Aufbruchstimmung im Libanon

Der Tod von Multimilliardär Rafik Hariri vereint die Opposition in der Forderung nach Abzug der syrischen Truppen

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Ganz Beirut ist mit den Porträts des ermordeten Ex-Premierministers Rafik Hariri bepflastert, täglich gibt es Demonstrationen, Pressekonferenzen und Gedenkveranstaltungen. Die libanesische Nation zeigt sich auf den ersten Blick ungewohnt vereint im Trauer um den Tod des Multimilliardärs, der wie kein anderer den Wiederaufbau nach dem Buergerkrieg verkörperte. Ein Land im Aufbruch?

Foto: Alfred Hackensberger

Zu Beginn dieser Woche demonstrierten über 100.000 Menschen auf dem Märtyrerplatz im Zentrum Beiruts. Mitte dieser Woche versammelten sich einige Tausende in Solidarität mit allen 18 Getöteten des Bombenattentats vom 14. Februar. Am Unglücksort trauern am frühen Abend täglich einige Hunderte mit Kerzen in der Hand. Dort werden auch Unterschriften für eine Petition zur Aufklärung des Anschlages gesammelt. Bisher über 18.000.

Für den heutigen Samstag ist eine Großdemonstration aller Studentenvereinigungen angesagt, am Montag findet im Parlament eine Vertrauensabstimmung über die Regierung statt. Gleichzeitig hat das Oppositionsbündnis, mit dem Drusen Walid Jumblatt und seiner Sozialistischen Partei an der Spitze, zum Generalstreik aufgerufen.

Bei allem geht es in erster Linie um die Forderung nach dem sofortigen Abzug aller syrischen Truppen aus dem Libanon. Der Tod von Multimilliardär Rafik Hariri war nur ein Zeichen für den Aufbruch, für eine konsequente Haltung gegenüber der pro-syrischen Regierung im Lande, die nur durch eine Verfassungsänderung ihren Präsidenten für weitere drei Jahre in Amt halten konnte ("Augen zu und durch")

Für die Regierung ist das Attentat auf Hariri ein Werk "ausländischer Kräfte", während die Opposition Syrien und den Präsidentenpalast in Beirut dafür voll verantwortlich hält. Wie üblich, wenn es keine Hinweise auf die Täterschaft gibt, brodelt die Gerüchteküche um so mehr. So hatte die Kuwaiter Zeitung "As-Siyassa" am 19. Februar behauptet, der oberste Chef der libanesischen "Surete General" sei direkt für die Ermordung Hariris verantwortlich. Der betroffene General Jamil Sayyed flog am Donnerstag persönlich nach Kuwait, um eine Klage gegen die Zeitung einzuleiten.

Aber es war gerade Walid Jumblatt ("Der Libanon könnte ein neuer Klon der anderen autoritären arabischen Regimes werden"), der die emotionalen Wogen immer wieder mit enuen Aussagen hochgehen lässt. Hariri habe ihm bereits vor längerem gesagt, dass man ihn töten wolle. Auch hätte er von seinem Freund erfahren, dass Bashar Assad, der syrische Präsident, den Libanon eher zugrunde bombardieren ließe, denn ihm seine vollständige Unabhängigkeit zu geben.

Lange Zeit konnte Walid Jumblatt, wie übrigens alle Libanesen, nie so frei gegen die Präsenz und Einfluss des großen Bruders sprechen. Noch vor wenigen Wochen wären Demonstranten mit anti-syrischen Slogans vom Militär kurzerhand verprügelt worden. Und bei Walid Jumblatt klafft noch die alte Wunde seines Vaters, Kamal Jumblatt, der ebenfalls während des Buergerkriegs von einer Bombe getötet wurde, die man dem syrischen Geheimdienst zurechnete.

Hariris Bild findet man überall. Foto: Alfred Hackensberger

Libanon im Machtvakuum

Seit dem Tod Rafik Hariris gehört die Strasse eindeutig der Opposition. Ob dieser Druck auch im Parlament zu spüren ist, wird sich am Montag zeigen. Dort wird die Vertrauensfrage gegenüber der Regierung gestellt. Eine Mehrheit für das Misstrauensvotum käme einem Erdrutsch gleich.

Ungeklärt ist auch noch die Rolle der Hisbollah, einer der wichtigsten politischen Gruppierungen des Libanons. Sie hält noch zur Regierung, ist für einen "ausgleichenden Dialog" mit der Opposition. Ihr sitzt die UN-Resolution 1559 im Nacken, die nicht nur den Abzug syrischer Truppen, sondern auch eine Entwaffnung ihrer Organisation vorsieht. Ohne konkrete programmatische Garantien seitens der Opposition wird sich Hisbollah dem Protest nicht anschließen. Populistische anti-syrische Ressentiments kommen der schiitischen Volksbewegung höchst ungelegen. Gerade im sich anbahnenden israelisch-palästinensischen Friedensprozess, der jeden bewaffneten anti-israelischen Widerstand ad acta zu legen versucht, ist man auf jeden Verbündeten angewiesen.

Die Hisbollah wird alles dafür tun, dass sich die Opposition in sektiererischen Klan-Verhandlungen über Ämter und Machtpositionen verliert. Der Vizegeneralsekretär Naim Quassem hatte am Mittwoch verlautet, dass es für die Hisbollah nicht um ein Für oder Gegen die Regierung gehen kann. "Wenn wir die eine Seite wählen, heißt das, wir schließen die andere aus. Beide repräsentieren Fraktionen des libanesischen Volkes, von allen Sekten und Religionen." Man wird sehen, wie lange der Spagat zwischen allen Gruppen halten wird. Spätestens am Montag muss sich auch die Hisbollah entscheiden.

Demonstration am Montag in Beirut. Foto: Middle East Online

Auch am heutigen Samstag wird es im Stadtzentrum von Beirut eine gewaltige Menschenmenge geben. Wie bisher in der letzten Woche wird man wieder eine für den Libanon ungewöhnliche Eintracht der religiösen und politischen Gruppierungen beobachten können. Drusische Sozialisten, sunnitische Demokraten und christliche Falangisten stehen vereint für die lückenlose Aufklärung des Bombenanschlags, vor allen Dingen aber für den sofortigen Abzug aller syrischen Truppen, sowie die Abdankung der jetzigen pro-syrischen Regierung. Ein Aktionsbündnis, das jedoch kaum Zukunftsaussichten hat.

In einem Machtvakuum, das nach dem immer wahrscheinlicher werdendem Abzug der Syrier und einer Absetzung der Regierung entstehen würde, sind die Positionen der politischen und konfessionellen Gruppen nach wie vor so unterschiedlich, dass man kaum auf ein positives Resultat hoffen kann. Zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft bedarf es mehr als den freien Lauf lang unterdrückter Gefühle. Auf dem Märtyrerplatz in Beirut resultierte das nun mehrfach in politische Protestdemonstrationen, in anderen Stadt- und Landesteilen wurden syrische Gastarbeiter verprügelt und manche angeschossen. Einige sollen sogar getötet worden sein. Zu Tausenden haben sie aus Angst um Leib und Leben bereits den Libanon verlassen.