gewinnen die Chinesen auch ziemlich oft Preise, in Cannes, in Venedig, in Berlin, bei den Olympischen Spielen in Athen... Und neulich auch in Bonn - im ersten internationalen Wettbewerb für Weblogs: Deutsche Welle International Weblog Awards 2004.

Aus dem prämierten Weblog 18mo.com

Als Chinese sollte man sich freuen. Chinesisches Blog ist "Best Weblog hieß die Überschrift eines Beitrags der Deutschen Welle auf ihrer Website. Hier kann man dann Folgendes lesen:

"Hundezeitung" nennt sich das Sieger-Blog, auf das sich die mit internationalen Internet-Experten besetzte Jury vergleichsweise schnell einigen konnte. Das Weblog thematisiert im Stil einer Collage vordergründig die ungleichen Lebensbedingungen von Hunden - in China und Asien auf der einen und in westlichen Ländern auf der anderen Seite.

Der Artikel fängt aber eigentlich mit einem anderen Satz an:

"Wenn man nicht über Menschen reden kann, dann redet man eben über Hunde." So lautete nämlich das Motto des Jury-Siegers.

Sofort wird die ganze Sache politisiert (ein Steckenpferd von vielen hierzulande), selbstverständlich im chinesischen Kontext. Der Mensch ist eben ein politisches Tier. "Die Juroren sehen das siegreiche Blog als eine gelungene Metapher für die Situation der Menschen in China und anderswo", heißt es also weiter in dem zitierten Artikel:

Das chinesische Jury-Mitglied Mu Zimei bestätigt: "Das Weblog kann als Parabel verstanden werden. Hier wird der Alltag der Hunde auf das Leben der Menschen projiziert, Hunderechte auf Menschenrechte.

Ausschlaggebend könnte gerade diese Aussage für die zusätzliche Bewertung "Best Journalistic Blog Chinese" gewesen sein.

Der Verfasser dieses Textes kannte die berühmt gewordene Hundezeitung nicht. Mit einer Art Neugier und wohl auch mit einem Gedanken im Hinterkopf, dass die Juroren vielleicht jene chinesischen Websites oder Blogs nicht kennen, die über Menschen reden, ist er bei dem "besten Weblog" gelandet. Auf der Einstiegsseite rechts oben in der Ecke sieht er sofort ein Link mit drei chinesischen Zeichen: "Liebesbrief absenden". Und die URL-Adresse ist www.18mo.com. Bei einer Hundezeitung könnte es heißen: 18 mal Hunde streicheln. Aber bei dem chinesischen Zeichen "mo" in Verbindung mit 18 (wie man weiß, haben die Zahlen nicht nur in den URL-Adressen in China mehrere Bedeutungen: Du bist ein 286) denke ich, ausgehend von meinem Sprachgefühl, an etwas anderes. Es kann durchaus heißen: "Petting mit einer 18jährigen". "mo" bedeutet nämlich "tastend, suchend berühren".

Das Weblog ist eigentlich nicht schlecht. Das Leben ist stressig genug, warum nicht auch einmal etwas zur Unterhaltung oder zur Entspannung machen? Über Hunde zum Beispiel, wie es ja in dieser Welt heutzutage alle möglichen Websites gibt. Aber in der "Laudatio" war doch von Menschenrechten die Rede. Also suche ich nach etwas "Brisantem", nach geschickten Formulierungen und Anspielungen, weil man doch nicht über Menschen reden kann, ohne zumindest auf einem Umweg über sie zu sprechen. Was hätte der Jury imponieren können? Die Suche hat viel Spaß gemacht, doch trotz aller Offenheit und allem Bemühen habe ich in dem prämierten Weblog nicht gefunden: die Politik oder eine Anspielung auf die Misere der Gesellschaft.

Ist irgendetwas zwischen den Zeilen als Anspielung auf die Menschenrechtssituation in China zu deuten? Nein. Stattdessen findet man nicht wenig über Sex oder aber Anspielungen, die sich auf Sex beziehen. Natürlich wird in so einer Hundezeitung auch Hundesex gepriesen. Und man erzählt beispielsweise, wie ein Mensch es mit einem Hund treibt. Und auch sonst noch sehr viel richtiggehend Triviales, mit plumpen Gags und im Internetjargon ausgedrückt. Man hatte anscheinend sehr viel Spaß dabei.

Manche Fotos von Hunden sind nicht schlecht gemacht. Es ist nämlich eine "Zeitung", in der man auch lustige und kuriose Hundegeschichten veröffentlichen kann: über Hunde "in China und Asien auf der einen, und in westlichen Ländern auf der anderen Seite". Eine Hundeschau, oft mit humoristischen Untertiteln.

Diese Hundezeitung ist nicht unbedingt für die Neureichen in China geschaffen, aber die chinesischen Neureichen, die sich wohl am wenigsten für Menschenrechte interessieren, schätzen sie vielleicht am meisten. Denn oft haben nur sie Hunde, mindestens in den Städten, wo man noch bis vor 10 oder 15 Jahren keinen Hund halten durfte - angeblich wegen der Sauberkeit in den Straßen. Die Zeiten haben sich geändert, und nun ist in den chinesischen Städten ein Hund zu einem Statussymbol für seinen Halter geworden. Eine einfache Statistik: Ein hübscher Hund kostet im Moment durchschnittlich zwischen 5.000 bis 8.000 yuan, also ein Jahreseinkommen eines normalen Arbeiters. Die Anmeldungsgebühr beträgt 1.000 yuan, danach fallen jedes Jahr noch 500 yuan als Steuer an. Für Hundefutter (falls "Herrchen" oder "Frauchen" nichts besseres für den Liebling bereit halten) muss man pro Monat etwa noch 300 yuan ausgeben. Ein für die meisten Chinesen wirklich teurer Spaß.

Mu Zimei und die Erotik-Tagebücher

Beim Lesen habe ich sehr viel erfahren, was mit Hunden zu tun hat. Wie die Hunde für Fahndungen eingesetzt werden; wie ein Hund per Handy telefoniert; wie traurig eine Frau ist, dass sie ihren Hund nicht nach Las Vegas mitnehmen kann, weil der Flug zu stressig für den Kleinen sein könnte; wie ein Hund Menschenleben gerettet hat, usw. usf. Man findet natürlich noch manch witzige Streiterei, wo man dann sein Gegenüber als Hund bezeichnet - eine Verleumdung natürlich. Man sucht und sucht und kommt wieder zu dem Link "Liebesbrief absenden". An wen, fragt man sich. An Mu Zimei, das chinesische Jury-Mitglied?

Apropos Mu Zimei. Sie ist eine Art V.I.P. unter den chinesischen Internetnutzern. In dem "besten Weblog" ist eine These vom Macher dieser Website zu lesen, der übrigens von der Deutschen Welle ein hochwertiges Notebook, zusammen mit seinem Preis bekommen hat:

In Weblogs interagieren eigentlich nur zwei Typen von Menschen: Exhibitionisten und Spanner. Sie können im Weblog der Sinneslust frönen und eine Ekstase erreichen - und es kostet fast nichts.

Mu Zimei, von der hier die Rede ist, gehört zu der ersten Kategorie. Sie ist nämlich eine Frau, die vor etwa anderthalb Jahren im Internet ihre Erotik-Tagebücher veröffentlicht und damit eine Zeit lang die Zahl der Pageviews vieler Websites nach oben getrieben hat: Sie will, sagt sie, ihre Sexualität ausleben. Jeder - so gibt sie zu erkennen - kann sie einfach so bekommen. Damit hat sie, den Mechanismus der Medien antizipierend, sich recht geschickt einen Namen gemacht und übrigens auch eine Debatte im Internet ausgelöst: über Sex, Schamgefühl und Moral. Viele Tageszeitungen wollten sie interviewen; ihre Zusage bzw. Erklärung dazu im Internet lautete: "Die Zeit des Interviews kann nur so lang dauern, wie die ganze Sache im Bett braucht."

Nicht überraschend wäre es jedenfalls, wenn sich die "berühmte" Mu Zimei, die, wie sie in diesen Tagen im Internet verrät, jeden Tag Spermien unterschiedlicher Männer braucht, für ein "Petting-Weblog" einsetzen würde. Und der schrille Spaß, den sie dabei empfinden könnte, würde nur noch absurder, wenn man die ganze Geschichte mit Menschenrechten verbindet.

Es ist oft eine Geschmacksache, ob man eine Website oder ein Weblog originell und sogar schön findet. Ich habe nichts gegen das preisgekrönte Weblog aus dem Reich der Mitte und auch nichts gegen Unterhaltung. Dass man dieses Weblog aber mit Menschenrechten in Zusammenhang gebracht hat, ist wirklich eigenartig. Wäre dies der Grund für den ersten Preis, handelte es sich um absurdes Theater, wobei man sich verdeutlichen muss, dass die meisten Medienexperten in der Jury wohl kein einziges chinesisches Zeichen lesen und damit den Bühnentext nicht verstehen können. Und trotzdem kräftig applaudieren, da es ja um "Menschenrechte" geht.

Mit diesen Zeilen soll natürlich nicht die derzeitige Menschenrechtssituation in China verteidigt werden. Man könnte sich aber vorstellen, Freunden in China Tipps zu geben, wie sie am besten mit Blick auf den "Deutsche Welle International Weblog Awards 2005" ein Weblog mit dem Titel "Schuhe-Show" einrichten: Schicke Schuhe und Stiefel "in China und Asien auf der einen und in westlichen Ländern auf der anderen Seite". Vermutlich hätte man gute Chancen zu gewinnen. Die Laudatio könnte lauten: "In China wird das Menschenrecht mit Füßen getreten."