Transatlantische Versöhnung

Zumindest als schöner Schein wird die neue europäisch-amerikanische Einheit demonstriert, während im Irak mit der Ernennung eines religiösen Schiiten zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten die weitere Zukunft unsicher bleibt

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Während europäische Regierungen derzeit versuchen, der bemühten Versöhnungs- und Einheitsrituale des US-Präsidenten, entgegen zu kommen oder sie noch zu überbieten, findet im Irak eine womöglich für die US-Interessen bedenkliche Entwicklung statt. Ausgerechnet Ibrahim Al-Dschafari, ein schiitischer Politiker, der Verbindungen mit dem Iran hat, wo er ein Jahrzehnt im Exil lebte, wurde zum Regierungschef ernannt. Damit steht er womöglich Iran näher als den USA, überdies ist ein zwar angeblich gemäßigter, aber doch religiös motivierter Schiit. Die geplante pro-amerikanische Vorzeigedemokratie könnte so in eine unerwünschte Richtung gehen und überdies die weitere Verfolgung der Strategie im Mittleren Osten noch weiter erschweren.

Gut gelaunt und als Freunde geben sich die einstigen Gegner - aber nur kurz. Bild: Weißes Haus

Aber auch schon im Laufe seines Besuches in Europa, der ein neues Kapitel in der Geschichte der transatlantischen Beziehungen aufschlagen soll, traten nach den ersten Einheitsbekundungen und Gemeinschaftsversicherungen manche Differenzen wieder auf.

Allerdings hatte Javier Solana, der Hohe Beauftragte für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik, bereits in einem Interview vor dem Eintreffen des US-Präsidenten seiner Skepsis Ausdruck verliehen. Solana wies darauf hin, dass die Situation im Irak auch nach den Wahlen keineswegs gesichert sei, und dass die Regierungen von Jordanien und Ägypten in "Panik" lebten, was aus dem Irak entstehen wird. Gegenüber Bush machte Solana aber vor allem deutlich, dass der Irak ein Lehrstück für die Grenzen unilateraler Politik sei. So forderte er Bush dazu auf, die diplomatischen Bemühungen zu einer Lösung der Atomfrage mit Iran stärker zu unterstützen, während er bekräftigte, dass die EU das Embargo gegenüber China trotz der Einwände der USA aufheben werden. Solana zeigte sich auch skeptisch, dass die Versprechen, nach vieren Jahr Krieg nun die Diplomatie und nach vier Jahren Monolog den Dialog an die Spitze der Politik zu stellen, auch wirklich eingelöst würden.

Auch Bundeskanzler Schröder und US-Präsident Bush waren bemüht, bei ihrer Begegnung keine Konflikte aufkommen zu lassen und den schönen Schein zu wahren. Es sei ein "freundliches Gespräch" gewesen, meinte Schröder, so unverbindlich vermutlich wie das wohlklingende Deutsch-amerikanische Aktionsprogramm für umweltfreundliche und effiziente Energie, Entwicklung und Klimaschutz, das allerdings weiterhin bestätigt, dass die Bush-Regierung sich internationalen Verpflichtungen wie dem Kyoto-Abkommen nicht unterwerfen wird.

Bundeskanzler Schröder zur trauten Stimmung: "Deutschland und USA sind gleichberechtigte Freunde". US-Präsident Bush: "This is an important trip for me, and one of the most important stops of all is right here in Germany. And I appreciate your hospitality." Bild: Bundespreseamt/Julia Faßbender

Das hatte Bush zunächst auch während der Begegnung mit dem französischen Präsidenten Jaques Chirac praktiziert. Doch die Harmonie war von kurzer Dauer, deutlich wurde, dass es keine Einigkeit in vielen Fragen gibt, beispielsweise was die Zukunft der Nato, den Irak, Iran und China betrifft. Chirac bestärkte noch einmal den Beschluss, die Handelssanktionen gegenüber China aufzuheben, aber zu kontrollieren, dass keine Waffen an das Land geliefert werden, das vor dem 11.9. als primärer Gegner der USA galt. Bush machte sein Missfallen deutlich und erklärte, dass der Kongress womöglich darauf reagieren könnte. Chirac sprach sich auch für eine diplomatische Lösung mit dem Iran, für dessen Beitritt zur WTO und für den Verkauf von Airbus-Flugzeugen an das Land. Bush hingegen machte deutlich, dass man zwar den Irak nun endgültig als Problem der transatlantischen Beziehungen hinter sich lassen solle, aber nun gemeinsam mit der Demokratisierung der Region weiter machen müsse. Und natürlich setzt Bush stärker auf die leichter zu kontrollierende Nato als auf die mächtiger werdende und selbständigere EU als Partner in militärischen Fragen.

Dschalabi und Dschafari bei einer Pressekonferenz am Dienstag im Hauptsitz des Obersten Rates der Islamischen Revolution unter einem Bild von Großajatollah Al-Sistani

Schiiten an der Macht

Mit der Entscheidung der schiitischen Mehrheit hat Al-Dschafari, der Vorsitzende der schiitischen Dawa-Partei und amtierende irakische Vizepräsident, gute Chancen, zum neuen Regierungschef zu werden. Dschalabi, der einstige Favorit des Pentagon, der dann in Ungnade gefallen ist, aber offenbar weiterhin gut Fäden spinnen kann, ist aus dem Rennen ausgeschieden, nachdem Großajatollah al-Sistani ein Machtwort gesprochen hatte und Dschalabi möglicherweise ein Ministerposten versprochen wurde. Allawi, dessen Partei nur relativ wenige Stimmen erhalten hat und mit 40 Sitzen im Parlament vertreten ist, dürfte wenig Chancen haben, auch wenn er heute verkündete, eine neue große Allianz bilden zu wollen, um doch selbst kandidieren zu können. Die Vereinigte Irakische Allianz hatte bei den Wahlen mit 140 von 275 Sitzen die absolute Mehrheit errungen (Der Sieger weint). Die Kurden bilden die zweitstärkste Fraktion.

Konflikte mit den Kurden sind bereits vorprogrammiert. Sie wollen eine möglichst weitgehende Autonomie und vor allem die Kontrolle über die erdölreichen Gebiete um Kirkuk erhalten. Um ihre macht zu sichern, sollen die Peschmerga, die kurdischen Kämpfer, zwar Bestandteil der irakischen Armee werden, aber unter kurdischer Leitung bleiben. Und die Kurden wollen nicht, dass der Irak ein islamischer Gottesstaat auf der Grundlage der Scharia wird.

Neben den anderen Punkten besteht Zweifel daran, ob eine Regierung unter Dschafari, der als primäres Ziel die Wiederherstellung von Sicherheit genannt hat, zu einer friedlichen Lösung mit den Sunniten und zu deren Beteiligung am politischen Prozesse beitragen will und kann. Die Integration aller Iraker wird zwar von ihm als entscheidende Aufgabe angegeben, aber wie die Befriedung der vorwiegend sunnitischen Aufständischen unter einer schiitischen Regierung vonstatten gehen wird, muss abgewartet werden. Dschafari will für den Abzug der Koalitionstruppen auch keinen Zeitplan vorgeben, schiitische Geistliche hatten aber eben dies verlangt. Gleichwohl könnte der Druck aber auf einen schnellen Abzug auch wachsen, vor allem wenn die US-Regierung den Konflikt mit dem Iran verschärft. Allerdings machte er schon klar, dass es weder fremde Truppen noch Militärstützpunkte, wie dies die Amerikaner wünschen, im Irak geben soll, wenn die Sicherheit von den eigenen Kräften hergestellt werden kann.

US-Soldaten durchsuchen ein Haus in Bagdad nach Waffen

Und der gläubige Schiit Dschalafi hat zwar auch gesagt, dass er Demokratie und Menschenrechte in einem weltlichen Staat vertritt, aber auch die Diskussionen über die Übergangsverfassung aus Protest verlassen, weil der Religion nicht die ihr zustehende Rolle erhalte. Im Hintergrund könnte Dschalafi unter dem Druck von schiitischen Geistlichen und religiösen Politikern schließlich doch versuchen, dem Islam und der Scharia zumindest eine starke Rolle einzuräumen. Dschalafi weigert sich etwa, aus religiösen Gründen Frauen die Hand zu geben. Er hatte auch die von den Kurden vorgesehene Klausel protestiert, dass die Verfassung nicht als angenommen gilt, wenn die Mehrheit in drei Provinzen dagegen ist. Da Dschalafi aber zur Wahl als Ministerpräsident eine Zweidrittelmehrheit benötigt, dürften die Kurden und die Partei Allawis einigen Einfluss auf die künftige Politik haben, wenn sie nicht seine Wahl zum Ministerpräsidenten blockieren.

Der noch amtierende Regierungschef Allawi versucht inzwischen schon einmal Unruhe zu schüren und sagt, dass der Iran die Entscheidung für Dschalafi und gegen ihn beeinflusst habe.

US-Truppen setzen ihre Angriffe im Rahmen der Operation "River Blitz" in der Provinz Anbar gegen Aufständische fort und sind inzwischen in die Stadt Haqlaniya einmarschiert, die neben Ramadi als Hochburg des Widerstands gilt. Obgleich die Einnahme und Zerstörung Falludschas keineswegs zur Unterminierung des Widerstands geführt hatte, wie zuvor prophezeit worden war, scheint man mit derselben Strategie fortzufahren.