"Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten!"

Marc Rothemunds "Sophie Scholl" im Kino - Anmerkungen zu Politik und Pathos, sowie zu den Chancen einer Ehrenrettung des protestantischen Bildungsbürgertums

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Der Film "Sophie Scholl - die letzten Tage" von Marc Rothemund, der ebenso wie seine Hauptdarstellerin Julia Jentsch bei der diesjährigen Berlinale einen Silbernen Bären gewann, ist ein Kammerspiel über die letzten fünf Tage der Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Es zeigt die Geschehnisse zwischen der Verhaftung Scholls am 18.2.1943 und ihrer Hinrichtung am 22.2. Der Film, der formal in manchem Romuald Karmakars "Der Totmacher" ähnelt, ist ein ebenso kühles wie pathetisches Drama, das Partei für die Freiheit des Gewissens und der Rede ergreift, angenehm fremdartig in seinem ungebrochenen Idealismus - und darin zumindest an der Oberfläche auch ein Gegenstück zum derzeit beliebten Täterkino. Die implizite Ehrenrettung des protestantischen Bildungsbürgertums, die der Film vornimmt, scheitert allerdings an der Macht der Fakten. Überdies ist "Sophie Scholl" auch ein Beitrag zu der Frage: Wie kann man Nationalsozialismus eigentlich im Kino darstellen?

Julia Jentsch als Sophie Scholl und Lili Jung in "Sophie Scholl - Die letzten Tage"

Man vergisst leicht, dass Sophie Scholl noch leben könnte. Sie wäre heute 83 Jahre alt. Einmal sehen wir sie als gewöhnlichen Menschen, als Mädchen von 21 Jahren. Ganz am Anfang, gleich im ersten Bild dieses Films. Da hört Sophie Musik mit einer Freundin, ist gutgelaunt, ausgelassen und in etwa das, was man damals wohl einen "Backfisch" nannte.

Dieses Bild entfaltet seinen Sinn erst im Rückblick. Es scheint genau den einen Zweck zu haben: Uns zu zeigen, dass Sophie Scholl auch ein normaler Mensch war, nicht nur die Widerständlerin, quasi eine politische Heilige, an die wir uns heute erinnern. Ein bisschen wirkt es, als wollten die Macher damit schon mal einen Punkt des zu Erzählenden abgehakt haben. Zugleich ist die erwähnte Auftaktszene weniger ungebrochen, als es scheint. Denn die Musik, die läuft, ist "Sugar" von Billie Holliday, amerikanischer Swing also, der unter den Nazis verfemt war, noch dazu im Feindsender BBC. So könnte also auch der Beginn eines Films über die "Edelweißpiraten" aussehen. War etwa selbst eine so kleine, unschuldige Geste im Leben der Sophie Scholl noch ein Akt des Widerstandes?

Man wüsste jedenfalls gerne, ob es solche unschuldig-ausgelassenen Momente im Leben der Sophie Scholl gab, ob es sie noch gab im Februar 1943. Sehr ernst sei sie schon früher gewesen, berichteten ihre Schwestern später von ihr, erzählten wie sie beim Tanzen etwas Versonnenes, Jenseitiges, Entrücktes gehabt habe. Nicht ganz von dieser Welt, liest man aus solchen Äußerungen. Aber als sie fielen, nach dem Krieg, da war Sophie aus Ulm schon längst tot, und das Regime, das sie umbrachte, schon besiegt.

Inspiration durch Fakten

Eine Ikone des Widerstandes ist sie auch in diesem Film. Marc Rothemund zeigt in "Sophie Scholl - Die letzten Tage" genau das, was der Titel bezeichnet: Die letzten Tage im Leben einer Widerständlerin, die Zeit, als sie verhaftet und verhört wird, als ihr bald bewusst ist, dass am Ende des Weges das Fallbeil stehen wird. Ein wenig erinnert dieser Ansatz - "die letzten Tage" - an jenen anderen deutschen Film über die NS-Zeit, der im Augenblick Furore macht. Aber mit Eichinger/Hirschbiegels "Der Untergang" (Eine deutsche Fleißarbeit) hat er nur gemeinsam, dass er protokolliert und dass im Zuge der PR-Kampagne für den Film immer wieder jenes "based on a true story" ein bisschen zu stark betont wurde - als ob ein Film dadurch besser würde, oder er schlechter wäre, wenn vieles erfunden ist.

Gewiss, es gibt neue Dokumente. Die Vernehmungsprotokolle der Gestapo, die bis 1989 in Ostberliner Archiven lagerten und nur Scholls Schwester auf persönliche Bitten zugänglich gemacht wurden, bilden die Grundlage. Sie sind wichtig und spannend. Zugleich sind wir nicht bei Guido Knopp, glücklicherweise, und somit gehen mit neuen Dokumenten keine vermeintlichen Sensationen und behauptete "neue Sichtweisen" einher. Die Betonung der Wahrheit der Geschichte ist eher eine Irreführung: Denn selbstverständlich wird auch hier - wie im "Untergang" - imaginiert und erfunden. Wenn hier eine Wahrheit erzählt wird, die wirklich von Interesse ist, dann muss es sich um eine innere handeln.

"Sophie Scholl" ist ein Spielfilm, keine Dokumentation; auch Docufiction ist Fiction. Nicht nur, weil der Film das Geschehnis nicht abbildet, sondern mit Schauspielern nachstellt, nicht nur weil er Dinge zeigt, bei denen niemand dabei war, sondern weil die Dokumente deutlich bearbeitet sind:

Ein Protokoll in der deutschen Rechtstradition ist eine Zusammenfassung nach Diktat des Verhörführers. Ein Stück Tätersprache, die auch hölzerne, bürokratische Diktion besitzt. Es kommt später auch zu dialogartiger Auflösung. Da heißt es dann: "Auf Frage" antwortet die Verdächtige. ... Die Dialoge sind aus verschiedenen Quellen zusammengesetzt: Die Protokolle, Briefe und Aufzeichnungen von Sophie Scholl - ihre individuelle Schreibsprache. Zitate von ihrer Schwester Inge, Zitate aus den Flugblättern. Da ging es dann zunächst einmal darum, diese Texte überhaupt sprechbar zu machen.

Drehbuchautor Fred Breinersdorfer über seine Verfahrensweise

Sprechen wie bei Schiller

Der Film ist also kein Protokoll, sondern das, was Spielfilme sein sollen, sein müssen, um zu funktionieren: ein Kunstprodukt. Er rafft, komprimiert und dramatisiert, wenn auch in Maßen. Doch immerhin kommt es zu der erstaunlichen Erfahrung, dass man sogar eine Art Suspense empfindet, eine Spannung, eher Anspannung, dass man fast beginnt, darauf zu hoffen und zu glauben, dass Sophie Scholl vielleicht doch noch davonkommen könnte. Die eigentliche große Leistung des Films ist dieses Drehbuch. Fred Breinersdorfer, übrigens studierter Jurist und immer noch als Anwalt tätig, dadurch auch geübt im Umgang mit juristischen Akten, hätte für sein erstes Kinoscript einen Bären bei der Berlinale verdient - vielleicht eher als die Regie (siehe unten).

Noch wichtiger ist nämlich eine zweite Wirkung dieses Drehbuchs: die Sprache. Durchweg ist sie idealisiert, dominiert ein hoher Ton. Wenn manche Kritiker über den Film bemerken, hier werde Pathos vermieden, dann irren sie. Vermieden wird Sentimentalität - und noch nicht einmal die ganz. "Die Sonne scheint noch", sind die letzten Worte Sophie Scholls im Film. Stattdessen geht es um "Freiheit und Ehre ... ein neues geistiges Europa ... Sitte, Moral und Gott" gegen "die falsche Weltanschauung".

Man kennt solche Worte gar nicht mehr, man kennt noch weniger Menschen, die so sprechen - so fern und fremd wirkt das alles manchmal. Aber gerade das ist gut. Denn die Fremdheit liegt nicht etwa primär in der Unzeitgemäßheit einer Weltanschauung, die Thomas Assheuer in der "Zeit" treffend als "eine Form politischer Theologie" charakterisiert, sondern in der Unbedingtheit mit der Politik als Ernstfall und existentieller Lebensbereich begriffen wird. Indem uns der Film darauf stößt, wie fern eine wie Sophie Scholl uns ist, erinnert er uns daran, wie nahe sie uns sein könnte. Ein Redefilm, der seinen Stoff immer wieder ins Abstrakte hebt, der sperrig ist, nicht vermenschelnd.

"Die kritische Frage nach dem Zusammenhang von Politik und Ästhetik", die Barbara Schweizerhof beherzt und trotzig (und dann doch nicht gerade im Übermaß begründet) jetzt in der "taz" dem Lob der Kollegen nachwirft, lässt sich ganz einfach so beantworten: Manchmal muss es eben Pathos sein. Und gegen den Pathos des Widerstands gegen Tyrannei ist ganz und gar nichts einzuwenden. Unerträglich die Vorstellung, man würde uns eine Sophie Scholl zumuten, die irgendwie "heutig" und "zeitgemäß" wäre, cool und vorlaut. Indem die Sophie Scholl dieses Films spricht wie die Figuren bei Schiller - "ein harter Geist, ein weiches Herz" -, voller brennender Leidenschaft für ihre Gedanken und die Freiheit, sie zu denken, für die Wahrheit und die Freiheit, an ihr festzuhalten, indem sie auch inhaltlich ganz ungebrochen und ohne geringste Einschränkungen Idealismus pur an den Tag legt und ihre Ausführungen mit einem Lutherschen "Ich kann nicht anders." bekräftigt, macht die Figur bewusst, was den heutigen politischen Diskursen fehlt. Ein Heldendrama, das daran erinnert, dass es in der Politik um Leben und Tod geht, gehen muss, gehen kann, und dass die Tatsache, dass sich die Dinge heute vor allem um Visa, Diäten und Rentenkürzungen drehen, nicht nur einen Gewinn bedeutet.

Diese Heldin erinnert auch daran, dass es im "Dritten Reich" sehr wohl Alternativen des Verhaltens und des Denkens gab, dass die dreiste Unterstellung etwa eines Films wie Dennis Gansels "Napola", dass "alle" verführbar waren, dass es zu Anpassung und Mitläufertum keine Alternative gegeben hätte, schlichtweg unwahr ist. "Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten." Das Familienmotto der Scholls sollten sich manche der smarten Angepassten von heute hinter den Spiegel stecken. "Sophie Scholl" ist ein Gegenstück zu "Napola" und seinen Machern, und damit überhaupt zu den ganzen anderen Täterfilmen, die zur Zeit im Kino zu sehen sind.

Zögernd und voller Demut vor dem Stoff

"Sophie Scholl" ist zugleich durchaus ein zeitgemäßer Film in seiner stark personalisierten Sichtweise. Anders als Michael Verhoevens "Die weiße Rose" zeigt er den Widerstand nicht als ein System, ein Milieu. Indem er sich ganz auf eine Hauptfigur konzentriert, vereinfacht der Film auch, macht er sein Thema in mancher Hinsicht konsumierbarer. Zugleich erzählt "Sophie Scholl" vieles, was man zwar wissen könnte, aber was doch viele nicht wissen.

Unverkennbar ist die pädagogische Absicht, die Hoffnung darauf, einen "besonders wertvollen" Film gedreht zu haben, in den im nächsten Vierteljahrhundert die Schulklassen strömen werden. Unzeitgemäß ist hingegen, dass es sich um ein Kammerspiel handelt, einen Redefilm, bei dem manch einer aus der Schulklasse, selbst in der Oberstufe, Mühe haben dürfte, inhaltlich wie geistig zu folgen. Rothemund/Breinersdorfer verzichten auch darauf zu erzählen, wie Sophie Scholl zu dem wurde, was sie am Ende war. Nichts erfährt man über ihre Zeit im BDM, ihre Abwendung vom Nationalsozialismus. Aber das wäre dann eben ein anderer Film geworden.

Marc Rothemund ist eine hervorragende Leistung gelungen. Sie überrascht, weil man ihm nach belanglosen Komödien und Dödelfilmen wie "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit" und "Harte Jungs" einen solchen Film nicht unbedingt zutrauen musste. In fast jeder Sekunde von "Sophie Scholl" ist Rothemunds Zögern, eine angenehme Demut vor dem Thema und in der Folge eine große Genauigkeit spürbar.

Man muss dabei nicht mit jeder Entscheidung einverstanden sein. Man kann die Musikauswahl missglückt finden, man kann alles für etwas trocken und übertrieben minimalistisch halten. Man kann es auch etwas arg einfach finden, wie sich Rothemund auf das Schnitt-Gegenschnitt-Muster beschränkt, mag dies auch keine biedere Einfallslosigkeit, sondern ästhetische Entscheidung sein. "Sophie Scholl" ist bewusst reduziert, er will nicht alles, was man hier wollen könnte - aber ihm gelingt, was er sich vorgenommen hat, und das kann man leider längst nicht über jeden Film sagen. Ihn "hölzern" zu nennen, wie es einer getan hat, ist sehr hart. Den Ernst dieser Arbeit, das Ringen um die richtige Einstellung, die Antwort auf die Frage, ob und wie sich gewisse Szenen überhaupt zeigen lassen, merkt man der Regie in ihrer Zurückhaltung immer an. Julia Jentsch spielt gut, intensiv, manchmal berührend. Sehr zugute kommt ihr ihre Theatererfahrung. In alle Blicke und Gesten legt sie große Intensität, Charakterstärke und Überzeugungskraft.

Grund und Abgrund des Bildungsbürgertums

Es gibt weitere Aspekte an diesem Film, die erwähnens- und bedenkenswert sind: Zum einen wird der Konflikt zwischen Widerstand und NS-Diktatur als Klassenkonflikt erzählt. Während Sophie Scholl als höhere Tochter, als Angehörige des akademisch gebildeten protestantischen Bürgertums eingeführt und mehrfach bezeichnet wird, ist der Vertreter des nationalsozialistischen Staats, der Gestapo-Beamte Mohr, konzipiert als Underdog aus kleinen Verhältnissen, als Prototyp des Nazi-Spießers. "Sie mit ihren Privilegien...", fährt er Scholl an. "Ihnen geht es doch sowieso besser, als unsereinem." Bürgerhass, Antisemitismus und Abstiegsängste bilden, so wird suggeriert, die Basis der Diktatur.

Auch dies ist eine Parallele zu vielen Filmen der derzeitigen Kino-Nazi-Welle. Auch in "Napola" war die von den Nazis verführte Hauptfigur eigentlich vor allem ein Angehöriger der Unterschicht, der von Aufstiegschancen angezogen wurde. Sophie Scholl dagegen ruht betonfest in der christlich-humanistischen Wertordnung des deutschen Bildungsbürgertums. Mögen die bürgerlich-konservativen Eliten in ihren Augen auch versagt haben, die Werte hatten es nicht. Das ist alles zumindest durch die historischen Fakten gedeckt, jedenfalls soweit es die keineswegs unpolitischen Überzeugungen der Scholls betrifft. Ihre Flugblätter wandten sich zunächst "nur" an Eliten, wollten einen Gesinnungsumschwung bei jenen bewirken, die aus ihrer Sicht versagt hatten.

Wenn der Film diese - guten - Werte ins Zentrum der Darstellung rückt, entdeckt er damit auch wieder die Tugenden und Traditionen des deutschen Bildungsbürgertums fürs Massenpublikum. Es ist ein großer Irrtum, wenn der "Evangelische Pressedienst" in seiner Märzausgabe schreibt, "die Fülle der Geschwister-Scholl-Schulen und -Straßen zeugt davon, dass die politische Öffentlichkeit in ihnen die Projektionsfläche fand, die man brauchte, um sich der Existenz jenes "anderen", humanistischen Deutschlands zu versichern - und die Schuldfrage zu vertagen." Im Gegenteil: Tatsächlich dauerte es bis 1985, bevor der Bundestag - auch als Folge von Michael Verhoevens Film "Die Weiße Rose" - offiziell feststellte, dass der Volksgerichtshof "kein Gericht im rechtsstaatlichen Sinne darstellte, sondern ein Terrorinstrument". Erst seitdem sind Sophie Scholl und ihre Mitstreiter Pflichtstoff an der Schule. Zuvor durfte Verhoevens Film an Schulen und Goethe-Instituten nicht gezeigt werden.

Indirekt suggeriert "Sophie Scholl" allerdings, dass die Beurteilung der Scholls zutrifft, dass die Werte und Ideale des Bildungsbürgertums und des deutschen Protestantismus tatsächlich geeignet waren, um gegen nationalsozialistische Anfechtungen in besonderer Weise zu wappnen. Dass dies keineswegs der Fall war, zeigt der Hinweis auf einen anderen Film, der gleichfalls auf den Berliner Filmfestspielen Premiere hatte: Malte Ludins Dokumentation "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß" erzählt beispielhaft von einem, der aus ähnlichem Milieu stammt wie die Scholls: Hanns Ludin, der Vater des Regisseurs, war für die "Endlösung der Judenfrage" in der Slowakei zuständig. 1947 wurde er als Kriegsverbrecher hingerichtet.

Der Film zeichnet das Leben und die Taten des Vaters nach, doch beschreibt er vor allem den Umgang der Familie, der Kinder und Enkel mit den Verbrechen. Ein Protokoll der Verleugnung und des Verschweigens, der Lebenslüge und der Beschwichtigung angesichts der Macht der Fakten, der Tiefenschichten des familiären Unterbewusstseins - und eine Darstellung der Rhetorik der Verdrängung und damit der fortdauernden "Unfähigkeit zu trauern" (Alexander Mitscherlich). Der Film zeigt eine Familie, die nach wie vor Ausreden für Offensichtliches sucht, und belegt eindrucksvoll, warum alle Rufe nach "vorbei" und "Schlussstrich" ins Leere laufen, solange Verleugnung und Lebenslüge Alltag sind.

Wo bleibt die Moral?

Ein zweiter Aspekt von "Sophie Scholl" entspricht - ungeachtet, dass in diesem Fall die Fakten des Einzelfalls korrekt wiedergegeben werden - einer allgemeinen Tendenz und gibt zu Kritik Anlass: Wie schon in Schlöndorffs "Der neunte Tag" begegnet man auch hier in der Figur des Beamten Mohr einem überzeugten Nazi, der sich im weiteren Verlauf als erstaunlich diskussionsfähig erweist. Der Zuschauer lernt: Offenbar konnte man mit Nazis diskutieren, offenbar hatten sie sogar selbst Argumente und offenbar waren manche ihrer Argumente sogar zutreffend. Oder zumindest des Nachdenkens wert. Nazis waren offenbar keine Schlächter, keine Schreier wie Freisler, sondern manierliche Menschen, die taten, was das Gesetz eben vorschrieb, die auch Todgeweihten noch eine Zigarette, Bohnenkaffee und vor der Hinrichtung ein letztes Treffen anboten. Dieses Hervorheben menschlicher Züge im Unmenschlichen entspricht - in diesem Fall vermutlich unwillig, vielleicht unbewusst - dem Trend zur Beschwichtigung und zur Revision des bisherigen Bildes der NS-Diktatur.

"Was Sie sagen, hat mit der Realität nichts zu tun" - "Ich habe es getan . . . und ich bin stolz darauf." Das ist der Gegensatz zwischen Verhörendem und Verhörter. So wird der Film aktuell als Anregung, darüber nachzudenken, wo heute die moralischen Positionen in der Politik hin verschwunden sind, warum man mit Moral in der Gegenwart nicht mehr meint argumentieren zu können, warum Moral unvermeidlich in Moralismus zu münden scheint.

Am Ende steht das Fallbeil. Am 22. Februar 1943 in der Münchner Strafanstalt Stadelheim. Wenn es fällt, wird das Bild schwarz. Man hört noch Hans Scholls letzte Worte: "Es lebe die Freiheit!" Dann sieht man, wie britische Flugzeuge Flugblätter der "Weißen Rose" über zerbombten deutschen Städten abwerfen. "Es war nicht umsonst", scheint dieses Bild zu sagen. Einerseits noch ein erhabener Moment, der zeigt, wie viel schon wenige bewirken können, der ahnen lässt, was möglich gewesen wäre, wenn es viel mehr Widerstand gegen die braunen Mörder unter uns gegeben hätte. Doch zugleich eine Täuschung, doch noch eine Art Happy End. Besser wäre es gewesen, wenn man schon nicht mit dem fallenden Beil enden wollte, die zerbombten Städte zu zeigen oder die Münchner Studenten, die jenem Hausmeister zujubelten, der die Scholls verhaftet hatte.

Literatur:

- Breinersdorfer, Fred (Hg.): "Sophie Scholl - Die letzten Tage. Das Buch zum Film"; Fischer Vlg., Frankfurt 2005; 480 S.; 12.90 Euro (Hier findet man neben einem Abriss der wichtigsten Fakten, vor allem zu den letzten Tagen, und Kurzbiographien, auch das vollständige Drehbuch von Breinersdorfer, sowie Auszüge aus den Verhörprotokollen der Gestapo. Außerdem enthält der Band den Aufsatz "Inspiration durch Fakten", in dem Breinersdorfer und Rothemund ihr Filmkonzept erläutern)

- Graf, Willi: "Briefe und Aufzeichnungen"; Fischer Vlg., Frankfurt 2004; 346 S.; 10.90 Euro

- Scholl, Hans/ Scholl, Sophie: "Briefe und Aufzeichnungen"; Fischer Vlg., Frankfurt 2003; 368 S.; 9.90 Euro

- Scholl, Inge: "Die Weiße Rose"; Fischer Vlg., Frankfurt 2003; 204 S.; 7.90 Euro [Das Standardwerk schlechthin]