"Ich habe kaum noch Freunde, das gebe ich zu, aber ich habe viele Abonnenten"

Die Überlebenden des Dotcomcrashes tanzen wieder

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Dr. Hubert Burda lud -- und alle kamen: Zum Digital Lifestyle Day 05 am 22. Februar 2005 in den Hubertussaal des Schloss Nymphenburg. Und wie ist der Digital Lifestyle Day so? Lang! Man weiß es ja von der New Economy: Der Tag hat 24 Stunden -- und dann kommt noch die Nacht hinzu!

Am Vorabend empfing der Gastgeber deshalb bereits auch etliche Gäste in seiner ehemaligen Studentenbude in der City. Und am Morgen ging es mit dem Event um 8 los und durch bis 20 Uhr. Danach war noch eine Playboy-Häschen-Party in einer Münchner Nachtbar angesagt. So mancher, der das komplette Programm mitnahm, erlag prompt -- den Münchner Doctom-Parties entwöhnt -- einer Prosecco-Unverträglichkeit in Kombination mit marodierenden Viren.

Redakteure Thomas Mrazek, Nicola D. Schmidt und Matthias Matting zu Gast bei Verleger Dr. Burda (Bild: Burda)

Die Veranstaltung klang ziemlich hypig. Und mit dem neuesten Hype begann sie: Der Bloggerszene. Die von der großen Popp schwärmt -- der "Power of Personal Publishing" -- jeder ist (s)ein Verleger. Nun, diesen Traum hatten viele auch schon mit einfachen Homepages, doch in Deutschland holt man sich damit bekanntlich nur Ärger ins Haus. Die Blogger stoppt das trotzdem nicht -- auch nicht in China, wo es trotz Zensur und der damit verbundenen Gefahren inzwischen über 500.000 Blogs gibt, so National Public Radio

Wo ist denn bloß Don Alphonso, wenn man ihn mal dringend braucht?

Stoßseufzer eines unerkannt bleiben wollenden Besuchers

Anders in San Franzisco, wo Meg Hourihan schon zur Jahrtausendwende einen eigenen Webserver unterm Schreibtisch stehen hatte und unter den ersten 5000 Blogs war. Während die modernen Bloggr, um notorischen Ärgr mit Marken- und anderen Rechten zu vermeiden, inzwischen selbr ihre Namen verstümmeln und ihre Fotos auch nicht mehr auf eigenen Seiten, sondern lieber bei Flickr hochladen, wo man sie nur mit eingeschaltetem Flackr, nein Flash sehen kann. Doch "Flickr ist wie Haight Ashbury -- es schaut so aus, als ob nur ein paar Leute rumhängen, aber es geht etwas Wichtiges ab". Und es gibt billigen Pot und Wasserpfeifen an jeder Straßenecke? Das Usenet wird dagegen von Mitgründerin Caterina Fake (übrigens kein Fake; sie heißt wirklich so!) als gescheiterte "Social Software" betrachtet. Ob das wirklich an der Software liegt und nicht an den Bewohnern?

Menübalken vor dem Kopf: Moderator Jochen Wegner, Wissenschaftsredakteur beim Focus

Statt geselligen Diaabenden, bei denen sich aber immer ein paar Gäste langweilten, die Fotos öde finden und eigentlich nur zum Aufreißen gekommen waren. werden die Urlaubsbilder also heute online alleine vor dem Computer ausgetauscht. 82% der Bilder auf Flickr sind öffentlich, also nicht nur Familie, Verwandten und Freunden zugänglich und 72% haben eine Beschreibung, damit der unwissende Besucher auch weiß, dass die hübsche Dame vor dem Eiffelturm nicht die Freundin, sondern die Schwester des Foto-Bloggers ist.

Doch manchmal sagt ein Bild ja mehr als tausend Worte. "Die ISPs werden das Bloggen zu den Massen bringen", so verkündete Loic Le Meur von Six Apart. Bald kommt also die AOL-CD im Briefkasten mit dem "Ich bin ja schon drin"-Blog, was die Qualität der Blogs nicht gerade anheben dürfte.

Catarina Fake, Mitgründerin von Flickr (Bild: Burda)

Immerhin gab Meg Hourinan zu "Es ist ein Hype und es wird einen Rückschlag geben". Doch ist Bloggen erfolgreich und hat schon einige Leute ihren Job gekostet (Wer bloggt, fliegt – aus dem Dienst) und Jamba den Ruf, doch dazu später. Eine gute Nachricht ist das natürlich nur, wenn es der Job anderer Leute ist, beispielsweise der von Eason Jordan von CNN, Dan Rather von CBS News und der des US-Senators Trent Lott, die alle über Enthüllungen aus der Bloggerszene stolperten.

Neben Foto-Blog-Communities gibt es auch Musik-Blog-Communities, Der Anmachspruch "Willst Du mal meine MP3-Sammlung sehen?" führt jedoch normalerweise zu Post einer Rechtsanwaltskanzlei aus München. Schlauer umgesetzt hat dies Michael Breidenbücker von Last FM: Ähnlich, wie früher Mails und Posts gerne mit einem "Now playing: Suicide is painless" unterzeichnet wurden, was dann zu besorgten Rückfragen über die Stimmungslage des Posters führte, schneidet das Plugin Audioscrobbler nun mit, was gerade auf dem Computer läuft -- was allerdings dazu zwingt, die MP3s auch wirklich resourcenfressend auf dem PC zu hören -- und erzeugt daraus ein Musikprofil. Das ist dann bei Last FM abrufbar und man kann sich -- dank englischer, nicht GVL-eingeschränkter Webradio-Lizenz nun in die Wohnung des anderen Bloggers hineinhören, indem man sich seine Musik vorspielen lässt -- oder nach Personen mit ähnlichem Musikgeschmack suchen. Schließlich gibt es kaum schlimmere Beziehungskiller als den Satz "Mach doch endlich diese Schrottmucke aus!!". Man kann aber beispielsweise auch nachlesen, was Holländer so bevorzugt anhören. Jedenfalls, wenn sie bloggen.

Man darf Termine oder Zahlen voraussagen, aber nie beide gleichzeitig

John Marcom, Yahoo Senior Vice President

Interessant auch der Einblick in die Internetwelt in Asien im Vergleich zu unserer westlichen Onlinewelt, wie ihn Yat Siu von Outblaze lieferte: Asien hat inzwischen die meisten Internetuser, und obwohl die Internet-Versorgung in Korea mit 63,3% gegenüber den USA mit 66,5% noch etwas geringer ist, werden dann nicht nur 1 MB/s-Breitband per DSL oder Kabel geliefert wie im Westen, sondern gleich 100 MB/s. Blogs sind wegen der Zensur und der mehr introvertierten Mentalität der Asiaten nicht so gefragt, dafür Spiele, Mobile Internet und Instant Messaging. E-Mail gilt als "alte-Leute-Medium" und wird kaum genutzt, woran natürlich auch die extreme Verspammung Schuld ist. Da manche Online-Spieler in diesen Ländern so exzessiv sind, dass sie Essen und Leben vergessen und plötzlich tot vom Hocker kippen, darf in Thailand öffentlich nur zwischen 6 Uhr abends und 6 Uhr morgens gespielt werden.

Yat Siu von Outblaze (Bild: Burda)

Anschließend wurde kräftig gehypt -- mit der Fotohandy-Liebe im Werbefilm, der auch noch in einer Werbeagentur spielte.

Am Nachmittag ging es mit dem richtigen und originären Hype-Medium weiter -- dem Fernsehen. Deshalb wurde auch Verona Pooth, geborene Feldbusch, eingeladen, der Schreck sensibler Ohren und intelligenter Hirne. Man muss ihr aber zugestehen: Sie kann auch anders. Zwar war sie wie immer geschminkt wie eine Schaufensterpuppe, doch moderierte sie intelligent und mit erträglicher Stimme.

Man kann nur hoffen, dass Brandon Burgess sein Unternehmen dazu bringt, seine eigenen Erkenntnisse zu beherzigen:

It is the one time, where the consumer rules. If you don't listen to the consumer, you will have a problem

Brandon Burdess, NBC Universal

Manuel Cubero von Kabel Deutschland sah dabei ein großes Nachholbedürfnis: Während nach einer Goldmedia-Untersuchzung in England typischerweise 275 digitale Kanäle im Kabel sind und in den USA 250, sind es in Deutschland nur 95. Auch HDTV soll ein großer Erfolg werden: In den USA sind nach Salon.com bei insgesamt 110 Millionen Fernsehhaushalten 2003 bereits 8 Millionen mit HDTV versorgt gewesen und bis Ende 2008 werden 80 Millionen erwartet. Doch keiner der in Europa bislang verkauften HDTV-tauglichen Fernseher wird mit den geplanten Kopierschutzverfahren noch funktionieren.

Satellite Radio in the car is a very popular product

Brandon Burdess, NBC Universal

Christiane zu Salm schilderte anschließend die Erfolgsgeschichte von 9live. Sie hatte den defizitären Sender vor 3 1/2 Jahren übernommen und vor 1 1/2 Jahren angeblich den profitabelsten Kanal Deutschlands daraus gemacht. "Die Leute begeistert es, im Fernsehen zu sein", so zu Salm -- und sie zahlen dafür gerne. Dazu zählen auch die Daten der Anrufer -- "jeder der Kunden hinterlässt Daten -- Telefonnummer, Geburtstage etc.". Der typische 9live-Zuschauer ist dabei 46, der typische Anrufer 49. 9live ist also ein Sender für ältere Leute, die viel Zeit haben -- man kann ihn nur nicht so verkaufen, so zu Salm.

Christiane zu Salm (Bild: W.D. Roth)

"9live für Handyfans" präsentierte anschließend Tuwiah Neustadt von Inlive TV: Die Anwesenden durften eine 0137-Nummer für nur 12 Cent pro Minute vom Handy aus anrufen und dabei erst eine Realtime-Statistik abliefern, wie oft sie denn schon fremdgegangen seien. Danach waren Facts aus dem Burda-Umfeld zu raten, wobei ein Google-Kühlschrank zu gewinnen war -- was auch immer das ist. Auch die Gewinner kamen aus dem Burda-Umfeld, doch mehr als 110 Gäste machten willig mit -- und wurden "natürlich" prompt über den Tisch gezogen, denn vom Handy aus kosten 0137-Nummern nun mal nicht 12 Cent pro Minute, sondern bei T-Mobil beispielsweise 29 Cent für Vertrags- und 39 Cent für Prepaid-Kunden. Letztere standen dann schon einmal mit unerwartet leerer Telefonkarte da und konnten sich am Abend kein Taxi mehr bestellen.

35% aller Statistiken sind spontan erfunden

Yossi Vardi, Gründungsinvestor von ICQ

Virtuelle Städte sind als Chatumgebung erfolglos: Ein Sofa reicht dem Chatter als Umgebung. Victor Shenkar, Gründer von Geosim Systems, sieht für seine sehr aufwendig programmierten Städte dennoch einen Markt für E-Commerce: Man läuft oder fliegt mit der Maus zum Kino, um dort das Programm abzurufen und eine Karte zu kaufen, statt schnöde dessen Website aufzurufen. Doch mehr Geld als mit Kinofilmen wird ohnehin inzwischen mit Spielen gemacht, so Martin Bachmayer von Microsoft: "Halo 2" brachte am Erstverkaufstag höhere Umsätze als jeder Blockbuster. Jens-Uwe Intat von Electronic Arts klärte schließlich auf: "Früher gab es den Film zum Buch -- heute gibt es das Spiel zum Film".

Terry von Bibra/Yahoo, Roby Stancel/Ideo, Verona Pooth, Stephanie Czerny, Peter Kabel, Reed Kram und Clemens Weisshaar (Bild: W.D. Roth)

Im Programmpunkt I-Design und E-Fashion stellte Roby Stancel von Ideo erfolgreiche Produkte vor wie den CD-Spieler mit Zugschnur, den man am Klo ebenso wie das Licht oder die Lüftung beim Betreten einschaltet. Angeblich auch für Kinder gut geeignet -- die bekommen diese Zugschnüre nämlich stets in Rekordzeit kaputt. Die naheliegendere und von mir schon vor 15 Jahren praktisch umgesetzte Variante, Licht, Lüftung und Radio einfach über einen gemeinsamen Schalter zu leiten, ist designmäßig natürlich längst nicht so cool und vor allem kein Produkt. Der CD-Player mit Reißleine ist bei "Muschi" jedenfalls der beliebteste Artikel. Die noch bekannter gewordene Zahnbürste mit Gummieinlage im Griff ist dagegen nur aus produktionstechnischen Aspekten entstanden, so Stancel.

Peter Kabel, früher Kabel New Media, nun Matt von Jung, erklärte den Unterschied zwischen Margarine-Werbung, die sich kaum jemand interaktiv im Netz ansehen werde, die also nur als Einweg-Kommunikation möglich sei, und Internet-Werbung: "Das Internet ist kein Medium, das von sich aus sendet!".

Jamba-Klingeltonwerbung "Sweety", leicht verbessert von Stylecharts.de

Jan Sperlich von Apple eröffnete schließlich die letzte, gnadenlos kommerzielle Runde mit erstaunlichen Wissenslücken über die Firmengeschichte: Die Aussage, dass die Marke Apple mit dem angebissenen Apfel erst mit dem ersten Mac entstanden sei, hätte sich unsereins niemals erlauben können. Doch vom Apple II muss man als Apple-Geschäftsführer wohl nicht unbedingt etwas gehört haben.

Tim Renner verkündete anschließend, dass die Musikindustrie in den letzten vier Jahren um 7% gewachsen sei -- und deshalb ja auch ständig davon redet, dass an diesem gewaltigen Umsatzeinbruch die Raubkopierer schuld seien. Sein Sender Motor FM bekommt nun nach Berlin in Stuttgart mit 97,2 MHz eine zweite Sendefrequenz. Seine Sympathiepunkte auf der Bühne verspielte er jedoch zuvor mit merkwürdigen Transparenten.

Digitalisierung heißt Demokratisierung

Tim Renner

Doch der ultimative Spaßstar des Abends war ohne Zweifel Marc Samwer. Der hatte 1999 zusammen mit seinen Brüdern Ebay als Alando.de nachgebaut und anschließend -- statt sich eine Klage von Ebay einzufangen, wie spätere Nachahmer -- das System an Ebay verkauft. Und schaffte den Trick ein zweites Mal mit Klingeltönen. Auf Blogs ist Samwer allerdings nicht besonders gut zu sprechen, da diese sein Geschäftsmodell viel besser erklären können als er und schlechte PR-Postings gnadenlos als solche entlarven.

Immer vergnügt, besonders beim Abruf des Kontostandes: Marc Samwer (Bild: Burda)

Der lustige Marc sieht dagegen seine Kreationen, das süße Küken Sweety und das lustige lila Nilpferd, als so genial an, dass er dem anwesenden Publikum ernsthaft die zugehörigen Werbespots vorführte, weil die ja womöglich jemand noch nicht kennen könnte. Immerhin nur einmal und nicht alle 5 Minuten wie im Fernsehen. Und natürlich will er von den Kindern nur das Beste: ihr Geld. Womit er ihnen ja nur einen Dienst erweist: "Das Handy ist heute Statussymbol statt der Kleidung" und "besser die Kids kaufen Klingeltöne als Gummibärchen und Zigaretten" lauten die unschlagbaren Argumente.

500 Mitarbeiter hat Jamba in Berlin und das unsäglich süße Küken wurde bereits zweieinhalbmillionenmal verkauft. Jamba konnte er inzwischen wieder einmal erfolgreich verkaufen. Als nächsten Trend erwartet er Handy-Multiplayergames im Klassenzimmer unter der Schulbank -- und wenn dieses ultimative Unterrichts-Sabotagetool dann fertig ist, kann man sicher sein, dass die Samwer-Brüder gut daran verdienen werden. Dass er deshalb auch nicht mehr ganz so beliebt ist, wie noch vor ein paar Jahren, wurde ihm in einem Augenblick der Selbsterkenntnis klar:

Ich habe kaum noch Freunde, das gebe ich zu, aber ich habe viele Abonnenten

Marc Samwer
Geld stinkt nicht? Das Klingeltongeschäft ist durchaus anrüchig...